Am 29. November 2013 fand im Marriott Hotel Zürich die erste, vom Competence Center Energy Management organisierte Stromtagung statt.

Universität St.Gallen: Zusammenfassung der Stromtagung 2013

(PM) Am 29. November 2013 fand im Marriott Hotel Zürich die erste, vom Competence Center Energy Management organisierte Stromtagung statt. Namhafte Referenten aus den Bereichen Politik, Wissenschaft und Industrie äusserten sich zum Thema «Bilaterale Verträge und Preiszerfall in der Strombranche». Das vorliegende Dokument fasst die wichtigsten Äusserungen des Tages zusammen.


Energiepolitik

Stromabkommen
Die Verhandlungen über ein bilaterales Stromabkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union gehen in die entscheidende Runde; Bundesrätin Doris Leuthard hofft auf einen Abschluss im Frühjahr 2014. Das derzeit verhandelte bilaterale Verhandlungspaket sollte keine Änderung der Bundesverfassung zur Folge haben; die Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen bleibt unberührt. Neben technischen sind insbesondere institutionelle Fragen im Zusammenhang mit der Rechtsentwicklung des EU-Acquis, der Überwachung und Auslegung des Abkommens sowie der Streitbeilegung offen. Im Falle eines Scheiterns dürfte die Schweiz als Drittstaat ohne Marktzugang behandelt werden. Die Europäische Union strebt für das Jahr 2014 eine vollständige Zusammenführung nationaler Strommärkte zu einem gemeinsamen, internen Strombinnenmarkt an.

Parlamentarische Initiative 12.400
Die von der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Nationalrates initiierte Parlamentarische Initiative 12.400 («Freigabe der Investitionen in erneuerbare Energien ohne Bestrafung der Grossverbraucher») tritt ohne vorheriges Referendum zum 01. Januar 2014 in Kraft. Änderungen im Energiegesetz bestehen mitunter darin, dass der maximale Netzzuschlag auf die Übertragungskosten der Hochspannungsnetze auf 1.5 Rp. pro kWh (ab 2014 0.6 Rp. pro kWh) festgesetzt wird; stromintensive Unternehmen mit Elektrizitätskosten von mindestens 5% der Bruttowertschöpfung können die Zuschläge teilweise bis vollständig rückerstattet bekommen. Daneben wird Eigenverbrauch (explizit) im Energiegesetz verankert und Photovoltaikanlagen mit einer Leistung von weniger als 10 kW werden mit einmaligen Investitionshilfen im Umfang von 30% der Investitionskosten gefördert (bei Photovoltaikanlagen mit einer Leistung von 10 kW und 30 kW besteht eine Wahlmöglichkeit zwischen den Fördersystemen).


Erneuerbare Energien
Um eine Integration erneuerbarer Energien möglichst optimal zu gewährleisten, plädiert das Bundesamt für Energie für den Zubau flexibler Kraftwerke bzw. von Speichertechnologien sowie für ein effizientes Demand Side Management; dies dürfte dabei helfen, allfällige Angebots-bzw. Nachfrageüberhänge auszugleichen. Eine intelligentere Verbindung von Verbrauchern und Produzenten erfordere zudem einen effizienten Netzbetrieb bzw. -ausbau inklusive die Entwicklung von Smart Grids.

Preiszerfall
Seit dem Jahr 2008 befinden sich die Terminpreise für Strom im Abwärtstrend; in Extremsituationen sind bereits negative Preise auf dem deutschen bzw. österreichischen Spotmarkt zu beobachten. Mittelfristig ist mit einem weiteren Preiszerfall an den europäischen Strombörsen zu rechnen. Grund hierfür ist die schwache Nachfrage aufgrund von Effizienzmassnahmen bzw. dem derzeit stagnierenden Wirtschaftswachstum in Europa; gleichzeitig führt der massive Ausbau erneuerbarer Energien insbesondere in Deutschland zu Überkapazitäten im europäischen Kraftwerkspark.

Merit Order-Effekt
Durch die (Vorrang-)Einspeisung subventionierter erneuerbarer Energien bzw. durch (oftmals bereits abgeschriebene) Kohlekraftwerke mit äusserst niedrigen Betriebskosten werden verhältnismässig teuer produzierende konventionelle Kraftwerke aus dem europäischen Markt verdrängt. Die Folgen einer derartigen Entwicklung sind offensichtlich: Neue erneuerbare Energien verdrängen ihre eigenen Backup-Kapazitäten und erst bei stark steigenden Preisen für CO2-Zertifikate bestehen wieder Anreize für Investitionen in flexible Gaskraftwerke.

Pumpspeicherkraftwerke
Die zusätzliche Einspeisung neuer erneuerbarer Energien wird eine weitere Senkung des Peak-Offpeak-Spreads zur Folge haben, was das derzeitige Geschäftsmodell von Pumpspeicherkraftwerken ohne Subventionierung zumindest in der näheren Zukunft weiter belasten dürfte. Der Schluss liegt nahe, dass die zukünftige Bedeutung der Schweizer Pumpspeicherkraftwerke vom Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland massgeblich beeinflusst wird.

Paradoxon sinkender Börsenpreise bei gleichzeitig steigenden Endkundenpreisen

Aufgrund steigender Umlagen zur Subvention neuer erneuerbarer Energien können auf dem deutschen Strommarkt trotz sinkender Börsenpreise gleichzeitig steigende Endkundenpreise beobachtet werden. Zur Veranschaulichung: Beträgt die kostendeckende Einspeisevergütung derzeit rund 2% des durchschnittlichen Strompreises der Schweizer Haushalte, so liegt in Deutschland der Anteil der sog. EEG-Umlage (Erneuerbare-Energien-Gesetz) mit 18% deutlich höher.

Auswirkungen auf die Schweizer Stromwirtschaft

Von den sinkenden Börsenpreisen infolge der grösstenteils vom deutschen Verbraucher zu tragenden Subventionierung neuer erneuerbarer Energien profitieren in der Schweiz vor allem die am freien Markt beziehenden Grossverbraucher mit einem Jahresverbrauch von mehr als 100 MWh. Den neusten Zahlen der Eidgenössischen Elektrizitätskommission zufolge wird sich 2014 deren Anteil im Vergleich zum laufenden Jahr auf 27% verdoppeln; dies entspricht rund 47% der marktberechtigten Energiemenge. Eine derartige Entwicklung hat spürbare Konsequenzen für die Schweizer Stromwirtschaft: So verzeichnen die EVUs bei einer Differenz zwischen Gestehungskosten und Marktpreis von CHF 20 pro MWh 2014 Mindereinnahmen in Höhe von CHF 250 Mio.; jede weitere TWh an Energie-menge, die von der Grundversorgung in den freien Markt wechselt, verursacht darüber hinaus weitere Mindereinnahmen von CHF 20 Mio.

Kraftwerksinvestitionen und Kapazitätsmärkte
Die sinkenden Strommarktpreise stellen die Wirtschaftlichkeit konventioneller Kraftwerke immer mehr in Frage. Zudem werden auf sog. Energy Only-Märkten zu geringe Preise erzielt, um die Fixkosten der aufgrund des Merit Order-Effekts selten eingesetzten Spitzenlastkraftwerke zu decken. Folglich bestehen aktuell kaum Anreize für den Neubau von Produktionsanlagen (sog. Missing Money-Problem), was die langfristige Versorgungssicherheit gefährden könnte. Verschiedene europäische Länder erwägen daher die Einführung sog. Kapazitätsmechanismen, die eine separate Abgeltung für die blosse Bereitstellung von Backup-Kapazitäten vorsehen. Auch in der Schweiz wird vereinzelt eine derartige Veränderung des Marktdesigns diskutiert. Der Handlungsspielraum ist jedoch beschränkt: Die unilaterale Einführung eines solchen Mechanismus wäre ineffizient und würde inländische Verbraucher übergebührend belasten; umgekehrt könnte das Abseitsstehen von europäischen Kapazitätsmärkten langfristig die Versorgungssicherheit in der Schweiz destabilisieren. Alternativ zur Einführung von Kapazitätsmechanismen könnte das Missing Money-Problem über eine Flexibilisierung der Nachfrage entschärft werden.

Stromnetze

Regulierung
Die baldige Einführung einer Anreizregulierung der Schweizer Stromnetze ist vom Bundesamt für Energie aktuell nicht geplant, dürfte aber voraussichtlich im Rahmen der Ausgestaltung des zukünftigen Strommarktdesigns diskutiert werden. Als Alternative zur derzeit geltenden Cost Plus-Regulierung wäre gemäss heutigem StromVG die Einführung einer sog. Sunshine-Regulierung denkbar. Hierbei würden von der Eidgenössischen Elektrizitätskommission – basierend auf den von den EVUs nach Artikel 11 StromVG einzureichenden Kostenrechnungen – Effizienzvergleiche nach Artikel 19 StromVV hinsichtlich zuvor kommunizierter Vergleichskriterien durchgeführt werden. Ein möglicher Ansatz mit dem Ziel möglichst niedriger Verteilsystem-Kosten (Netzebenen 5 bis 7) wäre die Einführung einer sog. marktbasierten Einspeiseleistungsvergütung für Notfall-sowie Regelleistung anstelle der kostendeckenden Einspeisevergütung. Parallel zum Energy Only-Markt würden hierdurch regionale Märkte für Erzeugungskapazitäten im Verteilnetz geschaffen werden. Notfall-Kapazitäten könnten von den Verteilnetz-Erzeugern separat oder als Teil der Regelleistung angeboten werden. Auf diese Weise würde im Verteilnetz die regionale Versorgungssicherheit bei minimalen regionalen Gesamtsystemkosten unterstützt werden.

Netzausbau
Neben einem pan-europäischen Ausbau der Übertragungsnetze, welcher einen Stromtransport über sehr weite Strecken hinweg ermöglicht, dürften ineinander verschachtelte, sich dezentral ergänzende Smart-bzw. Micro Grids auf Verteilnetz-Ebene zunehmend an Bedeutung erlangen.

Stromhandel
Aufgrund der Unvollständigkeit der Strommärkte ist beim Stromhandel keine perfekte Absicherung möglich; es verbleiben signifikante Basisrisken. Die Beschaffungsstrategie ist unter Wahrung der Risikofähigkeit umzusetzen; Risikokapital und Beschaffungsstrategie sind dabei effizient aufeinander abzustimmen. Die Kohärenz des Risikokapitals sowie die Effektivität der Absicherung definieren die Obergrenze für das zulässige Absatzvolumen; eine dynamische Beschaffungsstrategie erfordert eine aktive Bewirtschaftung des Risikokapitals. In diesem Zusammenhang sind zu berücksichtigen:

Verständnis für die Marktdynamiken (Börsen, OTC), die Quantifizierung des Diversifikationspotenzials im Kollektiv, ein optimierter Umgang mit den Volumenrisiken sowie der mögliche Aufbau strategischer Allianzen zwischen End-und Vorlieferanten zur Nutzung positiver Skaleneffekte. Die mittel-und langfristige Risikofähigkeit sowie der sog. Track Record der Strategie fliessen wesentlich in das Rating der EVUs ein.

Strategische Erkenntnisse für kleine und mittelgrosse EVUs
Die unternehmerische Freiheit sowie die Möglichkeit zu unternehmerischem Erfolg dürften sich im Bereich elektrischer Energie tendenziell verringern; eine zunehmende Regelungsdichte wird die Vollzugsaufgaben der EVUs im Bereich der Netze dagegen erhöhen. Derzeit werden im Energiegeschäft lediglich minimale Strukturierungszuschläge akzeptiert, die oftmals die Risiken nicht vollständig abdecken; Zahlungskonditionen können aktuell kaum verhandelt werden. Aufgrund grösserer Risikoprämien und vergleichsweise ineffizienter Vertriebs-und Abwicklungsprozesse dürften kleinere und mittelgrosse EVUs in Zukunft Energiekunden verlieren; der Betreuung bestehender Tarifkunden ist demzufolge hohe Bedeutung beizumessen. Aus ökonomischer Sicht sollten Investitionen in Photovoltaikanlagen sinnvollerweise erst dann getätigt werden, wenn deren Gestehungskosten dem Marktpreisniveau für Photovoltaikstrom entsprechen; aktuell können die Bedürfnisse der Stromkunden nach Sonnenenergie mit Herkunftsnachweisen kostengünstiger abgedeckt werden. Das Thema Wärme ist aus Sicht von Querverbundunternehmen integrativ zu betrachten und beinhaltet auch Nahwärmeverbünde und sog. Wärme-Contracting; Blockheizkraftwerke eignen sich zur lokalen Stromproduktion in Städten und werden unter Versorgungssicherheitsaspekten finanziell tragbarer. Aktuell haben im Geschäft mit elektrischer Energie die bestehenden Tarifkunden und das Netz strategische Wichtigkeit, während Investitionen in Produktionen, Grosskunden und Energiedienstleistungen mit Vorsicht zu beurteilen sind. Der Beurteilung der eigenen Risikofähigkeit ist von den EVUs hohe Bedeutung zuzumessen.

Text: Universität St. Gallen

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