Das Tempo des Ausstiegs aus dem Zeitalter der Kernkraftwerke hänge nicht von den Ingenieuren ab. Entscheidend sei die Politik – so eine Kernaussage in besagtem Bericht.

Kraftakt wie bei Lancierung der Atomenergie

(TR) Nach der Katastrophe in Fukushima ist es laut dem deutschen Magazin «Stern» keine Frage mehr: Der Ausstieg aus der Atomkraft kommt schneller als bisher angenommen. Die Energiewende lasse sich aber nicht nur so nebenbei erreichen. Nötig sei ein Kraftakt – so wie damals bei der Lancierung der Atomenergie.


Vor 60 Jahren geisterte ein Traum durch die Köpfe der Futuristen: Strom ohne Grenzen, sauber, für alle und für immer. Energie im Überfluss, um damit Autos, Züge, Busse und sogar Flugzeuge anzutreiben. Und die neue Energie wird so billig, dass die Stromzähler abgehängt werden, weil sie sich nicht mehr rechnet. In den 50er Jahren wurde die Welt von einer Atomeuphorie erfasst; als Symbol des Fortschritts wurde beispielsweise 1958 in Brüssel das «Atomium» eingeweiht. Angst vor radioaktive Strahlung? Wer so etwas in die Welt gesetzt hätte, wäre als Ewiggestriger und Angstmacher abgestempelt worden. Indessen feierte die friedliche Nutzung der Atomkraft fröhliche Urständ, wie uns in einem «Stern»-Bericht unter dem Titel «Der Traum wird wahr» in Erinnerung gerufen wird. Was letztlich daraus wurde, verkünden uns jetzt die News rund um die Uhr. Es soll Leute geben, die es – bei aller Betroffenheit – schon bald nicht mehr hören und sehen mögen.

Zur todbringenden Tatsache geworden
Das Tempo des Ausstiegs aus dem Zeitalter der Kernkraftwerke hänge nicht von den Ingenieuren ab. Entscheidend sei die Politik – so eine Kernaussage in besagtem Bericht. Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt, kann man heute – heute meint die Zeitrechung nach Fukushima – dazu nur noch sagen; das Undenkbare ist unabwendbare, todbringende Tatsache geworden. Ehedem wurden die Zukunftsszenarien von Greenpeace als völlig unrealistisch abgetan. Beispielsweise erklärten die Umweltaktivisten im letzten Jahr den Ausstieg aus der Atomenergie im Jahre 2015 als machbar. Und das ohne Verzicht auf den gewohnten Lebensstil, ja im Falle Deutschlands sogar ohne neue Kohlekraftwerke. Mehr als je zuvor setzt Greenpeace voll auf erneuerbare Energien – eine Philosophie, die durch die Katastrophe in Japan noch ganz andere Dimensionen angenommen hat. «Alle unsere Vorhersagen über den Ausbau der erneuerbaren Energie sind noch immer von der realen Entwicklung überholt worden», weiss Andree Böhling, Energie-Experte bei Greenpeace.


Stromspeicherung als Achillesferse

Nehmen wir die Solarenergie. Ihr Potenzial «grenzt an das menschliche Vorstellungsvermögen», ist im «Stern» nachzulesen: «Könnte man die Sonnenkraft in den Wüsten der Erde nur für sechs Stunden speichern, hätte man genügend Energie für die ganze Welt für ein ganzes Jahr. Die Wüstensonne Nordafrikas könnte bald Strom für ganz Europa liefern.» Doch die politische Situation in den nordafrikanischen Ländern mache die Vision «Desertec» zur Utopie. Trotz des schier unvorstellbaren Potenzials der Sonne schätzen Experten die Chancen des Windes als noch grösser ein. Für die nächsten Jahre sei ein gigantisches Wachstum an Windkraftanlagen zu erwarten. Wie dieser Tage den Medien zu entnehmen war, lässt sich beispielsweise gemäss einer neuen Greenpeace-Studie die Windenergienutzung bis zum Jahr 2020 verfünffachen. Verfünffachen! Und wieder aus dem «Stern» zitieren wir: «Jetzt gehen die Windräder dahin, wo der Wind weht: aufs Meer.» Doch was passiert bei anhaltender Windstille? Was passiert während der sonnenarmen Jahreszeit, bei wolkenverhangenem Himmel sowie nachts? Die Stromspeicherung wird als «Achillesferse des gesamten Konzeptes der erneuerbaren Energie» erachtet. Der ausschlaggebende Faktor Stromspeicherung müsste zur zentralen Aufgabe der Energiepolitik werden.

Norwegens Stauseen, die Batterie Europas?
Über schier unerschöpfliche Speicherkapazitäten verfügt offenbar Norwegen, wo es grünen Strom im Überfluss geben soll. Strom kommt dort aus über 500 Wasserkraftwerken. «Norwegens Stauseen könnten zur Batterie Europas werden», heisst es im deutschen Magazin. Pumpspeicherkraftwerk lautet hier das Zauberwort. Das Wasser eines höher gelegenen Sees fliesst in den tiefer gelegenen See und treibt dort Turbinen an, die Strom erzeugen. Bei Stromüberschuss wird das Wasser wieder in den Obersee gepumpt, bis der Speicher voll ist. Dabei liesse sich das Wasser mit der Energie aus den Offshore-Windkraftwerken in die oberen Seen pumpen, um hier eine von vielen Möglichkeiten zur Energiegewinnung zu erwähnen. Bislang wurde aus Gas Strom erzeugt. In der Zukunft könnte es andersherum laufen: Mit dem überschüssigen Wind- und Sonnenstrom wird Gas erzeugt, so die Vision des neuen Speichermediums. Bei Flaute oder Dunkelheit wird in Gaskraftwerken daraus wieder Strom hergestellt. Übrigens: Gaskraftwerke laufen auch mit Methan.

Womöglich flackert mal das Licht
Alles wie gehabt, wenn auch unter ganz anderen Vorzeichen: Vor 60 Jahren wartete die Menschheit mit ähnlicher Ungeduld auf die Realisierung ihrer Energie-Träume wie heute: saubere, bezahlbare Energie aus einer unerschöpflichen Quelle. Doch bei den Verheissungen der Atomkraft wurde Entscheidendes ausser Acht gelassen: Das Restrisiko und der GAU. Was ist das Restrisiko beim grünen Strom? Bei Sturm können zum Beispiel Windmaste knicken. Oder vielleicht brennen ein paar Sonnenkollektoren durch. Womöglich flackert sogar mal das Licht. Und der GAU? Der grösste anzunehmende Unfall wäre es laut «Stern»-Bericht, den Weg ins Zeitalter der erneuerbaren Energie nicht zu finden. Auf den Punkt bringt in diesem Heft die ganze Chose die Karikatur des Künstlers Haderer. Er hat einen unbelehrbaren Atomkraftbefürworter – «Atomkraft, ja bitte» – gezeichnet, auf dessen Haupt das explodierte (japanische) AKW lichterloh brennt.

Text: Toni Rütti, freier Mitarbeiter ee-news.ch, Quelle: Stern

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