Chiptausch: In Deutschland werden derzeit Tausende Wechselrichter umgerüstet. Solaranlagen müssen sich neuerdings an der Frequenzhaltung im Netz beteiligen. ©Foto: SMA

Sensibles System: In Europa strömt immer mehr Solarstrom in die Netze. Dadurch könnten sie instabil werden. ©Foto: Solarpraxis

50,2-Hertz-Nachrüstung für PV-Anlagen: Holpriger Start

(©SR) Weil die Kommunikation zwischen Netz- und Solarbetreibern hakt, kommt die 50,2-Hertz-Nachrüstung für Solaranlagen in Deutschland kaum in Gang. Je nach Region habe die Hälfte der Anlagebesitzer die Anmeldung nicht gemacht, berichten die Behörden. Doch werden die Sonnenkraftwerke nicht rasch umjustiert, drohen im europäischen Verbundnetz Probleme.


Für diese Pressemitteilung hat der deutschen Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) viel Kritik einstecken müssen. „Die schleppende Beteiligung der Betreiber von Photovoltaikanlagen an der gesetzlich vorgeschriebenen Nachrüstung bereitet den deutschen Netzbetreibern Sorge“, schrieb der Verband am 18. Dezember unter dem Titel „Nachrüstung von 300‘000 Solaranlagen beginnt“. Je nach Region habe die Hälfte der Anlagenbesitzer bereits die Fristen zur Meldung ihrer Anlagen verstreichen lassen, daher könne ihnen nun die Einspeisevergütung gestrichen werden, drohte der BDEW.

Relativ kurzfristig

Dass die Stromnetzlobby den Solarbetreibern auf die Füsse tritt, ist durchaus verständlich. Die Bundesregierung hat im Juli 2012 die sogenannte Systemstabilitätsverordnung verabschiedet, nach der die Verteilnetzbetreiber die Nachrüstung in relativ kurzer Zeit organisieren müssen: Bis Ende 2014 sind nahezu alle vor dem 1. Januar 2012 angeschlossenen Solargeneratoren ab zehn Kilowatt Leistung so einzustellen, dass sie sich bei einer kritischen Netzfrequenz von 50,2 Hertz nicht mehr zeitgleich, sondern zwischen 50,2 und 51,5 Hertz gestaffelt ausschalten. Auf diese Weise soll ein plötzlicher starker Rückgang des Stromangebots und somit die Gefahr eines Blackouts vermieden werden.

Was an der Betreiberschelte des BDEW jedoch irritiert: Viele Anlagenbesitzer haben laut einer Online-Umfrage im deutschen „Photovoltaikforum“ noch keine Fragebögen zur Meldung ihrer Kraftwerke erhalten. „Offensichtlich sind bisher nur wenige Netzbetreiber tätig geworden. Statt mit dem Finger auf andere zu zeigen, hätte der BDEW besser etwas Selbstkritik geübt“, schimpft Jürgen Haar, Betreiber des Photovoltaikforums. In der Diskussionsrunde im Internet erhitzten sich schnell die Gemüter: „Die ganze Sache zeigt, wozu die Netzbetreiber nicht einmal in der Lage sind. Wie wollen sie so die Umrüstung bewerkstelligen“, lautete einer von vielen kritischen Einwänden.

Schwierigen Start des wegweisenden Projekts
Das klingt nach einem schwierigen Start des ersten wegweisenden Projekts zur Netzintegration der Photovoltaik. Das Beratungsunternehmen Ecofys und die Universität Stuttgart hatten in ihrer gemeinsamen Studie „Nachrüstung von Solarstromanlagen zur Lösung der 50,2 Hz-Problematik“ noch gewarnt: Die Netzstabilität in Europa ist akut gefährdet. Um eine rasche Nachrüstung zu gewährleisten, muss eine hohe Akzeptanz für die Massnahmen bei den Anlagenbetreibern geschaffen werden. Anscheinend haben sich aber nicht alle Verteilnetzbetreiber an diese Empfehlung gehalten.

Unkoordinierte Netzbetreiber

Stattdessen starten die deutschen Unternehmen alles andere als koordiniert in die grosse Umrüstaktion. Zwar schreibt die deutsche Systemstabilitätsverordnung konkrete Fristen vor. So müssen Sonnenkraftwerke am Niederspannungsnetz ab 100 Kilowatt Leistung bis 31. August 2013 die neuen Auflagen erfüllen, Anlagen ab 30 Kilowatt bis 31. Mai 2014 und die kleinste Kategorie ab zehn Kilowatt bis 31. Dezember 2014. Bis dahin sind die Unternehmen verpflichtet, den Übertragungsnetzbetreibern regelmässig vierteljährlich über den Stand der Dinge zu berichten. Doch wie sie die Nachrüstung organisieren, bleibt gänzlich ihnen überlassen. So kommt es, dass einige Verteilnetzbetreiber schon seit vorigem Sommer Daten sammeln, während andere erst jetzt damit beginnen.

150‘000 Anlagen in zwei Jahren

Eon Bayern zum Beispiel muss nach eigenen Informationen in den kommenden zwei Jahren mehr als 150‘000 Anlagen abwickeln, die Hälfte des gesamten deutschen Nachrüstportfolios. Bis Ende Dezember hatte der süddeutsche Netzriese aber erst 6000 Fragebögen verschickt. „Die Auswertung wird nicht lange dauern, wir liegen voll im Zeitplan“, teilt das Unternehmen zwar beschwichtigend mit. Das kann sich allerdings schnell ändern, denn Eon und Co haben neben der Datenerfassung noch weitere Verpflichtungen: Externe Techniker sind mit der Nachrüstung zu beauftragen, die Massnahmen zu dokumentieren und die Kosten schliesslich je zur Hälfte auf die Netzentgelte und die Umlage zur Förderung der erneuerbaren Energien (EEG-Umlage) umzulegen. Das dürfte mit einem hohen bürokratischen und zeitlichen Aufwand verbunden sein.

Allerdings sind es nicht nur die Netzbetreiber, die den Zeitplan gefährden. Sie spekulieren darauf, dass die Betreiber ihre Anlagen nach Erhalt der Fragebögen pünktlich innerhalb der gesetzlich vorgeschrieben Frist von einem Monat melden. Doch wie es aussieht, kommen auch die Stromerzeuger nur schwer in die Gänge. „Wir haben Ende Oktober 86 Schreiben an die erste Tranche über 100 Kilowatt versendet und einigen Betreibern auch schon zwei Erinnerungsschreiben geschickt. Dennoch gab es bisher nur 24 Rückmeldungen“, sagt Michael Leukam, Sprecher des Darmstädter Verteilnetzbetreibers (VNB) Rhein-Main-Neckar. Auch bei den Augsburger Lechwerken laufen laut Sprecher Thomas Renz bereits Nachfassaktionen. Das Unternehmen hat 25‘000 Anlagen mit 620 Megawatt Gesamtleistung umzurüsten. „Damit wir loslegen können, rufen wir sogar bei den Betreibern an“, sagt Renz.

Träge Anlagenbesitzer

Dabei verursacht die Umrüstung den Stromerzeugern weder grosse Mühen noch Kosten. Sie müssen nur auf den zweiseitigen standardisierten Fragebögen ihrer Netzbetreiber Angaben zu ihren Anlagen und Wechselrichtern machen. Auf den Internetseiten einiger Unternehmen wie zum Beispiel der Lechwerke können Solarbetreiber ihre Daten sogar online eingeben. „Leichter können wir es ihnen kaum machen“, sagt Renz. Liegen die Informationen vor, werden die Handwerker beauftragt, die Wechselrichter neu zu justieren. Auch das sei „eine Sache von Minuten“, wie Andreas Schlumberger vom Wechselrichterhersteller Kaco new energy erklärt. Die Hersteller haben den Frequenzwert für jeden Inverter so festgelegt, dass sich eine gleichmässige Verteilung der Abschaltfrequenzen über die gesamte Leistung des betroffenen Anlagenbestands einer Regelzone ergibt. Während also künftig zum Beispiel alle umgerüsteten Kaco-Stringwechselrichter bei Frequenzen bis 51 Hertz vom Netz gehen, folgen die grossen Zentralwechselrichter ab 51 Hertz. „Die neuen Werte lassen sich über das Gerätemenü leicht manuell einstellen. Nur bei ganz alten Wechselrichtern muss eventuell der Chip getauscht werden“, erklärt Schlumberger. Ihre Arbeit stellen die Installateure schliesslich den Verteilnetzbetreibern in Rechnung, die sich das Geld aus dem EEG-Topf und über die Netzentgelte von den Energieverbrauchern zurückholen.

G
rossräumiger Ausfall droht
Kommt jedoch nicht bald Schwung in die Nachrüstung, steigt das Risiko von Blackouts. „Wir sind akut gefährdet“, warnt Ecofys-Netzexperte Michael Döring. Im Normalbetrieb werden die Stromnetze in Europa im Verbund betrieben, die systemweite Frequenz bleibt stabil bei Werten nahe des Sollwerts von 50,0 Hertz. Steigt die Frequenz jedoch aufgrund einer Störung auf 50,2 Hertz an, würden sich an einem sonnigen Tag in Deutschland abrupt bis zu 314000 Solaranlagen mit 14 Gigawatt Gesamtleistung ausschalten. Da im europäischen Verbundnetz aber nur drei Gigawatt Reserveenergie verfügbar ist, könnte der Ausfall der solaren Erzeugungsleistung nicht kompensiert werden. „Dann würde die Frequenz wahrscheinlich unter den Sollwert fallen und es zu kaskadierenden Abschaltungen zusätzlicher Erzeugungsleistung zum Beispiel von Windturbinen am Mittelspannungsnetz kommen, von denen sich ein Teil richtlinienkonform bereits bei 49,5 Hertz abschalten würde“, erklärt Döring. „Die Konsequenz wäre ein grossräumiger Ausfall der Elektrizitätsversorgung in Teilen Europas.“

Zu frequenzsteigernden Störungen, die solche Dominoeffekte auslösen können, kann es nach Angaben des Netzexperten leicht aus verschiedenen Gründen kommen. So haben zum Beispiel die Übertragungsnetzbetreiber die Aufgabe, das Gleichgewicht von Verbrauch und Erzeugung elektrischer Energie zu wahren. „Kommt es im Netz nun zu einem starken Leistungsüberschuss, der aufgrund von Prognosefehlern nicht eingeplant wurde, besteht die Gefahr, dass die Netzfrequenz einen kritischen Wert erreicht“, so Döring. Ebenso kritisch wäre es, würde eine Leitung gekappt, die eine grosse Stadt mit Strom versorgt. Dann würden abrupt viele Tausend Verbraucher keinen Strom mehr abnehmen und die Frequenz würde infolge des Überangebots steigen.

Kosten von
65,6 bis 177 Millionen Euro
Schliesslich treiben Verzögerungen bei der Nachrüstung auch die Kosten. Ecofys rechnet allein für die Neujustierung der Wechselrichter mit 65,6 bis 177 Millionen Euro. Hinzu kommen die Verwaltungskosten der Wechselrichterhersteller und Verteilnetzbetreiber. Müssen die Unternehmen weiterhin beim Grossteil der Solarbetreiber nachfassen, können sich die Gesamtkosten schnell deutlich erhöhen. Den Preis für die schlechte Kommunikation zwischen Netz- und Anlagenbetreibern müsste die Allgemeinheit zahlen.

©Text: Sascha Rentzing

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