Am 18. Mai 2014 bekommen die Stimmberechtigten des Kantons Bern die Chance, das AKW Mühleberg mit einem klaren JA zur Initiative «Mühleberg vom Netz» endgültig abzuschalten. ©Bild: T. Rütti

ATOMKRAFT? NEIN DANKE. Präsident Jürg Joss und sein Verein «Mühleberg-Ver-fahren» unterstützen juristische Verfahren zur Stilllegung des Atomkraftwerks Mühleberg. ©Bild: T. Rütti

AKW Mühleberg: «15 Millionen Franken für Nachrüstungen sind bloss ein Sackgeld»

(©TR) Am 18. Mai 2014 kriegen die Stimmberechtigten des Kantons Bern die Chance, das AKW Mühleberg mit einem klaren JA zur Initiative «Mühleberg vom Netz» endgültig abzuschalten. Jürg Joss, Präsident des Vereins «Mühleberg-Ver-fahren», im Gespräch über die Gründe, warum Mühleberg sofort und nicht erst 2019 vom Netz genommen werden muss.


Der Initiativtext lautet schlicht und einfach: «Der Kanton, als Mehrheitsaktionär der BKW FMB Energie AG, sorgt für die sofortige Ausserbetriebnahme des AKW Mühleberg.»

ee-news.ch: Herr Joss, wie lautet Ihr Hautargument, ein Ja in die Urne zu legen?

Jürg Joss: 2011 nach der Katastrophe von Fukushima hat die BKW zusammen mit dem Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI festgestellt, dass das AKW Mühleberg sicherheitstechnisch nicht genügt. Wohlgemerkt, es handelt sich hier um das praktisch gleiche Atomkraftwerk wie jenes von Fukushima. Daraufhin hat die BKW eine «Pflästerlipolitik» betrieben. Seit drei Jahren ist von Nachrüstungen die Rede,  doch diese wurden bis heute nicht realisiert. Bis es effektiv dazu kommt, wird das AKW Mühleberg vermutlich schon bald vom Netz genommen. Solange sind und fühlen wir uns gefährdet.

Was, wenn die Nein-Stimmen überwiegen?

Überwiegen die Nein-Stimmen, ist das die zu akzeptierende Meinung des Stimmvolks. Das ENSI hat immer noch rund 20 Forderungen offen, welche in diesem Jahr vom AKW Mühleberg beantworten werden müssen. Es geht um Fragen nach der Sicherheit beispielsweise des Brennelementlagerbeckens, falls die Nachrüstungen nicht vorgenommen werden sollten. Anders gesagt: ob das AKW Mühleberg weiter in Betrieb bleibt, steht heute noch nicht fest, denn das ENSI könnte diesen Sommer immer noch die Notbremse ziehen.

Bis 2019 will die BKW FMB Energie AG 15 Millionen Franken in «ausserordentliche Nachrüstmassnahmen» ihres Atomkraftwerks Mühleberg investieren. Reicht das oder ist das viel zu wenig?

Seitens der BKW hiess es, es müssten rund 300 Millionen Franken investiert werden, um den sicheren Langzeitbetrieb gewährleisten zu können, also den Betrieb über das Jahr 2020 hinaus. Jetzt scheint folgende Meinung vorzuherrschen: Wenn es schon nicht zu einem Langzeitbetrieb kommt, muss auch entsprechend weniger investiert werden. Doch selbst wenn der Betrieb «nur noch» bis 2019 dauert, sind bei einem 45-jährigen AKW fünf Jahre eine sehr lange Zeit. Man bedenke, dass in der Vergangenheit nur sehr schwach nachgerüstet wurde. So betrachtet sind 15 Millionen Franken bloss ein Sackgeld. Damit lässt sich höchstens sicherstellen, dass die Anlage nicht in sich zusammenfällt.

Anfang April hat das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI die Richtlinie zur Stilllegung von Kernanlagen in Kraft gesetzt. Die neue Richtlinie ENSI-G17 gilt bereits für die Vorbereitung der Stilllegung des AKW Mühleberg. Sind wir nun für eine problemlose Stilllegung gerüstet?
Die BKW hat diesbezüglich ihre eigenen Vorstellungen. Sie geht davon aus, dass ihr Personal für die Stilllegung ausgebildet werden kann. Später soll das gleiche Personal zur Stilllegung von anderen Atomkraftwerken eingesetzt werden. Unserer Meinung nach dürfte dies aber so nicht funktionieren. Wahrscheinlich kommt man nicht darum herum, ausländische Fachkräfte zu engagieren, verbunden mit gewaltigen Kosten und somit Kostenüberschreitungen des Entsorgungsfonds. Auf der finanziellen Seite wird es zu Problemen kommen. Was das Technische angelangt, hoffe ich, dass professioneller gearbeitet wird als beim Betrieb: 2012 beigezogene Ingenieure hielten jedenfalls in ihrem Schlussbericht fest, dass das AKW Mühleberg nicht einmal den in dieser Industrie üblichen Anforderungen entspreche. Das ist doch sehr bedenklich!

Anwohner des AKW Mühleberg können am Verfahren betreffend Schutzmassnahmen mitwirken. Der neueste Entscheid des Bundesgerichts hat konkret zur Folge, dass das ENSI Einwände der Anwohner inhaltlich zumindest prüfen muss. Sollte es deren Kritik nicht teilen, können die Anwohner den Fall ans Bundesverwaltungsgericht und ans Bundesgericht weiterziehen…
…intiiert und gewonnen wurde das Verfahren von zwei Anwohnern. Wir vom «Verein Mühleberg-Ver-fahren» hatten im 2011 ein ähnliches Verfahren initiiert – und ebenfalls 2013 gewonnen. Dabei wurde festgehalten, dass das Bundesamt für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK nach Fukushima eine Sicherheitsprüfung des AKW Mühleberg hätte vornehmen müssen. Beim vorliegenden jüngsten Entscheid des Bundesgerichts geht es um Massnahmen, die im Katastrophenfall eingeleitet werden müssen.  Der Bundesgerichtentscheid hat nun zur Folge, dass die sicherheitstechnischen Fragen entsprechend beantworten werden müssen.

Können Sie das Risiko, das vom AKW Mühleberg ausgeht, abschätzen?
Bis Mitte 2014 muss die BKW erklären, wie sie ihr AKW bis zum Jahre 2019 zu sichern gedenkt. Die Unsicherheit des AKW Mühleberg lässt sich an der Entwicklung der  Kernschmelzwahrscheinlichkeit ablesen. Aus den Stellungnahmen des ENSI zu den Mühleberg-Sicherheitsberichten ist ersichtlich, dass diese als Folge von Erdbeben, Brand, Überflutung, Flugzeugabsturz usw. in den vergangenen Jahren gestiegen ist: 1991 hatten wir gesamthaft einen so genannten Core Damage Factor  (CDF) von 1.3 Ereignissen innerhalb von 100’000 Jahren. 2002 lag der CDF bereits bei 1.5, 2012 bei hohen 2.35!

Drei Jahre nach der Katastrophe von Fukushima setzt Japan wieder auf Atomkraft. Ministerpräsdient Shinzo Abe nimmt damit den Atomausstieg zurück, den sein Vorgänger Yoshihiko Noda beschlossen hatte. Für die neue Regierung ist Atomkraft – neben Wasserkraft und Kohle – eine wichtige Quelle zur Grundabdeckung des Energiebedarfs. Beeinflusst diese Kehrtwende womöglich auch unser Denken und Handeln?
Ich bedaure sehr, dass das unsägliche Leid der Direktbetroffenen kaum mehr Gegenstand von Berichterstattungen ist. Im ersten Jahr nach der Katastrophe standen diese Schicksale noch im Vordergrund der Medienberichte. Neulich durfte ich «den letzten Bauern von Fukushima» persönlich kennen lernen. Dieser Mann musste zuschauen, wie seine Tiere im Stall verendeten. Wenn er darüber berichtet, erahnt man, welches Leid den Menschen des Katastrophengebietes widerfahren ist. Oder nehmen wir jene Lehrerin, deren Tochter mit Nasenbluten aus dem Kindergarten nach Hause kam. Als sie das Kind darauf ansprach, meinte es nur, Nasenbluten hätten doch alle in der Klasse… das sind Folgen einer Strahlenerkrankung. Wenn wir solche Vorkommnisse und Schicksalsschläge immer wieder vor Augen geführt bekämen, würde hierzulande kein Mensch mehr vom Fortbestand von Atomkraftwerken sprechen. Werden die AKW in Japan wieder eingeschaltet, geschieht dies trotz der unumstösslichen Tatsache, dass Japan als ausserordentliche Erdbebenzone gilt. Der Betrieb dieser Reaktoren ist und bleibt eine enormes Sicherheitsrisiko, welches die neue Regierung offenbar einzugehen bereit ist – eine Lotterie, die letztlich auch die Schweiz mit ihren Ur-Altreaktoren weiterspielt.


Der Verein «Mühleberg-Ver-fahren»
Jürg Joss (Bätterkinden) ist Präsident des Vereins «Mühleberg ver-fahren». Dieser unterstützt gemäss den Statuten juristische Verfahren zur Stilllegung des Atomkraftwerks Mühleberg. Insbesondere stellt er den direkt betroffenen und den sie vertretenden Personen finanzielle Mittel zur Verfügung. Er kann weitere Verfahren berücksichtigen, sofern sie in einem engen Zusammenhang stehen. Der Verein vertritt gegen aussen die Verfahren mit allen ihm zur Verfügung stehenden politischen und gewaltfreien sowie materiellen und rechtlichen Mitteln. Der Verein «Mühleberg-Ver-fahren» hat bisher zwei Verfahren unterstützt:

  • Beschwerde gegen die unbefristete Betriebsbewilligung, eingereicht am 1. Februar 2010.
  • Gesuch um Entzug der Betriebsbewilligung, eingereicht am 22. März 2011, kurz nach dem Fukushima-Gau vom 11. März 2011.  

©Interview: Toni Rütti, Redaktor ee-news.ch 

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