Die IEA nimmt an, dass die Schieferölförderung in den USA zu Beginn der 2020er Jahre ihren Peak erreicht und danach zurückgeht. ©Grafik: WEO 2014

ASPO: Kassandrarufe in die Erdölparty - WEO 2014 Nachlese

(ASPO) Das Auffälligste ist auf den ersten Blick seine Unauffälligkeit. Der im November erschienene World Energy Outlook (WEO) der Internationalen Energie Agentur (IEA) wurde von den Leitmedien weitgehend ignoriert. Dies ist erstaunlich, zollen doch die Journalisten der jährlich erscheinenden Prognose zur Entwicklung des globalen Energiemarktes gewöhnlich grosse Aufmerksamkeit.


Der WEO 2012 zum Beispiel, der zumindest im Executive Summary suggerierte, dass die Welt dank Fracking von Öl und Gas in ein neues Zeitalter des Energieüberflusses katapultiert werde, wurde während Wochen allerorten breitgeschlagen und als endgültiger Beweis für die anbrechende Energierevolution ins Feld geführt. (Auf ee-news.ch veröffentlichte am 28.11.4 eine Übersetzung der Pressemeldung zum WEO 2014 >>.)
 
Wirft man einen Blick in die jüngste Ausgabe, wird das mediale Schweigen allerdings schnell verständlich. Zu stark widersprechen die Prognosen des WEO 2014 den Schlagzeilen und Triumphmeldungen der letzten Wochen und Monaten. Im Zuge des Preiszerfalls der Erdölpreise, die Ende Jahr 2014 um 60% tiefer notierten als im Juni, überschlugen sich Pressemeldungen und Expertenanalysen, welche wahlweise eine neue Zeit des Energieüberflusses mit dauerhaft tiefen Ölpreisen, das Ende der OPEC oder gar die Ablösung des Nahen Ostens als Zentrum der globalen Erdölförderung durch Nordamerika verkündeten. Und was sagt die IEA, seit ihrer Gründung eine führende Stimme der Energieoptimisten, dazu?

In danger of falling short of the hopes and expectations
Die Hauptaussage des WEO 2014 ist klar und deutlich: „The global energy system is in danger of falling short of the hopes and expectations placed upon it.“ Das kurzfristige Bild eines gut versorgten Ölmarktes könne nicht über die grossen und zahlreichen Herausforderungen hinwegtäuschen, mit denen sich die globale Erdölförderung schon bald konfrontiert sehe. Allem voran wird vor einer zunehmenden Abhängigkeit von einer relativ kleinen Zahl von Förderländern und dem Risiko ungenügender („Upstream“-)Investitionen gewarnt. Ausserdem sei spätestens mittelfristig eine Rückkehr zu hohen Ölpreisen unvermeidlich. Kein Wunder stiess diese Botschaft auf taube Ohren, wirkt die Mahnung der IEA in dem gerade eine Ölreichtumsfeier zelebrierenden Blätterwald etwa wie der gnadenlose Sopran einer Mutter, die auf dem Höhepunkt einer Fete in den Partykeller stürmt, die Musik ausschaltet und die Freunde ihres Zöglings nach Hause beordert. Welche konkreten Analysen aber bringen die konformistische IEA dazu, in einer Zeit des allgemeinen Enthusiasmus den Mahnfinger zu heben?
 
Ausbleibende Investitionen in die Erschliessung?
Zwar verortet die IEA, anders als die ASPO Schweiz, Peak Oil nicht in den nächsten zehn Jahren, sondern prognostiziert, dass hohe Energiepreise und politische Massnahmen einen Ausbau der Fördermenge von heute 90 auf 104 Millionen Fass pro Tag ermöglichten, ehe gegen das Jahr 2040 schliesslich ein Plateau erreicht werde. Die IEA geht aber – wie auch die ASPO – davon aus, dass die Party mit dem Schieferöl schneller zu Ende gehen wird, als dies vielen Menschen bewusst ist. So nimmt die IEA an, dass die Schieferölförderung in den USA zu Beginn der 2020er Jahre ihren Peak erreicht und danach zurückgeht. Spätestens dann werde die globale Erdölversorgung durch eine Reihe von ernsthaften Herausforderungen bedroht:

  • Die technischen Schwierigkeiten und hohen Kosten bei der Entwicklung der brasilianischen Tiefseefelder
  • Die Schwierigkeit, ausserhalb von Nordamerika bedeutende Mengen Schieferöl zu fördern und damit die amerikanische „Erfolgsgeschichte“ zu exportieren
  • Ungelöste Fragen bezüglich des Abbaupotenzials von Ölsanden in Kanada
  • Wirtschaftssanktionen, die den Zugang Russlands zu Technologien und Kapitalmärkten einschränken
  • Politische Krisen und Sicherheitsprobleme im Irak

 
Die IEA stellt fest, dass in Zukunft gewaltige Investitionen (gesprochen wird von 900 Milliarden Dollar pro Jahr) in die Erdölförderung gesteckt werden müssten, um eine ausreichende Versorgung des Marktes zu gewährleisten. Sie sieht diese Investitionen insbesondere durch die skizzierten fünf Problemfelder ernsthaft gefährdet.

Zunehmende Abhängigkeit vom Nahen Osten?
Ausserdem zeichnet die IEA die Gefahr einer zunehmenden Abhängigkeit von einigen wenigen Förderländern im krisengeschüttelten Nahen Osten, die sich ebenfalls im Verlaufe der 2020er Jahre akzentuieren werde. Zu diesem Schluss gelangt die IEA durch ihre Einschätzung, dass die gesamte Erdölförderung ausserhalb des Nahen Ostens – also einschliesslich Schieferöl in den USA, Ölsande in Kanada und der Tiefseeförderung in Brasilien und anderswo – bereits 2020 ein Plateau erreicht und 2024 unaufhaltsam zu sinken beginnt. Auch hier besteht ein beachtlicher Gegensatz zur gegenwärtig von Wirtschaftsjournalisten und Pandits vertretenen Meinung, dass Fracking die dominante Stellung des Nahen Ostens und der OPEC langfristig untergrabe, Nordamerika bald „energieunabhängig“ werde und die USA sogar Saudi-Arabien als „Swing-Produzenten“ ablösen könnten. Die starke Abhängigkeit vom Nahen Osten, die einzige Region, welche noch über grosse Reserven an günstigem Öl verfüge, hält die IEA für zusätzlich problematisch, weil dort einerseits neue Unruhen und bewaffnete Konflikte absehbar seien, andererseits weil es fragwürdig sei, ob die Erdölindustrie im Nahen Osten die gewaltigen Investitionen tätigen werde, die schon bald für den nötigen Ausbau der Förderung erforderlich seien.
 
Zum Schluss lässt der WEO 2014 nochmals ein Bombe platzen, die offenbar auch niemand gehört haben will. In einer detaillierten Analyse, wie sich der Energiemarkt Schwarzafrikas bis zur Mitte des Jahrhunderts entwickeln könnte, fällt die Prognose bezüglich Erdöl ernüchternd aus: Nach einem Peak von gut 6 Millionen Fass im Jahr 2020 falle die gesamthafte Ölförderung aller afrikanischer Länder südlich der Sahara bis 2040 auf 5.3 Millionen ab, während sich durch die wirtschaftliche Entwicklung des Kontinents die Nachfrage nach Erdölprodukten im gleichen Zeitraum auf 4 Millionen Fass pro Tag verdoppeln werde. Dies bedeutet, sollte die Prognose zutreffen, dass Schwarzafrika als Exporteur von Erdöl für den Weltmarkt trotz der jüngsten, hochgejubelten Entdeckungen an der Ostküste innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte in die Bedeutungslosigkeit fallen wird. Dies dürfte an erster Stelle China sehr missfallen, denn das Reich der Mitte hat in den letzten Jahren in gigantischem Ausmass in die langfristige Sicherung von Erdölimporten vom Schwarzen Kontinent investiert.

Text: ASPO Schweiz

            
 

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1 Kommentare

heinbloed

Kaum eine andere regelmaessig erscheinende Prognose liegt jeweils dann so daneben wie die der IEA.

Das lässt sich nachprüfen. Und das haben die Presseorgane mitlerweile sehr leicht mit den el. Medien.
Also werden die IEA-Angaben als das behandelt was sie auch sind:
seichte Unterhaltung.

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