Thomas Tribelhorn: "Infolge des Ukrainekriegs und der hohen Energiepreise, aber auch aufgrund der Hohen Einmalvergütung für Dächer ohne Eigenverbrauch, gibt es nun viele Dächer, die plötzlich attraktiv werden." ©Bild: Gabriel Möckel

Thomas Tribelhorn: „2023 war für die ADEV ein sehr erfolgreiches Jahr – die Zeichen für 2024 stehen sehr gut!“

(AN) „Die ADEV Gruppe hat ein sehr erfolgreiches Jahr hinter sich, wir sind sehr zufrieden. Zudem sind die Auftragsbücher für 2024 gut gefüllt. Und Ideen für neue Projekte fehlen uns auch nicht! Allein bei den grossen Photovoltaikanlagen sind 3.7 MW Leistung im Bau. Wir akquirieren laufend neue Wärmeverbünde und planen neue Windparks“, erklärt Thomas Tribelhorn, Vorsitzender der Geschäftsleitung der ADEV Energiegenossenschaft anlässlich eines Neujahrsgesprächs mit Anita Niederhäusern.


Was waren die grössten Erfolge der ADEV im
Jahr 2023?
Ganz klar die Ausschreibung für zwei sehr grosse Photovoltaikanlagen, die wir gewinnen konnten: eine 2-MW-Anlage auf dem Dach der Stahl Gerlafingen und eine 1.7-MW-Anlage in Effretikon. Letztere ist eine ZEV-Anlage für rund 30 Gewerbebetriebe sowie die Post. Das ist höchstspannend, auch die Umsetzung der Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch (ZEV) für diese Anlagengrösse. Vorgesehen ist auch die Installation von vielen E-Ladestationen. Es ist toll, dass wir dieses anspruchsvolle Projekt umsetzen dürfen.

Ein spannendes Projekt war auch die Sanierung des Wasserkraftwerks Juramill auf Fischgängigkeit. Das kostete 4.8 Millionen Franken, mehr als ein Neubau!

Was war das Ziel der Sanierung?
Das Gewässerschutzgesetz von 2011 verpflichtet die Inhaber von Wasserkraftanlagen dazu, ökologische Beeinträchtigungen durch Nutzung der Wasserkraft bis 2030 zu beseitigen. Dazu gehört auch die Beeinträchtigung der Fischwanderung. Im Fall Juramill berappt das Bundesamt für Umwelt die Sanierung vollumfänglich, was auf uns als Stromkunden abgewälzt wird. Das Kraftwerk Juramill war bereits mit einer Fischaufstiegstreppe ausgestattet. Die Sanierung war erforderlich, um eine Fischabstiegstreppe zu realisieren. Ziel ist es, dass der Lachs wieder wandern kann. Denn ganz hinten im Tal gibt es ein Restaurant, das „Salmen“ heisst, also geht man davon aus, dass es an der Birs dort einmal Lachse hatte.

Ein weiterer grosser Erfolg war sicher die absolute Rekordproduktion der zwei Windturbinen in St. Brais. Sie zeigt das Potenzial der Windenergie in der Schweiz und insbesondere ihren hohen Winterstromanteil: Januar, Februar, März sowie November und Dezember waren die Rekordmonate.

Wie viel höher als der Plansolwert war die Produktion?
Mit 9.68 Millionen Kilowattstunden betrug die Mehrproduktion 15 % gegenüber dem bisherigen Spitzenjahr 2019. Die Produktion in den Monaten November und Dezember war sogar 1.4 Mal höher als der Plansollwert der letzten 10 Jahre!

Auch im Bereich Wärme gibt es sehr viele neue Projekte: Wir durften die Betriebsführung des Wärmeverbunds Tenniken im Baselbiet übernehmen, eine mittelgrosse Gemeinde. Auch den Wärmeverbund Hölstein durften wir übernehmen. Bei beiden Wärmeverbünden evaluieren wir jetzt den Ausbau.

Ein weiteres interessantes Projekt ist das Joint-Venture mit der IWB für den Wärmeverbund Lehenmatt-Birs (www.wvlb.ag). Im Endausbau wird er mit 14 MW-Leistung einer der grössten Wärmeverbünde der Schweiz sein.

Und last but not least die Willy Gysin AG, die 2023 zum zweiten Mal in Folge den Gewinn steigern konnte. Wir haben den Hauptfokus des Unternehmens neu auf den Bau von Photovoltaikanlagen gelegt. Davor war die Firma ein klassisches Elektroinstallationsunternehmen, das auch ab und zu eine Photovoltaikanlage gebaut hat. Jetzt liegt das Augenmerk wirklich auf der Photovoltaik, was sich bereits auszahlt und sich sicher auch in den nächsten Jahren auszahlen wird. Wenn man bedenkt, wie viel Photovoltaik-Leistung wir zubauen müssen, haben wir hier ein gutes Standbein aufgebaut. Ja, das sind in etwa die Highlights 2023!

Das sind viele!
Ja, wir dürfen zufrieden sein! (lacht)

Was waren die grössten Hürden 2023?
Bezüglich der ADEV kommt mir keine in den Sinn! Allgemein gesehen ist es jedoch enttäuschend, dass es in Sachen Windenergie nicht schneller vorwärtsgeht. Ganz speziell im Baselbiet, denn hier kommt die Revision des Energiegesetzes nicht voran, weil die Rechtsbürgerlichen, insbesondere der Hauseigentümerverband und die Wirtschaftskammer Baselland, dermassen bremsen. Wir stehen jetzt ziemlich am Ende der Liste der Schweizer Kantone in Sachen Energiegesetz. Mit der Revision wären wir wenigstens einmal im Mittelfeld. Das sind auf politischer Ebene die beiden Wermutstropfen. Immerhin geht es aber jetzt bei der Windenergie auf Bundesebene voran mit dem Windexpress und dem Beschleunigungsverfahren, das im Moment im Parlament diskutiert wird. Wir hoffen, dass sich der Knoten etwas löst.

Sind die beiden Photovoltaikanlagen Stahl Gerlafingen und Effretikon bereits am Netz?
Die Anlage in Effretikon wurde auf Ende 2023 zur Hälfte fertig gebaut und den ersten Teil des ZEV konnten wir auch schon in Betrieb nehmen. Die zweite Hälfte wird im ersten Halbjahr 2024 fertiggestellt. Mit dem Bau der Anlage für Stahl Gerlafingen haben wir bereits begonnen, die Anlage sollte im April-Mai betriebsbereit sein.

Der Wärmeverbund Lehenmatt Birs wird 2024 im Wärmebereich wohl am meisten Manpower beanspruchen?
Ja natürlich, aber im Wärmebereich tut sich enorm viel: Wir arbeiten auch an der Übernahme des Wärmeverbunds Hölstein, die bis Juli abgeschlossen werden wird. Dann analysieren wir die Übernahme des Wärmeverbunds Tenniken. Zudem haben wir ein weiteres Projekt in der Baselbieter Gemeinde Waldenburg, auch hier steht zur Diskussion, ob wir den Wärmeverbund übernehmen und weiter ausbauen können. Ein grosses Projekt ist auch der Wärmeverbund Lindenplatz in Allschwil. Hier arbeiten wir schon lange am Plan eines Wärmeverbunds, der die Abwärme aus Grundwasserbrunnen nutzen soll. Leider mussten wir feststellen, dass das Grundwasservolumen nicht den geologischen Prognosen entspricht. Deshalb evaluieren wir derzeit, welche anderen Wärmequellen noch in Frage kommen, um den Wärmeverbund trotzdem bauen zu können.

Zudem verfolgen wir in Muttenz-Ost ein vielversprechendes Projekt, und wir hoffen, dass wir es realisieren können. Dabei handelt es sich um die Abwärme von Schweizerhalle, dem grössten Abwärmeproduzenten von Basel-Land, sprich die Abwärme aus der Produktion der dort ansässigen Pharma- und Chemieunternehmen. Derzeit wird diese Abwärme einfach in die Luft abgegeben. Die Betreiber des Industriewerks Schweizerhalle, mit denen wir kooperieren, sind sehr interessiert an der Nutzung dieser Abwärme. Jetzt fehlt noch die Gemeinde, von der wir hoffen, dass auch sie mitmacht. Für die Wärme haben wir bereits hochinteressierte potenzielle Abnehmer.

Das tönt sehr spannend! Waren bei Schweizerhalle nicht auch noch Windenergieanlagen im Gespräch?
Ja, das ist an diesem Standort auch im Gespräch, Abwärmenutzung und Windenergie für die Industrie. Für die Installation von Windenergieanlagen gibt es hier aber ein paar besondere Herausforderungen, wie die des Gefahrensguts, auch aufgrund der unmittelbaren Nähe der Produktionsgebäude, die ungleich sensibler sind als andere Industriestandorte wie zum Beispiel im Bereich des Maschinenbaus. Wir sind daher auch im Gespräch mit dem Kanton. Ein möglicher Standort für die Windenergieanlage ist der Brandlagerplatz von Schweizerhalle, sprich, die Stelle, an der das Gebäude von Sandoz 1986 in Flammen aufging. Natürlich muss zuerst abgeklärt werden, ob wir dort bauen dürfen und können.

Am Standort Schweizerhalle wird sehr viel Energie benötigt. Und die Unternehmen haben sich Zielvorgaben gesetzt, ab wann sie CO2-neutral produzieren wollen. Das trifft zum Beispiel auf Novartis oder Syngenta zu, die dort vor Ort produzieren. Daher ist für sie die Windenergienutzung sehr interessant, insbesondere auch wegen ihres hohen Winterstromanteils.

Auch im Bereich Photovoltaik scheint bei der ADEV die Entwicklung nur positiv zu sein?
Es gibt schon ein paar Schwierigkeiten, denn die Bereitschaft, selber zu investieren, hat aufgrund der gestiegenen Strompreise zugenommen. Daher ist für die Interessierten Contracting nicht immer die erste Wahl. Erfreulich ist aber die Zunahme bei den sehr grossen Anlagen, die in der Vergangenheit aufgrund des geringen Eigenverbrauchs nicht wirtschaftlich waren. Die Hohe Einmalvergütung (HEIV) eröffnet uns neue Chancen, weil wir den Fokus vermehrt auf grosse Dächer legen können, die keinen Eigenverbrauch haben.

Und bei der Wasserkraft?
2023 war ein sehr gutes Wasserkraftjahr. Die vielen Niederschläge waren gut für die Wasserkraft. Die Herausforderung in den vergangenen Jahren lag allerdings darin, dass es entweder lange keinen Niederschlag gab oder lange anhaltende Regenperioden mit Starkregenereignissen. Diese grossen Wassermengen können wir dann nicht nutzen, weil wir die Anlagen 2-3 Tage abstellen müssen, um Schäden zu vermeiden. Diese Starkregenereignisse haben auch mehr Reparaturen zur Folge, denn es wird doch viel Holz angeschwemmt, manchmal ganze Stämme. Laufen die Anlagen dann aufgrund des hohen Wasserangebots länger mit voller Leistung als normalerweise, werden auch die Turbinen und Lager stark beansprucht, was dazu führt, dass mehr einzelne Anlageteile ersetzt werden müssen. Die Hochwasser bringen auch viel Sand mit sich, was ebenso eine Belastung für die Kraftwerke ist. Ja, es ist herausfordernd im Bereich der Wasserkraft. Aber letztes Jahr lief es super!

Aber neue Wasserkraftwerke sind keine angedacht?
Nein, denn dieser Sektor bleibt weiterhin schwierig. Das letzte Wasserkraftwerk, das wir gebaut haben, war Moosbrunnen 3 bei Gerlafingen, das 2022 in Betrieb ging. Natürlich würden wir gerne ein neues bauen. Wir halten die Augen immer offen, aber im Moment ist Wasserkraft kein Schwerpunkt von uns, das sind im Moment Sonne, Wärme und Wind.

Wie läuft es beim Wind, wird es neue ADEV-Windkraftanlagen geben?
Wir haben ein Projekt in der Zentralschweiz, das schon sehr weit fortgeschritten ist. Wir würden hier gerne so rasch wie möglich bauen. Die Perspektiven sind nicht schlecht. Wie schnell es vorwärts geht, hängt aber von den ganzen Bewilligungen ab, dir wir brauchen. 2024 soll die Nutzungsplanung abgeschlossen werden und wir möchten die Baubewilligung einreichen. Die Gemeinde ist dem Projekt gegenüber positiv eingestellt. Der Vorteil ist sicher, dass es vor Ort bereits zwei Windenergieanlagen gibt, so dass die Anwohnenden wissen, was Windkraft ist.

Es gibt ein paar weitere Windenergieprojekte, die wir wieder aufnehmen möchten, so zum Beispiel eines vor unserer Haustür in Liestal. Ein Projekt, das wir mit der EBL vorantreiben. Dann gibt es auch noch einen runden Tisch für die Windkraft mit dem Regierungsrat des Baselbiets und dem Amt für Energie und allen relevanten Playern. Dort geht es darum, die Potenzialgebiete im Richtplan festzulegen, vor allem im Oberbaselbiet, wo das Windaufkommen höher ist als im unteren Teil des Kantons. Hier kommt also Bewegung in den Windenergiesektor. Auch in anderen Kantonen werden ja Richtpläne verabschiedet und daraus ergeben sich neue Chancen.

Jetzt sind Sie seit drei Jahren Geschäftsführer der ADEV. Inwiefern hat sich die Ausrichtung der Energiegenossenschaft geändert?
Es ist eher das regulatorische Umfeld, das sich geändert hat. Die ADEV war ja bereits in den Bereichen Solar, Wasser, Wind und Wärme aktiv. Bei der Photovoltaik hatten wir uns insbesondere auf Mehrfamilienhäuser mit ZEV konzentriert. Industrie- und Gewerbeanlagen bauten wir aus Risikogründen seltener. Infolge des Ukrainekriegs und der hohen Energiepreise, aber auch aufgrund der Hohen Einmalvergütung für Dächer ohne Eigenverbrauch, gibt es nun viele Dächer, die plötzlich attraktiv werden. Früher kamen diese Dächer, wie zum Beispiel Lagerhallen, aber auch Industrie- und Gewerbebauten, bei denen der Strom nicht vor Ort gebraucht wird, gar nicht in Frage für den Bau einer Photovoltaikanlage.

Man findet immer einen Weg, den Strom zu vermarkten, wenn eine Firma Konkurs gehen würde. Wir liefern ja unseren eigenen Strom aus den beiden Kleinwasserkraftwerken Moosbrunnen 1 und 2 in unseren ZEV im Quartier Erlenmatt Ost. Das ginge auch mit Solarstrom aus der Photovoltaikanlage von einem Industriedach. Nun werden mit dem Mantelerlass lokale Elektrizitätsgemeinschaften, kurz LEG, ermöglicht. Dabei handelt es sich im Prinzip um einen virtuellen ZEV, weil die Grundstücke nicht mehr angrenzend sein müssen und der Strom über das öffentliche Netz transportiert werden darf. Dazu profitiert man mit der LEG von einem tieferen Netznutzungstarif. Das wird uns ganz neue Möglichkeiten eröffnen.

Auch bei der Willy Gysin AG haben wir die Marschrichtung geändert, indem wir das Unternehmen weg vom reinen Elektroinstallateur neu auf den Bau von Photovoltaikanlagen ausgerichtet haben. Wir sind dort auch bestrebt, Ausbildner für die neue Lehre für Solarinstallateure zu werden.

Wie viele Mitarbeitende zählt die ADEV aktuell?
In den letzten Jahren sind wir von rund 17 auf 22 Stellen gewachsen und auch bei den Anlagewarten haben wir die Mitarbeitenden um rund 50 % aufgestockt, weil wir viel mehr Anlagen in der ganzen Schweiz haben.

©Interview: Anita Niederhäusern, leitende Redaktorin und Herausgeberin ee-news.ch

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