«Die konzeptionellen Mängel des AKW Beznau mit Nachrüstungen beseitigen?»: Dr. Dieter Majer, ehemaliger Leiter des Bereiches «Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen» in Deutschland. Bild: T. Rütti

«Welche Beznau-Sicherheitsdefizite verletzen zwingende Mindestvorschriften»: Markus Kühni, Technischer Experte und Mitkläger gegen die Aufsichtspraxis des ENSI (Mühleberg). Bild: T. Rütti

«Die rechtliche Möglichkeiten im Zusammenhang mit der Sicherheit der Bevölkerung überprüfen»: Martin Pestalozzi, lic. iur. Rechtsanwalt. Bild: T. Rütti

«Das ENSI – ein Wegbereiter neuer Katastrophen!»: Dr. Rudolf Rechsteiner, TRAS-Vizepräsident und alt Nationalrat. Bild: T. Rütti

«Es gibt wesentliche sicherheitstechnische Schwachstellen im AKW Beznau»: Dr. Christian Küppers, Öko-Institut, Darmstadt. Bild: T. Rütti

«Das ENSI und die AXPO, Betreiberin der beiden AKW Beznau, blieben unserer Veranstaltung leider fern»: Axel Mayer (Freiburg i.Br.), Leitung des Beznau-Hearings. Bild: T. Rütti

Etliche der rund 100 Teilnehmenden des Beznau-Hearing hätten es sehr geschätzt, ihre Fragen und wohl auch ihre Kritik direkt an ENSI und AXPO richten zu können. Bild: T. Rütti

Beznau-Hearing: Auf Nullpunkt gesunkenes Vertrauen ins ENSI 

(©TR) Das AKW Beznau ist das älteste AKW der Welt. «Wie sicher ist es noch?», fragte der Trinationale Atomschutzverband TRAS anlässlich eines Hearings. Das ENSI und die AXPO, Betreiberin der beiden AKW Beznau, blieben der Veranstaltung im Salzhaus Brugg trotz Einlandung fern. Unterstützt wurde der Anlass von NWA-Aargau, SES und Greenpeace.


Der Trinationale Atomschutzverband TRAS wollte es genauer wissen: Mit welchen Tricks wird das AKW Beznau vom Eidgenössisches Nuklearsicherheitsinspektorats ENSI (Brugg) schöngeredet? Welche Gefahren drohen der Bevölkerung bei einem Super-GAU à la Fukushima? Wäre die Schweiz auf einen solchen oder ähnlichen Vorfall überhaupt vorbereitet? Für die Abwesenheit des ENSI und der jubilierenden AXPO – dieser schweizweit bedeutendste Energiekonzern mit Holdingsitz in Baden wurde 1914 gegründet – hatte der TRAS-Vizepräsident und Veranstaltungsleiter Axel Mayer aus Freiburg i. Br. wenig Verständnis. Er und mit ihm die rund 100 Teilnehmenden des öffentlichen Beznau-Hearing hätten es sehr geschätzt, ihre bohrenden Fragen – und wohl auch ihre Kritik – direkt an ENSI und AXPO adressieren zu können, «dies im Sinne einer demokratischen Diskussion und Auseinandersetzung», um hier Axel Mayer vom BUND – Regionalverband Südlicher Oberrhein, zu zitieren.


Der Missmut gegenüber dem Teilnahme-Boykott von ENSI und AXPO lag auch an dem von Catherine Boss (SonntagsZeitung) geleiteten Podiumsgespräch in der Luft; eine ansonsten wahrhaft lebhaften Runde, in der die erheblichen Sicherheitslücken der Schweizer und im benachbarten Ausland angesiedelten Atomkraftwerke unverblümt aufs Tapet gebracht wurden. Für die Zuhörerschaft, die sich mit Wortmeldungen einbringen durfte, scheint das Vertrauen in das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat definitiv auf den Nullpunkt gesunken zu sein.


Gefährdung trotz CHF 700 Mio. teurer Notstromversorgung
Beznau I + II wurden 1969 bzw. 1971 in Betrieb genommen. Es sind die weltweit dienstältesten Atomreaktoren. Nach Revisionsarbeiten bescheinigte das ENSI im Juli 2010 dem Reaktor I und im September 2013 dem Reaktor II einen «Top-Zustand» und es bestünden keinerlei Vorbehalte für einen Betrieb über die 40 Jahre hinaus. Das ENSI genehmigte den weiteren Betrieb. Die Kriterien für eine Ausserbetriebnahme seien nicht vor 2020 erreicht, hiess es. Ob die Sicherheit tatsächlich noch gewährleistet werden kann, ist indessen höchst umstritten. ENSI- und AXPO-fremde Experten kommen nämlich zu einem völlig anders lautenden Verdikt: Das älteste AKW der Welt müsste aus Sicherheitsgründen sofort geschlossen werden. Denn allein schon das Alter der beiden Reaktoren sowie die konstruktionsbedingte Mängel gefährdeten die Bevölkerung. Daran ändere auch die neue Notstromversorgung für über CHF 700 Millionen wenig.

«Wegbereiter neuer Atomkatastrophen»

In Deutschland würde das AKW Beznau wegen der Gefahren für die Bevölkerung stillgelegt, erklärte Dieter Majer, ehemaliger Chef des deutschen Strahlenschutzes; im deutschen Bundesumweltministerium war er immerhin Leiter des Bereichs «Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen». In seinem Vortrag ging er der Frage nach, wie das AKW Beznau mit Nachrüstungen seine konzeptionellen Mängel beseitigen könnte. In gewissen Bereichen sei es völlig unmöglich, in Beznau die erforderlichen Nachrüstungen umzusetzen. Auch Christian Küppers vom Ökoinstitut in Darmstadt zeigte in seinem Referat wesentliche sicherheitstechnische Schwachstellen in Beznau auf. In Bezug auf Erdbeben und Flugzeugabstürze, aber auch bei den Schutzvorrichtungen des Brennelementlagerbeckens erfülle das Atomkraftwerk die an heutige Anlagen gestellten Anforderungen in keiner Weise.

Sicherheitskonzepte «aus dem Mittelalter»
Auch Markus Kühni, technischer Experte und Mitkläger gegen die Aufsichtspraxis des ENSI in Mühleberg, nannte die Sicherheitsdefizite beim Namen. Mittels PowerPoint-Präsentation zeigte er transparent auf, wo überall Mindestvorschriften verletzt werden. Dass Sicherheitskonzepte «aus dem Mittelalter» den heutigen Anforderungen nicht genügen, belegte er anhand ganz konkreter Beispiele. In einer juristischen und trotzdem für jedermann verständlichen Übersicht erläuterte Rechtsanwalt Martin Pestalozzi die Rechtslage im Zusammenhang mit atomaren Sicherheitsfragen. Interessant war diesbezüglich der Bundesgerichtsentscheid vom 11. April 2014, der die Klageberechtigung von Anwohnerinnen und Anwohnern klar bejahte. Alt Nationalrat Rudolf Rechsteiner - auch er ist TRAS-Vizepräsident - nahm kein Blatt vor den Mund und bezeichnete das ENSI als «Wegbereiter neuer Atomkatastrophen». Angesichts der Untätigkeit dieser für die Sicherheit von Mensch und Umwelt wichtigen Behörde musste er feststellen: «Das ENSI versagt auf der ganzen Linie».

Resolution:
Bundesrat soll ENSI und ENSI-Rat personell erneuern  
Zur Mitgliederversammlung, die unmittelbar vor dem öffentlichen Beznau-Hearing abgehalten wurde, konnte Präsident Jürg Stöcklin Mitglieder aus Frankreich, Deutschland und der Schweiz begrüssen. Er informierte über den Stand der juristischen Verfahren gegen das AKW Fessenheim und die Schweizer AKW in Gösgen und Leibstadt: «Nachdem in Frankreich sowohl die beiden Klagen vor den höchsten französischen Gerichten als auch die Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte abgewiesen worden sind, erarbeitet TRAS zur Zeit neue Klageschriften mit dem Ziel, das AKW Fessenheim wegen ungenügender Nachrüstungen schnellstmöglich stillzulegen. Die TRAS-Klagen gegen die AKW Gösgen und Leibstadt wegen Bilanzfälschungen sind noch hängig.» Präsident Stöcklin wies auch darauf hin, das TRAS nun ein Verfahren gegen das AKW Beznau wegen gravierender Sicherheitsmängel prüft. Mit Genugtuung stellte er zudem fest, dass der Verband mit seinen Mitgliedsgemeinden eine Einwohnerzahl von über einer Million Menschen am Oberrhein repräsentiert. In ihrer Resolution forderte die Mitgliederversammlung den Bundesrat auf, das ENSI und den ENSI-Rat personell zu erneuern. Die Mitgliederversammlung kam nämlich zum Schluss, das ENSI schütze lediglich die AKW-Betreiber.

SES und Greenpeace kommentieren eine Stellungname von ENSI

Im Februar 2014 ist eine vom deutschen Atomexperten Dieter Majer erarbeitete Studie erschienen. Auftraggeber waren die Schweizerische Energie-Stiftung SES und Greenpeace. Unterdessen hat das ENSI eine Stellungname verfasst. Die Auftraggeber der Studie kommentiere ENSIs Antwort wie folgt:

«Die Stellungnahme erweckt den Anschein, als ginge es dem ENSI nicht um Auseinandersetzung und Problemlösung: 

  • Das ENSI vermeidet tunlichst zu erwähnen, dass die Studie nicht von der SES und Greenpeace selbst verfasst worden ist, sondern von Dieter Majer, einem kompetenten, erfahrenen und international respektierten Experten. 

  • Jene technischen Ungenauigkeiten, die heute vom ENSI teilweise kritisiert werden, sind das Resultat der nicht vorhandenen Kooperation des ENSI. Der Studienautor hatte vor der Veröffentlichung der Studie schriftlich beim ENSI und bei den Betreibern zahlreiche Anfragen gemacht, ohne auch nur ansatzweise eine Antwort erhalten zu haben.

  • In seiner Stellungnahme versteckt sich das ENSI häufig hinter dem Gesetz bzw. den technischen Standards. Aber genau dies kritisieren die beiden Organisationen und fordern hier eine Klärung. Zum Beispiel wird wiederholt festgehalten, die Schweizer AKW würden dem Stand der Nachrüsttechnik entsprechen. Nur konnte das ENSI bisher nirgends glaubwürdig darstellen, wie es diesen Begriff interpretiert. 

SES und Greenpeace werden die Vorwürfe mit dem Studienautor genau abklären und zu gegebener Zeit darüber informieren. Die beiden Organisationen haben in Sachen Atomrisiken nur ein einziges Ziel: Diese richtig einzuschätzen und Unfälle wie in Fukushima zu verhindern. Die heutige Reaktion des ENSI ist besorgniserregend und gibt weiterhin keine Antwort auf unsere kritischen Fragen. Auch in Fukushima wurden die kritischen Stimmen von den Behörden nicht ernst genommen und die Risiken verdrängt oder kleingerechnet. Das Ergebnis kennen wir!»

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©Text: Toni Rütti, Redaktor ee-news.ch

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