Der Konkurrenzkampf unter den Prognosedienstleistern ist eröffnet. Das lässt hoffen, dass die Sonne schon bald weniger Probleme beschert und mehr Beachtung findet.

Solarstrom: Wissen, wann die Wolke kommt

(SR) Die Photovoltaik lässt den Strommarkt nicht mehr unberührt. Im Sommer müssen Regelkraftwerke für die Sonnenenergie bereits erheblich rotieren: Neue Prognoseprogramme können eine Netzintegration des Solarstroms erleichtern.


Der 6. September 2010 wird der Stromwirtschaft in Erinnerung bleiben. Es war ein besonders schöner Tag: Strahlend blauer Himmel, mehr Sonnenschein als erwartet. Deutschlands Photovoltaik (PV)-Anlagen brummten und lieferten Solarstrom. So viel, dass die Stromwirtschaft nur noch durch eine Vollbremsung sämtlicher Regelkraftwerke die Stabilität ihrer Netze sichern konnte. Über mehrere Stunden hinweg wurde die komplette verfügbare negative Regelleistung in Deutschland von 4‘300 Megawatt (MW) in Anspruch genommen. Zusätzlich haben die Übertragungsnetzbetreiber 2‘800 MW Notreserve im Ausland ordern müssen, sprich, mussten auch Kraftwerke in den Nachbarländern runter gefahren werden. Der Solarstromschwall gefährdete aber nicht nur das System, sondern kam auch den Verbrauchern teuer zu stehen. Das Zurückfahren der Regelkraftwerke verursacht Kosten, die über die Netzentgelte in ihren Strompreis fliessen.

Netz mittags um 7‘000 MW überspeist
Für den Zwischenfall scheint es eine einfache Erklärung zu geben: Die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber, Tennet, 50 Hertz, Amprion und EnBW Transportnetze, die für das Gleichgewicht von Stromerzeugung und -verbrauch im Netz sorgen müssen, haben die PV-Einspeisung schlecht prognostiziert. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) verpflichtet sie, Ökostrom am Spotmarkt bestmöglich zu versteigern. Hier wird mit den erwarteten Einspeisewerten des Folgetags gehandelt. Am 6. September pumpten Deutschlands Solaranlagen nun aber weit mehr Sonnenstrom in die Leitungen als die Übertragungsnetzbetreiber entsprechend ihrer Vorhersage am Vortag an der Börse veräussert hatten. Das deutsche Netz war daher mittags um 7‘000 MW überspeist. Theoretisch hätten die Übertragungsnetzbetreiber der Überspeisung durch kurzfristigen Verkauf überschüssigen Stroms entgegenwirken können. Aber ohne tagesaktuelle Prognose? So blieb nur die teure Option „Regelleistung“: Denn Deutschlands Stromwirtschaft ist in Sachen Solarstromproduktion blind.


Blindflug durch den Sonnentag

Doch sind für den plötzlichen Leistungshub nur die Übertragungsnetzbetreiber verantwortlich? Für ihre Day-ahead-Prognosen stützen sie sich auf die PV-Einspeiseprofile der Verteilnetzbetreiber. Da diese die Solaranlagen an ihre Nieder- und Mittelspannungsnetze anschliessen und den PV-Strom vergüten, kennen sie Deutschlands Solarzoo am besten – sollte man meinen. Die Daten der Verteilnetzbetreiber scheinen aber alles andere als präzise, wie der Prognose-Spezialist Ulrich Focken aufzeigt: Erstens, würden sie neu angeschlossenen PV-Anlagen mit erheblicher Verzögerung bei den Übertragungsnetzbetreibern melden, sagt der Fachmann von der Oldenburger Firma Energy & Meteo Systems. Zweitens übermittelten sie in der Regel nicht die tatsächlichen Einspeisedaten oder realistische Prognosewerte, sondern Normeneinspeiseprofile, die noch nicht mal durch eine Wetterprognose berichtigt seien.

Bandstrom ?
Noch schlimmer: „Einige Verteilnetzbetreiber geben die PV-Einspeisungen sogar als durchlaufende Bänder an“, sagt Focken. Das bedeutet eine gleichmässige Lieferung. Demnach müssten PV-Anlagen aber auch zu Nachtzeiten Strom produzieren. Fazit: Der Umgang mit der Photovoltaik ist bis dato ziemlich lax, sie aufgrund eines Strombeitrags von „nur“ zwei Prozent als irrelevant einzustufen, ist fahrlässig. Inzwischen hat die Stromwirtschaft die Kraft der Sonne zu spüren bekommen: Kraftwerksfahrpläne geraten durcheinander, Netze aus der Balance, Solarstrom wird falsch vermarktet.

Neue Prognoseverfahren
Solche Probleme drohen den Netzbetreibern öfters, wenn sie der Sonne nicht bald mehr Aufmerksamkeit widmen. Laut Fraunhofer-Institut für Windenergie- und Energiesystemtechnik (IWES) können Deutschlands PV-Kraftwerke an Sommertagen schon heute rechnerisch ein Viertel des Strombedarfs decken. Dieser Anteil wird weiter steigen: Die deutsche Solarbranche will die installierte Leistung in Deutschland bis 2020 von derzeit 17‘800 auf mindestens 52‘000 MW verdreifachen. „Die Photovoltaik steht heute da, wo die Windenergie vor zehn Jahren stand. Ohne Netzausbau und neue Prognoseverfahren werden sich die wachsenden Solarstrom-Mengen nicht sicher integrieren lassen“, sagt Günther Cramer, Präsident des Bundesverbands Solarwirtschaft und Chef des Wechselrichterherstellers SMA.

Referenzmessverfahren
Die Bundesnetzagentur (BNetzA), die Deutschlands Netze beaufsichtigt, nimmt die Verteilnetzbetreiber deshalb jetzt stärker in die Pflicht. „Damit die Übertragungsnetzbetreiber Solarstrom EEG-gerecht vermarkten können, fordern wir von den Verteilnetzbetreibern, dass sie ihnen monatlich bis zum 5. eines Folgemonats die aktuell installierte Solarleistung in ihren Konzessionsgebieten und echte Viertelstunden-Ist-Einspeisewerte liefern“, sagt BNetzA-Sprecher Rainer Warnecke. Das heisst, statt sporadischer und vager Angaben werden von den Unternehmen künftig pünktlich konkrete Messwerte verlangt. Das Problem ist nur, dass drei Viertel der PV-Anlagen in Deutschland nicht leistungsvermessen sind – über sie wissen die Verteilnetzbetreiber rein gar nichts. Um der realen PV-Einspeisung dennoch möglichst nahe zu kommen, schlägt die BNetzA die Einführung eines Referenzmessverfahrens vor, wie es die Windkraft bereits erfolgreich umsetzt. Schon vom 1. April dieses Jahres an sollen die Verteilnetzbetreiber repräsentative leistungsvermessene Anlagen auf den Gesamtbestand in ihrem Gebiet hochrechnen.

Messen statt raten
Vor allem kleinere Verteilnetzbetreiber fürchten dadurch einen erheblichen Mehraufwand. „Wir bauen unsere Netze für den Solarstrom aus, schliessen die PV-Anlagen an, kümmern uns um die Vergütung und sollen jetzt auch noch zügig neue Prozesse zur Bestimmung der PV-Einspeiseleistung einführen?“, fragt Bernd Heitmann. „Die EEG-Verwaltung bindet immer mehr Personal und wird immer teurer“, moniert der Chef der Stadtwerke Fröndenberg.

Die BNetzA-Forderung könnte sich aber leichter umsetzen lassen, als die Verteilnetzbetreiber vorgeben. Die beiden Prognosespezialisten Energy & Meteo Systems sowie die Kasseler Micromata haben, gewissermassen in Erwartung grösserer Probleme, bereits Hochrechnungs- und Prognoseverfahren für die PV entwickelt, welche die Anforderungen der BNetzA erfüllen. Ihre Daten stellen sie ihren Kunden jeweils automatisch über E-Mail oder einen Webservice bereit – kein Stadtwerk muss sich also in komplizierte Algorithmen verstricken. Basis für die Berechnungen der Spezialisten sind bundesweit 24‘000 Solaranlagen mit 2‘300 MW Gesamtleistung, die Wechselrichterhersteller SMA auf seinem Internetportal „Sunny Portal“ zur Anlagenüberwachung- und Visualisierung zur Verfügung stellt.

13 Prozent der Solarstromerzeugung
Diese Anlagen stehen für 13 Prozent der Solarstromerzeugung in Deutschland. Deren Werte rechnen Energy & Meteo Systems und Micromata – jeweils nach eigener Methode – auf alle PV-Anlagen in Deutschland hoch. Micromata nutzt dafür einen vom IWES entwickelten Algorithmus, der neben den SMA-Daten regelmässig mit Temperatur- und satellitengemessenen Einstrahlungswerten gefüttert wird. „So können wir sogar eine mögliche Schneebedeckung im Umkreis einer Anlage in die Berechnung einbeziehen“, erklärt Firmenchef Thomas Landgraf. Sehr präzise arbeitet nachweislich auch das System von Energy & Meteo Systems. Seit dem 1. Januar dieses Jahres rechnet es hoch, wie viel Strom die rund 170‘000 Solaranlagen mit 3‘000 MW Gesamtleistung im Konzessionsgebiet von Eon Bayern einspeisen. Stichprobenartige Vergleiche zwischen Hochrechnung und tatsächlichen Einspeisewerten der leistungsgemessenen Solaranlagen im Eon-Netzgebiet belegen: Die Genauigkeit des Verfahrens liegt bei über 99 Prozent.

Die Kür
Doch in der Hochrechnung für die Verteilnetzbetreiber sehen die Prognosespezialisten nur die Pflicht. Die Kür besteht für sie aus einer exakten Solarprognose für die Übertragungsnetzbetreiber. „Wir können ihnen nicht nur die Grundlage für eine gescheite Prognose liefern, sondern auch mit hoher Präzision vorhersagen, was die PV-Anlagen in ihren Regelzonen morgen leisten“, wirbt Focken. Wobei das wesentlich schwieriger als eine exakte Hochrechnung ist: Kniffelig sei es zum Beispiel, Nebel zu berücksichtigen, der oft nur punktuell auftaucht, oder im Winter vorherzusagen, wann der Schnee auf den Solarmodulen zu tauen beginnt und vom Dach rutscht. Diesen Zeitpunkt genau zu bestimmen, kann vor allem im PV-starken wie schneereichen Bayern wichtig sein, da viele Anlagen dann quasi von jetzt auf gleich wieder grosse Mengen Strom produzieren.

Mehr als ein Wetterdienst
Ausgangsbasis für die Leistungsvorhersagen von Energy & Meteo und Microdata sind jeweils die Strahlungsprognosen verschiedener europäischer Wetterdienste. Beide Anbieter nutzen ein Verfahren, das die Stärken und Schwächen der Wetterdienste erkennt und die Prognosen optimal kombiniert. „Man sollte niemals den Prognosen nur eines Wetterdienstes vertrauen“, sagt Focken. Die Vorhersagen basieren ausserdem auf den regionalen meteorologischen Eigenschaften, wie zum Beispiel Nebel oder Schnee, Informationen über die in der Region installierten Anlagen und auf den Messdaten aus dem Sunny Portal von SMA. Aus all diesen Parametern errechnen die Systeme eine Solarprognose für mehrere Tage.

Konkurrenz unter den Prognoseanbietern
Die Verteil- und Übertragungsnetzbetreiber zeigen bereits Interesse an den Dienstleistungen der Spezialisten. „Vorhersagen werden für uns immer wichtiger. Mit ihrer Hilfe kann die Solarenergie wirtschaftlich und mit hoher Versorgungsqualität in den Strom-Mix unseres Netzes integriert werden“, sagt Jens Langbecker, Leiter Energiemarkt. Doch werden sich Energy & Meteo und Micromata gegen starke Konkurrenz behaupten müssen. Immer mehr Unternehmen drängen auf den Prognosemarkt. Zu den bekannten zählt die Augsburger Firma Meteocontrol. Sie erstellt ihre Prognose nach einer anderen Methode: „Wir nutzen für unsere Vorhersage nur eine, die beste, Strahlungsprognose des Europäisches Zentrums für mittelfristige Wettervorhersage“, erklärt Projektleiter Christian Kurz. Die Strahlungsdaten verfeinere Meteocontrol mit aktuellen Erzeugungsdaten von mehreren hundert PV-Referenzanlagen in Deutschland, die viertelstündlich vermessen werden. Diese Kraftwerke hat die Firma aus seinem Pool von 18‘000 überwachten Anlagen mit 2‘300 MW Gesamtleistung ausgewählt. Kurz ist überzeugt, dass die Meteocontrol-Vorhersage präziser ist als die seiner Wettbewerber. „Von den SMA-Anlagen ist bekannt, dass sie überdurchschnittlich gute Erträge erwirtschaften. Unsere sind repräsentativer.“ Der Konkurrenzkampf unter den Prognosedienstleistern ist eröffnet. Das lässt hoffen, dass die Sonne schon bald weniger Probleme beschert und mehr Beachtung findet.

© Text: Sascha Renzing

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