Die Erklärung zu dieser Abbildung finden Sie im Text rechts im untersten Abschnitt.

AKW Mühleberg: TÜV-Gutachten zum Kernmantel öffentlich

(PM) Seit dem 3. Juni ist die die Studie des TÜV Nord EnSys Hannover GmbH zu den Kernmantelrissen und der dürftigen Klammernachrüstung auf der Website des Verein "Mühleberg Ver-fahren" einsehbar. Das Bundesverwaltungsgericht hatte das Gutachten zwar gegen den Willen der BKW Energie AG, Betreiberin des AKW Mühleberg, und des Eidg. Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI den Beschwerdeführenden zugänglich gemacht.


Zugleich wurde es als nicht-öffentlich unter Androhung einer Strafe von 10'000 Franken deklariert. Allerdings waren das öffentliche Interesse und die Empörung in weiten Kreisen der Bevölkerung über dieses Vorgehen so gross, dass sich eine Freigabe aufdrängte.

Am 31 Mai hat das Bundesverwaltungsgericht verfügt, dass das Gutachten des TÜV Nord EnSys Hannover GmbH zu den Kernmantelrissen im AKW Mühleberg publiziert werden kann. Bisher musste es von den Beschwerdeführenden im Verfahren gegen die unbefristete Bewilligung des AKWs Mühleberg unter Androhung einer Strafe von 10'000 Franken unter Verschluss behalten werden. Die Beschwerdeführenden hatten sich im Verfahren zudem mit einer Eingabe auf dieses Gutachten mit einer Stellungnahme des Öko-Instituts Darmstadt bezogen, welche folgerichtig ebenfalls nicht publiziert werden durfte.


Fragestellungen des ENSI: Nichts Neues?

2006 hat das Eidgenössische Nuklearsicherheitinspektorat ENSI (damals noch Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen HSK) eine Untersuchung zum Kernmantel und den Nachrüstungen mit Zugankern veranlasst. Der Auftrag ging an den TÜV Nord EnSys Hannover, welcher in Nuklearfragen über umfangreiche Kompetenzen verfügt. Der TÜV hatte die Aufgabe, ein Bewertungsschema und ein Konzept für den Nachweis der Langzeitsicherheit der Nachrüstmassnahmen zu erstellen. Der Kenmantel ist ein gegen acht Meter hoher Stahlzylinder mit einem Umfang von 10 Metern, welcher innerhalb des Reaktordruckbehälters den Kernbrennstoff umhüllt4. Für das ENSI waren vor allem 4 Szenarien von Interesse:

  • Intakter Kernmantel (wurde nicht untersucht, weil dies nicht der Realität entspricht) -Risse in den Rundnähten
  • Klammervorrichtungen und Risse in den Rundnähten (heutiger Zustand)
  • Klammervorrichtungen und angenommener Durchriss aller Rundnähte

Die Szenarien entsprechen den seit den 1990-er Jahren immer wieder aufgeworfenen Fragen des ENSI. 1998 hatte der TÜV Energie Consult (Süddeutschland und Rheinland) ähnliche Szenarien für die Belastung des Kernmantels bei Erdbeben und Rohrbruch durchgerechnet. Auffällig bei den oben angenommenen Szenarien ist, dass die vertikalen Schweissnähte nicht in Betracht gezogen werden. Der Kernmantel besteht aus acht halbringförmigen Stahlblechen, welche horizontal und vertikal zusammengeschweisst sind. In verschiedenen US-Reaktoren waren schon früh Risse in den vertikalen Nähten entdeckt worden, was zu Nachrüstungen mit Heftklammern über die Schweissnähte geführt hat. Es ist zu bedenken, dass Risse in den vertikalen Schweissnähten erhebliche Verformungen zur Folge haben können und zwingend in den Risikountersuchungen berücksichtigt werden müssen.

Untersuchungen des TÜV: Erschreckende Antworten
Als Erstes ist klarzustellen: Der TÜV hat keine Berechnungen über Robustheit oder gar Versagenswahrscheinlichkeit der Zuganker angestellt. Er hat untersucht, wie verlässlich Zuganker als „Ersatz für Schweissnähte“ im Kernmantel sind. Der Kernmantel hat im Reaktorinneren mehrere sicherheitstechnische Funktionen (was übrigens der gängigen Argumentation von ENSI und BKW widerspricht, es handle sich lediglich um ein nicht druckführendes Strömungsblech):

  • Durch verschiedene Strahlpumpen wird das Reaktorkühlwasser von aussen durch den Kernmantelzylinder in den Kern geleitet.
  • Der Kernmantel trägt die Lasten der meisten Kerneinbauten. Wichtig ist besonders das untere Kerngitter, durch welches die Steuerstäbe zur Abschaltung des Reaktors geführt werden.
  • Kräfte, welche zum Beispiel bei Erdbeben und Rohrbrüchen entstehen, werden durch den Kernmantel abgedämpft.
  • Bei verschiedenen Rohrbrüchen hat der Kernmantel eine Gefässfunktion. Nur dies garantiert, dass der Kernbrennstoff noch ausreichend gekühlt werden kann. Der Raum ausserhalb des Kernmantels ist bei diesem Unfallszenario trockengelegt.

Wegen den Rissen im Kernmantel welche bisher unaufhaltsam weiterwachsen, ist davon auszugehen, dass die Zylinder-Stahlbleche sich bei Unfällen ohne eine Nachrüstung gegeneinander verschieben. Dies kann die Abschaltbarkeit des Reaktors gefährden. Es kann aber auch dazu führen, dass bei Unfällen – gegen welche AKW standardmässig gesichert werden müssen – die Kühlung oder der mechanische Schutz des Brennstoffs versagen.

Der TÜV hat alle Nachweiskriterien und Anforderungen im nationalen und internationalen Regelwerk zusammengestellt, welche an eine Nachrüstung gestellt werden. Das ergibt etliche verschiedene Aspekte, welche berücksichtigt werden müssen:

  • Konstruktionseigenschaften der Zuganker
  • Materialeigenschaften
  • Prüfverfahren und –intervalle
  • Belastungsszenarien (Fehlschliessen kritischer Ventile, Rohrbruch, Fehlfunktion bei der Abschaltung des Reaktors, Erdbeben u.a.m.)

Der TÜV greift auf die internationale Erfahrung zurück. Ausgerechnet im Jahr 2006 waren im US-AKW Hatch 1 in zwei von vier Zugankern Risse entdeckt worden. Dies ereignete sich in Stählen, welche bisher als äusserst rissresistent gegolten hatten. Daraus muss abgeleitet werden, dass die Nachrüstung mit Zugankern selber problematisch ist. Aufgrund einer komplexen Konstruktion der Zuganker und nicht zweifelsfreien Materialien kommt der TÜV zu folgenden Schlüssen:

  • Bezüglich der Zugänglichkeit der Konstruktion für Prüfungen schätzen wir ein, dass im zusammengebauten Zustand viele einzelne Bauteile/Einzelteile (der Zuganker) nicht oder nur eingeschränkt zugänglich und damit nur eingeschränkt prüfbar sind. (S. 36)
  • Die uneingeschränkte Sicherheit des Werkstoffs Inconel X-750 gegenüber IGSCC (intergranulare Spannungsrisskorrosion) kann aufgrund der Schäden an artgleichen Zugankerkonstruktionen in anderen Anlagen bei gleichen Einsatzbedingungen nicht bestätigt werden. (S. 37 f.)
  • Wir sind daher der Meinung, dass … das Konzept der wiederkehrenden Prüfungen und der betrieblichen Überwachung nicht ausreichend ist. Hierauf hat auch der TÜV EC in der Expertise /S4-1/ hingewiesen. Es gibt im KKM (Kernkraftwerk Mühleberg) keine Systeme zur betrieblichen Überwachung, um aufgetretene Schädigungen rechtzeitig zu erkennen. (S. 38)

Aus diesem Urteil des TÜV muss gefolgert werden: Im AKW Mühleberg wurden – und werden – die konstruktiven und werkstoffbedingten Gefahren unterschätzt. Der TÜV erachtet die Prüfungen, welche für die Zuganker vorgenommen werden, als nicht ausreichend. Besonders gravierend ist dieser Umstand, weil 1998 schon der TÜV Energie Consult teilweise darauf hingewiesen hat. Dies lässt sehr an der Seriosität des ENSI zweifeln.

Weiter führt der TÜV aus:

  • Aufgrund dieser Erkenntnisse kommen wir zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass der Erhalt der Integrität der Zugankerkonstruktion im Betrieb (d.h. Normalbetrieb) und bei Störfällen nicht uneingeschränkt vorausgesetzt werden kann. (S. 38)
  • Darüber hinaus ergeben unsere Betrachtungen, dass das Versagen eines Zugankers sowohl als auslösendes Ereignis als auch als Einzelfehler bei einem Auslegungsstörfall … zu berücksichtigen sind. (S.42)

Aufgrund dieser zum Teil vernichtenden Analysen kommt der TÜV zu einem achtzehnseitigen ausführlichen Anforderungs-und Bewertungskatalog. Es werden nicht nur Szenarien aufgestellt, für welche die Integrität des Kernmantels und der Zuganker nachgewiesen werden müssen. Die schlimmste Erkenntnis ist, dass die Zuganker, welche als Nachrüstung und Sicherheitskomponente für den Kernmantel gedacht sind, selbst zum Risiko werden können. Es muss nicht nur ihr Versagen bei einem Unfall angenommen werden, sondern es muss auch angenommen werden, dass sie spontan abreissen und selbst einen Unfall auslösen können.

Das ENSI hat der BKW Energie AG, Betreiberin des AKWs Mühleberg, über vier Jahre Zeit gegeben, ein erweitertes Nachrüstkonzept vorzuschlagen. Damit ist noch nichts real unternommen. Zum Vergleich: 1998 hat der TÜV Energie Konsult die Szenarien in ein paar Monaten durchgerechnet. Sowohl die Herstellerfirma General Electric, als auch andere Konzerne verfügen über eine Vielzahl von Möglichkeiten für Berechnungen und Patente für Nachrüstungen, welche international geforderten Standards genügen.

Es ist ein Skandal, dass das ENSI den Betreibern dermassen viel Zeit einräumt. In all seinen Äusserungen gegenüber der Öffentlichkeit und sogar innerhalb des Beschwerdeverfahrens kommt die Geringschätzung der Sicherheitsfunktionen des Kernmantels zum Ausdruck.

Zur Abbildung Innern des Reaktordruckbehälters (siehe Bild Links)
Der Kernmantel ist ein abgestufter Stahlzylinder im Innern des Reaktordruckbehälters, welcher aus mehreren Stahlblechen zusammengeschweisst ist, auf einer Kernmantelabstützung steht und mit den meisten anderen Kerneinbauten verbunden ist. Der Kernmantel umhüllt die Kernbrennstäbe und trägt deren Halterung und das Führungsgitter für die Steuerstäbe, welche zur Abschaltung des Reaktors von unten in den Kern geschoben werden. In der Abbildung sind die verschiedenen Stahlbleche und die von Rissen befallenen Schweissnähte zu sehen. Die kritische Schweissnaht ist die H11, welche zu mehr als einem Viertel gerissen ist. Die Zuganker greifen im Raum zwischen Kernmantel und Reaktordruckbehälter in Längsrichtung über den ganzen Kernmantel und sind gegen den Reaktordruckbehälter verstrebt.

Text: Mühleberg Ver-fahren

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3 Kommentare

Markus Laubacher

Schlimm ist die Erkenntnis, dass die Zuganker die nachträglich montiert wurden per se ein Risiko darstellen. Nach dem Zusammenbau sind nicht mehr alle Teile dieser einsehbar, was eine visuelle oder gegebenenfalls Röntgenuntersuchung aller wichtigen Teile also verunmöglicht. Auch von der Steuerngszentrale aus gibt es keine lückenlose Überwachung der Zuganker. Auch schlimm: In ausländischen überalterten KKws sind bereits schon Zuganker beschädigt. Die Frage ist berechtigt: Können bei Versagen eines oder ev. zwei Zuganker bei Erdbeben extreme Verzüge - hervorgerufen durch die restlichen Zuganker - im Kernmantel hervorgerufen werden? Können dann die Steuerungsstäbe zur Abschaltung des Reaktors noch ungehindert eingeführt werden? Es sind viele Unwägbarkeiten im Bereich Sicherheit bei dieser "Reparatur" resp. prospektiven Stabilisierung vorhanden.

Georg Hanselmann

Ich wieder, aber mir stehen die Haare zu Berge ob solcher Aroganz von diesem ENSI und der ganzen hoch gejubelten Atom-Lobby. Nicht sofort abschalten das geht nicht. Aber diese Herren sollten sofort des Amtes endhoben werden und streng bestraft werden, denn sie gefähren die ganze Bevölkerung. Sie wissen es aber sie machen nichts, nur um Ihre Kasse zu fühlen.
Mit freundlichem Gruss an alle vernünftigen und klugen Köpfe, die in die Zukunft schauen.
Georg Hanselmann

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