Auf Basis der Simulationsrechnung und der Nutzwertanalyse wurden die drei wesentlichen Kategorien von Handlungsempfehlungen herausgearbeitet.

VDE-Studie: Energieoptimaler Bahnverkehr - auf dem Weg zum „1 Liter-Zug“

(PM) Elektrische Bahnen sind bereits heute sehr leistungsfähig, energieeffizient und umweltfreundlich. Die Gründe dafür sind vor allem der elektrische Antrieb, der anderen Antriebstechnologien weit überlegen ist, sowie ein geringer Rollwiderstand, eine günstige Aerodynamik und die Möglichkeit der energieoptimalen Steuerung. Dennoch schlummern auch im Fern-, Güter- und Regionalverkehr (S-, U- und Strassenbahnen) noch viele ungenutzte Energiesparpotenziale. Wo genau diese liegen und wie sie ausgeschöpft werden können, hat nun die deutsche Energietechnische Gesellschaft im VDE im Rahmen einer Studie mit Simulationsrechnungen und Nutzwertanalysen für alle relevanten Bahnverkehrsarten, Subsysteme und das gesamte Bahnsystem untersucht.


Demnach lassen sich Energieverluste vor allem durch die Verbesserung der Wirkungsgrade – etwa durch die verlustarme Energieerzeugung und -wandlung und die Verringerung des Fahrwiderstandes – weiter reduzieren. Wichtige Stellschrauben zur Vermeidung von Energieverschwendung sind eine energiesparende Fahrweise und bedarfsgerechte Klimatisierung, die Maximierung des rekuperativen Bremsens und ein energieoptimiertes Bordnetz. Das grösste Potenzial liegt in der Energieoptimierung durch die Verbesserung der Netzstruktur bei Gleichstrombahnen und die Vermeidung von Störstellen. Allerdings sind gerade die bedeutenderen Massnahmen zur energetischen Optimierung des Bahnverkehrs nur in einer gemeinsamen Initiative von Politik, Betreibern und Bahnindustrie erfolgreich und zeitnah umsetzbar. Deshalb empfiehlt der VDE ein Zusammenwirken aller beteiligten Akteure im Bahnsystem. So sollte die Politik verlässliche Rahmenbedingungen schaffen und somit langfristig wirkende Massnahmen mit grossem Investitionsvolumen ermöglichen. Die Betreiber sollten bei der Spezifikation von Fahrzeugen und Bahnstromversorgung den energetischen Aspekt stärker als bislang wertschätzen, so dass entsprechende Technologien von der Bahnindustrie umgesetzt werden können. Und die Bahnindustrie ist aufgefordert, auch kleinere Potenziale zu nutzen sowie der Politik und Betreibern ihre Expertise zur Optimierung des Gesamtsystems zur Verfügung zu stellen. Der wichtigste Schlüssel zu mehr Nachhaltigkeit und Effizienz in der Mobilität liegt freilich beim Bürger selbst: in der vermehrten Nutzung des Bahnsystems.

Spezifische Methoden und Modelle für eine differenzierte Betrachtung

Um das komplexe Thema „Energieoptimaler Eisenbahnverkehr“ objektiv und fundiert bearbeiten und das Energiesparpotenzial einzelner Massnahmen unter konsistenten und realistischen Randbedingungen darstellen zu können, wurden für die VDE-Studie Modelle für die betroffenen Verkehrsarten und Subsysteme sowie anwendungsspezifische Methoden zur Aufbereitung und Darstellung der Simulationsergebnisse entwickelt. Darüber hinaus wurden vier Kriterien für die „Nutzwertanalyse“ – das heisst für die Abschätzung des technischen und/oder wirtschaftlichen Aufwands für die Umsetzung einzelner Massnahmen – festgelegt: Realisierungszeitraum, Investitions- bzw. Entwicklungsbedarf, Energiesparpotenzial bzw. „Einsparfaktor“ (ermittelt jeweils für eine Gruppe von Einzelmassnahmen) und Technologisches Potenzial (Anteil der Einzelmassnahme an der Einflussgrösse).

Eine so differenzierte Betrachtung ist unverzichtbar, weil sich sowohl im Hinblick auf die technischen Möglichkeiten als auch auf den wirtschaftlichen Nutzen bei einzelnen Massnahmen in den verschiedenen Bereichen grosse Unterschiede ergeben. So stellt beispielsweise das Antriebssystem in allen Verkehrsarten das Subsystem mit dem höchsten Energiebedarf dar. Der in dem VDE-Bewertungssystem errechnete Einspareffekt allerdings schwankt bei diesem Beispiel in den einzelnen Verkehrsarten zwischen dem Einsparfaktor 0,16 und 0,32. Und auch wenn etwa der Einfluss des Traktionswirkungsgrades bei den Verkehrsarten mit relativ vielen Halten am stärksten ist, weil sowohl beim Fahren als auch beim elektrischen Bremsen (Rekuperation) die Verluste verringert werden, bleibt hier der Einsparfaktor dennoch unterproportional, da der Wirkungsgrad bereits am Ausgangspunkt der Berechnungen sehr hoch ist.

Energieverluste
durch Innovationen reduzieren
Auf Basis der Simulationsrechnung und der Nutzwertanalyse wurden die drei wesentlichen Kategorien von Handlungsempfehlungen herausgearbeitet: „Energieverluste reduzieren“ (jenseits der heutigen Grenzen der eingesetzten Technologien), „Energieverschwendung vermeiden“ (durch Aufhebung bestehender Unzulänglichkeiten) und „Energieoptimierung vorantreiben“ (mit Blick auf das gesamte Bahnsystem als Einheit von Infrastruktur, Fahrzeugen und Betrieb). Die Reduzierung der Energieverluste beinhaltet die Verbesserung der Wirkungsgrade von Komponenten und Anlagen. Derartige Massnahmen sind jedoch nur bei denjenigen Komponenten bzw. Elementen effizient anwendbar, in denen hohe Verluste auftreten. Grundsätzlich ist dieser Effekt am Anfang der Energieübertragungskette (Kraftwerke, Umrichterwerke), wo der „Energiefluss“ gebündelt ist, grösser als an deren Ende (Bahnantrieb). Um die Energieverluste zu minimieren, ist prinzipiell die Nutzung technischer Innovationen erforderlich. Wichtige Ansatzpunkte sind hier die verlustarme Energieerzeugung durch die Umstellung auf regenerative Energien, die verlustarme Energiewandlung im Fahrzeug – in erster Linie die Steigerung des Antriebswirkungsgrads insbesondere bei Verkehrsarten mit häufigen Fahrzyklen (Regionalverkehr, U-Bahn) und die Verringerung des Fahrwiderstandes, vorrangig des aerodynamischen Widerstandes bei Bahnen mit höheren Geschwindigkeiten (Fernverkehr) oder hohem Luftwiderstand (Güterverkehr).

Energieverschwendung durch V
erhaltensänderungen minimieren
Einerseits sind Verhaltensänderungen im Bahnbetrieb nötig, die vorrangig durch ein gezieltes Training der beteiligten Fachkräfte erreicht werden können: Zu nennen wären die energiesparende Fahrweise oder eine Anpassung der Komfortfunktionen an die Umweltbedingungen. Andererseits gibt es technische Innovationen, die aufgrund der langen Lebensdauer von Fahrzeugen und Infrastruktur bislang nur in Einzelfällen realisiert wurden. Diese erfordern eine gezielte Förderung der Modernisierung, und zwar nicht nur monetär, sondern auch durch den Abbau von bürokratischen Hürden.

Die technischen Voraussetzungen für Massnahmen zur Minimierung von Energieverschwendung sind bei neueren Fahrzeugen in der Regel vorhanden. Dazu zählen Massnahmen wie eine energiesparende Fahrweise (Nutzung von vorhandenen Fahrzeitreserven, Vermeidung unnötiger Antriebs- und Bremszyklen durch die Einführung von „Bedarfshalten“), für eine bedarfsgerechte Klimatisierung (stärkere Angleichung des Temperatursollwertes an die Umweltbedingungen, Reduktion der Türöffnungszeiten, Minimierung der Einschaltzeiten während der Abstellphasen), für die Maximierung des rekuperativen Bremsens und für ein energieoptimiertes Bordnetz. Allerdings müssen sie auch zuverlässig an eine Betriebssteuerung angebunden werden.

Energetische Modernisierung des
gesamten Bahnsystems sinnvoll
In der Priorisierung von energetischen Zielen im gesamten Bahnsystem liegt das grösste Potenzial. Dabei ist aber der Aufwand meist beträchtlich. Darüber hinaus besteht mitunter Konkurrenz zu anderen Zielen. Zu nennen wären ein Umbau der Verteilnetze mit dem Ziel höherer Rückgewinnung bzw. geringerer Verluste, oder die Entflechtung von Verkehrsarten. Dies erfordert grössere Investitionen in die Infrastruktur von Fahrweg und/oder Energieversorgung und ist kosten- und zeitintensiv, insbesondere durch öffentliche Interessenskonflikte.

Ein wichtiger Baustein ist die Optimierung der Netzstruktur bei Gleichstrombahnen. Während in Deutschland der Fern-, Güter- und Regionalverkehr über ein 110/15kV-Wechselstrom-Verbundnetz betrieben wird, das grundsätzlich aufnahmefähig und verlustarm ist, ist bei Stadtbahnen die Lage anders: Ein nennenswerter Teil der generatorischen Bremsenergie muss in Bremswiderständen „verheizt“ werden, wenn gleichzeitig keine Abnehmer vorhanden sind. Wirksame Gegenmassnahmen sind die zweiseitige Speisung und Vermaschung des Netzes, die Einrichtung rückspeisefähiger Unterwerke, die Schaffung von gesetzlichen bzw. regulatorischen Rahmenbedingungen und die Installation von stationären Energiespeichern.

Ein weiterer Baustein ist die Vermeidung von Störstellen. Insbesondere Strassenbahnen sind häufigen Geschwindigkeitswechseln unterworfen, weil sie sich den Verkehrsweg mit dem Individualverkehr teilen müssen. Lässt sich eine prinzipielle Vorrangschaltung für den Bahnverkehr nicht um- oder durchsetztenen, so können Fahrerassistenzsysteme zumindest das Ausfahren unnötiger Zyklen vermeiden. Voraussetzung dafür ist jedoch eine Vernetzung mit der Betriebsleitzentrale des Strassenverkehrs. Entsprechende Konzepte müssen folglich in der Stadtplanung initiiert werden. Wo die Optimierung der betrieblichen Disposition an ihre Grenzen stösst, hilft nur noch der Streckenausbau zur Entflechtung der Verkehrsarten.

Gemeinsame Initiative von Politik, Betreibern
und Bahnindustrie erforderlich
Alle beschriebenen Massnahmen tragen sowohl zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit des Bahnsystems als auch zur Energieeinsparung bei. Allerdings sind insbesondere die bedeutenderen Massnahmen nur in einer gemeinsamen Initiative von Politik, Betreibern und Bahnindustrie erfolgreich und in einem angemessenen Zeitrahmen umsetzbar. Neben verlässlichen Rahmenbedingungen, der stärkeren Beachtung von energetischen Aspekten, dem Ausschöpfen kleinerer Potenziale und der vermehrten Nutzung des Schienenverkehrs durch Bürgerinnen und Bürger sind weitere Massnahmen erforderlich, um die Energieeffizienz im elektrischen Bahnsystem zu optimieren.

So stehen viele innovative Entwicklungen wie zum Beispiel permanenterregte Fahrmotoren, der getriebelose Antrieb, mobile Energiespeicher, der Ersatz herkömmlicher Transformatoren durch Umrichter mit Hochspannungs-Halbleitern, Supraleitende Trafos oder Mittelfrequenz-Trafos noch am Anfang und sind bei heutigen Energiepreisen selten wirtschaftlich. Da hier aber noch ungenutzte Potenziale liegen, sollten solche Entwicklungsanstrengungen aus VDE-Sicht gezielt von Bahnindustrie und Hochschulen gebündelt und von staatlicher Seite gefördert werden. Parallel dazu sind betriebliche und technische Regelwerke der Betreiber sowie Normen und Standards fortzuschreiben. Darüber hinaus sollte für die Bestandsflotten ein staatliches Anreizsystem ähnlich der energetischen Gebäudesanierung angestrebt werden. Denn das derzeitige Energiepreisniveau ist kein ausreichender Motivator für Konzepte zur energetischen Optimierung. Da die Zeitspanne von der Entwicklung von Innovationen bis zur Umsetzung in die betriebliche Praxis sehr lang ist, sollten die entsprechenden Initiativen nach Meinung des VDE möglichst zeitnah und umfassend in die Wege geleitet werden.

Die Studie

Die VDE-Studie "Energieoptimaler Bahnverkehr auf dem Weg zum 1-Liter-Zug. Potenziale und Prioritäten auf der Basis von Zahlen und Fakten" wurde von Experten der deutschen Energietechnischen Gesellschaft im VDE verfasst und ist auf der VDE-Website (www.vde.com) für 250 Euro erhältlich.

Text: VDE Deutscher Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V.

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