Über den Umleitstollen gelangen Steine, Kies, Sand und Feinsedimente zurück in die Albula, ohne sich im Solis-Stausee abzulagern. Foto: VAW

Der Solis-Stausee in Graubünden. Der Einlass in den Umleitstollen ist auf dem Foto links unten zu sehen. Bild: Ismail Albayrak

Über den Umleitstollen gelangen Steine, Kies, Sand und Feinsedimente zurück in die Albula, ohne sich im Solis-Stausee abzulagern. Foto: VAW

Die Farbskala veranschaulicht die Höhe des Seegrunds des Solis-Stausees im Untersuchungszeitraum von 2018 bis 2021. Illustration: Schlussbericht RESEMO

Solis-Stausee im Betriebsjahr 2021: Die Grafik zeigt den Abfluss der Albula bei der Mündung in den Stausee (blau) sowie den Abfluss durch den Umleitstellen (orange). Grafik: Schlussbericht RESEMO

Die schwarze Kurve veranschaulicht den Zusammenhang zwischen dem Wasserstand des Solis-Stausees (linke y-Achse) und dem Wirkungsgrad des Umleitstollens (x-Achse). Grafik: Schlussbericht RESEMO

Die ETH-Forscher führten im Oktober 2018, August 2019, September 2020 und November 2021 jeweils eine zweitägige Messkampagne auf dem Solis-Stausee durch. Foto: Schlussbericht RESEMO

Der Bau von Umleitstollen ist ein Mittel, mit dem sich die Verlandung von Stauseen eindämmen lässt. Es gibt weitere Instrumente gegen Verlandung, die heute erprobt oder bereits eingesetzt werden. Erklörung siehe Textbox. Bild: VAW

Die Grafik zeigt die Verlandungsrate (abgesetztes Sediment pro Jahr im Vergleich zum Stauvolumen) für ausgewählte Schweizer Stauanlagen. Grafik: Dahal (2022)/VAW mit Daten von Beyer Portner and Schleiss (1998)

Forschungsprojekt: Die Verlandung von Stauseen im Visier - wie Stauseen ihr Potenzial bewahren

(BV) Steter Tropfen höhlt den Stein – das gilt auch für die Alpen: Durch witterungsbedingte Erosion gelangen Steine, Kies, Sand und Schluff in die Stauseen und schmälern das Speichervolumen. Ein Forscherteam der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich hat nun nachgewiesen, dass Geschiebe-Umleitstollen das Problem deutlich entschärfen können. (Text en français >>)


Klaus Jorde leitet beim BFE das Forschungsprogramm Wasserkraft und hat als Berater Erfahrung mit Wasserkraftprojekten weltweit. Ein Problem, dem er immer wieder begegnet, ist die zunehmende Verlandung von Stauseen: «Der Eintrag von Steinen, Kies und Feinsedimenten verringert über die Jahre das Stauvolumen der Seen und damit das Potenzial der Energiespeicherung. Weltweit geht durch Verlandung mehr Stauvolumen verloren als durch den Bau neuer Stauanlagen hinzugewonnen wird», sagt Jorde.

Zahlreiche Faktoren
Wie stark ein Stausee von Verlandung betroffen ist, hängt von zahlreichen Faktoren (z.B. Geologie und Erosion im Einzugsgebiet, Transportfähigkeit des Zustroms, Grösse des Speichersees, mittlere Aufenthaltszeit des Wassers im See) ab. Bei gewissen Stauseen droht bereits nach wenigen Jahren eine starke Verlandung, andere haben auch nach hundert Jahren noch kein Problem.

Verlust von 33 % des Stauvolumens bis im Jahr 2050
Die Verlandung von Speicherseen ist auch in der Schweiz virulent. Gemäss einer kürzlich erschienenen Studie der United Nations University in Kanada wird in Schweizer Stauseen 33 % des Stauvolumens bis im Jahr 2050 durch Verlandung verloren gehen. Prof. Robert Boes, Direktor der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich, beurteilt die Situation differenzierter: «Nach unserer Einschätzung wird die Verlandung im Durchschnitt aller Stauseen nicht so hoch ausfallen. Allerdings sehen wir Stauanlagen, die heute schon Probleme mit grossen Ablagerungen haben und wo wir dringlich Lösungen brauchen.» Ablagerungen vermindern nicht nur das Speichervolumen, sie können auch zu einem Sicherheitsproblem werden, wenn sie bis zur Staumauer vordringen und dort die Einläufe bzw. Auslässe verstopfen, über die man den Stauseen Wasser entnimmt bzw. diese in kritischen Situationen entleeren kann.

Geschiebe vom Stausee fernhalten
Bekannt für sein Verlandungsproblem ist der Solis-Stausee unterhalb von Tiefencastel (GR). Berechnungen ergaben, dass die Albula so viel Geschiebe in den See trägt, dass der Speichersee nach 20 Jahren nicht mehr genutzt werden könnte. Aus dem Grund wurde vom Elektrizitätswerk der Stadt Zürich, das den Stausee über die Kraftwerke Mittelbünden betreibt, ein sogenannter Geschiebe-Umleitstollen gebaut. Dieser wurde 2012 in Betrieb genommen. Mit dem 968 Meter langen Tunnel werden die im Zufluss enthaltenen Sedimente (vgl. Textbox) um die Talsperre herumgeleitet. Steine, Kies, Sand und Schluff lagern sich dadurch nicht bzw. deutlich weniger im Staubecken ab, sondern gelangen über den Umleitstollen ins Unterwasser und werden dort von der Albula in natürlicher Weise flussabwärts geschwemmt. Der Umleitstollen ist nur während Hochwasserabflüssen in Betrieb, wenn die grossen Wassermassen aus den Gipfellagen viel Sedimente talwärts bewegen.


Sedimente
Der Begriff ‚Sedimente‘ umfasst mineralische Partikel aller Grössenordnungen: die grossen (Steine, Kies, Grobsand) werden als Geschiebe an der Gewässersohle transportiert, die feineren (feinerer Sand, Schluff, Ton) meist schwebend in der Wassersäule. Sedimente und Schwimmstoffe (vor allem Holz) werden im Begriff ‚Feststoffe‘ zusammengefasst. Für Schluff wird in der Schweiz gern auch die englische Bezeichnung Silt verwendet.


Ein VAW-Forscherteam untersuchte in den letzten zehn Jahren, wie effizient der Umleitstollen beim Solis-Stausee seine Arbeit verrichtet und ob es Optimierungsmöglichkeiten gibt, die man beim Bau neuer Umleitstollen beachten sollte. Die Forscher setzten ausgeklügelte Methoden ein, mit denen sie die Geschiebemenge in einem Gebirgsstrom, aber auch den Sedimenteintrag im Stausee zuverlässig bestimmen können. Das Projekt wurde vom BFE finanziell unterstützt.

Sedimenteintrag massiv verringert
Die mehrjährigen Messungen zeigen: Von Oktober 2018 bis November 2021 wurden netto knapp 50'000 Kubikmeter Sedimente im Stausee abgelagert. Im gleichen Zeitraum wurden mittels Umleitstollen gut 200'000 Kubikmeter an Sediment um den Stausee geleitet. Ohne Umleitstollen wäre der Stauseegrund in dieser Zeit um durchschnittlich rund 1 m angehoben worden. Anders ausgedrückt: Dank des Umleitstollens haben sich nur noch 12 % des im Zufluss enthaltenen Sediments im Stausee abgesetzt; ohne Umleitstollen wären es 83 % gewesen (die restlichen 17 % hätten den See über das Turbinenwasser bzw. die Auslässe verlassen). Dank der Massnahme konnte die jährliche Verlandung von 81’000 m3 auf 17’000 m3 gesenkt werden.

Dass Umleitstollen wirksam sind, war schon früher bekannt. Interessant sind die neuen Ergebnisse insbesondere deshalb, weil der Solis-Umleitstollen das sedimenthaltige Wasser nicht beim Zufluss, sondern in der Mitte des Stausees aufnimmt (und von dort um die Staumauer führt). «Wir konnten zeigen, dass auch dieser Typ von Geschiebe-Umleitstollen einen Wirkungsgrad hat, der mit anderen Umleitstollen in der Schweiz oder zum Beispiel auch in Japan vergleichbar ist», sagt Projektleiter und VAW-Forscher Ismail Albayrak.

Empfehlungen an die Betreiber
Die Albula wird kurz nach Tiefencastel durch die Solis-Talsperre gestaut. Von der Mündung in den Stausee, der so genannten Stauwurzel, bis zum Einlauf des Umleitstollens sind es gut zwei Kilometer. Wenn der Gebirgsfluss Sedimente in den See einträgt, werden diese durch das Seewasser gebremst. Je höher der Wasserstand, desto grösser die Bremswirkung. Das bedeutet: Die Betreiber des Stausees können den Sedimenttransport von der Stauwurzel bis zum Beginn des Umleitstollens beschleunigen, indem sie den Wasserspiegel senken. Mehr noch: Wird der See genügend stark abgesenkt, reisst die einströmende Albula sogar Sedimente mit sich, die früher im See abgelagert worden waren – und befördert diese zum Umleitstollen. Dadurch entweicht durch den Stollen sogar mehr Gesteinsmaterial, als die Albula im gleichen Zeitraum in den See transportiert.

Mindest-Wasserspiegel um 813 m.ü.M.
Mathematisch ausgedrückt bedeutet dies: Der Umleitstollen arbeitet jetzt mit einem Wirkungsgrad von über 100 %. Die ETH-Forscher konnten zeigen, dass der Wirkungsgrad bei günstigen Betriebsbedingungen (tiefer Wasserstand) bis zu 250 % betragen kann. Der Umleitstollen wirkt jetzt quasi wie eine Einrichtung, die Sedimente aus dem See ‘absaugt’ und damit dessen Speichervolumen wieder erhöht. Auf der Grundlage dieser Beobachtungen können die Wissenschaftler den Betreibern des Solis-Stausees genaue Vorgaben machen: «Für hohe Wirkungsgrade zwischen 70 % und 250 % sollte der Mindest-Wasserspiegel um 813 Meter über Meer liegen», hält der Schlussbericht des Projekts fest.

Neue Forschungsansätze sind gefragt
Umleitstollen können die Verlandung von Stauseen wirksam eindämmen, wie das Beispiel Solis belegt. Die technische Lösung hat indes auch Nachteile: Wegen der beträchtlichen Kosten kommen Umleitstollen nur für kleinere Stauseen in Frage. Wirtschaftlich ungünstig ist zudem, dass das durch Umleitstollen geleitete Wasser nicht für die Stromproduktion genutzt werden kann.

Dosierung und Sedimentpartikelgrössen
Um der Verlandung entgegenzuwirken, sind also weitere Ansätze gefragt. Einen davon untersuchen die ETH-Forscher beim Bolgenach-Stausee in Vorarlberg: Die im Stausee abgelagerten Feinsedimente werden vom Seegrund hochgepumpt und dem Wasser in kleinen Dosen zugesetzt, das für die Stromproduktion genutzt wird. Die beteiligten Forscher wollen herausfinden, wie der Effekt der Dosierung und der Sedimentpartikelgrössen ist und ob der Abrieb der Turbinen in einem vertretbaren Rahmen gehalten werden kann, wenn man diese mit einem robusten Schutzfilm beschichtet.


Massnahmen gegen die Verlandung von Stauseen

Der Bau von Umleitstollen ist ein Mittel, mit dem sich die Verlandung von Stauseen eindämmen lässt. Es gibt weitere Instrumente gegen Verlandung, die heute erprobt oder bereits eingesetzt werden:

  1. Massnahmen oberhalb des Stausees machen es möglich, den Eintrag von Sedimenten in den Stausee zu reduzieren. Beispielsweise lässt sich die Erosion im Einzugsgebiet durch Aufforstung vermindern. Steine, Kies und Sand können ferner mit Geschieberückhaltesperren abgefangen werden (die dann regelmässig geleert werden müssen). Denkbar wäre auch das Anlegen eines zusätzlichen ‘Entsandungssees’ unterhalb von Gletschern, wo sich Sedimente natürlich absetzen, bevor sie in weiter unterhalb gelegene Talsperren gelangen.

  2. Umleitstollen führen die Sedimente am Stausee vorbei. In der Schweiz sind zwölf Umleitstollen an kleineren und mittleren Stauseen in Betrieb.

  3. Sedimente können aus dem Stausee gebaggert, abgepumpt oder ausgeschwemmt werden. Der kleine Gibidum-Stausee (VS) zum Beispiel wird alle ein bis zwei Jahre entleert, und dabei werden die Sedimente ausgespült. Die Möglichkeit, mit Feinsedimenten versetztes Wasser zu turbinieren (wie in Bolgenach/Vorarlberg), wird bisher noch kaum genutzt, könnte aber in Zukunft eine Option sein, wenn die entsprechenden Forschungsprojekte erfolgreich verlaufen.

  4. Möglich sind auch bauliche Anpassungen, beispielsweise die Erhöhung einer Staumauer, um das Stauvolumen zu erhöhen und damit das durch Sedimente verloren gegangene Wasservolumen zu kompensieren. Dies geschah beispielsweise 1989/91 beim Lac de Mauvoisin (VS). Bei Neuanlagen kann es günstig sein, diese in Nebentälern zu bauen und das Wasser des Hauptgewässers zu fassen und erst nach einer Entsandung beizuleiten. Somit können Sedimente effizient vom Stausee ferngehalten werden.

Text: Benedikt Vogel, im Auftrag des Bundesamts für Energie (BFE)

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