Mark Zimmermann: "Heute machen wir uns etwas vor, wenn wir im Sommer Strom erzeugen und diesen im Winter wieder beziehen wollen."

Gebäude: Wachsende Ansprüche sind kritischer als der Wärmebedarf

(energie-cluster.ch) Die Empa forscht in einem breiten Bereich von Materialien und Methoden. Mark Zimmermann hat als ehemaliger Programmleiter des BFE-Forschungsbereichs „Gebäude“ die Koordination der schweizweit durchgeführten Projekte betreut. Heute leitet er die Gruppe Nachhaltige Gebäude an der Empa.

Er befasst sich im Speziellen im Rahmen der CCEM-Programme (Competence Center Energy and Mobility) mit der Gebäudeerneuerung bzw. Nachrüstung von Gebäudeelementen. Im folgenden Interview geht er auf Aspekte der aktuellen Trends im Gebäudebereich ein.

Wo steht der Gebäudebereich aus Energiesicht heute?
Mark Zimmermann
: Sowohl für Neubauten als auch für Altbauten stehen energetisch gute Lösungen zur Verfügung. Beinahe Null-Energie oder sogar Plus-Energie-Häuser sind möglich, beim Neubau sogar ohne wesentliche Mehrkosten. Unser Energieverbrauch wird jedoch noch während Jahrzehnten massgeblich durch die bestehende Gebäudesubstanz bestimmt. Die Rahmenbedingungen sind hier für energetische Massnahmen oft schwieriger. Trotzdem zeigen viele gelungene Beispiele, dass auch Altbauten zu Plusenergiehäusern werden können. Die technischen Möglichkeiten sind vorhanden. Das Gebäude allein kann jedoch die Energieprobleme unserer Gesellschaft nicht allein lösen. Die wachsenden Ansprüche der Bewohner an Platz, Komfort und Technik sind heute aus Energiesicht kritischer als der Wärmebedarf der Gebäude.

Am Energie-Apéro vom 2. März 2011 in Bern werden Sie Systeme und Komponenten für das Plusenergiehaus vorstellen. Was werden Sie zeigen?
Vor allem die Integration effizienter Energietechnologien in das Gebäudesystem steht im Vordergrund. Es genügt nicht, nur einzelne Komponenten zu optimieren. Die verschiedenen Teile eines Gebäudes müssen aufeinander abgestimmt sein. Das beginnt bei der Gebäudehülle, die sowohl die winterlichen Anforderungen wie auch den sommerlichen Komfort gewährleisten muss. Ein Plusgebäude wird es jedoch erst, wenn es den Bedarf an Energie selber decken kann, und zwar primär dann, wenn die Energie benötigt wird. Heute machen wir uns etwas vor, wenn wir im Sommer Strom erzeugen und diesen im Winter wieder beziehen wollen. Das ist nur eine Übergangslösung die funktioniert, solange Plusenergiehäuser die Ausnahme sind. Langfristig müssen wir den Bedarf besser auf die Erzeugung abstimmen.

Ein Teil der Architekten fühlt sich durch energetische Rahmenbedingungen in ihrem kreativen Schaffen zunehmend eingeengt. Teilen Sie – selber ein Architekt – diese Ansicht?
Es ist offensichtlich, dass anspruchsvolle Vorgaben auch einschränken. Aber letztlich ist das die Herausforderung für gute Architekten. Die Einschränkungen durch sicherheitstechnische Anforderungen und raumplanerische Baugesetze sind wesentlich grösser als jene durch die Vorgaben im Energiebereich. Die Vielfalt der technisch verfügbaren Lösungen war noch nie so gross wie heute. Diese optimal zu nutzen, ist die Herausforderung, wie viele gute Beispiele und Architekturpreise zeigen.

Bisher wird bei Plusenergiehäusern das Plus an Energie üblicherweise mit Solarstrom erzeugt. Sehen Sie für dieses Plus noch weitere Energieformen bzw. -systeme?
Verfügbare Energieformen werden sich in Zukunft weiter entwickeln. Der Solarstrom wird dabei bestimmt eine wichtige Rolle spielen, nicht nur für die Versorgung des Gebäudes, sondern auch für die Mobilität. Er ist eine attraktive Energieform, die technisch erprobt ist und sich durch den Hausbesitzer leicht ausbauen lässt. Auch wirtschaftlich gesehen ist Solarstrom mittelfristig interessant. Allerdings ist die Verfügbarkeit nicht jederzeit gegeben. Erst die Kombination mit anderen Energieerzeugern wird eine funktionierende Versorgung ermöglichen. Europäisch gesehen wird dabei die Windkraft eine wichtige Rolle spielen, aber die Wasserkraft wird zusammen mit Pumpspeicherwerken unverzichtbar sein, da sie am besten auf Stromlücken und -überschüsse reagieren kann. Aber auch Gebäude sind als Kraftwerke gefordert, wenn winterliche Stromlücken zu decken sind. In dieser Zeit können Wärme-Kraft-Anlagen kurzfristig sowohl Wärme wie auch Strom bereitstellen; vorläufig noch primär mit fossilen Energieträgern und in Grossanlagen mit Biomasse. Was noch bleibt, ist die thermische Solarnutzung mit Sonnenkollektoren. Langfristig wird ihre Bedeutung vermutlich wieder abnehmen, da sie auf Niedertemperaturwärme begrenzt ist. Ihr Beitrag ist vor allem im Sommer hoch, im Winter jedoch nicht so relevant.

Die gesetzlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen scheinen den Weg zum Plusenergiehaus teils noch zu behindern? Wohl wird die Photovoltaik günstiger, doch was müsste ansonsten noch verändert werden?
Ich sehe das etwas anders. Die gesetzlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen fördern Plusenergiehäuser vor allem über die hoch gehaltenen Einspeisetarife. Ich finde das richtig. Es braucht jedoch noch mehr Anreize, um die Umstellung auf eine nachhaltige Energieversorgung zu sichern. An dieser Umstellung führt kein Weg vorbei. Langfristig werden wir uns aber daran gewöhnen müssen, dass eine nachhaltige Energieversorgung nicht mehr so günstig zu haben sein wird, wie die Nutzung fossiler Energien. Energie war immer ein kostbares Gut, wir haben das im Erdölzeitalter nur etwas vergessen.

In welcher Weise unterstützt die Forschung und Entwicklung der Empa die Anstrengungen zum Bau von Plusenergiehäusern?
Die Empa ist primär ein Materialforschungsinstitut. Sie legt grossen Wert auf die Entwicklung neuer Materialien für die Energietechnik, sei es im Bereich der regenerativen Stromerzeugung (z.B. Dünnschicht-Photozellen), der Energiespeicherung (z.B. Wasserstoffspeicher) oder der Wärmedämmung (z.B. Hochleistungsdämmstoffe). Durch die Brückenfunktion der Empa zwischen Industrie und Wissenschaft haben aber auch der Systemgedanke und damit das Engineering einen hohen Stellenwert. Das Plusenergiehaus ist ein komplexes System, das nur funktioniert, wenn alle Komponenten aufeinander abgestimmt sind und auch die
Aspekte der Nutzung angemessen berücksichtigt werden. Um entsprechende Lösungen auf Herz und Nieren testen zu können, haben wir die energieautarke Raumzelle „Self“ realisiert. Sie stellt für uns eine Entwicklungsplattform dar, mit welcher wir neue Energiesysteme im praktischen Einsatz testen können.

Sie sind auch beim CCEM-Programm zur standardisierten Gebäudehüllenerneuerung involviert. Wie ist die Situation bei diesem Programm und welche weiteren Entwicklungen sind im Gange?
Gerade bei der Bauerneuerung bestehen noch grosse Effizienzpotenziale bei der System- und Prozessoptimierungen. Die Technologie steht weitgehend zur Verfügung. Mit dem erwähnten Programm entwickelt der ETH-Bereich zusammen mit verschiedenen Fachhochschulen und Industriepartnern standardisierte Prozesse und konstruktive Lösungen, die eine Bauerneuerung wesentlich vereinfachen, ohne jedoch die architektonische Gestaltung einzuschränken.

Eine weitere Herausforderung stellen historische Bauten dar, die einerseits so wenig wie möglich verändert und andererseits trotzdem energieeffizient werden sollen. Speziell für diese Anwendung entwickeln wir zusammen mit Industriepartnern einen neuartigen Dämmputz auf der Basis von Aerogel. Er ist rein mineralisch, wasserabstossend und hat hervorragenden Dämmeigenschaften. Wenn historische Gebäude neu verputzt werden müssen, kann der bestehende Putz einfach durch diesen Dämmputz ersetzt werden, aussen wie auch innen. Wir rechnen damit, dass er 2013 auf dem Markt verfügbar sein wird. Damit werden zwar diese Bauten noch keine Plusenergiehäuser, aber der Minergie-Standard sollte erreichbar sein.

Kontakt:
Mark Zimmermann
Empa
Überlandstrasse 129
8600 Dübendorf
Mark.Zimmermann@empa.ch

Text: Jürg Wellstein, das Interview ist im Newsletter des energie-cluster.ch erschienen.

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