Manche Beobachter interpretieren die mehrheitliche Ablehnung der Initiative als Votum pro Atomenergie. Die Befragungsergebnisse unterstützen diese Interpretation nicht.

Schweizer Energiepolitik: Frauen und Junge finden kein Gehör

(unisg) 53% der Frauen und 56% der unter Dreissigjährigen haben die Atomausstiegsinitiative der Grünen angenommen, während nur 39% der Männer und 37% der über Sechzigjährigen dem Vorschlag zustimmten, die Laufzeit der Schweizer AKW auf 45 Jahre zu beschränken. Den Ursachen dieser Unterschiede geht eine repräsentative Umfrage der Universität St.Gallen auf den Grund.


Forschende des Instituts für Wirtschaft und Ökologie an der Universität St.Gallen (IWÖ-HSG) haben die Meinungsbildung von über 1000 Stimmberechtigten im Vorfeld der Abstimmung untersucht. Aus der Studie, die das amtliche Ergebnis mit einer Abweichung von lediglich 0.2 Prozentpunkten abbildet, lassen sich erste Schlüsse für die bevorstehende Volksabstimmung über die Energiestrategie 2050 ziehen.

Markante Unterschiede
Während sechs Wochen vor der Abstimmung vom 27. November 2016 noch 62% der Befragten angaben, der Initiative «sicher» oder «eher» zustimmen zu wollen, lag die Zustimmung drei Wochen vor der Abstimmung noch bei 50% und nahm bis zum Abstimmungstag auf knapp 46% ab. Der Trend war bei Männern und Frauen festzustellen, die Unterschiede in der Zustimmung der Geschlechter blieben jedoch bis zuletzt markant. Bemerkenswert war zudem, dass Männer sich früher auf eine Ablehnung festlegten. In der ersten Befragung hatten bereits 25% der Männer, aber nur 8% der Frauen angegeben, die Initiative «sicher» ablehnen zu wollen. In der Kommunikation über die Initiative könnte das ein Vorteil gewesen sein: In Haushalten, in welchen mindestens ein anderes Mitglied die Initiative ablehnte, stimmten lediglich 22% der Frauen mit ja.

Wissensdefizite überwinden
Ein aktueller Trend in vielen Politikbereichen ist die zunehmende Polarisierung des Informations- und Kommunikationsverhaltens. Auch bei der Atomausstiegsinitiative gaben 59% der Befragten an, sich «oft» oder «manchmal» mit Gleichgesinnten ausgetauscht zu haben, während lediglich 45% der Befragten «oft» oder «manchmal» mit Andersdenkenden diskutierten. Im Zusammenhang mit der US- Präsidentschaftswahl wird aktuell diskutiert, ob die Bildung von sogenannten «Echokammern», in denen Gleichgesinnte Informationen nur noch begrenzt auf ihren Realitätsgehalt überprüfen, einen Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse hat. Bei der Atomausstiegsinitiative fällt auf, dass ein hoher Teil der Befragten eine Reihe von Wissensfragen nicht richtig beantworten konnte, und dass die Zustimmung zur Initiative mit höherem Wissen linear zunahm. Für künftige Abstimmungen im Energiebereich lässt sich hieraus Handlungsbedarf ableiten.

Stabile Präferenzen
Manche Beobachter interpretieren die mehrheitliche Ablehnung der Initiative als Votum pro Atomenergie. Die Befragungsergebnisse unterstützen diese Interpretation nicht. In der ersten Befragungswelle stimmten 74% der Aussage zu, die Schweiz solle aus der Atomenergie aussteigen und in erneuerbare Energien investieren, lediglich 17% verneinten dies. In der ersten und dritten Befragungswelle zeigten sich 62% bzw. 64% überzeugt, dass ein geordneter Atomausstieg machbar sei, da neue Technologien zur klimafreundlichen Stromerzeugung die Versorgungslücke schliessen könnten. Entscheidend für die mehrheitliche Ablehnung war demnach der nach Meinung der Gegner zu ambitionierte Zeitplan, der jedoch nur von einer Minderheit realitätsgetreu wahrgenommen wurde. Rund zwei Drittel der Befragten nahmen an, dass bei einer Annahme der Initiative innerhalb der nächsten zwei Jahre 50% der Schweizer Stromproduktion durch andere Quellen ersetzt werden müsse - in Tat und Wahrheit machen die drei älteren AKW, die in diesem Zeitraum abgeschaltet werden sollten, weniger als 15% der Stromproduktion aus. Lediglich 39% der in diesem Punkt falsch Informierten stimmten der Initiative zu, während der Anteil bei den richtig Informierten bei 57% lag.

Zustimmungstrend zur Energiestrategie 2050
Im Vorfeld der Abstimmung hatten der Bundesrat und die Mehrheit des Parlaments die Energiestrategie 2050 als Alternative zur Atomausstiegsinitiative der Grünen dargestellt. Würde die Energiestrategie heute vors Volk kommen, hätte sie gute Chancen, eine Mehrheit zu finden. Lediglich 11% der Befragten geben an, «eher» oder «sicher» gegen die Energiestrategie zu sein, 55% sind «sicher» oder «eher» dafür. Am höchsten ist der Anteil derer, die bereits eine positive Abstimmungsabsicht bekunden, unter den liberalen Parteien. 76% der GLP-Wähler und 68% der FDP- Wähler geben an, «sicher» oder «eher» für die Energiestrategie zu stimmen. Bei den SVP-Wählern liegt dieser Anteil bei 40%, gegenüber 21%, die «sicher» oder «eher» nein stimmen wollen. Im Unterschied zur Atomausstiegsinitiative, bei der sich viele Befragte frühzeitig festgelegt hatten, ist der Anteil Unentschlossener jedoch noch relativ hoch.

Studie: Meinungsbildungsprozesse bei energiepolitischen Volksabstimmungen >>

Text: Universität St. Gallen, Institut für Wirtschaft und Ökologie

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