Jahrzehntelang stand das älteste AKW Frankreichs im Fokus der Kritik. Vor allem das deutsche Bundesland Baden-Württemberg aber auch die Region Basel forderten schon lange die Schliessung der beiden Reaktoren, die verschiedene Sicherheitsdefizite aufweisen und unzählige gefährliche Pannen zu verzeichnen hatten. Obwohl der damalige Präsident François Hollande bereits 2012 versprach, das AKW zu schliessen, passierte lange nichts. Immer wieder hiess es, der staatliche Energieversorger EDF «déconnecte» erst 2022 oder gar noch später. Oft begründeten die Präsidenten Hollande und später Macron, dass erst das moderne AKW in Flamanville ans Netz gehen müsse, bevor auf Fessenheim verzichtet werden könne. Dieses hätte bereits 2012 in Betrieb gehen sollen – und ist es bis heute noch nicht. Besonders die französischen Gemeinden rund um Fessenheim hofften aus wirtschaftlichen Gründen auf eine möglichst späte Stilllegung und klagten 2018 erfolgreich gegen ein Schliessungsdekret Macrons.
Die Mängelliste
Dabei ist die Mängelliste sehr lang: Die Sicherheitssysteme sind störanfällig und nicht auf dem neusten Stand der Technik. Die Gefahren durch Erdbeben und Überflutung sind hoch. Ein schwaches Fundament und fehlende Rückhaltebecken können die Umwelt bei einem Unfall nicht angemessen schützen. Hätte EDF Fessenheim nochmals 10 Jahre am Netz lassen wollen, hätte sie teure Nachrüstungen umsetzen müssen. 2018 verzichtete EDF auf eine Verlängerung der Betriebsbewilligung, reichte aber trotzdem kein Schliessungsgesuch ein.
Merkels Lösung
Doch mit dem Elysée-Vertrag zwischen Deutschland und Frankreich anfangs 2019 wurde klar, dass bald Bewegung in die Geschichte kommt. Merkel setzte sich persönlich für die Stilllegung ein. Um die Region nicht einfach ihrem Schicksal und der hohen Arbeitslosigkeit zu überlassen, haben die beiden Länder Investitionen in einen deutsch-französischen Wirtschafts- und Innovationspark vereinbart. So gesehen handelt es sich beim Stilllegungsentscheid einerseits um einen wirtschaftlichen Entscheid von EDF und andererseits um einen politischen Entscheid Macrons, um den Verzögerungen ein Ende zu bereiten.
Das Lehrstück Fessenheim
Wie beim AKW Mühleberg braucht es nicht nur wirtschaftlichen Druck, sondern auch den politischen Willen, eine Stilllegung durchzusetzen. Die Sicherheit steht dabei nicht an erster Stelle; lieber lassen die Betreiber das AKW noch ein paar Jahre laufen, ohne teure Nachrüstungen tätigen zu müssen. In der Schweiz nehmen wir es gar noch lockerer: Während in Frankreich das AKW Fessenheim mit Jahrgang 1978 als Uralt-Reaktor gilt und nach jedem Jahrzehnt die Betriebsbewilligung erneuern musste, läuft das 10 Jahre ältere AKW Beznau mit unbefristeter Bewilligung weiter. Die Betreiberin Axpo möchte mindestens 60 Betriebsjahre erreichen, um die (zu) teuren Nachrüstungen abzuschreiben – das Primat der Ökonomie lässt grüssen. Die Möglichkeiten entscheidendes Material auf seine Eigenschaften zu überprüfen sind jedoch seit 2009 ausgereizt, die letzten bestrahlten Materialproben wurden aus dem Reaktordruckbehälter geholt.
Atom- und Aussenpolitik
Und die Schweizer Politik? Sie lässt die Finger vom Thema. Selbst nach dem Reaktorunfall in Fukushima hat weder der Bundesrat noch das Parlament die Sicherheitsauflagen massgeblich verschärft oder ein Umgang mit den unlimitierten Laufzeiten gefunden. Die einzige Massnahme, das AKW-Neubauverbot, tat niemandem wirklich weh. Doch nicht alle sind glücklich darüber, dass die offizielle Schweiz wegschaut: Kürzlich flatterte beim Bundesrat ein Brief aus dem deutschen Bundesumweltministerium ins Haus. Deutschland nimmt nun die Schweiz ins Visier und fordert die baldige Abschaltung Beznaus. Wird Beznau nun Teil der aussenpolitischen Verhandlungen mit Deutschland und der EU?
Text: Schweizerische Energie-Stiftung
1 Kommentare
Und wieder werden die "ee-news" (ee = Erneuerbare Energien) zu "ae-news" (ae = Atomenergie).