Die klassischen Fernwärmesystreme funktionieren unidirektional, Anergienetze dagegen bidirektional. Die angeschlossenen Gebäude beziehen Wärme und/oder Kälte und geben in vielen Fällen auch Wärme und/oder Kälte ab. ©Bild: Konzept Thermische Vernetzung

Das Weissbuch Fernwärme Schweiz veranschlagt für das Jahr 2050 einen Bedarf an Heizwärme und Warmwasser von 45 TWh. Davon könnten 38% aus thermischen Netzen gedeckt werden. ©Illustration: Konzept Thermische Vernetzung

Dipl.-Ing. Joachim Ködel, Dozent für Fernwärme und industrielle Wärmeversorgung an der Hochschule Luzern – Technik & Architektur. ©Bild: B. Vogel

Ein Anergienetz versorgt die Suurstoffi-Überbauung beim Bahnhof Rotkreuz (ZG) mit Heizwärme, Warmwasser und Kälte. ©Bild: Zug Estates AG

Schematische Darstellung der Energieversorgung der Suurstoffi-Überbauung in Rotkreuz (ZG). Erklärung siehe Textende. ©Abbildung: Nachhaltigkeitsbericht 2015/Zug Estates AG

Baufeld 5 der Suurstoffi-Überbauung ist mit einer zentralen, zweistufig arbeitenden Wärmepumpe ausgerüstet. Die Grafik zeigt, dass die erste Stufe mit einer JAZ von über 6 arbeitet. Grafik: HSLU

In Baufeld 2 der Suurstoffi-Überbauung ist jedes Haus mit einer Wärmepumpe ausgerüstet. Erklärung am Textende rechts. ©Grafik: Hochschule Luzern – Technik & Architektur

Das Erdreich unter der Suurstoffi-Überbauung in Rotkreuz (ZG) dient als saisonaler Wärmespeicher: im Frühjahr und Sommer wird im Erdreich Wärme gespeichert, in den Wintermonaten Wärme entzogen. ©Grafik: Hochschule Luzern – Technik & Architektur

Forschungsreport: Thermische Vernetzung von Wärmepumpen

(©BV) ) Anergienetze liegen im Trend. Diese thermischen Netze werden bei Umgebungstemperaturen betrieben und dienen der Versorgung der angeschlossenen Gebäude mit Wärme und Kälte. Wärmepumpen sind zentraler Bestandteil von Anergienetzen, sie müssen für diese Anwendung aber spezielle Anforderungen erfüllen.


Die Überbauung auf dem Suurstoffi-Areal in Rotkreuz (ZG) geht Schritt für Schritt voran. Bis 2020 werden auf dem Areal in Bahnhofsnähe Gewerbebauten mit 2500 Arbeitsplätzen, Schulgebäude für 2000 Studierende und Wohnungen für 1500 Personen entstanden sein. Pionierhaft an dem Neubau-Quartier ist die Energieversorgung. Die gesamte Bebauung mit 165'000 m2 Energiebezugsfläche wird mit einem Anergienetz erschlossen. Im Warmleiter zirkuliert Wasser im Temperaturbereich zwischen 8 °C (Winter) und 18 °C (Sommer), im Kaltleiter zwischen 6 °C (Winter) und 18 °C (Sommer). Sollen Gebäude (vorzugsweise im Sommer) gekühlt werden, geschieht dies über die Fussbodenheizung per Freecooling. Für die Erzeugung von Heizwärme (35 °C) und Warmwasser (60 °C) wird Wärme aus dem Wasser im Warmleiter entnommen und mit Wärmepumpen auf das gewünschte Temperaturniveau im sekundären Heizkreis gebracht.

Suurstoffi: Hybridkollektoren verbessern JAZ
Die in den warmen Monaten anfallende Wärme (Abwärme aus dem Freecooling, Wärme aus Hybridkollektoren) wird in einem Erdsondenfeld saisonal gespeichert und kann dort in den kalten Zeiten des Jahres abgerufen werden. Für die Wärmeproduktion wird für jedes Gebäude eine Wärmepumpe eingesetzt, die – so die bisherigen Erfahrungen – mit einer Jahresarbeitszahl (JAZ) von 4 bis 5 arbeiten. In einem der Baufelder kommt eine grosse, zweistufige Wärmepumpe zum Einsatz, die noch effizienter arbeitet (JAZ > 6). Nadège Vetterli von der Hochschule Luzern leitet das vom BFE-finanzierte Energie-Monitoring der Suurstoffi-Überbauung. Sie hat seit der Inbetriebnahme des Anergienetzes im Jahr 2012 wichtige Erkenntnisse gewonnen: „Zu Beginn brauchte die Überbauung mehr Wärme und weniger Kälte als in der Planung erwartet. Dieses Ungleichgewicht konnte unterdessen durch Einbau von Hybridkollektoren und Betriebsoptimierungen entschärft werden. Die Wärmepumpen können dank der Erhöhung der Netztemperatur effizienter betrieben werden, die JAZ sind gestiegen.“

Wärme und Kälte aus thermischen Netzen
Das Energiesystem des Suurstoffi-Areals in Rotkreuz ist eines von ein bis zwei Dutzend Anergienetzen, die in der Schweiz bisher gebaut wurden. Diese Vorhaben sind wie ein Schaufenster für die Schweizer Energieversorgung der Zukunft. Solche bei relativ niedrigen Temperaturen betriebenen Wärmenetze werden gegenwärtig breit erprobt und dürften in den nächsten Jahren deutlich grössere Verbreitung finden. Das Weissbuch Fernwärme Schweiz im Auftrag des gleichnamigen Verbands hat 2014 die Zielsetzung formuliert, dass im Jahr 2050 rund 38% der Wärme für Heizung und Warmwasser über thermische Netze gedeckt werden könnten.

'Thermische Netze' dient als Oberbegriff für sämtliche Wärmenetze. Dazu gehören die klassischen Fernwärmesysteme zum Beispiel bei Kehrichtverbrennungsanlagen (KVA), die typischerweise bei Temperaturen von 70 bis 120 °C betrieben werden und das Warmwasser aus einer zentralen Produktionseinheit an die Wärmebezüger in der Umgebung verteilen. Unter thermischen Netzen wird aber auch eine neue Generation von Wärmenetzen verstanden, die bei tieferen Vorlauftemperaturen arbeiten, in der Bandbreite von 70 °C bis zur Umgebungstemperatur. Als Wärmequelle dient hier niedrig temperierte Abwärme aller Art, zum Beispiel Kühlwasser von Rechenzentren oder aus industriellen Prozessen. In diesem Zusammenhang ist auch von 'kalter Fernwärme' bzw. von 'Anergienetzen' die Rede. Anergienetze haben die Eigenheit, dass sie neben der Lieferung von Wärme auch für die Produktion von Kälte genutzt werden.

Geringerer Temperaturhub erhöht Effizienz
Wärmepumpen spielen in Niedertemperatur-Netzen eine Schlüsselrolle. Wärmepumpen sind in diesem Anwendungskontext mit anderen Anforderungen konfrontiert als beim geläufigen Einsatz in Einfamilienhäusern. Diese Anforderungen sind eines der zentralen Themen an der Wärmepumpentagung des BFE vom 22. Juni in Burgdorf. Einer der Referenten bei dem Fachkongress ist Dipl.-Ing. Joachim Ködel, Dozent für Fernwärme und industrielle Wärmeversorgung an der Hochschule Luzern – Technik & Architektur. Ködel hat zwölf Jahre die Abteilung Energieanlagen/Leitungsbau beim Planungsbüro Gruner Gruneko AG (Basel) geleitet und verfügt im Bereich Gebäudetechnik und Fernwärme über einen reichen Erfahrungsschatz. „Thermische Netze schaffen die Voraussetzungen, um Wärmepumpen viel effizienter als bisher zu nutzen“, sagt Ködel, „während Wärmepumpen in Einfamilienhäusern typischerweise mit einer Leistungszahl (COP) von 3 arbeiten, könnten wir in thermischen Netzen COP von 10 oder 12 erreichen.“

Der Hauptgrund für die höhere Effizienz liegt laut Ködel beim geringeren Temperaturhub, den Wärmepumpen in Anergie- und Niedertemperaturnetzen zu bewältigen haben. Beträgt der Temperaturhub bei einer Luft-Wasser-Wärmepumpe in einem Einfamilienhaus typischerweise 60 Grad, sind es in einem thermischen Netz noch 20 Grad. Somit erzielen Wärmepumpen in thermische Netzen laut Ködel ein deutlich besseres Verhältnis von produzierter Wärme und dafür zugeführter elektrischer Energie.

Massgeschneiderte Wärmepumpen für thermische Netze

„Die für den Einsatz in thermischen Netzen massgeschneiderten Wärmepumpen können im Prinzip mit der bewährten Wärmepumpen-Technik gebaut werden. Allerdings werden diese Geräte heute auf dem Markt nicht angeboten, da bis anhin die entsprechende Nachfrage nicht vorhanden war“, sagt Joachim Ködel. Jetzt aber stehe dieser Markt vor der Tür und die Hersteller müssten die passenden Produkte zur Verfügung stellen. „Die Hersteller können von einem grossen Marktpotenzial profitieren“, lautet Ködels Einschätzung. Gefragt sind insbesondere kleinere Wärmepumpen im kW-Bereich, die auf eine hohe Quelltemperatur (Abluft, Abwasser und Kühlabwasser im Bereich 10 bis 30 °C) ausgelegt sind und eine mässig hohe Senkentemperatur. Geräte also, die beispielsweise aus der Abwärme eines Rechenzentrums (20 bis 25 °C) Heizwärme für eine Fussbodenheizung (35 °C) oder eine Niedertemperaturheizung (50 °C) sowie Warmwasser (60 °C) herstellen

Fachwissen zu thermischen Netzen
Unter der Leitung der Hochschule Luzern ist Anfang 2016 das Projekt 'Thermische Netze' gestartet. Grundidee des auf drei bis fünf Jahre angelegten Vorhabens ist die gezielte Förderung von thermischen Netzen und damit eine umfassende Nutzung von Umwelt- und Abwärme. Dafür werden nicht Anergienetze geplant und gebaut, sondern auf der Grundlage bestehender Fallbeispiele werden Planungsgrundlagen wie Merkblätter und Handbücher erstellt, die künftig in der Branche für Planungszwecke sowie zur Aus- und Weiterbildung genutzt werden können. Die Programmleitung 'Thermische Netze' erfolgt an der Hochschule Luzern mit einem vierköpfigen Team von Joachim Ködel. Finanzielle Unterstützung leistet die Plattform EnergieSchweiz, die unter dem Dach des BFE Energieeffizienz und erneuerbare Energien fördert. BV


 

Wichtig ist für Ködel die Flexibilität der Wärmepumpen, dass also Quell- und Senkentemperatur im Betrieb variieren können. Für leistungsfähige Anlagen über 200 kW Leistung seien flexible Wärmepumpensysteme heute verfügbar, so Ködel, nicht aber für kleinere Leistungen. „Hier besteht Entwicklungspotenzial bei den Herstellern.“ Wünschbar wären nach Auskunft des Fachmanns auch mehrstufig arbeitende Wärmepumpen im unteren Leistungsbereich. Ködel ist sich allerdings bewusst, dass solche Systeme im aktuellen wirtschaftlichen Umfeld einen schweren Stand haben: „Beim aktuell tiefen Strompreis setzen sich hocheffiziente Anlagen nicht leicht durch.“

Ideal für gemischte Gebiete

Thermische Netze werfen im Wohnbereich und im industriell-gewerblichen Bereich jeweils ihre eigenen Fragestellungen auf. Klar ist zugleich, dass ein Zusammengehen dieser beiden Bereiche für thermische Netze besondere Chancen eröffnet, dann nämlich, wenn sich die energetischen Bedürfnisse benachbarter Wohn- und Gewerbegebiete ergänzen. Für die Errichtung thermischer Netze stehen Neubaugebiete im Vordergrund, da hier eine Energieplanung aus einem Guss möglich ist und für den Wärmebedarf dank moderner Bau- und Dämmtechnik niedrige Temperaturen erreicht werden. Doch auch in Bestandsgebieten hat die Einrichtung thermischer Netze Zukunft, betont Benno Frauchiger, verantwortlich für thermische Netze bei EnergieSchweiz: „Bei Quartieren mit Bestandsbauten haben die verschiedenen Abnehmer von Wärme allerdings unterschiedliche Bedürfnisse, was die Temperatur angeht, das erfordert eine sorgfältige Auslegung der Netze. Da thermische Netze auf eine langfristige Wärmeversorgung ausgelegt sind, besteht aber der nötige zeitliche Spielraum, um auf bestehende Infrastrukturen Rücksicht zu nehmen und Gebiete schrittweise zu erschliessen.“

Weitere Fachbeiträge über Forschungs-, Pilot-, Demonstrations- und Leuchtturmprojekte im Bereich Wärmepumpen >>


Ausführliche Erklärungen Legenden Links

Schematische Darstellung der Energieversorgung der Suurstoffi-Überbauung in Rotkreuz (ZG). Erklärung zur blau-roten Grafik links: Im Winter (Schema links) entziehen Erdsonden die im Erdreich gespeicherte Wärme, anschliessend wird diese von Wärmepumpen zu Heizenergie und Warmwasser aufbereitet. Im Sommer (Schema rechts) werden Abwärme aus den Gebäuden und Wärme aus der thermischen Solaranlage mittels Erdsonden im Erdreich gespeichert – und stehen dann im Winter als Wärmequelle zur Verfügung. Nachdem das Wasser seine Wärme im Erdreich deponiert hat kann es direkt zur Kühlung der Gebäude verwendet werden (Freecooling).

Jahresarbeitszahlen der Wärmepumpe im Baufeld 2 Erklärung zur untersten Grafik links: In Baufeld 2 der Suurstoffi-Überbauung in Rotkreuz (ZG) ist jedes Haus mit einer Wärmepumpe ausgerüstet, die das Wasser aus dem Energienetz auf die gewünschte Temperatur für Raumwärme und Warmwasser bringt. In der zweiten Messperiode konnte die JAZ gegenüber der ersten Messperiode markant gesteigert werden, indem das Anergienetz mit einer höheren Durchschnittstemperatur betrieben wurde.



©Text: Dr. Benedikt Vogel, im Auftrag des Bundesamts für Energie (BFE)

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