Markus Weber, Präsident des SIA Fachvereins Gebäudetechnik und Energie: «Bei der BIM-Einführung geht es um die Transformation einer Branche ins digitale Zeitalter und die digitale Vernetzung der Wertschöpfungskette». ©Foto: T. Rütti

Paul Curschellas, Präsident von buildingSMART: «Jene Unternehmen werden künftig das Planen, Bauen und Betreiben von Bauwerken dominieren, die über hohe Kompetenzen des digitalen Bauens verfügen». ©Foto: T. Rütti

Zusammengerechnet nahmen der 2-tägigen Veranstaltung im ETH-Auditorium rund 500 Personen teil. Sie alle zweifelten kaum daran, dass der Baubranche der Durchbruch der Digitalisierung in absehbarer Zeit gelingt. ©Foto: T. Rütti

Marco Waldhauser, Ingenieurbüro Waldhauser + Hermann AG: «Es existierten digitale Gebäudemodelle, welche die Grundlage vieler Berechnungen bilden, wie Wärmeschutznachweise oder thermische Simulationen.» ©Foto: T. Rütti

Gefeiert wurde die Lancierung der IG «Bauen digital Schweiz» auf der ETH-Dachterrasse «Dozentenfoyer». Die Gründung soll Anfang 2016 erfolgen, gefolgt von der Umsetzung der Massnahmen, die derzeit definiert werden. ©Foto: T. Rütti

Selbst die Errichtung eines Blockheizkraftwerks mit quartierweitem Leitungsnetz verursacht temporär gewisse Behinderungen. Ob sich diese wohl dank 3-D-Technologie etwas minimieren lassen? ©Foto: T. Rütti

Bauwirtschaft: Eher zögerlich schreitet sie voran, die Digitalisierung

(©TR) Mit einem gewissen Nachholbedarf und im Vergleich zu anderen Branchen und Ländern mit einiger Verspätung etabliert sich das digitales Planen, Bauen und Betreiben auch in der Schweizer Bauwirtschaft. Über die Digitalisierung der Branche diskutierten am 11. und 12. Juni 2015 an der ETH Zürich über 500 Vertreter der Bauwirtschaft mit Experten aus dem In- und Ausland. Sie soll auch den Energieeffizienz-Potenziale im Bau auf die Sprünge helfen.

 
Eingeladen zur Tagung «BIM-Einführung in der Schweiz» hatten der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein SIA und die Branchenplattform buildingSMART; BIM steht für Building Information Modelling. Höhepunkt war die Lancierung der Interessengemeinschaft «Bauen digital Schweiz», deren Aufgabe eine koordinierte Einführung der Digitalisierung in der Schweizer Bauwirtschaft ist.

Die offizielle Gründung der IG «Bauen digital Schweiz» ist für Anfang 2016 vorgesehen. Derzeit laufen die Vorarbeiten und die Ausformulierung der geplanten Massnahmen auf Hochtouren. Und man ist dabei, das Merkblatt «SIA 2051 BIM» zu erarbeiten – ein Leitfaden, in dem erläutert wird, wie sich BIM-Prozesse organisieren lassen. Antriebsfeder all dieser Aktivitäten ist die Tatsache, dass die Digitalisierung in anderen Branchen sowie in diverse anderen Länder bereits weit fortgeschritten ist, bei der hiesigen Bauwirtschaft aber noch Nachholbedarf besteht. Dabei gewinnt digitales Planen, Bauen und Betreiben – «Building Information Modelling» (BIM) – auch in der Schweizer Bauwirtschaft zusehends an Bedeutung. Architektur, Ingenieurbaukunst, Technik, Umwelt und Energie – all diese Bereiche können betroffen oder gemeint sein, wann immer der Begriff «erst digital – dann real» auftaucht. Es sind dies lauter Sparten, die vielfach mehr oder weniger stark auch in Verbindung mit erneuerbarer Energie und Energieeffizienz stehen.

Fatal wäre, BIM stiefmütterlich zu behandeln
Der Tenor der zweitägigen Veranstaltung an der ETH Zürich «BIM-Einführung in der Schweiz» lautete: Fatal wäre, «Building Information Modelling» stiefmütterlich zu behandeln oder gar zu ignorieren, wurde doch BIM auf EU-Ebene bei öffentlichen Ausschreibungen bereits als wichtiger Wettbewerbsbestanteil deklariert. Um im internationalen Wettbewerb nicht unterzugehen, setzt sich jetzt das Schweizer Bau- und Planungswesen intensiv mit der Integration von BIM auseinander. So auch an der Jahrestagung des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins SIA sowie von buildingSMART, der gemeinsamen Plattform der Baubranche. Elemente der 2-tägigen Zusammenkunft an der ETH Zürich waren die Module «Nachfrage nach BIM: Was fordern die Besteller?», «Angebot heute: Wo stehen wir?», «Geschäftsmodelle mit BIM: Was funktioniert?» und der Workshop «Innovation/Businesscreation in der Planung», geleitet von Dr. oec. Christoph H. Wecht, Hochschule St. Gallen. Nicht zu vergessen, die moderierten Talkrunden, bei denen sich auch die Zuhörer aus dem Auditorium einbringen durften.

Die teure Heizung ist auf einmal die billige
Bezüglich Energieeffizienz und erneuerbaren Energien bietet BIM zweifellos einiges. Mehr noch: Die Energie sei sogar eines der BIM-Hauptargumente, sagte Philipp Dohmen gegenüber ee-news.ch auf Anfrage. Im Namen der Plattform buildingSMART Schweiz erklärt er weiter: «Die Baubranche ist einer der grössten Emissionsverursacher. Wir brauchen hier dringend bessere Einblicke, um Verbesserungen umsetzten zu können. Einen grossen Nutzenl bieten dabei Modelle. Gewisse Aspekte können wir simulieren und zueinander in Bezug setzen.» Laut Architekt Dohmen kommt man ohne Simulation am Modell «nicht weiter, wenn man das Thema Nachhaltigkeit ernst nimmt und die Energie auch im Hinblick auf die verwendeten Materialien und eingesetzten System hin untersuchen möchte». «Die Ergebnisse sind auf jeden Fall spannend, denn wahrscheinlich ist ein Wärmedämmverbundsystem WDVS mit Blick auf Unterhalt und Entsorgung die wahrscheinlich teuerste Fassade, die man bauen kann. Und beim Vergleich von Wärmepumpe und Ölheizung sowie unter Berücksichtigung einer normalen Preissteigerung beim Öl bei einer gleichzeitig immer günstigeren Photovoltaik erhält man erstaunliche Ergebnisse: Da ist die teure Heizung auf einmal die billige. BIM ermöglicht Simulationen und damit eine genauere Zukunftsprognose. Aufgrund dieser besseren Informationen können wir auch bessere Entscheidungen treffen – besser auch hinsichtlich Energie und Nachhaltigkeit», so Philipp Dohmen, Senior BIM Manager bei der Firma Drees & Sommer (Hauptsitz Stuttgart/D), die Bauherren und Investoren in Immobilienbelangen begleitet.

Konventionelle Methoden stossen an ihre Grenzen
Das herrschende Marktumfeld wurde an der Tagung etwa wie folgt skizziert: Neben steigenden Anforderungen an Energieeffizienz, CO2-Reduktion und Nachhaltigkeit wird die Zusammenarbeit aller Beteiligten immer komplexer. Konventionelle Methoden stossen hier leicht an ihre Grenzen: Ineffizienz in der Zusammenarbeit, lange Planungs- und Bauzeiten sowie Qualitätsmängel können die Konsequenzen sein. BIM ist eine Methode, um die Komplexität in den Planungs-, Bau- und Bewirtschaftungsprozesse in den Griff zu bekommen. Vielfach steht den Akteuren in der Praxis zwar eine Vielzahl an Informationen und Tools zur Verfügung. Doch nur ein Teil davon wird wirklich benötigt bezinungsweise angewandt. Auch die Reduktion der Informationsflut könnte eine Grundlage zur Optimierungen sein, desgleichen die Standardisierung und Modularisierung.

Angefangen beim Primär-, Grau- und Mobilitäts-Energiebedarf

Laut Markus Weber spricht man zwar seit Jahren von der Digitalisierung in der Baubranche. Doch längst nicht alle Protagonisten hätten bisher den Weg zum «digitalen Bauen» auch tatsächlich beschritten beziehungsweise erfolgreich geschafft. Jetzt aber werde die Bauwirtschaft zum Handeln gezwungen: «Was in Grossbritannien, den Niederlanden oder in Skandinavien bereits staatlich und damit per Gesetz gefordert wird, treibt auch die Europäische Union mittels BIM-Taskforce voran», so der Präsident des SIA Fachvereins Gebäudetechnik und Energie. Bevor eine Immobilie real gebaut oder saniert werde, soll man sie in einem ersten Schritt virtuell konstruieren und optimieren. Dabei könne die Optimierung über den gesamten Lebenszyklus eines Objektes erfolgen, angefangen beim Primär-, Grau- und Mobilitäts-Energiebedarf über die Baulogistik bis hin zur Nutzung, den Betrieb und den Unterhalt. Durch den zunehmenden Einsatz von dynamischen Simulationen lassen sich laut Markus Weber Entscheidungen schneller, effizienter und basierend auf relevanten Informationen treffen.

Nicht nur ein Wechsel von 2D- hin zur 3D-Planung

«Die Wertschöpfung ist nach der Bauvollendung nicht etwa bereits abgeschlossen: Die digitalen Elemente und deren Informationen könnten im Betrieb weiterverwendet und die gemachten ‹realen› Erfahrungen im nächsten ‹virtuellen› Projekt berücksichtigt werden», so Elektroingenieur Weber, auch Vorsitzender der Konferenz der Gebäudetechnik-Verbände. Er sieht in der BIM-Einführung in der Schweiz «nicht nur einen Wechsel von der 2D- hin zur 3D-Planung». Es gehe vielmehr «um die Transformation einer ganzen Branche ins digitale Zeitalter, also die digitale Vernetzung der gesamten Wertschöpfungskette». Die vielen kleinen und mittleren Unternehmungen, welche die Schweizer Bauwirtschaft ausmachten, könnten diese Entwicklungsschritte jedoch kaum alleine vollziehen, vor allem mit Blick auf das von der globalen Konkurrenz angeschlagene Tempo. Es brauche das Zusammenwirken aller an Planung, Bau und Betrieb Beteiligten – es brauche Information, Koordination und Unterstützung. Die Schweizer Bau- und Immobilienbranche müsse diese Herausforderung gemeinsam angehen.

Unternehmen mit digitalen Defiziten haben das Nachsehen

Für Paul Curschellas werden künftig «jene Unternehmen das Planen, Bauen und Betreiben von Bauwerken prägen und somit den Markt dominieren, die über hohe Kompetenzen im digitalen Bauen verfügen». Unternehmen mit diesbezüglichen Defiziten hätten indessen das Nachsehen, ist der Präsident der Plattform buildingSMART überzeugt. Unternehmen mit fehlenden Digital-Kompetenzen müssten sich allenfalls mit Nischen begnügen und die Vorherrschaft und Dominanz den gewiefteren Playern überlassen. Laut Paul Curschellas hinkt übrigens in Sachen Digitalisierung kaum ein anderer Wirtschaftszweig dermassen hinterher wie das Bauen, wie Studien von Wirtschaftsforschungsunternehmen gezeigt hätten. «Wir sind gefordert, uns vermehrt mit der Integration dieser Methode zu befassen, um im Wettbewerb Bestand zu haben statt unterzugehen», so Architekt Curschellas.

Nehmen wir als
Beispiel die Gebäudetechnik
Was man sich in der Praxis unter BIM vorstellen kann, sei hier stellvertretend anhand der Gebäudetechnik dargestellt. In dieser Domäne kommt der räumlichen Planung mittels 3D-Unterstützung zwar seit Jahren eine Schlüsselfunktion zu. Und doch soll es immer noch diverse Planer geben, die sich schwer damit tun, wie Marco Waldhauser vom Ingenieurbüro Waldhauser + Hermann AG erklärte. Dabei existierten sinnvolle digitale Gebäudemodelle, welche die Grundlage vieler Berechnungen bildeten, etwa Wärmeschutznachweise, thermische Simulationen, Heiz- und Kühllast etc. «Bis dato wurden die Gebäudemodelle im Zuge einer Planung in verschiedensten Tools oft zigfach neu definiert – und dies überwiegend in bloss tabellarischer Form. Einen unvergleichbar höheren Wert verspricht hingegen ein Gebäudemodell, das in universellem Format für verschiedenste Zwecke nutzbar ist», so Dipl. Ing. HTL Waldhauser. Die von ihm präsentierten Energiesimulationen und Energieberechnungen liessen erahnen, wie immens das digitale Betätigungsfeld allein in der Sparte Energie sein muss, aber auch in Architektur, Ingenieurbaukunst, Technik, Umwelt, Facility Management, Organisation, und Informatik.

Koordination aller relevanten Organisationen und Partner
 
Die Interessengemeinschaft «Bauen digital Schweiz», welche Anfang 2016 offiziell gegründet werden soll, informiert und koordiniert künftig alle relevanten Organisationen und Partner der gesamten Wertschöpfungskette «Planung, Bau und Betrieb» mit Fokus auf ein gemeinsames Ziel: Die Schweizer Bauwirtschaft nachhaltig zu unterstützen und ihre Konkurrenzfähigkeit zu erhöhen – auch international. Die IG soll in den drei Handlungsfeldern – Information/Kommunikation, Bildung/Wissen und Normierung/Standardisierung wirken. Sie soll das gemeinsame nationale Verständnis fördern, die Nachfrage und das Angebot koordinieren und bei der Umsetzung der Aufgaben aktive Unterstützung bieten. Erstmals vorgestellt wurde die Idee einer solchen Interessengemeinschaft bereits im Jahre 2013. Die IG «Bauen digital Schweiz» heisse Bauherren, Planer, Unternehmer und Vertreter aus dem Bildungswesen willkommen, wurden die etwa 500 Tagungsteilnehmer orientiert. Die IG-Lancierung feierten sie in der Abendsonne auf der ETH-Dachterrasse «Dozentenfoyer».

Herunterladen der Präsentationen der Referenten>>


©Text: Toni Rütti, Redaktor ee-news.ch

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