Am 21.9.15 (Pfeil oben) waren die Stauseen mit 87.3% voller als die fünf Jahre zuvor. Am 14. 12.15 (Pfeil unten) lag der Füllungsgrad mit 50.7% bereits weit darunter. Die vertikale, schwarze Linie zeigt die Differenz der Jahre 2014 und 2015.

BFE-Direktor Walter Steinmann: «Worst Case kalte Nächte». Bild: SRF

Alpiq-Vertreter Werner Meier anlässlich der Krisensitzung in Bern: Ein Mann mit zwei Hüten. Bild: SRF

Der Schweizer Strompreisinex Swissix lag am 17. Dezember 2015 bei rund 7.3 Rp./kWh (Peakload), also rund 3.5 Rp./kWh höher als der Phelix (siehe unten folgende Grafik). Grafik: EPEXSPOT

Der Strompreisindex Phelix für Deutschland und Österreich lag am 17. Dezember 2015 bei rund 3.8 Rp./kWh. Grafik: EPEXSPOT

Infosperber: Die Strombranche hält uns mit Blackoutszenarien zum Narren

(©Kurt Marti/Infosperber) Die Stromwirtschaft hat in den letzten drei Monaten die Stauseen halbgeleert und jetzt schreckt sie uns mit dem «Blackout». Doch die Leerung der Alpenbatterien geschah ohne Not, denn der November war aussergewöhnlich mild und die Schweiz hätte billigen Strom importieren können.


Mitte September 2015 waren die Schweizer Stauseen so voll wie schon lange nicht mehr: 87.3 Prozent betrug der Füllungsgrad. Anfang Oktober titelten die Medien euphorisch: «Stauseen trotz Rekordsommer überdurchschnittlich gefüllt». Mitte Dezember, nur zwei Monate später, waren die Speicherkraftwerke mit einem Füllungsgrad von 50.7 Prozent halbleer. Zum Vergleich: Im Vorjahr waren die Stauseen zu diesem Zeitpunkt zu 67 Prozent gefüllt, wie die oberste Grafik links zeigt.

Leerung der Alpenbatterien geschah ohne Not
Ein Blick in die Entwicklung der Strompreise an der Börse liefert den Grund für diese Entwicklung: Im Sommer lagen die Strompreise laut dem Schweizer Strompreis-Index Swissix im Keller und die Strombranche hielt das Wasser in den Speicherkraftwerken zurück. Ab September stiegen die Strompreise an und die Stromwirtschaft begann auf Teufel komm raus mit der Produktion von Speicherstrom. Die Kassen der Strombarone klingelten und die Speicherseen leerten sich.

Doch die Leerung der Alpenbatterien geschah ohne Not, denn der November war aussergewöhnlich mild und die Schweiz hätte billigen Strom importieren können, denn die Strompreise beispielsweise in Deutschland lagen rund ein bis zwei Rappen unter den Schweizer Preisen. Die Strombranche wurde ganz offensichtlich von einer Torschluss-Panik erfasst. Statt die Spitzenzeiten im Winter abzuwarten, verpulverten sie den wertvollen Speicherstrom bereits im Herbst und Frühwinter. Frei nach dem Motto: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Die Sicherheit der Landesversorgung verloren sie dabei ganz aus den Augen.

Krisenstab des Bundes ohne Kritik an Strombranche
Anfang Dezember schreckte die Schweizer Netzgesellschaft Swissgrid die Bevölkerung mit der Drohung eines Strom-Kollapses auf, nota bene in Zeiten der europäischen Stromschwemme. Kaum hatte die Swissgrid die unglaubliche Hiobsbotschaft verkündet, folgte die politische Propaganda des Verbandes Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE), der die Gunst der Stunde nutzte und den sofortigen Ausbau des Stromnetzes, die Unterstützung der Wasserkraft und die Fortführung der beiden AKW Beznau verlangte. Mit Hilfe der Schweizer Medien funktionierte der Schachzug bestens. Die Stromlobby konnte damit von den eigenen Fehlleistungen (fehlende Transformatoren, Leerung der Speicherseen) ablenken und die Bevölkerung zum Narren halten.

Am letzten Dienstag rief das Bundesamt für Energie (BFE) sogar den Krisenstab des Bundes zusammen. Zahlreiche Bundesamts-Direktoren und die Vertreter der Stromwirtschaft brüteten über dem angeblich drohenden Strom-Kollaps. BFE-Direktor Walter Steinmann sprach mit besorgter Miene in die Kamera der SRF-Tagesschau: «Der Worst Case wäre dann, wenn wir ganz kalte Nächte und Tage hätten – also viel Nachfrage – und auf der anderen Seite die Stauseen bereits leer wären, und wir diese Strommenge nicht mehr produzieren können.»

Auf eine Erklärung beziehungsweise eine Kritik, wieso die Schweizer Stauseen bereits Mitte Dezember halbleer waren, wartete man vergeblich. Zu sehr stecken Stromwirtschaft und BFE traditionell unter einer Decke. Dabei wäre es die Aufgabe des BFE, der Stromwirtschaft auf die Finger zu schauen, um solche krassen Fehlentwicklungen zu verhindern.

Der Alpiq-Filz zieht seine Fäden
Und nun macht der Bundesrat den Bock auch noch zum Gärtner. Denn am BFE-Krisengipfel nahm nicht ganz zufällig Werner Meier teil, der Leiter Group Security und Business Continuity Management der Alpiq AG. Nota bene der Vertreter jenes Strom-Konzerns, der für den angeblich drohenden Blackout mitverantwortlich ist. Doch damit nicht genug: Meier trägt seit Jahren auch einen zweiten Hut: Er ist gleichzeitig Leiter des Bereichs Energie der Milizorganisation der wirtschaftlichen Landesversorgung und ab Januar 2016 sogar Delegierter für wirtschaftliche Landesversorgung.

Damit hat der Alpiq-Konzern, dem in der Vergangenheit der profitable Stromhandel bedeutend näher stand als die sichere Landesversorgung, seinen Interessenvertreter direkt in der Alarmzentrale der Landesversorgung.

Aber auch in der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (ElCom) ziehen die ehemaligen Alpiq-Leute die Fäden: Der ElCom-Ausschuss «Netze und Versorgungssicherheit» wird von Christian Brunner, dem ehemaligen Leiter der Alpiq-Geschäftseinheit Netze, geleitet und ElCom-Vizepräsident ist Antonio Taormina, ehemaliges Mitglied der Alpiq-Geschäftsleitung. Kein Wunder hat sich die ElCom bisher noch nicht öffentlich zur vorzeitigen Leerung der Stauseen geäussert, obwohl die Überwachung der Versorgungssicherheit und der Stromhandel zu ihren Aufgaben gehört.

Pegelstand der Speicherseen sinkt weiter ab
Die Warnsignale der Swissgrid von Anfang Dezember lassen die Produzenten von Speicherstrom offenbar kalt. Statt die Speicherseen endlich zu schonen, senkten sie den Inhalt der Stauseen in den beiden ersten Dezember-Wochen weiter ab, nämlich von rund 60 auf 50 Prozent. Dabei profitierten sie von den hohen Inlandpreisen, die auch wegen dem Ausfall der beiden Beznau-Reaktoren zur Zeit rund 3.5 Rp./kWh höher sind als beispielsweise in Deutschland oder Österreich, wie die 2. und 3. Grafiken links zeigen.

Für die Strombarone ist die sichere Landesversorgung offensichtlich zweitrangig. Viel lieber schüren sie die Angst vor dem Blackout und füllen ihre Kassen. Die Kritik an der vorzeitigen Leerung der Stauseen ist deshalb nur ein Störfaktor. Aus diesem Grund ist es nicht erstaunlich, dass nun Führungskräfte von Stromkonzernen «Unverständnis über das Vorgehen von Swissgrid» äussern, wie die Handelszeitung gestern berichtete.

Nicht ganz auszuschliessen ist zudem, dass es den Gebirgskantonen langsam dämmert, zumal die Stromwirtschaft aktuell ein interessantes Modell zur Stützung der Wasserkraft per Atomausstieg vorführt. Allerdings bedarf es noch einiger kosmetischer Korrekturen, insbesondere bezüglich der Tugend der Geduld, das heisst konkret: Die Turbinen der Speicherkraftwerke sollten nicht schon bei Tauwetter im Dezember auf Hochtouren laufen, sondern erst, wenn es wirklich kalt ist. Denn dann winken die höheren Preise.

©Text: Kurt Marti, Ersterscheinung Infosperber.ch, er war früher Geschäftsleiter, Redaktor und Beirat der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES)

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