In Berlin, Stuttgart, Mannheim und Rosenheim werden Großwärmepumpen an Kraftwerksstandorten errichtet. Hier der Standort Müllheizkraftwerk Stuttgart-Münster. Bild: © EnBW AG

Rund 15 Millionen Euro wird die Anlage in Mannheim nach Angaben der MVV kosten, bis zu 5.7 Millionen Euro kommen vom deutschen Wirtschaftsministerium. Sie soll das Wassers des Rheins nutzen. ©Bild: GKM AG

Wie hoch die jährlichen Volllaststunden sein werden, konnte die MVV bei der Planung der Flusswärmepumpe nur schätzen. Das Unternehmen geht von rund 2500 Stunden aus. Bild: Mannheimer MVV/Siemens

Grosswärmepumpen für Fernwärmenetze: Heizen, wenn der Strom billig ist - fünf Projekte werden im Rahmen eines Reallabors getestet

(BJ) Das Projekt hat grossen Symbolwert: Auf dem Gelände des im Jahr 1921 gegründeten Grosskraftwerks Mannheim (GKM) – eines grossen Steinkohlekomplexes mit derzeit noch vier Blöcken im Betrieb oder in Reserve – installiert die MVV Energie AG derzeit eine der leistungsfähigsten Wärmepumpen Europas mit einer elektrischen Leistung von 7.4 MW. Im Frühjahr 2022 war Spatenstich. Die Anlage im Nordbadischen ist nur eine von fünf ihrer Art, die derzeit in Deutschland im „Reallabor der Energiewende“ unter der Überschrift „Grosswärmepumpen in Fernwärmenetzen“ geplant und gebaut werden.


Die Mannheimer MVV als der drittgrösste Fernwärmeanbieter Deutschlands hat sich viel vorgenommen – ein Treiber ist der anstehende Kohleausstieg. Noch liefert das GKM grosse Mengen der benötigten Fernwärme. In ihrem jüngsten Geschäftsbericht notiert MVV allerdings bereits, sie wolle „in Mannheim und der Metropolregion Rhein-Neckar die Fernwärme bis spätestens 2030 auf 100 Prozent grüne Energiequellen umgestellt haben“.

Neue Flusswärmepumpe nach dem Vorbild von Zürich
Ein Baustein dieses Konzepts soll die neue Flusswärmepumpe sein. Sie nutzt nicht, wie die meisten anderen Wärmepumpen die Luft oder den Erdboden, um diesen Wärme zu entziehen, sondern stattdessen die Wärme eines Flusses, in diesem Fall des Rheins. Die Technik kennt man übrigens schon lange: Bereits 1938 installierte die Stadt Zürich eine Flusswärmepumpe, die das Rathaus heizt und dabei die Wärme der Limmat nutzt.

Nur mit staatlicher Förderung
Bislang ist ein solches Projekt allerdings nur mit staatlichen Forschungsgeldern möglich. Rund 15 Millionen Euro wird die Anlage in Mannheim nach Angaben der MVV kosten, bis zu 5.7 Millionen Euro kommen vom deutschen Wirtschaftsministerium. „Ohne die Förderung wäre das Projekt aufgrund der hohen Strombezugskosten nicht wirtschaftlich darstellbar“, sagt ein Firmensprecher auf Anfrage.

Aus eine Frage des Strompreises
Mit der Frage nach der Wirtschaftlichkeit solcher Projekte ist man bei der grossen Unbekannten, die in Zukunft über Wohl und Wehe strombasierter Wärmelösungen, eben auch der Wärmepumpen, entscheiden wird: Wie entwickelt sich der Strompreis? Neben den regulatorischen Rahmenbedingungen ist dafür ganz erheblich der Börsenpreis am Spotmarkt verantwortlich. Bei Preisen, wie man sie im vergangenen Jahr zeitweise erleben konnte – im Extremfall am deutschen Spotmarkt bis zu 87 Cent je Kilowattstunde –, wird sicher niemand den Strom für Wärmezwecke nutzen können.

Bei niedrigen Preisen rentabel
In anderen Zeiten, wenn die Preise stundenweise auf Null oder gar darunter fallen, werden die Wärmeanwendungen jedoch attraktiv. Die ökonomische Logik deckt sich dabei – und das macht dieses Thema energiewirtschaftlich so attraktiv – mit den Erfordernissen der Energiewende: Immer wenn ausreichend erneuerbar erzeugter Strom im Netz vorhanden ist, wird aufgrund der niedrigen Preise die Wärmeerzeugung rentabel. In anderen Zeiten hingegen, wenn im Land zur Erzeugung des benötigten Stroms fossile Kraftwerke hochgefahren werden müssten, ist es auch klimapolitisch nicht sinnvoll, die hochwertige elektrische Energie in Wärme zu wandeln.

Rund 2500 jährliche Volllaststunden
Egal, ob es eine Wärmepumpe ist oder eine Power-to-Heat-Anlage, eine Frage steht im Zentrum: Wie viele Stunden im Jahr herrschen Marktbedingungen, die einen wirtschaftlichen Betrieb der Anlagen erlauben? Genau weiss das vorab niemand, viele Faktoren beeinflussen den Strommarkt, so auch das Ausbautempo bei den erneuerbaren Energien. Es geht also um einen Schätzwert, wenn MVV bei der Planung der Flusswärmepumpe rund 2500 jährliche Volllaststunden annimmt.

20 MW thermisch und 7.4 MW elektrisch
Mit diesem Wert lässt sich kalkulieren, wie viel grüner Strom für das Projekt benötigt wird: Bei einer von der Firma angestrebten Jahresarbeitszahl von 2.7 – die Zahl gibt an, wie hoch der Wärmegewinn pro Kilowattstunde Strom ist – sind für eine thermische Leistung von 20 Megawatt folglich rund 7.4 Megawatt an elektrischer Leistung erforderlich. Bei der anvisierten Laufzeit ergibt sich ein Stromverbrauch von gut 18 Millionen Kilowattstunden im Jahr und eine Wärmeerzeugung von 50 Millionen Kilowattstunden. Etwa fünf Millionen Liter Heizöl würden somit eingespart.

Eine von fünf
Die Anlage im Nordbadischen ist nur eine von fünf ihrer Art, die derzeit im „Reallabor der Energiewende“ unter der Überschrift „Grosswärmepumpen in Fernwärmenetzen – Installation, Betrieb, Monitoring und Systemeinbindung“ geplant und aufgebaut werden. Die anderen vier werden in Stuttgart, Rosenheim, Berlin-Neukölln und Berlin-Köpenick stehen, an Standorten mit Heizkraftwerken oder anderen Abwärmequellen. Die jeweilige Wärmeleistung wird zwischen 1.12 und 22 Megawatt liegen. Der Unterschied der Grosswärmepumpe zur heimischen Wärmepumpe besteht alleine darin, dass die Geräte zentral Wärme erzeugen und die Energie dann über ein Wärmenetz in die einzelnen Häuser bringen. Im Objekt selbst gibt es dann keine Heizung, sondern nur eine Wärmeübergabestation.

Erfahrungen gewinnen
Die Rahmenbedingungen für Grosswärmepumpen sind an den fünf Standorten des Forschungsprojekts unterschiedlich. Über allem aber steht das gemeinsame Ziel, Erfahrungen zur Einbindung der Anlagen in das Strom- und Wärmesystem zu gewinnen. Zwar gebe es auch technische Neuerungen, etwa Experimente mit neuem Kältemittel, sagt der Projektleiter des Reallabors, Andrej Jentsch vom AGFW (Effizienzverband für Wärme, Kälte und KWK). Vor allem gehe es aber um das Gesamtsystem, um ein intelligentes Zusammenspiel von Strom und Wärme.

Sehr verschiedene Betriebsparameter
Die Betriebsparameter in den Reallabor-Kommunen sind sehr verschieden. „Wir rechnen je nach Projekt mit einer Laufzeit der Anlagen zwischen 2500 und 6000 Stunden im Jahr“, sagt Jentsch. Dabei kommt es auch auf die geografische Lage der Anlagen an: „Ob sich diese in Nord- oder Süddeutschland befinden, hat erheblichen Einfluss auf die Betriebsweise.“ Denn im Norden herrscht öfter mal Stromüberschuss, im Süden dagegen eher Mangel.

Jahresarbeitszahlen zwischen 2.7 und 5.5
Die Jahresarbeitszahl der Grosswärmepumpen wird bei den fünf Projekten zwischen 2.7 und 5.5 liegen, so die Schätzungen. Dass die Werte damit zum Teil sogar niedriger liegen als die Kennziffern dezentraler Wärmepumpen – dass ein Effizienzgewinn durch die Grösse also ausbleibt –, hat einen einfachen Grund: Zwar können die Anlagen an sich aufgrund ihrer grossen Leistung sehr wohl effizienter sein als Kleinanlagen, doch die Anforderungen der vorhandenen Infrastruktur machen diesen Gewinn oft wieder zunichte.

Höheres Temperaturniveau nötig
Der Grund: Eine Grosswärmepumpe muss in der Regel ein deutlich höheres Temperaturniveau generieren als Wärmepumpen im einzelnen Wohnhaus. Das liegt schlicht daran, dass die grossen Nahwärmenetze auch an ihrem letzten Ausläufer noch hohe Temperaturen erreichen müssen, um dem jeweiligen Gebäudestandard und der oft veralteten Heizungstechnik gerecht zu werden. Bis zu 130 Grad Celsius seien in manchen Fernwärmenetzen als Einspeisetemperatur nötig, um auch bei minus 15 Grad Aussentemperatur alle Objekte mit der nötigen Vorlauftemperatur bedienen zu können, sagt Projektbetreuer Jentsch. Je höher das verlangte Temperaturniveau aber ist, umso mehr nimmt die Effizienz der Wärmepumpe ab – das besagen die Gesetze der Physik.

Bestehende Wärmespeicher sind Voraussetzung
Voraussetzung, um ökonomisch und ökologisch sinnvoll Strom in Wärme umsetzen zu können, sind bei allen Projekten bestehende Wärmespeicher. Für die Reallabor-Anlagen wurden sie zur Bedingung gemacht. Denn nur so können sich die Wärmepumpen von den kurzfristigen Erfordernissen des Wärmemarkts lösen und ihre Betriebszeiten an den Signalen des Strommarkts orientieren. In den grossen existierenden Wärmenetzen ist das grundsätzlich der Fall – was wiederum ein Vorteil gegenüber dezentralen Hauswärmepumpen sein kann, die entsprechende Speicherkapazitäten oft erst noch aufbauen müssten, sofern nicht das Gebäude selbst bereits ausreichend gut Wärme speichert.

Grosses Potenzial im Niedrigtemperatur-Bereich
Das Gesamtprojektvolumen des Reallabors beläuft sich auf 45 Millionen Euro, wovon 21 Millionen Euro vom deutschen Bundeswirtschaftsministerium bereitgestellt werden. Laufen soll es bis 2026. Bis dahin wird sich wohl zeigen, wie die regulatorischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen angepasst werden müssen, damit Grosswärmepumpen für die Fernwärme künftig bestmöglich nutzbar sind. Aktuell, so der AGFW, könnten Grosswärmepumpen ohne Förderung nicht wirtschaftlich betrieben werden. Da sie aber „durch die Nutzbarmachung von Niedrigtemperatur-Wärme grosses Potenzial für die Erreichung der Klimaschutzziele bieten“, verdienten sie „eine grössere Wahrnehmung und Berücksichtigung in der Wärmeplanung“.

420 MW-Leistung in Stockholm
Skandinavien sei in dieser Sache schon weiter: In das Fernwärmesystem von Stockholm würden heute bereits 420 Megawatt an Wärme aus Grosswärmpumpen eingespeist. Trotzdem müssten diese Anlagen „vorrangig als Inspiration und weniger als direkte Vorbilder angesehen werden“, sagt Jentsch. Denn die Fernwärmenetze in Schweden seien historisch bedingt anders aufgebaut und die regulatorischen Rahmenbedingungen anders strukturiert.

Ruf nach veränderten Rahmenbedingungen
Mittlerweile werden in Deutschland die Rufe nach Veränderungen des politischen Rahmens lauter. Dazu, wie der Strommarkt weiterentwickelt werden kann, gibt es allerdings noch viele offene Fragen: Wie hoch werden künftig die Spotmarktpreise für Strom in Relation zum Preis der fossilen Energien sein? Und wie oft erreichen sie ein so niedriges Niveau, dass der Betrieb einer Wärmepumpe attraktiv ist? Die Antworten darauf werden entscheiden, welche Rolle nachhaltig gewonnener Strom künftig im Wärmesektor spielen wird.

Energiedienst sucht alternativen
Wie die Märkte Projekte zur Verwertung von Überschussstrom durcheinanderwirbeln können, spürte bereits die Firma Energiedienst am Hochrhein. Das Unternehmen hatte im November 2018 auf dem Gelände seines historischen Wasserkraftwerks Wyhlen (siehe ee-news.ch vom 8.11.23 >>) einen Elektrolyseur mit einer Leistung von einem Megawatt eingeweiht, um überschüssigen Strom zur Erzeugung von Wasserstoff zu nutzen. Als 2016 der Beschluss zum Bau der Anlage fiel, war Grundlaststrom in ganz Mitteleuropa im Überfluss verfügbar, am langfristigen Terminmarkt kostete die Kilowattstunde gerade mal 2.1 Cent. Um den eigenen Wasserkraftstrom nicht zu solchen Preisen verramschen zu müssen, suchte das Unternehmen nach Alternativen der Verwertung.

Wasserstofferzeugung klar nicht wirtschaftlich
Zwischenzeitlich aber hat sich die Stromwirtschaft massiv verändert. Strom ist in Europa teuer geworden. Im Jahr 2022 lag der Preis einer Kilowattstunde am deutschen Spotmarkt im Mittel bei gut 23 Cent. Damit ist es für Energiedienst längst wieder lukrativer, die Kilowattstunden am Strommarkt zu verkaufen als Wasserstoff zu erzeugen. „Mit den Preisen, die man aktuell im Strommarkt sieht, ist die Wasserstofferzeugung klar nicht wirtschaftlich“, lässt die Betreiberfirma auf Anfrage wissen. Und dies sogar angesichts der Tatsache, dass die Elektrolyse auf dem Kraftwerksgelände steht, also nicht einmal Netzentgelte anfallen.

Illusorische 7000 Stunden
Bei Projektstart hatte Energiedienst eine Laufzeit des Elektrolyseurs von 7000 Stunden pro Jahr angesetzt. Das ist längst illusorisch. Über aktuelle Schätzungen will Energiedienst nicht sprechen, räumt aber ein: „Tendenziell wird die Laufzeit pro Jahr sicher kürzer sein, als wir ursprünglich angenommen haben.“

In diesem Spannungsfeld der Strommärkte werden sich künftig auch alle Grosswärmepumpen wiederfinden – nämlich dann, wenn es nicht mehr wie aktuell um Forschungsprojekte geht, sondern wenn die Anlagen eines Tages antreten, um am Markt zu agieren.

Text: Bernward Janzing

0 Kommentare

Kommentar hinzufügen

Partner

  • Agentur Erneuerbare Energien und Energieeffizienz

Ist Ihr Unternehmen im Bereich erneuerbare Energien oder Energieeffizienz tätig? Dann senden sie ein e-Mail an info@ee-news.ch mit Name, Adresse, Tätigkeitsfeld und Mail, dann nehmen wir Sie gerne ins Firmenverzeichnis auf.

Top

Gelesen
|
Kommentiert