In Shikaoi leben fast viermal so viele Rinder wie Menschen, kein Wunder, das der Gasspeicher immer gut gefüllt ist. Bild: Martin Egbert

Shikaoi Hydrogen Farm: Biogasanlage des örtlichen Umweltzentrums. Bild: Martin Egbert

An der Tankstelle der Shikaoi Farm Wird Wasserstoff aus Biogas hergestellt. Bild: Martin Egbert

Der Wasserstoff der Shikaoi Farm wird per Dampfreformierung gewonnen. Bild: Martin Egbert

Shikaoi Hydrogen Farm: Mangoanbau im Gewächshaus unter Verwendung überschüssiger Wärme aus der Biogasanlage. Bild: Martin Egbert

Oona Farm in Obihiro: die Gasspeicher befinden sich auf dem Betondach der Gärbehälter in den halbrunden Wellblechhütten. Bild: Martin Egbert

Carsten Bussacker kümmert sich seit neun Jahren um die Installation und Wartung von Biogasanlagen seines Arbeitgebers Tsuchia Dairy Equipment&Systems. Bild: Martin Egbert

Biogasanlage des Agrarkonzerns Nobel Co. Ltd. In Uharoho. Bild: Martin Egbert

Yasuhiro Nishio, Betriebsmanager der Biogasanlage von Nobel Co. Ltd., die vom deutschen Unternehmen Weltec Biopower errichtet worden ist. Bild: Martin Egbert

Gärdüngerseparation und Lagerung der Feststoffe auf der Biogasanlage in Uhahoro. Bild: Martin Egbert

Biogasanlage des Abfallentsorger Dispo Co. Ltd. Entsorgt Gewerbeabfälle in Obihiro und umliegenden Gemeinden. Bild: Martin Egbert

Im Kellergeschoss des Wolkenkratzers befindet sich die Biogasanlage, in der täglich 60 Kubikmeter Methan produziert werden. Bild: Martin Egbert

Im Kellergeschoss des Wolkenkratzers befindet sich die Biogasanlage, in der täglich 60 Kubikmeter Methan produziert werden. Bild: Martin Egbert

Abeno Harukas Gebäude: in diesem Raum werden die organischen Abfälle aus den rund 50 Restaurants und die Abfälle der Lebensmittelabteilung des Kaufhauses zerkleinert. Bild: Martin Egbert

Im Abeno Harukas Gebäude nutzen einige Restaurants heisses Wasser aus einem Boiler, der mit Methan aus der hauseigenen Biogasanlagebetrieben wird. Bild: Martin Egbert

Die nächtliche Strassenszene in Tokio macht unter anderem deutlich, warum Japan einen so hohen Strombedarf hat. Bild: Martin Egbert

Japan: Milch, Mist und Wasserstoff – von innovativen Biogas-Konzepten wie zum Beispiel einer Biogasanlage im Keller eines Wolkenkratzers

(DJ) Biogas spielt beim japanischen Energiemix bisher keine grosse Rolle. Doch das könnte sich bald ändern. Zudem werden im Land der aufgehenden Sonne einige innovative Konzepte erprobt.


Mit 83‘000 Quadratkilometern ist Hokkaido Japans zweitgrösste Insel. Dennoch verirren sich nicht viele Japaner hierher, ausser vielleicht im Winter zum Skifahren. Auf Hokkaido wurden 1972 immerhin die Olympischen Winterspiele ausgetragen. Ganz im Norden Japans, auf einer Höhe mit Wladiwostok gelegen, herrschen auf der Insel den langen Winter über frostige Temperaturen. Und es fällt viel Schnee. Ungeachtet dessen wird auf Hokkaido ein grosser Teil der im Land hergestellten Lebensmittel angebaut. Das Zentrum der Landwirtschaft liegt in der Region Tokkachi, rund um die Stadt Obihiro. Nirgendwo sonst ist Japan so flach und weitläufig wie hier. Wären da nicht die Bergketten am Horizont, könnte man sich in Norddeutschland wähnen. Auf den Feldern wachsen Mais, Kartoffeln, Zwiebeln, Rüben oder Kohl. Riesige Farmen produzieren Fleisch und Milchprodukte, die bis in den äussersten Süden des viertgrössten Inselstaates der Welt verkauft werden.

Rund 220 Anlagen
So ist es nicht verwunderlich, dass hier auch ein grosser Teil der japanischen Biogas-Anlagen steht. Von den rund 220 Anlagen des Landes arbeiten einhundert mit Substraten aus der Landwirtschaft. Siebzig davon befinden sich laut einer Studie des ECOS-Institutes aus Osnabrück für das EU-Japan Centre auf Hokkaido.

5500 Menschen und 20‘000 Kühe
„Wir mussten vor allem für die grossen Mengen Dung eine Lösung finden“, sagt Yoichi Abo. „In unserer Gemeinde Shikaoi leben 5500 Menschen und 20‘000 Kühe.“ Also investierte die Gemeinde mit der Unterstützung der japanischen Regierung in ein Umweltzentrum, dessen Leiter Yoichi Abo ist. Herzstück des Umweltzentrums ist eine im Oktober 2007 in Betrieb gegangene Biogas-Anlage. Täglich befüllen Lastwagen deren Fermenter mit über 130 Tonnen Gülle. Hinzu kommen kleine Mengen organischer Siedlungsabfälle sowie Schmutzwasser. Die damit täglich erzielten 3900 Kubikmeter Biogas verstromen zwei BHKW zu 6000 Kilowattstunden Strom, genug für 600 Haushalte. „Vor allem aber haben wir deutlich weniger Geruchsbelästigung im Ort.“

Biogas-Kaviar, Mangos und Süsskartoffeln bis zu einer Wasserstoff-Tankstelle
Yoichi Abo und sein Team haben also gezeigt, wie aus einem Problem eine Lösung werden kann. Eine zweite Anlage mit einer Aufnahme-Kapazität von 200 Tonnen Gülle täglich ist in Planung. Dann könnte die Gemeinde bald energieautark werden. Vor allem aber soll das Umweltzentrum auch demonstrieren, was so alles möglich ist mit Biogas-Technologie: Die Reststoffe der Anlage werden als Dünger verkauft und mit der Abwärme der beiden BHKW drei Gewächshäuser beheizt, in denen Mangos und Süsskartoffeln wachsen. Auch eine kleine Stör-Zucht nutzt die Abwärme der BHKW. Bald soll es Biogas-Kaviar geben. In Zukunft will Yoichi Abo zudem das CO2 aus der Anlage für die Herstellung von Trockeneis vermarkten. Sein neuester Coup aber, eine mit Methan betriebene Wasserstoff-Tankstelle, stellt das alles in den Schatten. „Wir sind die erste Tankstelle in Japan, die Wasserstoff aus mit Gülle gewonnenem Methan herstellen“, sagt Yoichi Abo. Ansonsten gibt es nur noch eine weitere Methan-Wasserstoff-Tankstelle, die vor kurzem in Fukuoka auf der südlichen Hauptinsel Kyūshū in Betrieb gegangen ist, aber Schmutzwasser vergärt.

Besucher aus der ganzen Welt
Die Shikaoi Hydrogen Farm beschert dem Umweltzentrum Besucher aus der ganzen Welt. „Vor kurzem war der chilenische Botschafter hier, und für morgen hat sich eine Besuchergruppe aus Thailand angekündigt“, sagt Yoichi Abo stolz. Die heutigen Besucher, eine Gruppe japanischer Geschäftsleute in schwarzen Business-Anzügen, gehören zum Alltag auf der Shikaoi Hydrogen Farm. Gerade schlendern sie an der Tankstelle vorbei, vor der ein weisser Wasserstoff-Toyota Mirai steht. Das vor fünf Jahren erste in Grossserie gefertigte Wasserstoff-Auto gehört Yoichi Abo. Dieses Modell schafft mit einem Mal Volltanken 500 Kilometer, das Nachfolgemodell schon 650 Kilometer. „Für 500 Kilometer sind 60 Kubikmeter Wasserstoff nötig, die stellen wir aus 25 Kubikmeter Methan her, bei grösseren Mengen lässt sich die Effizienz aber auf ein Verhältnis von 1:4 steigern“, erklärt Yoichi Abo.

Mittels Dampfreformation
Wasserstoff aus Methan wird mit der so genannten Dampfreformation gewonnen, einem kostengünstigeren Verfahren als der Elektrolyse. Dabei reagieren Methan und Wasserdampf unter grosser Hitze und Druck zu Kohlenmonoxid und Wasserstoff. „Jede Kuh hinterlässt 23 Tonnen Exkremente pro Jahr“, erklärt Yoichi Abo. „Daraus lässt sich Wasserstoff für 10.000 Kilometer herstellen, so viel wie ein Japaner durchschnittlich im Jahr privat fährt.“

Gerade einmal 50 Brennstoffzellen-Autos
Doch noch herrscht wenig Betrieb an der Wasserstoff-Tankstelle. An manchen Tagen ist neben Yoichi Abos Wagen der Gabelstapler des Umweltzentrums das einzige Fahrzeug, das zum Tanken an die blitzblanke Station kommt. Brennstoffzellen-Autos sind doppelt so teuer in der Anschaffung. „Bisher gibt es gerade einmal 50 Brennstoffzellen-Autos auf ganz Hokkaido, aber das wird sich hoffentlich bald ändern.“ Da es sich um ein Pilotprojekt handelt, muss Yoichi Abo zum Glück erst mal keine schwarze Zahlen schreiben.

Landmaschinen Unternehmen setzt auf Biogas
Carsten Bussacker hingegen schon. Der Hamburger lebt seit 16 Jahren in Japan. Meistens ist der studierte Japanologe im Blaumann unterwegs. Seit neun Jahren kümmert er sich bei Tsuchiya Dairy Equipment & Systems um Verkauf, Installation und Wartung von Biogas-Anlagen. Das Geschäftsfeld ist bei dem Landmaschinen Unternehmen mit 150 Mitarbeitern ordentlich gewachsen. „Biogas wird immer wichtiger für uns. Wir haben schon 62 Anlagen mit einer Leistung von insgesamt 13 Megawatt gebaut, fast alle davon stehen auf Hokkaido“, erklärt Bussacker auf der Fahrt zu einer der Anlagen. Krähen sitzen in den kahlen Bäumen am Strassenrand, den meterhohe Holzpfähle mit rotweissen Pfeilen säumen. Mit ihrer Hilfe kann man auch bei hohem Schnee dem Verlauf der Strasse folgen.

Komfortable 30 Eurocent pro Kilowattstunde
„Bis vor drei Jahren gab es hier einen regelrechten Boom“, erklärt Bussacker. Einerseits mussten die grossen Fleisch- und Milchviehbetriebe sich etwas für die Entsorgung von Mist und Gülle einfallen lassen. Auch wenn bislang das Ausbringen von unbehandelten Exkrementen gesetzlich erlaubt ist, wächst das Bewusstsein für die Gefahren für das Trinkwasser und mit gesetzlichen Regelungen wird zu rechnen sein. Wichtiger für die grosse Nachfrage nach Biogas aber war der gesetzliche Einspeisetarif von umgerechnet komfortablen etwa 30 Eurocent pro Kilowattstunde auf zwanzig Jahre. Dieser Feed In Tarif ist zwar zu Jahresbeginn 2023 etwas herunter gesetzt worden, stellt aber immer noch einen grossen Anreiz dar. Hinzu kommen zahlreiche Direktförderungen für Investitionen in der Landwirtschaft.

Mangelhafter Netzausbau bremst
Begrenzt hat die erneuerbaren Energien vor allem auf Hokkaido der mangelhafte Netzausbau. Die Verbindung zur grössten Hauptinsel Japans, Honshū, lässt zu Wünschen übrig und behindert damit Möglichkeiten zu regeln. Der Netzanschluss ihrer Anlagen müssen die Betreiber zudem häufig selbst und teuer bezahlen. Seit zwei Jahren gibt es zudem keine Einspeisegarantie mehr. Erst vor kurzem ist der Energiemarkt in Japan vollständig liberalisiert worden. Seit 2020 sind Erzeugung und Netzbetrieb formal getrennt und in privater Hand. Die grossen, regional organisierten Versorger aber sind nach wie vor einflussreich und können einiges behindern. Dafür wurde allerdings vor einem Jahr eine Regelung für die Direktvermarktung von Energie eingeführt. Und die Politik fordert verstärkt den Ausbau der Netze. „Deshalb rechnen wir mit einem Anziehen der Nachfrage.“

4000 Fleischkühe
Carsten Bussacker lenkt seinen Wagen auf die Einfahrt zur Oona Farm, vorbei an sehr grossen Unterständen für Maschinen und Silageballen. 4000 Fleischkühe stehen in offenen Ställen. Ihr Atem dampft in die kühle Herbstluft. „Das hier war vor zwei Jahren unsere erste Anlage für Mist anstelle von Gülle“, erklärt Bussacker auf dem Weg zu einem der Fermenter. Mist bedeutet weniger Gasertrag und eine höhere Belastung der Rührwerke. „Wir betreuen unsere Anlagen sehr eng, weil die Kunden eine hohe Auslastung erwarten, die wir mit 97 bis 98 Prozent Laufzeiten auch erfüllen.“ Mitunter muss Bussacker dafür einiges ausbaden. Auf der Oona Farm zum Beispiel haben die Betreiber neben Mist auch andere Substrate eingesetzt, wie etwa Reismehl. In Folge bildete sich zu viel Schaum im Fermenter. „Eine Biogas-Anlage ist ein lebender Körper, den man ziemlich schnell um die Ecke bringen kann.“ Carsten Bussacker grinst. Dann steigt er eine schmale Leiter hinauf und betritt mit festen Schritten das Dach des 3400 Kubikmeter grossen, ersten Fermenters.

Im Erdbebengebiet
„Wände und Dachplatten bauen wir in zwanzig Zentimeter Stahlbeton, schliesslich befinden wir uns in einem Erdbebengebiet, finanzieren lässt sich das aber nur mit den entsprechenden Einspeisetarifen.“ Auf dem Dach dann steht eine Art Nissenhütte aus Stahlblech, in der sich der Gasspeicher befindet. Die Abwärme der beiden BHKW wird ausschliesslich für die Anlage genutzt. Die Fleischfarm hat keine Melkstände, die geheizt werden müssten. Zudem können die Temperaturen im Januar und Februar auf Hokkaido im zweistelligen Minusbereich liegen. Das ist auch der Grund für eine weitere Besonderheit, einem Notbrenner zum Heizen, falls die BHKW ausfallen. Das auf dem Markt erhältliche Modell hat Bussacker so modifiziert, dass es mit dem Biogas der Anlage heizt.

Teile und Maschinen für ihre Eigenkonstruktionen bezieht Tsuchiya Dairy Equipment & Systems überwiegend aus Deutschland, von PlantET Biogastechnik in Gescher, Flygt, Vogelsang oder 2 G, von denen auch zwei Wasserstoff-BHKW in Japan laufen.

Deutsche Anbieter
Deutsche Firmen sind aber auch als Systemanbieter vor Ort. Am erfolgreichsten scheint dabei Weltec zu sein. Nicht weit von Obihiro entfernt betreibt der Agrarkonzern Nobels Co. Ltd. zwei Milchfarmen mit insgesamt 36‘000 Tieren. Auf beiden Farmen laufen Biogas-Anlagen, eine 750 kW el eines japanischen Herstellers sowie eine 250 kWel von Weltec. Im März soll eine weitere des Herstellers aus dem niedersächsischen Vechta für Nobels Co. Ltd. auf Honshū in Betrieb gehen.

Gülle behandeln
„Wir wollen vor allem die Gülle behandeln, auch wenn das gesetzlich noch nicht vorgeschrieben ist“, erklärt Betriebsmanager Yasuhiro Nishio. „Ohne den guten Einspeisetarif hätten wir die Investition in die verhältnismässig teure Anlage des Japanischen Herstellers allerdings nicht getätigt.“ Die elektrische Energie aus dem 2 G-BHKW der Weltec-Anlage auf der kleineren der beiden Farmen von Nobels auf Hokkaido verbraucht der Betrieb direkt, für Licht und die Melkmaschinen. Das ist aber keine Entscheidung aus freien Stücken, sondern dem mangelhaften Netzausbau geschuldet. „Natürlich hätten wir dem Versorger lieber 15 Eurocent für die Kilowattstunde für unseren Verbrauch bezahlt und für 30 Eurocent eingespeist“, sagt Yasuhiro Nishio. Dafür aber wurden die Investitionen in die Biogasanlage zum Teil direkt von der Regierung bezuschusst.

Willkommener Dünger
Zudem führt der Dünger aus den Reststoffen zu guten Ergebnissen auf den 600 Hektar grossen, eigenen Anbauflächen für Futtermais. Vor der Halle mit den dampfenden Gärresten erklärt Yasuhiro Nishio einen weiteren Vorteil. Bevor die Gärreste auf den Äckern ausgebracht werden, pendeln sie als Einstreu zwischen den Ställen und, wiederum angereichert mit Dung, dem Fermenter der Biogas-Anlage. Auf die Äcker kommen sie erst, wenn die Menge zu gross wird. „Das spart uns sehr viel Geld für Stroh als Einstreu.“

Gas, Kohle und Erdöl bleiben bestimmend
Bei der Summe dieser Vorteile stellt sich die Frage, warum Biogas mit einer installierten Leistung von gerade einmal 85 Megawatt eine so untergeordnete Rolle im japanischen Energiemix spielt. Auch gibt es keine Pläne für die Nutzung von Bioerdgas als Ersatz für fossile Brennstoffe. Nach wie vor hängt die hoch entwickelte Industrienation zu zwei Dritteln von Gas, Kohle und Erdöl ab. Trotz aller Energiespar-Appelle nach Fukushima verbraucht der durchschnittliche Japaner ein Drittel mehr elektrische Energie als ein Europäer. Ein Rundgang durch das für seine übergrossen Leuchtreklamen weltberühmte Tokioter Viertel Shinjuku oder schlicht der Besuch einer privaten oder öffentlichen Standard-Toilette mit geheizter Brille, automatischer Spülung und Föhn von unten verdeutlicht wofür.

Ein Fünftel Strom aus Erneuerbaren
Nach dem verheerenden Erdbeben und der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011 hatte die japanische Regierung in ihrem 5. Energieversorgungs-Plan von 2015 einen Anteil von Erneuerbaren von 22 bis 24 Prozent an der Stromversorgung beschlossen. Vor Fukushima waren dagegen nur 10 Prozent vorgesehen. Der Anteil von einem Fünftel Erneuerbare ist heute erreicht. Das meiste davon stammt aus Solar und Wasserkraft. Aus Biomasse kommen gerade einmal 2.7 Prozent. An der Energie aus Biomasse hat Biogas einen Anteil von nur 1.5 Prozent.

Atomstrom und Erneuerbare
Aufgrund von internationalem Druck hat Japan seine Klimaziele nachgebessert und unter anderem den 6. Energieversorgungs-Plan vorgelegt. Die schlechte Nachricht zuerst: Entgegen vorheriger Versprechen wird der Atomenergie wieder ein Anteil von einem Fünftel am Energiemix zugedacht. Die gute Nachricht: Der Anteil der Erneuerbaren soll bis 2030 auf insgesamt 36 bis 38 Prozent steigen. Wasserstoff soll eine wichtige Rolle spielen. Und mit 3.7 bis 4.6 Prozent bis 2030 soll Biomasse an Bedeutung gewinnen, auch als Wirtschaftsmotor in ländlichen Regionen. Davon wird Biogas profitieren.

Energiepflanzen sind ausgeschlossen
Auch lässt sich der Biogas-Anteil von derzeit 85 Megawatt als positiver Trend sehen, stellt er doch einen nicht unerheblichen Anstieg im Vergleich zu sieben Megawatt in 2012 dar. Die Autoren der oben erwähnten Studie des ECOS-Institutes erwarten deshalb ein starkes Wachstum des Biogas-Marktes noch in dieser Dekade. In der Verwendung von Nutztier-Exkrementen sehen sie ein Potential von 1.65 Gigawatt elektrischer Leistung. Die Nutzung von Energiepflanzen kommt auf Grund der geringen Verfügbarkeit von Ackerflächen im Land nicht in Frage. Von Mist und Gülle aber werden bisher gerade einmal zehn Prozent energetisch genutzt.

Jährlich 6.5 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle
Grosses Potential sehen die Experten auch für Lebensmittelabfälle aus der Industrie als Substrat. Organische Siedlungsabfälle können aufgrund ihrer Trennung lediglich in brennbar und nicht-brennbar bisher nicht genutzt werden. 6.5 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle fallen jedes Jahr in Japan an. Das meiste wird kompostiert oder zu Viehfutter verarbeitet. Doch arbeiten immerhin 42 Biogasanlagen im Land mit industriellen Lebensmittelabfällen. Das aber kann Tücken haben. Davon kann Arita Hirotaka von der Dispo Co.Ltd. ein Lied singen. Schon von weitem ist das Logo des Abfallentsorgers, ein grosses I love Recycle mit einem roten Herz, an der weissen Halle am Rande von Obihiro zu sehen. Auf dem Hof stehen Müllfahrzeuge und Tankwagen. Dispo entsorgt Gewerbeabfälle in Obihiro und den umliegenden Gemeinden. Für die Bearbeitung der organischen Abfällen hat das Unternehmen 2017 eine Biogas-Anlagen mit 150 kW el von Tsuchiya Dairy Equipment & Systems in Betrieb genommen. „Bis zum Mai 2022 ist die Anlage sehr gut gelaufen, mit über 1100 Megawattstunden elektrischer Leistung manche Jahre sogar über unseren Erwartungen“, erklärt der Betriebsleiter. „Die Entpackungsmaschine funktioniert gut und die Substrate lassen sich einfach organisieren.“

Bohnenmus und Kartoffelchips
In der Umgebung arbeiten ein Hersteller von Kartoffelchips sowie eine Firma, die aus rotem Bohnenmus traditionelle Süssigkeiten herstellt. Zudem gibt es Molkereien sowie Milchviehbetriebe. „Der Weg über die Biogas-Anlage ist schneller und kostengünstiger als die Stoffe zu kompostieren.“ Zudem heizt die Abwärme ein kleines Gewächshaus mit Tomaten und Salat, die sich besonders im Winter gut an lokale Supermärkte verkaufen. Trotzdem ist die Einspeisevergütung für die erzeugte elektrische Energie die Säule der Finanzierung der Anlage.

6 Monate Betriebsstörung
Umso ärgerlicher ist eine Betriebsstörung, wie es sie zwischen Mai und Oktober 2022 gegeben hat. „Wir hatten zu viel Molke in das Substrat gemischt“, erzählt Arita Hirotaka offenherzig. Die Folge war eine Übersäuerung im Fermenter. „Also mussten wir den Fermenter entleeren, dabei haben wir auch noch 120 Tonnen Feststoffe herausgeholt und den Beton mit einer Kunststoffschicht überzogen, um ihn vor Säure zu schützen.“ Doch wegen der auf zwanzig Jahre garantierten Einspeisevergütung ist Arita Hirotaka zuversichtlich, dass die Anlage ihr Geld verdienen wird. Sogar in eine zweite will die Firma investieren, wegen der ungesicherten Netzanbindung würde diese elektrische Energie für den Eigenbedarf liefern.

Höchster Skyscrapers Japans
Mit Lebensmittelabfällen in der Biogas-Anlage kennt Masara Komori sich aus. „Ich kontrolliere die Anlage jeden Tag.“ Der Leiter für die Haustechnik des mit 300 Metern höchsten Skyscrapers Japans trägt eine schlichte Krawatte zur grauen Monteursjacke und eine Hornbrille. Sein Arbeitsplatz aber, Abeno Harukas in Downtown Osaka, kann mit einigen Superlativen aufwarten: Auf den unteren Stockwerken betreibt die Kette Kintetsu auf 100‘000 Quadratmetern das grösste Kaufhaus Japans, zu dem auch eine gigantischen Lebensmittelabteilung gehört. Es gibt ausserdem 50 Restaurants im Gebäude, ein Kunstmuseum, eine Bahnstation sowie Büroflächen auf über 300‘000 Quadratmetern.

Methan für den Boiler
Masara Komori ist einer von 8000 Menschen, die in dem Gebäude arbeiten. Doch im Unterschied zu den meisten anderen hat er den Schlüssel für jede Tür. Und der Ingenieur weiss immer, wo er sich gerade befindet. Zielstrebig eilt er durch die Gänge der fünf Kellergeschosse, vorbei an Angestellten, die leicht vornüber gebeugt ratternde Rollwagen voller Waren vor sich her schieben, zum Treffpunkt der Putzkolonne eilen oder in lindgrüner Uniform zu ihrem Arbeitsplatz als Fahrstuhlführerin. Unter der Decke schlängelt sich ein weitverzweigtes Geflecht aus Sprinkleranlagen und blitzblanken Versorgungsleitungen. Eine davon gehört zu einem Boiler für das Heisswasser einiger der Restaurants im Gebäude. Betrieben wird dieser mit täglich 60 Kubikmeter Methan aus der hauseigenen Biogas-Anlage. Die steht im dritten Untergeschoss.

34 Kubikmeter grosser Silo
Nach unzähligen Stahltüren und vielen Hundert Metern Flur aus hellem Beton steht Masara Komori endlich davor. Nachdem die organischen Abfälle aus den Restaurants und der Lebensmittelabteilung des Kaufhauses gesammelt und zerkleinert worden sind, landen sie hier in einem 34 Kubikmeter grossen Silo, um mit Wasser vermischt und in die jeweils 106 Kubikmeter grossen, zwei Fermenter gepumpt zu werden. Geruchsbelästigungen vermeidet ein Ozon-Filter. „Im Grossen und Ganzen läuft die Anlage ohne Probleme, nur manchmal verstopfen Eierschalen oder sehr faserige Abfälle die Leitungen und Pumpen, wir müssen die Mitarbeiter einfach noch viel besser schulen.“

Kostenlos heisses Wasser
Die ungerechnet rund 200‘000 Euro teure Anlage wurde zur Hälfte von der japanischen Regierung finanziert. Das heisse Wasser ist für die Nutzer kostenlos. „Wir reduzieren dafür die Abfallmengen sowie den Methanausstoss“, erklärt Masara Komori. Zudem bekommt sein Arbeitgeber jede Menge öffentliche Aufmerksamkeit für die Biogasanlage in einem der höchsten Häuser der Welt. Aber das ist auch in Ordnung. Schliesslich zeigen Masara Komori und sein Team, dass Biogas Technologie sehr wohl auch im Urbanen gut funktionieren kann.

©Text: Klaus Sieg, Fotos: Martin Egbert

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