Das Buch, dass die Technologie im dicht besiedelten Mitteleuropa einer kritischen Analyse unterzieht, hinterfragt deren ökonomische Relevanz angesichts der hohen Kosten und schwerwiegenden Auswirkungen auf die Umwelt.

Buchbesprechung: Fracking – Energiewunder oder Umweltsünde?

(©AN) Das Fördermuster von Erdöl und Gas entwickle sich von einfach zu schwierig, schreibt Werner Zittel in seinem 2016 erschienenen Buch „Fracking – Energiewunder oder Umweltsünde?“. „Fracking“, schreibt er, „ist der aktuelle Stand der Technik, der erlaubt, mit hohem Aufwand ansonsten nicht mehr förderwürdige Vorkommen abzubauen. Somit ist es Teil des ‚Endspiels‘ der Ressourcennutzung.“


Minutiös analysiert Zittel die Chancen und Risiken des Frackings in den USA und in Europa, das die einen als Heilsbringung und die anderen als Umweltsünde einstufen.

Konventionell wird unkonventionell

Der Unterschied zwischen konventionellen und unkonventionellen Vorkommen sei fliessend, erklärt Zittel und beschreibt ausführlich den Unterschied der Unkonventionellen: „Tight-Gas-Formationen sind um ein bis zwei Grössenordnungen weniger durchlässig als Tonziegel, Schiefergasformationen sogar um bis fünf Grössenordnungen – bis hin zu einer Undurchlässigkeit grösser als Beton.“ Der Frackingboom der letzten Jahre basierte ja primär nicht auf in den USA neu gefundenen Vorkommen, sondern auf der genaueren Untersuchung längst bekannter Vorkommen, deren Erschliessung sich nicht lohnte, solange konventionelle Vorräte in ausreichender Menge kostengünstig verfügbar waren.

Frackingförderung
Die US-Regierung hat gemäss Werner Zittel der Frackingbranche mit zwei entscheidenden Gesetzesänderungen unter die Arme gegriffen: Einerseits wurden Frackingprojekte vom Trinkwasserschutzgesetz ausgenommen. Andererseits konnten die Unternehmen ihre unkonventionellen Öl- und Gasreserven in den Quartalsberichten ausweisen. Das hat deren Börsenwerte erhöht, so dass sie leichter an Fremdkapital kamen. Zum Teil hätten die Unternehmen ihr Kapital auch erhöht, um den Investoren Zinsen ausschütten zu können, weil die Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas nicht mehr gereicht hätten, schreibt Energieexperte Zittel. Die Preisexplosion von Erdöl und der technologische Fortschritt hätten ihren Teil dazu beigetragen. Zudem spielten auch persönliche Aspekte eine Rolle, dass das Frackingwunder noch grösser werde: Ein erfolgreicher Explorateur zum Beispiel erhalte bessere Angebote und habe bessere Aufstiegschancen. Auch wenn die USA weltweit das einzige Land sei, in dem nennenswerten Schiefergasvorkommen erschlossen wurden, betrage der Anteil an unkonventionellen Erdölreserven nur 4 % der gesamten Ölreserven der USA. In Europa würden die Schiefergasreserven um einen Faktor 10 überbewertet, um zu suggerieren, dass der Rückgang der Gasförderung aufgehalten werden könne.

Investoren bei
der Stange halten
Werner Zittel hat auch die Förderstatistiken der einzelnen Staaten in den USA mit denen der US-Regierung verglichen und festgestellt, dass diese zum Teil erheblich voneinander abweichen. Die Öl- und Gasbranche – zum Teil unterstützt von der US-Regierung – streuten gezielte Falschinformationen, da bei einem effektiven Förderrückgang die bereits eingesetzte Abwendung von privaten Investoren aus dem fossilen Bereich auf institutionelle Investoren übergreifen könnte und die Unternehmen noch mehr unter Druck gesetzt würden. Die US-Ölforderung habe sich in der Tat innerhalb von fünf Jahren verdoppelt. Dies liege nicht daran, dass so viel neues Öl gefunden worden sei, sondern an der kurzfristigen Erschliessung längst bekannter Vorkommen mit bisher ungeahntem Investitionsvolumen.

Von Methanaustritt bis Erdbeben
„Die Schraubverbindungen umfassen nur etwa 2-3 % der Verrohrungslänge“, erklärt Werner Zittel, dennoch seien 90 % der Verrohrungsschäden auf diese Verbindung zurückzuführen. Ebenfalls würde die Zementierung der Bohrungen oft unsachgerecht ausgeführt, so dass Gas unkontrolliert austrete. Und dies nicht nur bei Frackingvorhaben, wie Werner Zittel weiss. Ein solcher Fehler sei auch die Hauptursache des verheerenden Bohrunfalls der Ölplattform Deep Water Horizon im Golf von Mexiko gewesen.

Schäden können nicht nur bei Bohrungen entstehen. In die Bohrlöcher wird Wasser gepumpt, das über 1000 toxische, biozide oder anderwärtige gesundheitsgefährdende Substanzen beinhalte. Auch das zurückfliessende Wasser sei ein Problem. Denn dieses sei zusätzlich mit Stoffen angereichert, die im Untergrund vorkommen: Schwermetalle, Salze, radioaktive Stoffe. Oft werde dieses Lagerstättenwasser unkontrolliert in der Landschaft deponiert, nicht nur in den USA sondern auch in Deutschland. Neben dem Ausgasen von hochklimaaktivem Methan erwähnt Werner Zittel auch Erdbeben, die Kontamination von Oberflächen- und Grundwasser sowie die Fracking-Flüssigkeit als direkte Umweltschäden mit verheerenden Folgen für die Anwohner, in den USA aber auch in Deutschland: „Im August 2008 starb eine Krankenschwester fast in der Stadt Duragon (USA), nachdem sie einen Bohrarbeiter behandelt hatte, der während Arbeiten mit Frac-Flüssigkeit bespritzt worden war“, ist in Zittels Buch zu lesen. Diese Flüssigkeit einfach wieder in den Untergrund zu verfrachten, wie das oft getan wird, erachtet Werner Zittel als genauso bedenklich wie offene Deponien.

Sandabbau in rauen Mengen
Viel wurde über den hohen Wasserbedarf und die Verschmutzungsgefahr, die von Frackingvorhaben für das Grundwasser ausgeht, geschrieben. Auch Zittel schreibt darüber. Er erwähnt jedoch auch einen wahren „Sandrausch“, der in den Regionen der USA ausgebrochen sei, wo Fracking getätigt werde, denn die Technologie bedingt auch einen hohen Sandbedarf. In einem offenen Brief besorgter Bürger aus Wisconsin steht: „Der Bedarf an Frac-Sand verändert die geografischen Konturen unserer Umgebung. Hügel, Bergrücken und Steilhänge sind bereits verschwunden und werden noch verschwinden …“. Für die Frackingstätten in Illinois wird in Wisconsin Siliziumsand abgebaut.

Umweltbehörden
aussen vor
Werner Zittel stellt fest, dass die Umweltbehörden in den USA keinen Einfluss auf Genehmigungsverfahren haben: „Das gilt in gewisser Weise auch für Deutschland“, schreibt er. Einerseits gebe es keine Verpflichtung zur Durchführung eines Planungsverfahrens mit Öffentlichkeitsbeteiligung. Andererseits unterlägen Bodenschätze dem Bergrecht, das darauf abzielt, Bodenschätze zu fördern, so dass auch in Deutschland eine Umweltverträglichkeitsprüfung nicht immer durchgesetzt werden könne. Ein „Bei uns kann das nicht passieren“ bezüglich Fracking in Deutschland erachtet Zittel als blauäugig.

Werner Zittel rechnet vor, dass die Windenergie bereits heute mit dem mittels Fracking gewonnenen Erdöl und Gas wirtschaftlich mithalten könne. Warum also auf Fracking setzen? „Im Kern geht es hier um die Frage, ob trotz der seit 2005 sichtbaren Stagnation oder sogar eines Rückgangs der weltweiten konventionellen Öl- und Gasvorhaben unser Lebensstil gefährdet ist – oder ob durch die Erschliessung von unkonventionellen Vorkommen dieser Absturz noch um einige Jahrzehnte hinausgeschoben werden kann“, schreibt Werner Zittel.

Wirtschaftskriminalroman

Wer sich für Fracking und fossile Energien interessiert, dem sei „Fracking – Energiewunder oder Umweltsünde?“ wärmstens empfohlen. Das Buch, dass die Technologie im dicht besiedelten Mitteleuropa einer kritischen Analyse unterzieht, hinterfragt deren ökonomische Relevanz angesichts der hohen Kosten und schwerwiegenden Auswirkungen auf die Umwelt. Das differenzierte und höchst professionell recherchierte Werk liest sich streckenweise wie ein Wirtschaftskriminalroman.


Fracking - Energiewunder oder Umweltsünde?
von Werner Zittel
224 Seiten, oekom verlag München, 2016
ISBN-13: 978-3-86581-770-9
Erscheinungstermin: 14.03.2016


©Text: Anita Niederhäusern, leitende Redaktorin ee-news.ch, Vorstandsmitglied ASPO Schweiz

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