Die Verbrauchskurve- und die Eigenverbrauchsrate der PV-Anlage Zwicky Süd. Während der Deckungsgrad der Anlage rund 30 % relativ tief liegt, wird ein Eigenverbrauch von 80 % erwartet. ©Grafik und Berechnungen: BE Netz AG

Visualisierung der Überbauung Zwicky Süd. Hier realisiert die Genossenschaft Kraftwerk1 eine 200-MW-Solaranlage mit Eigenverbrauch. ©Bild: nightnurse images

PV-Tagung: Eigenverbrauch – Kooperation statt Konkurrenz

(PR) Den Solarstrom vom eigenen Dach direkt zu nutzen ist wirtschaftlich interessant. Wie werden solche Eigenverbrauchsgemeinschaften bewirtschaftet? Wie gehen Energieversorger mit dieser neuen Kundengruppe um? Wie sollen die Netze finanziert werden, wenn immer mehr Eigenverbraucher immer weniger Abgaben zahlen? Kooperative Lösungen zeigen den Weg.


Auf dem Areal der ehemaligen Spinnerei Zwicky im Grenzbereich von Zürich, Wallisellen und Dübendorf entsteht ein neues Stadtquartier. Hier am Ufer der Glatt, zwischen Autobahn, Bahnviadukt, alten Fabrikgebäuden und Möbelhäusern realisiert die Bau- und Wohngenossenschaft Kraftwerk1 eine weitere Überbauung, in der rund 300 Personen gemeinschaftliche Wohnformen erproben. Die drei Gebäudekomplexe erfüllen die Kriterien der 2000-Watt-Gesellschaft. Dazu trägt nicht nur die effiziente Bauweise nach dem Standard Minergie-P-Eco und das Mobilitätskonzept bei, sondern auch die 1400 m2 grosse Photovoltaikanlage mit einer Leistung von 235 kWp. Die erwartete Stromproduktion von rund 200 MWh soll zu 80 % direkt von den Mieterinnen und Mietern der Siedlung genutzt werden.

Flexible Lösung
Grundsätzlich sollen alle Mieterinnen und Mieter Strom von der Solaranlage nutzen. Sie haben ein entsprechendes Merkblatt unterzeichnet. „Doch rechtlich können wir den Mietenden die Beteiligung an der Eigenverbrauchsgemeinschaft nicht vorschreiben“, erklärt Claudia Thiesen von Kraftwerk1. Die Genossenschaft hat zusammen mit dem örtlichen Energieversorger eine Eigenverbrauchslösung umgesetzt, die auch den Ausstieg einer Partei möglich macht. Die Glattwerk AG hat nebst den vorgeschriebenen Lastgangzählern bei der Photovoltaikanlage und beim Netzanschlusspunkt auch jede Wohnung mit intelligenten Zählern ausgerüstet. „Solche Zähler für Wohnungen sind heute kaum mehr teurer als herkömmliche elektronische Zähler“, erklärt Markus Gautschi, Leiter der Glattwerk AG.

Günstiger Solarstrom
Die Zähler speichern jede Viertelstunde alle Messdaten und werden periodisch über das Glasfasernetz der Glattwerk AG ausgelesen. Glattwerk übernimmt die Abrechnung der Eigenverbrauchsgemeinschaft. „Wir haben die Kompetenz, professionelle, transparente Stromabrechnungen zu machen“, ist Gautschi überzeugt. Nebst den üblichen monatlichen Anschlusskosten für jeden Haushalt wird der Mehraufwand für den Eigenverbrauch mit 2.50 Fr. pro Wohneinheit und Monat verrechnet. „Die Glattwerk AG zeigte sich sehr kooperativ bei der Umsetzung“, freut sich Thiesen. Für den Energieversorger stand im Vordergrund, den Kontakt zu den Endkunden zu behalten. Dieser gehe verloren, wenn die Eigenverbrauchsgemeinschaft selbst abrechnet. Und bei Problemen würden sich die Strombezüger trotzdem wieder an den Versorger wenden, meint Gautschi.

Der Strom vom eigenen Dach wird die Bewohnerinnen und Bewohner der Genossenschaftssiedlung rund 21 Rappen kosten. Damit ist er günstiger als das Produkt „naturemade star“ oder der Solarstrom der Glattwerk AG. „Wir können unsere Photovoltaikanlage ohne Subventionen über die Lebensdauer von 30 Jahren amortisieren“, erklärt Thiesen. Für den restlichen Bedarf können die Haushalte zwischen den Stromprodukten des Anbieters frei wählen.

Unsolidarischer Eigenverbrauch?
Der Eigenverbrauch werde in Zukunft weiter zunehmen, ist David Stickelberger von Swissolar überzeugt. Denn in Kombination mit einer Einmalvergütung anstatt der Kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) ist der Eigenverbrauch für viele Anlagenbesitzer eine attraktive Alternative zur Stromeinspeisung ins Netz. Kommt – wie aktuell in der Politik diskutiert – auch für Anlagen über 30 kWp die Wahlmöglichkeit zwischen KEV und Einmalvergütung, wird dieser noch weiter zunehmen. Auch Stromspeicher können den Eigenverbrauchsanteil zusätzlich erhöhen.

Nicht alle Energieversorgungsunternehmen (EVU) seien aber so kooperativ wie die Glattwerk AG. „Teilweise legen EVU Eigenverbrauchern durch hohe Leistungstarife oder überhöhte Gebühren für Messeinrichtungen Steine in den Weg“, so Stickelberger. EVU dürfen bei Eigenverbrauchern mit einer PV-Anlage über 10 kW spezielle Leistungstarife verlangen. Die Begründung: Eigenverbraucher leisten einen tieferen Beitrag an die Netzinfrastruktur. Die Verteilnetze werden durch eine Abgabe auf dem Netzstrom finanziert und Eigenverbraucher beziehen weniger Strom. Trotzdem haben sie jederzeit Anspruch auf die volle Leistung aus dem Netz. Diese Argumentation habe durchaus Berechtigung, meint auch Markus Gautschi. Trotzdem verzichtet die Glattwerk AG auf einen speziellen Leistungstarif. „Wir werden die Entwicklung aber im Auge behalten“, so Gautschi.

Elektrizitätsmarkt verändert sich
Dass sich die Spielregeln in den Verteilnetzen durch zusätzlichen Solarstrom und Eigenverbrauch verändern, streitet auch David Stickelberger nicht ab. Von einer Entsolidarisierung bei der Netzkostenfinanzierung zu sprechen, sei aber übertrieben. Der Anteil des Eigenverbrauchs am Gesamtstrombedarf werde auch in naher Zukunft noch verschwindend klein sein. Anstatt die Photovoltaik als Gefahr zu sehen, sollten sich die EVU eine neue Rolle im Elektrizitätsmarkt zurechtlegen, fordert er: „Wenn sich die EVU vermehrt als Dienstleister für die Eigenverbraucher etablieren, können sie sich neue Marktfelder erschliessen.“
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Nationale Photovoltaik-Tagung

Am 22./23. Februar 2016 findet im Kursaal Bern die 14. Nationale Photovoltaiktagung statt, organisiert von Swissolar, VSE und BFE. Nebst neuen politischen und technologischen Entwicklungen werden die Rolle der Solarenergie im Strommarkt sowie Herausforderungen und Lösungen rund um den Eigenverbrauch von Solarstrom Themenschwerpunkte bilden.

Information und Anmeldung: www.swissolar.ch/pv2016
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Die EVU sind aber nicht nur als Stromlieferanten und Verteilnetzbetreiber gefordert, sondern auch als Elektrizitätserzeuger. Der Strompreiszerfall nagt an der Rentabilität der Wasserkraftwerke – Investitionen lassen sich kaum mehr amortisieren. Dass der massive Zubau der Solar- und Windenergie mithilfe von Subventionen an den tiefen Strompreisen Schuld sei, ist aber zu kurz gegriffen. Einerseits herrschen auf dem europäischen Strommarkt Überkapazitäten und der bestehende Kraftwerkspark ist zu wenig flexibel, um einen funktionierenden Markt zu garantieren. Nach reiner Marktlogik schalten bei tiefer Nachfrage oder bei einem Überangebot an Strom die Kraftwerke mit den höchsten Grenzkosten ab. Und das sind die fossilen Kraftwerke. Denn zur Erzeugung jeder Kilowattstunde Strom müssen diese Brennstoffe einkaufen, während Solar-, Wind- oder Wasserkraftwerke kostenlose Primärenergie aus der Umwelt beziehen. Doch weil sich Kohlekraftwerke (im Gegensatz zu Gaskraftwerken) kaum modulieren lassen, produzieren sie weiter – auch wenn sie ihre variablen Kosten kurzfristig nicht mehr decken können. „Marktwirtschaftlich gesehen ist es die Bandenergie aus Kohlekraftwerken, die bei hoher Solarstromproduktion zu einem Überangebot und zu tiefen Preisen führt“, erklärt Stickelberger.

©Text: Irene Bättig, im Auftrag von Swissolar

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