Bei den 150 Milligramm Lithium pro Liter Wasser, von denen in Bruchsal die Rede ist, geht es um die reinen Lithium-Ionen. Ein Blick ins Innenleben der Geothermieanlage Bruchsal: ©Bild: EnBW/Uli Deck

Lithium: Aus regionalem minimalinvasivm Abbau - Tiefenwasser von Oberrheingraben ist hochinteressant

(BJ) In einem Geothermiekraftwerk im baden-württembergischen Bruchsal testen Forscher zusammen mit dem Energiekonzern EnBW, wie kosteneffizient und umweltverträglich sich der Batterie-Rohstoff aus Thermalwasser gewinnen lässt.


Viermal so salzig wie die Weltmeere: Das Tiefenwasser des Oberrheingrabens ist reich an den verschiedensten Mineralien aus der Zutatenpalette der anorganischen Chemie. Von Interesse waren sie bislang kaum.

150 Milligramm Lithium pro Liter
Für die meisten Stoffe gilt das nach wie vor - doch es gibt inzwischen eine Ausnahme: Lithium. Seit die Welt nach dem Leichtmetall giert, seit die Preise am globalen Markt entsprechend in die Höhe geschossen sind, werden die 150 Milligramm Lithium pro Liter Tiefenwasser, die man in der Sole weit unten im Oberrheingraben findet, plötzlich hochinteressant. Auf solche Lithium-Gehalte kann man ausser am Oberrhein in Deutschland nur noch im Norddeutschen Becken stossen, so die Einschätzung von Geologen.

126 Grad ist es heiss
Im badischen Bruchsal, nordöstlich von Karlsruhe, empfängt Geologe Thomas Kölbel am Geothermiekraftwerk des Energiekonzerns EnBW. Er ist Geothermiker aus Leidenschaft und erklärt die Details der Anlage auf dem Freigelände. Er zeigt das Rohr, das aus der Erde kommt und das Wasser aus der geologischen Formation des Buntsandsteins fördert. 126 Grad ist es heiss, wenn es oben ankommt. Weiter geht es zur Turbine im Kraftwerksgebäude, die mit einem Arbeitsmedium aus Ammoniak und Wasser (Kalina-Cycle genannt) die Wärme in Kraft umsetzt. Direkt daneben steht der Rieselturm zur Wasserkühlung.

Nur das Lithium bleibt übertage
Schliesslich führt Kölbel in einen Container. Darin baut er gerade zusammen mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) eine Versuchsanlage auf, die dem Tiefenwasser das Lithium entziehen soll. Das soll geschehen, nachdem die Wärme des Wassers bereits genutzt wurde und bevor die deutlich abgekühlte Sole in einer zweiten Bohrung in 1.5 Kilometer Entfernung in jene geologische Schicht zurückgeführt wird, aus der sie entnommen wurde. Ein geschlossener Stoffkreislauf – nur das Lithium bleibt übertage.

Strom aus Tiefenwärme
Das Geothermiekraftwerk Bruchsal ist das einzige bisher in Baden-Württemberg, das aus Tiefenwärme auch Strom gewinnt. Die erzeugten Mengen sind bisher allerdings überschaubar. Zum einen ist die elektrische Nennleistung der Anlage, die als Forschungs- und Demonstrationsprojekt gilt, mit nur 440 Kilowatt gering. Zum anderen war in den letzten Jahre auch die Laufzeit des Generators mässig.

Gerade mal 3 GWh
Laut dem Geothermischen Informationssystem Geotis hat die Anlage in den Jahren seit Betriebsbeginn bis Ende 2020 gerade mal drei Gigawattstunden Strom erzeugt; in manchen Jahren keine einzige. Vor der Inbetriebnahme des Kraftwerks hatte man noch auf eine elektrische Leistung von 550 Kilowatt und einen Jahresertrag von 4.4 Gigawattstunden gehofft.

Besser lief es mit der Wärme. Mit dieser werden umliegende Gebäude versorgt, speziell die Räumlichkeiten der Polizeihochschule. Alle Beteiligten hoffen nun, dass – angesichts der geringen Stromerzeugung – die Lithiumgewinnung neben der Wärme das zweite Standbein der Anlage werden könnte.

Wärme bereits 1979 entdeckt
Der Standort Bruchsal hat eine vergleichsweise lange Geschichte. Bereits im Jahr 1979 war hier der Coca-Cola-Konzern auf unerwartet warmes Wasser gestossen, als er einen Brunnen für seine Getränkefabrik anlegte. Doch es dauerte knapp drei Jahrzehnte, bis man erkannte, dass diese Wärme die Basis sein könnte für ein Kraftwerksprojekt.

Bohrungen bis 2549 Meter
Erst im Jahr 2007 begann EnBW, an diesem Standort ein Kraftwerk aufzubauen. 2009 ging es in Betrieb, 17 Millionen Euro teuer und auch mit Fördergeld des Wirtschaftsministeriums finanziert. Zu der Anlage gehören zwei Bohrungen, die 1930 beziehungsweise 2540 Meter in den Untergrund reichen. Durch eine wird das Tiefenwasser an die Oberfläche gepumpt, in der anderen wird es wieder zurückgeführt – eine typische geothermische Dublette. An Lithium dachte man beim Bau des Kraftwerks noch nicht.

Batterierohstoff gewinnen
Erst im Sommer 2020 wurde der Plan von EnBW bekannt, künftig mit der Anlage – quasi en passant – den Batterierohstoff zu gewinnen. „Wir haben natürlich auch alle anderen Inhaltsstoffe des Tiefenwassers überprüft“, sagt Kölbel, während er vor den Apparaturen im Container steht und deren Funktion erklärt. Aber wirtschaftlich attraktiv sei derzeit alleine das Lithium. Silber sei zwar auch im Wasser, aber der Preis sei zu gering, als dass sich die Gewinnung lohnte. Seltene Erden gebe es zudem, aber auch deren Mengen seien den Aufwand nicht wert. Ferner sei noch etwas Rubidium vorhanden, doch dessen industrielle Anwendung sei zumindest derzeit sehr überschaubar, weshalb man auch dieses Alkalimetall aktuell nicht weiter beachte.

Mögliche Lithiumfänger
So bleibt es beim Lithium. In einem mehrstufigen Prozess wird das derzeit so gefragte Element aus der Gruppe der Alkalimetalle aus der Sole extrahiert. Man braucht zuerst ein Adsorptionsmittel, das die Lithium-Ionen im Durchflussverfahren „einsammelt“. Drei Stoffgruppen würden als mögliche Lithiumfänger untersucht, sagt Kölbel: Manganoxid, Titandioxid und Aluminium-Verbindungen.

70% ernten
Diese Adsorbentien werden anschliessend mit einer sauren Lösung – oft Salzsäure – gereinigt, wobei eine Lithium-Lösung entsteht. Sie wird aufgereinigt und dann mit den in der Batterietechnik etablierten Techniken in ein batteriefähiges Lithiumsalz umgewandelt. „So holen wir etwa 70 Prozent des Lithiums aus der Sole heraus“, sagt Kölbel. Die heutige Pilotanlage ist auf einen Wasserdurchfluss von 1.5 Litern pro Sekunde ausgelegt, das Kraftwerk selbst fördert 30 Liter pro Sekunde. Eines Tages soll die ganze Wassermenge nach dem Betrieb der Turbine und ihrem anschliessenden Weg durch das Wärmenetz – nun auf 60 bis 80 Grad abgekühlt – durch die Lithiumextraktion laufen.

Die Technik wird am KIT entwickelt. 3,4 Millionen Euro sind für das Pilotprojekt veranschlagt, 80 Prozent davon finanziert das Bundeswirtschaftsministerium. Selbstbewusst hat man das Vorhaben „UnLimited“ genannt. Das steht für: „Untersuchungen zur Lithium-Produktion aus heissen Tiefenwässern in Deutschland“.

Noch ist das Rennen offen
Ortstermin in Karlsruhe am Campus Süd des KIT. Professor Jochen Kolb ist Abteilungsleiter in der Geochemie und Lagerstättenkunde und führt durch die Labore, in denen unter anderem untersucht wird, welches Adsorptionsmittel das beste ist. Noch ist das Rennen offen. Es spielen die Preise der nötigen Rohstoffe eine Rolle, ferner deren Bindungsfähigkeit für Lithium und der unterschiedliche Mengenbedarf. Seit den 1970er Jahren werde das Manganoxid untersucht, sagt Kolb. Das binde das Lithium besonders selektiv. Aber auch die anderen Optionen hätten jeweils ihre Vorteile.

Minimalinvasiv
Welcher Weg der Extraktion sich chemisch als der beste erweisen wird, ist dann vor allem für die Wissenschaft interessant. Für die Öffentlichkeit ist ein anderer Aspekt wichtiger: „Wir gewinnen das Lithium minimalinvasiv“, sagt Kolb. Also ganz anders, als es sonst rund um die Welt geschieht. In der Regel werden entweder Lithium-Mineralien in Bergwerken abgebaut (das betrifft 60 Prozent des weltweiten Aufkommens), oder der Stoff wird aus Salzseen gewonnen (diese decken 40 Prozent des Markts ab). Eingriffe in die Landschaft, auch durch den Abraum, sowie Eingriffe in die natürlichen Wasserkreisläufe sind die Folge. In manchen Lagerstätten sind die Konzentrationen zwar deutlich höher als am Oberrhein – die Salinen in Südamerika wiesen Konzentrationen von 2000 Milligramm pro Liter auf, sagt Kolb. Aber so elegant wie am Oberrhein, als einfaches Nebenprodukt, gewinnt das Lithium dort niemand.

Berechnet man die Lithium-Erträge, die in Bruchsal möglich sind, ist zuvor ein Blick auf die Stöchiometrie nötig. Diese beschreibt in der Chemie die Massenverhältnisse in den Molekülen. Gehandelt wird Lithium auf dem Weltmarkt nämlich in der Einheit LCE, das steht für das Lithiumcarbonat-Äquivalent. Eine Tonne reines Lithium aber entspricht – das ergibt sich aus den Relationen der Atomgewichte im Lithiumcarbonat-Molekül – rund 5.3 Tonnen LCE.

150 Milligramm Lithium pro Liter Wasser
Bei den 150 Milligramm Lithium pro Liter Wasser, von denen in Bruchsal die Rede ist, geht es um die reinen Lithium-Ionen. Somit lassen sich bei einer Ausbeute von 70 Prozent rund 100 Milligramm Lithium pro Liter gewinnen. Bei 30 Litern pro Sekunde wären das drei Gramm pro Sekunde. Im Jahr kämen somit im Vollbetrieb rund 95 Tonnen Lithium zusammen. Oder eben rund 500 Tonnen LCE. Somit könne in Bruchsal „Lithium für etwa 20.000 Autobatterien pro Jahr gewonnen werden“, heisst es auf der Projekt-Homepage von UnLimitted.

10‘000 Batterien jährlich
Das aber ist durchaus optimistisch gerechnet. Oder anders gesagt: Man legt bei der Kalkulation eher kleinere Fahrzeugbatterien zugrunde. Bei einem Richtwert von 150 Gramm Lithium, die pro Kilowattstunde Batteriekapazität nötig sind, liessen sich mit der Menge aus Bruchsal Speicher mit zusammen gut 600‘000 Kilowattstunden jährlich erzeugen. Das wären dann Batterien für 20‘000 Fahrzeuge mit eher bescheidenen 30 Kilowattstunden. Oder aber – vielleicht realistischer – 10‘000 Batterien für marktgängige Modelle mit 60 Kilowattstunden.

Nicht der einzige Standort
Gleichwohl: Wenn es technisch gelingt, wäre das ein guter Anfang für eine deutsche Lithiumgewinnung. Zumal Bruchsal nicht der einzige Standort ist. „Wir haben hier am Oberrhein recht konstant überall 150 bis 200 Milligramm Lithium im Tiefenwasser“, sagt EnBW-Geologe Kölbel. So erkunden EnBW und der Mannheimer Versorger MVV Energie mit ihrer gemeinsamen Tochter GeoHardt aus Schwetzingen auch bereits die Region Heidelberg-Mannheim. In Karlsruhe in der Nähe des heutigen Rheinhafendampfkraftwerks RDK 8, das Steinkohle verbrennt, kann sich EnBW ebenfalls ein Geothermiekraftwerk vorstellen.

Längst angefixt
Aber auch andere Unternehmen haben das Lithium aus den Tiefen des Oberrheingrabens im Blick, speziell das Karlsruher Unternehmen Vulcan Energy. Die Firma betreibt bereits eine kleine Pilotanlage in einem Geothermiekraftwerk im rheinland-pfälzischen Insheim und plant eine deutlich grössere Demonstrationsanlage am nahegelegenen Geothermiekraftwerk Landau. Auch die Automobilbranche ist längst angefixt vom deutschen Lithium – im vergangenen Sommer stieg der Automobilkonzern Stellantis bei Vulcan Energy ein.

In Bruchsal soll die Pilotanlage bis Ende 2023 fertig sein, die Auswertungen des Betriebs sollen bis 2024 erfolgen. Je nach Forschungsergebnissen werde parallel bereits mit dem Aufbau der industriellen Lithium-Gewinnung begonnen, sagt Kölbel.

Wektmarktpreis ist ausschlaggeben
Er weiss aber auch, dass über den Erfolg des Projekts am Ende zu einem grossen Anteil der Weltmarkt entscheiden wird – genauer der Lithium-Preis. Insofern kann Kölbel, im Moment optimistisch in die Zukunft blicken: Seit Ende 2019 hatte sich der Preis zeitweise verzehnfacht, sank aber zuletzt wieder um gut ein Drittel. Das Einzige, was den Absatzmarkt für Lithium gefährden und damit die Preise auf Dauer einbrechen lassen könnte, wären neue Batterietechniken, die ohne Lithium auskommen. Doch damit rechnet man in Bruchsal erst einmal nicht.

Nachfrage wächst jährlich um bis zu 22.4%
Auch die Deutsche Rohstoffagentur (Dera) geht in ihren Prognosen nicht davon aus. Im Zuge einer „Rohstoffrisikobewertung Lithium“ analysierte die Dera, die zur Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe gehört, im vergangenen Juni die globalen Absatzchancen. Laut den erstellten Szenarien werde der weltweite Bedarf im Jahr 2030 zwischen 316‘000 und 559‘000 Tonnen an reinem Lithium liegen. Im Jahr 2020 lag er bei 82‘000 Tonnen. Europa alleine werde im Jahr 2030 rund 77‘000 Tonnen reines Lithium brauchen, entsprechend 410‘000 Tonnen LCE. Die jährlichen Wachstumsraten bei der Lithium-Nachfrage schätzt die Dera weltweit auf 15.6 bis 22.4 Prozent.

Anteil von 90% für Batterien
Wenig überraschend wird es der Batteriesektor sein, der die Nachfrage treibt, speziell Produkte für die E-Mobilität, so die Dera. Im Jahr 2030 werde der Anteil der Batterien am weltweiten Verbrauch 90 Prozent ausmachen. Aktuell ist die Batterieherstellung erst für rund 67 Prozent des weltweiten Lithium-Verbrauchs verantwortlich, denn noch haben auch die Herstellung von Glas und Schmiermitteln einen nennenswerten Anteil. Mit steigendem Batteriebedarf wird der jedoch entsprechend schrumpfen.

30 Jahre lang fördern
Angesichts solcher Prognosen ist auch das Projekt in Bruchsal auf Jahrzehnte angelegt. Zumal die Geologen nicht von einem schnellen Absinken der Lithium-Werte im Thermalwasser ausgehen. Zwar könne man geologisch noch nicht genau erklären, warum es am Oberrhein zu den Lithium-Anreicherungen in den 250 Millionen Jahre alten Buntsandstein-Horizonten kam, sagt KIT-Geologe Kolb. Aber es deute nichts darauf hin, dass die Reserven in den Tiefenwässern bei Nutzung schnell ausgebeutet würden. Entsprechend optimistisch ist man auch bei EnBW: „Wir rechnen damit, dass wir in Bruchsal 30 Jahre lang Lithium fördern können.“

©Text: Bernward Janzing

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