Interview mit Alec von Graffenried, Nationalrat und Leiter Immobilienentwicklung Mittelland bei der Losinger Marazzi AG in Köniz. Bild: Jürg Wellstein

Alec von Graffenried: Wir denken an die künftigen Generationen

(©JW) Alec von Graffenried, Nationalrat und Leiter Immobilienentwicklung Mittelland bei der Losinger Marazzi AG in Köniz, wird beim Herbstseminar am 21. November 2013 in Bern, der Auftaktveranstaltung der BauHolzEnergie-Messe 2013, an der Podiumsdiskussion teilnehmen. Dabei steht das Thema Nachhaltigkeit im Mittelpunkt.


Es geht um Verantwortung: Wirtschaftlichkeit – also eine auf Kundennähe, Transparenz und Innovation beruhende Vertrauensbeziehung zu den Kunden eines Unternehmens; soziale und gesellschaftliche Verantwortung bezüglich Sicherheit und Gesundheitsschutz; Ökologie, beispielsweise mit Projektierung, Ausführung und Betrieb energieeffizienter und Ressourcen schonender Bauwerke. Im folgenden Interview geht er bereits auf diese Fragen ein:

Die Losinger Marazzi AG verfolgt in Anbetracht der ökologischen Herausforderungen eine pragmatische und strukturierte Vorgehensweise im Bereich des nachhaltigen Bauens. Was bedeutet dies konkret?
Alec von Graffenried: Wir haben ein breites Verständnis von Nachhaltigkeit – entsprechend beurteilen wir auch unsere Projekte nicht nur bezüglich ihres Energieverbrauchs, sondern natürlich auch bezüglich ihrer Lage, ihrer langfristigen Nutzbarkeit und ihrer Wirtschaftlichkeit. Nachhaltig ist nur, was auch in der nächsten und übernächsten Generation noch Sinn macht, Bauten sind bekanntlich langlebig.



Das Unternehmen plant und realisiert Gebäude unterschiedlicher Grösse. Weshalb wird auch die nächste Generation auf den Vorbildcharakter dieser Bauwerke hinweisen können?
Natürlich denken wir an künftige Generationen, aber diese werden ihr Urteil über unsere Bauten selber fällen. Wir wissen lediglich, welche Nutzungen und Bauformen langfristig an welchen Standorten erfolgreich sind. Wir orientieren uns sehr stark an diesen Kriterien und investieren viel Energie in die Definition, um das richtige Produkt am richtigen Standort in hoher Qualität zu realisieren.

Was waren die Voraussetzungen für die Entwicklung und Realisierung der von Ihrem Unternehmen gestalteten nachhaltigen Quartiere in der Schweiz: Greencity in Zürich, Eikenøtt in Gland (VD), Erlenmatt in Basel und Im Lenz in Lenzburg (AG)?
Soziale Durchmischung und Nutzungsmix, Verkehrsberuhigung und Energiekonzepte, ökologische Vernetzung und Städtebau: auf Quartierebene kann die Nachhaltigkeit besser eingeplant werden als auf der Stufe des Einzelobjektes. Wir haben uns daher der Entwicklung von grösseren Arealen angenommen, um die Innovation in diesem Bereich voranzutreiben. Solche Entwicklungen sprengen den Rahmen dessen, was ein einzelner Bauherr oder ein Projektierender stemmen kann. Unsere Unternehmung hat in diesem Bereich jedoch ein grosses Fachwissen entwickelt. So sind Greencity und Erlenmatt heute schweizweit die zwei ersten Quartiere, die mit dem Label „2000-Watt-Areal in Entwicklung“ ausgezeichnet wurden.

Neben nachhaltigen Materialien spielen auch die Technologien zur Energieversorgung von Wohn- und Geschäftsgebäuden eine wichtige Rolle. Welche Kriterien wenden Sie für die Auswahl und Projektierung an?
Es ist unverantwortlich, heute noch Neubauten mit fossilen Energieträgern zu planen. Im Zentrum steht daher die Suche nach dem Einsatz erneuerbarer Energie, namentlich der neuen Erneuerbaren. Im Einzelfall ist dann aber Flexibilität gefragt. In Greencity verfügen wir über ein Kleinwasserkraftwerk, in Gland verbrennen wir Holzschnitzel aus dem nahen Gemeindewald, vielerort bieten sich Erdsonden an, manchmal steht ein Fernheiznetz zur Verfügung. Zudem versuchen wir die Nutzer zu begleiten und bieten Ihnen Hilfsmittel wie Tablets zur Steuerung und Überwachung des Energieverbrauchs in den Wohnungen. Mittelfristig muss Heizung und Kühlung zu 100% erneuerbar erfolgen. Das ist der Beitrag des Gebäudesektors zur Energiewende.

Am Herbstseminar werden Sie an der Podiumsdiskussion zur Realisierung der Energiewende teilnehmen. Welchen volkswirtschaftlichen Pluspunkt hat die Energiewende für die Schweiz?
Die Debatte rund um die Kernkraft hat den Fokus lange auf die Strompolitik gelenkt, was ein zu enger Sichtwinkel war. Mit der Energiestrategie 2050 wendet sich die Schweiz wieder einer ganzheitlichen Betrachtung des Energiemarktes zu, was sachlich richtig ist. Volkswirtschaftlich geht es darum, die gegen 10 Mrd. Franken Energiekosten zu reduzieren, die aus den Oel- und Gasimporten aus dem Ausland resultieren. Mit schweizerischer Effizienz und Technologie schaffen wir den Umstieg auf mehr erneuerbare Energieversorgung aus dem Inland.

Die Schweizer Politik ist nach wie vor zurückhaltend mit einer konsequenten Umsetzung von nachhaltigen und energetisch sinnvollen Lösungen bei Gebäuden, Energievorschriften, Produktbestimmungen usw. Wo liegen die Hemmnisse?
Die Probleme liegen im Bestand. Im Neubaubereich haben wir bereits strenge Vorschriften. Die Politik hat Hemmungen, für die bestehenden Bauten ebenso strenge Vorschriften zu erlassen, da dies letztlich auf eine Sanierungspflicht und einen Eingriff ins Eigentum hinauslaufen würde. Diese Entwicklung führt nun aber dazu, dass die Schere aufgeht zwischen sehr strengen Vorschriften für Neubauten und gar keinen Vorschriften für die Sanierung im Bestand. Dieser Zustand ist unter Gerechtigkeitsaspekten à la longue unhaltbar.

Raum- und Verkehrsplanung sind ebenfalls in diesem Themenkreis von Nachhaltigkeit, Energieeffizienz und erneuerbaren Energien zu nennen. Welche politischen Schritte sind hier zu tun?
Die Vision der 2000-Watt-Gesellschaft hat bewirkt, dass eine gesamtheitliche Sichtweise für Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Verkehr eingenommen wird. Mit dem neuen Raumplanungsgesetz muss die Siedlungsentwicklung auf die Verkehrsplanung abgestimmt werden, das CO2-Gesetz sorgt für eine Reduktion der Verkehrsemissionen. Das gesetzliche Fundament ist also gelegt, nun muss die Umsetzung ebenso konsequent erfolgen. Dieses Spiel ist noch längst nicht gewonnen, es bleibt viel Knochenarbeit.

©Text: Jürg Wellstein, erschienen im energie-cluster.ch-Newsletter

0 Kommentare

Kommentar hinzufügen

Top

Gelesen
|
Kommentiert