Während der letzten 40 Jahre wurden die Anforderungen an die Wärmedämmung von Gebäuden kontinuierlich erhöht – und damit der Energieverbrauch im Gebäudebereich massgeblich gesenkt. ©Grafik: energie-cluster.ch

Soll einer stärkeren Wärmedämmung oder einer verbesserten Gebäudetechnik der Vorzug gegeben werden – die Matrix gibt Anhaltspunkte für die Prioritätensetzung (siehe auch Kasten am Textschluss). ©Tabelle: energie-cluster.ch

Plusenergie-Sanierung eines 1961 erbauten Wohnhauses in Romanshorn durch das Architekturbüro Viridén+Partner AG, hier vor der Sanierung. ©Bild: Viridén+Partner AG

Im Zuge der Erneuerung wurde das Gebäude verdichtet und auf dem Dach und an den Fassaden mit Photovoltaik-Modulen ausgestattet. ©Bild: Viridén+Partner AG

Die gesamte Fassade dieses neuen Wohn- und Geschäftshaus in der Zürcher City besteht aus mit Pavatex Diffutherm gedämmten Holzständer-Elementen. ©Foto: Pavatex

Fassaden können gegen Energieverluste gedämmt werden, aber sie können auch Energie produzieren: Der Solarstrom, den das Plusenergie-Haus des Architekturbüros Viridén+Partner AG in Romanshorn erzeugt, stammt zu einem massgeblich Teil von der Fassade. ©Grafik: Viridén + Partner AG, Zürich

Die Fachleute gelangten am BFE-Seminar zu einem Konsens über die Prioritäten, wenn bei der Investition des vorhandenen Kapitals Zielkonflikte zwischen mehr Gebäudetechnik (beispielsweise dem Einsatz von Photovoltaik-Anlagen) und besserer Wärmedämmung bestehen.

Gebäude: Wärmedämmung versus Gebäudetechnik

(©BV) Neben der Dämmung stehen in den Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn), die im Sommer 2014 in der Vernehmlassung waren, auch zusätzliche Massnahmen beispielsweise im Bereich Gebäudetechnik im Fokus: Optimierung des Betriebs, der lokalen Energieproduktion und des Nutzerverhaltens, aber auch Optimierungen über ganze Areale und Quartiere hinweg.


„Wenn ich zurückblicke auf die 1980er Jahre, fühle ich mich in eine andere Welt versetzt: Wurde damals über Gebäudedämmung diskutiert, ging es um Dämmstärken von drei bis sechs Zentimetern. Heute sind Dämmstärken von über 30 Zentimeter nichts Ungewöhnliches“, sagt Marco Ragonsi. Der 60-jährige Architekt ist Mitinhaber der in Luzern ansässigen RSP Bauphysik AG, und seine Aussage macht deutlich, in welchem Ausmass die Dämmung der Gebäudehüllen zugenommen hat. Um den Energieverbrauch von Gebäuden zu senken, sind die Anforderungen an die Energieeffizienz von Gebäuden stetig gestiegen. Dies lässt sich bei der Gebäudedämmung gewissermassen in Zentimetern ablesen. Die Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn), die im Sommer 2014 in der Vernehmlassung waren, setzen diesen Trend fort: Die Anforderungen an die Dämmwirkung der Gebäudehülle, ausgedrückt im sogenannten U-Wert, werden um ca. 10 % erhöht.

Optimaler Wärmeschutz aus ökologischer Sicht
Die Entwicklung der Wärmedämmstandards in den letzten Jahrzehnten ist aus energetischer Sicht eine Schweizer Erfolgsgeschichte (siehe Grafik linkgs zu oberst). Doch Wärmedämmung hat ihre Grenzen. Nicht nur wegen den Kosten, sondern auch aus ökologischer Sicht. „Je grösser die Dämmstärke, desto geringer der Zusatznutzen. Es gibt sogar eine Grenzdicke, ab der sich jeder weitere Zentimeter kontraproduktiv auswirkt“, sagt Ragonesi. Die Herstellung von Dämmstoffen ist nämlich selber in einem gewissen Mass umweltbelastend und braucht Energie. Diese 'graue' Energie, die in den Dämmstoffen steckt, vermindert die durch die Dämmung erzielte Energieersparnis. Marco Ragonesi hat am Beispiel von vier Gebäudetypen (Doppeleinfamilienhaus, zwei verschiedene Mehrfamilienhäuser, Verwaltungsbau) mit drei verschiedenen Heizungen (Gas/Öl, Holzschnitzel, Wärmepumpe) die maximal zweckmässige Dämmstärke errechnet. Aus seiner Untersuchung zieht Ragonesi folgendes Fazit: „Wo mit fossilen Energien geheizt wird, lohnt sich eine starke Dämmung beispielsweise gemäss dem Standard Minergie-P immer. Wo Wärme und Warmwasser dagegen mit erneuerbare Energien erzeugt werden, ist abhängig von Gebäudetyp und Energieträger mitunter eine weniger starke Dämmung sinnvoller.“

Marco Ragonesi hat seine Thesen im Oktober 2014 anlässlich eines Fachseminars des Bundesamts für Energie vorgestellt. Unterstützung bekam er dabei ausgerechnet von einem Vertreter der Dämmstoff-Industrie. Martin Tobler, Direktor Marketing & Entwicklung bei der Pavatex SA, die heute insbesondere Holzfaserdämmungen anbietet, plädierte für intelligente Verbundlösungen, die den jeweiligen Besonderheiten eines Standorts oder Gebäudes spezifisch Rechnung tragen. Tobler zielte mit seiner Aussage auch auf die Zustände in Deutschland, die er pointiert als 'Dämmstoffdicken-Olympiade' umschrieb. Der Unternehmensvertreter forderte ferner, Dämmmassnahmen künftig besser zu dokumentieren und kontrollieren.

Wie viel und in welchem Fall
Die Äusserungen von Marco Ragonesi und Martin Tobler stehen für einen Paradigmenwechsel. Unter Fachleuten zeichnet sich ein neuer Konsens ab, dass bei U-Werten von 0.2 bis 0.1 W/m2 K der Grenznutzen abgewogen werden muss. Dabei bleibt der Wert einer guten Dämmung unbestritten. Die Absenkung der Grenzwerte für den U-Wert, die die Kantone mit der aktuellen Revision der MuKEn vorschlagen, sei sinnvoll, sagt Olivier Meile, Bereichsleiter Gebäude beim BFE. „Die kantonalen Vorschriften können sich nicht nur an den besten Planern und Architekten ausrichten, die die Energieeffizienz mit verschiedensten Massnahmen optimieren können“, so Meile. „Bei gebäudetechnischen Massnahmen ist die Inbetriebnahme durch Fachleute zentral, um die erwünschte Energieeffizienz zu erzielen. Die Gebäudetechnik muss dann auch im Betrieb weiter überwacht und optimiert werden. Das wird heute nur bei einer Minderheit der Gebäude gemacht.“ Deshalb, so Meile, spielen passive Massnahmen wie eine gute Gebäudedämmung weiterhin eine zentrale Rolle.

Nicht immer ist eine gute Dämmung möglich, insbesondere bei bestehenden Gebäuden. In solchen Fällen kann mit ganzheitlichen Planungen ein Optimum zwischen Dämmung, der Gebäudetechnik und der Produktion von lokal verfügbaren erneuerbaren Energie gefunden werden. Die Fachleute gelangten am BFE-Seminar zu einem Konsens über die Prioritäten, wenn bei der Investition des vorhandenen Kapitals Zielkonflikte zwischen mehr Gebäudetechnik (beispielsweise dem Einsatz von Photovoltaik-Anlagen) und besserer Wärmedämmung bestehen (vgl. Tabelle 02). Vereinfachend wird in der Tabelle nach Gebäuden mit und ohne Fachpersonal und nach verschiedenen Gebäudearten unterschieden.

Komplexe und nicht automatisierte Gebäudetechnik-Lösungen sollten gemäss dieser konsolidierten Fachmeinung also nur eingebaut werden, wenn sie von Fachpersonal vor Ort im Gebäude überwacht und gesteuert werden können, d.h. in der Regel nicht in Wohngebäuden. Die beim Seminar anwesenden Fachleute plädierten auch für mehr schlüsselfertig installierte Systemkomponenten vor allem für Gebäudeerneuerungen, die ohne Fachwissen installiert und energieeffizient betrieben werden können. Das Beispiel der 2SOL Allianz zeigt auf, wie verschiedene Technologieanbieter gemeinsam ein grösseres, gut abgestimmtes System anbieten können. Die Forderung nach mehr Betriebsoptimierungen und Kontrollen stiess bei den Fachleuten auf breite Zustimmung. Als gute Beispiele von Instrumenten wurden das Wärmepumpen-System Modul (Zertifizierungen und Kontrollen der Fachvereinigung Wärmepumpen Schweiz) und der Gebäudeenergieausweis der Kantone (GEAK) erwähnt.

Wirtschaftlichkeit energetischer Sanierungsmassnahmen
Der Verein energie-cluster.ch, der Innovation in den Bereichen Energieeffizienz und erneuerbare Energien fördert, hatte mit Blick auf das BFE-Fachseminar mehrere Thesen formuliert. „Bei der Wahl der Wärmedämmung, Gebäudetechnik und Energieproduktion sollten die Grenzkosten für die Einsparung und für die Produktion von Energie fallweise verglichen werden“, lautete eine der Hauptforderungen des Geschäftsleiters Dr. Frank Kalvelage.

Wie Dämmung, Gebäudetechnik und dezentrale Produktionsanlagen bei Neubauten und Sanierungen ausgelegt werden, darüber entscheidet am Ende nicht zuletzt das Portemonnaie. Das Berechnungsmodell des energie-clusters.ch stützt sich auf über zwei Dutzend Annahmen (z.B. zu künftigen Preisentwicklungen), die transparent ausgewiesen werden. „Ich kann Ihnen wenig definitive Rezepte geben“, sagte Dr. Ruedi Meier, Präsident energie-cluster.ch bei der Vorstellung der Zwischenresultate. Zurzeit sei aber klar, dass der staatlichen Förderung und den Steuerabzügen bei den heute tiefen Energiepreisen ein wichtiger Stellenwert zukomme: „In der heutigen Situation sind Steuerabzüge und Subventionen noch entscheidend für die Wirtschaftlichkeit energetischer Sanierungen.“

Die Vorteile einfacher Gebäudetechnik
Dr. Josef Känzig, der Programmleiter für Wissens- und Technologietransfer des BFE, ergänzte: „Auch dank der staatlichen Förderung und den Steuererleichterungen sind Gebäudebesitzer bereit, hohe Beträge in Gebäudeerneuerungen langfristig zu binden.“ Diese werfen auf lange Sicht eine schöne Rendite ab, lassen sich aber häufig erst nach über 20 Jahren amortisieren. Ein Beispiel dafür ist die EcoRenova AG. Die rund 50 Teilhaber investieren gezielt in energetische Sanierungen mit Pilotcharakter und nehmen dabei kurzfristig gewisse Abstriche bei der Rendite in Kauf. Karl Viridén, Geschäftsführer bei EcoRenova und Miteigentümer des Architekturbüros Viridén+Partner AG, verweist auf die Notwendigkeit von verdichtetem Bauen. „Die Verdichtung ist der erste wichtige Schritt (Dachausbau, Aufstockung, Gebäudeanbau, etc.), der nicht nur für den wirtschaftlichen Erfolg der Investition, sondern auch aus ökologischer Perspektive förderlich ist.“

Mehr Dämmung – einfachere Gebäudetechnik
Viridén hat im laufenden Jahr die Sanierung eines Verwaltungsgebäudes in Flums realisiert und bei einem Teil der Fassade einen sehr tiefen U-Wert von 0.1 W/m2 K erzielt. „Nach meiner Meinung sollte die Gebäudehülle möglichst optimal gedämmt werden, um den Energiebedarf eines Gebäudes möglichst stark zu reduzieren“, sagte Viridén und stellte sich damit am BFE-Fachseminar in einen gewissen Gegensatz zum Dämmdicken-Skeptizismus von Marco Ragonesi. Sinke der Energiebedarf, lasse sich mitunter oft auch die Gebäudetechnik vereinfachen, begründete Viridén. Möglichst einfache Gesamtlösungen sind wichtig, damit die eingesparten Energiekosten nicht gleich wieder von den Kosten für den Unterhalt aufgefressen werden. Denn Unterhalts- und Betriebskosten steigen tendenziell, je mehr verschiedene Gebäudetechnik-Lösungen in einem Gebäude verwendet werden.

Plusenergie-Gebäude und Photovoltaik in den Fassaden
Viridén entwarf zum Schluss eine Vision der MuKEn 2024. Die U-Werte würden darin wohl nicht weiter erhöht, dafür aber die Integration von Photovoltaik in die Gebäudefassaden vorgeschrieben. Bezüglich den zukünftigen Herausforderungen bestand Konsens. Entscheidend ist, dass die Gebäude effektiv im Betrieb und nicht nur gemäss Planung wenig Energie verbrauchen, und dass sie im Winter, wenn am meisten Strom konsumiert wird, wenig Stromleistung vom Netz benötigen.


Umweltbelastung, Treibhauseffekt und Graue Energie von Wärmedämmstoffen
Die farbige Grafik links oben veranschaulicht Umweltbelastung (UPB), Treibhauseffekt (CO2) und Graue Energie (Primärenergie, kWh) von Wärmedämmstoffen, bezogen auf einen Wärmedurchlasswiderstand von 5 m2·K/W. Neben Schaumkunststoffplatten führt z.B. auch Kork zu eher grossen Einflüssen auf die Umwelt. Cellulose weist die geringsten Umwelteinflüsse auf, lässt sich aber nur beschränkt einsetzen. Extrudierte Polystyrolhartschaumplatten sollten nur dann eingesetzt werden, wenn die aus bautechnisch-bauphysikalischer Sicht zwingend erforderlich ist. Für die Hochleistungswärmedämmstoffe «VIP» und «Aerogel» fehlen Angaben zu den Umweltbelastungspunkten (UBP). Grafik: Ragonesi, basierend auf Deklaration Wärmedämmung des energie-cluster.ch


©Text: Benedikt Vogel, im Auftrag des Bundesamts für Energie (BFE)

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