Die Obergrenze der Balkoneinspeisung ist in Deutschland wie in der Schweiz auf 600 Watt festgelegt. ©Bild: EET

Boom der „Solarkraftzwerge“: PV-Module am Balkon werden immer beliebter – aber man muss ein paar Dinge beachten

(BJ) Swissolar kennt zwar noch keine Zahlen, doch das Thema Steckersolargeräte gewinnt auch in der Schweiz an Bedeutung. Zahlen gibt es hingegen aus Deutschland: Dort wurden bis Ende 2021 „bis zu 190‘000“ solcher Module verkauft, wie die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Berlin ermittelte. Sie schätzt die installierte Gesamtleistung der betreffenden Module auf rund 60 Megawatt. Da der Markt sich „sehr dynamisch“ entwickle, dürften die Zahlen inzwischen noch weitaus höher liegen.


Auch bei den Baumärkten ist der Boom schon angekommen – viele haben inzwischen Solarmodule mit integriertem Wechselrichter im Sortiment. Da diese mit einem Schuko-Stecker angeboten werden, lassen sie sich kurzerhand in jede Aussensteckdose stöpseln. So kann der billige Solarstrom an anderer Stelle im Haushalt verbraucht werden. Mit diesem Konzept wird die Nutzung von eigenem Solarstrom auch für Mieter möglich, denn bei einem Wohnungswechsel lässt sich das Modul einfach mitnehmen.

Guerilla-PV“
Bereits in den 2000er Jahren wurden solche Kleinanlagen in Österreich als „Solarkraftzwerge“ propagiert. In Deutschland wurden sie anfangs unter dem Namen „Guerilla-PV“ bekannt und werden heute unter den Bezeichnungen „Balkonsolar“ oder „Steckersolar“ geführt. In der Schweiz kennt man die Produkte inzwischen als „Plug&Play-Solaranlagen“.

Schuko ist völlig in Ordnung
Lange wurde in Deutschland darüber debattiert, ob man den klassischen Schuko-Stecker zulassen will, oder ob man eine spezielle Bauform („Wieland-Stecker“) vorschreibt. Doch inzwischen läuft alles auf den Schuko-Stecker hinaus, der sich nach Erhebungen der HTW mit rund 75 Prozent Marktanteil ohnehin als Standard-Variante etabliert hat – weil er eben die einfachste und billigste Lösung ist. Auch Ingenieure der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie (DGS), hatten lange für diese Variante gekämpft.

Kein einziger Fall von Schäden
Technische Risiken birgt der Schuko-Stecker offenbar nicht. Bisher sei kein einziger Fall von Sachschäden oder verletzten Personen bekannt geworden, die auf einen Schuko-Stecker an den Modulen zurückgingen, heisst es bei der Verbraucherzentrale in Deutschland. Das liege daran, dass „die verwendete Technik ausgereift“ sei, und man die gleichen Komponenten nutze, die auch in professionell installierten Photovoltaikanlagen stecken.

Meldepflicht
In der Schweiz ist das Thema auch längst geklärt: Die Module werden „über einen elektrischen Stecker in eine normale Wandsteckdose im Gebäude eingesteckt, ähnlich wie ein Haushaltsgerät“, erklärt EnergieSchweiz. Das ergebe sich aus Vorgaben des Eidgenössischen Starkstrominspektorats ESTI. Plug&Play-PV-Anlagen gälten als frei steckbares Betriebsmittel gemäss der Verordnung über elektrische Niederspannungserzeugnisse. „Die Installation einer Plug&Play-PV-Anlage erfordert aus elektrischer Sicht und laut ESTI nur eine Meldepflicht“, erklärt daher EnergieSchweiz. Man müsse also lediglich seinem Verteilnetzbetreiber den Plan schriftlich mitteilen.

Sicherung etwas kleiner dimensionieren
Als nächstes stellt sich die Frage, ob man an der Sicherung etwas verändern muss, wenn man Module in eine gewöhnliche Steckdose stöpselt. „Wenn Elektriker eine Balkonsolaranlage anschliessen, ersetzen sie die 16 Ampere-Sicherung durch eine solche mit 13 Ampere“, sagt Sebastian Müller, der mit Mitstreitern im Jahr 2021 in Freiburg im Breisgau den Verein Balkon.Solar gegründet hat. Dessen Motto: „Dein Balkon kann mehr“. Anfangs nur auf die Region fixiert, wird der Verein inzwischen auch deutschlandweit von Balkonbesitzern kontaktiert.

Ampere-Zahl reduzieren
Müller rät, auch beim selbständigen Anschluss der Module – einen Elektriker braucht man bei Nutzung eines Schuko-Steckers schliesslich nicht – in jedem Fall im Sicherungsschrank die Ampere-Zahl zu reduzieren. Theoretisch kann man zwar auf den Austausch der Sicherung verzichten, aber das ist sehr riskant. Dann müsse man nämlich immer darauf achten, dass man den betreffenden Stromkreis zu Zeiten der Solareinspeisung nicht mit mehr als drei Kilowatt belastet, erklärt der Freiburger Solarfreund. Eine professionelle Lösung ist das also nicht.

Leicht nachrechnen
Die Werte kann man leicht nachrechnen. Eine 16-Ampere-Sicherung lässt bei 230 Volt Netzstrom eine Leistungsabnahme im betreffenden Stromkreis von 3,7 Kilowatt zu. Speist man aber zusätzlich 600 Watt in den Stromkreis ein, kann dieser mit bis zu 4.3 Kilowatt belastet werden, ehe die Sicherung reagiert. Das sollte man nicht riskieren, weil die gesamte Elektroinstallation dafür nicht ausgelegt ist. Wer hingegen maximal drei Kilowatt zieht, bleibt auch mit seinen Balkonmodulen stets unterhalb der 3.7-Kilowatt-Grenze.

Obergrenze 600 Watt
Die Obergrenze der Balkoneinspeisung ist in Deutschland wie in der Schweiz auf 600 Watt festgelegt. „In anderen Ländern Europas sind zum Teil auch 800 Watt zugelassen“, sagt Müller. Er hofft auf Angleichung der Regularien. Wichtig für Nutzer: Bei der Bemessung ist alleine die Leistung des Wechselrichters relevant; die Leistung der Zellen ist in der Regel etwas höher. „Standard-Balkonmodule verfügen heute über 385 Watt“, sagt Müller; der Wechselrichter ist dann entsprechend etwas kleiner. Zwei solcher Module seien an einem Stromkreis möglich.

Der Stromzähler
Wie ist das mit dem Stromzähler? Heikel werde es, wenn der Zähler keine Rücklaufsperre hat, sagt Müller. Das kommt zwar aufgrund der fortschreitenden Erneuerung der Elektroinstallation immer seltener vor, doch es gibt sie noch, die analogen Ferraris-Zähler. Sie drehen sich zurück, wenn der Solarstrom im Haus nicht abgenommen wird. Für den Kunden ist das zwar attraktiv, aber es sei in Deutschland zumindest dann strafbar, wenn die Einspeisemenge die Messtoleranz des Zählers überschreitet. Ein Rücklauf des Zählers müsse also grundsätzlich verhindert werden, betont auch die DGS – wenngleich die Wahrscheinlichkeit einer Strafverfolgung gering sei, da der Zählerrücklauf in der Regel schwer nachweisbar sei.

Zweirichtungszähler
Für die Schweiz erklärt EnergieSchweiz in einem Leitfaden, der Verteilnetzbetreiber sei verpflichtet, den in sein Netz eingespeisten Strom abzunehmen und zu vergüten. Er müsse also in der Lage sein, den eingespeisten Strom abzurechnen. Das geht mit einem Zweirichtungszähler. Interessenten sollten solche Fragen, einschliesslich der Verwaltungskosten für Zähleränderungen, mit ihrem Verteilernetzbetreiber besprechen.

Wichtig zu wissen zudem: Eine Plug&Play-PV-Anlage ist üblicherweise nicht für einen Inselbetrieb, also den Betrieb abseits des öffentlichen Stromnetzes, ausgelegt. Die Anlage funktioniert aus Gründen der elektrischen Sicherheit nur, wenn am Wechselrichter die Netzfrequenz anliegt.

Bauliche Zulässigkeit
Während die Fragen zu Formalitäten und zur Elektrik oft allgemein zu beantworten sind, wird es beim Themenkreis bauliche Zulässigkeit dann sehr individuell. Mieter müssen sich vor der Installation mit ihrer Hausverwaltung oder dem Eigentümer in Verbindung setzten. Die Befestigung von Solarmodulen an der Aussenseite des Balkons oder an der Fassade bedürfe ferner der Bewilligung der Stockwerkeigentümergemeinschaft, da die Aussenseite zu den gemeinschaftlichen Teilen gehört und die Installation auf das Erscheinungsbild der Liegenschaft auswirkt, so EnergieSchweiz. Ob eine Plug&Play-PV-Anlage eine Baubewilligung benötigt, ergebe sich aufgrund der Umstände und – ergänzend zum Bundesrecht – aus dem kantonalen und kommunalen Recht.

PV-Bankontisch statt -Geländer
Falls Module am Balkon nicht durchsetzbar sind, weil sie die Aussenfassade verändern, gibt es manchmal aber Auswege. Stelle man die Paneele auf dem Balkon auf, könne das niemand verhindern, erklärt Balkonsolarexperte Müller. In seinen Vorträgen zeigt er gerne Fotos, wie kreativ manche Mieter mit dem Thema umgehen. Besonders pfiffig: Ein Balkontisch, der aus einem Solarmodul mit Beinen besteht. Nutzt man diesen Tisch, geht zwar zeitweise der Strom verloren, in den meisten Stunden des Tages kann er aber Energie einfangen.

Wirtschaftlichkeit
Die Wirtschaftlichkeit der Module ergibt sich vor allem aus der Frage, ob man die meisten der erzeugten Kilowattstunden selbst nutzen kann, denn jede Kilowattstunde Netzbezug, die vermieden wird, ist die attraktivste. Förderung gibt es für die Kleinanlagen in der Schweiz zumindest auf nationaler Ebene nicht. Diese gibt es erst für Anlagen ab einer Leistung von 2000 Watt, die zudem fest installiert sein müssen. Es sei jedoch ratsam, sich bei seiner Gemeinde oder seinem Kanton zu erkundigen, ob es auf lokaler Ebene eine finanzielle Unterstützung für mobile Anlagen gibt, rät EnergieSchweiz.

Statik beachten
Wichtig sind ausserdem noch ein paar technische Aspekte, auf die der Freiburger Balkonsolar-Profi hinweist. Zum Beispiel die Statik: Balkongeländer seien für eine Last von 50 Kilogramm pro Meter ausgelegt. Von daher können Module, die jeweils rund 25 Kilogramm wiegen und knapp zwei Meter lang sind, problemlos angebracht werden. Wichtig sei in jedem Fall die solide Befestigung: „Wer nicht gerade Schlosser ist, sollte dabei auf zertifizierte Befestigungselemente zurückgreifen.“ Denn wenn etwas herunterfällt, haftet der Modulbesitzer.

Mit Batterie?
Immer wieder ist der Freiburger Verein in Deutschland auch konfrontiert mit der Frage nach der Sinnhaftigkeit einer Batterie. Vereinzelt würden zwar schon Speicher angeboten, die mit Steckersolargeräten kombinierbar sind, doch letztlich sei das doch eher noch ein Metier für Bastler, heisst es im Verein. Wirtschaftlich dürften die Batterien in der Regel ohnehin nicht sonderlich attraktiv sein, denn die Module werden ja eingesetzt, um Solarstrom für die direkte Nutzung zu erzeugen – womit der temporäre Überschuss in den meisten Fällen gering ist.

Balkonkraftwerke aus Altmodulen
Unterdessen hat Sebastian Müller schon das nächste Projekt gestartet – er spricht von „Upcycling“. In Workshops, die er gemeinsam mit dem Freiburger Verein Solare Zukunft anbietet, bastelt er mit Interessenten eigene Balkonpaneele, indem er Gebrauchtmodule mit passenden Kleinwechselrichtern ausstattet. Die Paneele stammen zum Beispiel von Solaranlagen, die aufgrund von Dachsanierungen abgebaut werden mussten.

Aber auch dieser Gebrauchtmarkt ist inzwischen eng geworden; es sei aktuell gar nicht mehr so leicht, noch an Altmodule zu kommen – was auch ein Zeichen ist für den Boom der Balkonkraftwerke.

©Text: Bernward Janzing

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