So könnte ein Drachenkraftwerk dereinst aussehen, bis zur Kommerzialisierung ist es aber noch ein langer weg. ©Bild: NTS

Die E-Loks ziehen sie in die Luft – wie ein Kind, das läuft, um einen Drachen in die Höhe zu bekommen, wo er von alleine fliegt. ©Bild: NTS

Bisher existiert in der Nähe von Berlin nur eine 400 Meter lange, gerade Strecke, auf der die E-Loks zu Testzwecken immer hin und her fahren. ©Bild: NTS

Drachenkraftwerk: Liefert Ökostrom aus 500 Metern Höhe

(©SR) Die Berliner Firma NTS will mit energieerzeugenden Drachen herkömmlichen Windturbinen Konkurrenz machen. Die vielversprechenden fliegenden Kraftwerke arbeiten effizienter, leiser und unauffälliger, betonen die Erfinder. Die Kilowattstunde koste 3-5 Cents. Bis zur Kommerzialisierung sind noch einige Hürden zu meistern.


Hoch über dem Boden toben Dutzende Winddrachen. Einige Kites haben eine Höhe von mehreren hundert Metern erreicht und rasen knapp unter den Wolken her. Andere bewegen sich mühsam gegen die Windrichtung und scheinen fast abzustürzen. Doch der chaotische Eindruck am Himmel täuscht: Jeder einzelne Drache zieht über vier Seile eine kleine E-Lok auf einem Schienen-Rundkurs. In den Loks steckt ein Generator, der die Bewegungsenergie in Strom umwandelt.

3-5 Cent pro Kilowattstunde
Uwe Ahrens glaubt, dass so die Zukunft der Windenergie aussehen könnte. Aus Sicht des Geschäftsführers des Berliner Unternehmens NTS Energie- und Transportsysteme haben so genannte Höhenwindenergieanlagen gegenüber gängigen Windrädern einen entscheidenden Vorteil: Die Materialkosten für ihren Bau sind deutlich geringer. Es wird kein hunderte Tonnen schwerer Turm benötigt – entsprechend günstiger ist auch ihr Strom. „Herkömmliche Windturbinen an den besten Standorten in Deutschland produzieren die Kilowattstunde für drei bis fünf Cent. Wir schaffen das für drei bis fünf Cent“, verspricht Ahrens.

Die neuen Höhenkraftwerke könnten neuen Schwung in die Energiewende bringen. Bisher existiert in der Nähe von Berlin nur eine 400 Meter lange, gerade Strecke, auf der die E-Loks zu Testzwecken immer hin und her fahren. Es könnten bald kommerzielle Rundkurse hinzukommen, denn die klassische Windenergie hat bei der schwarz-roten Bundesregierung einen schwierigen Stand. Im relativ windschwachen Binnenland sollen nur noch bedingt Windturbinen möglich sein. Ausserdem kämpft die Branche mit Akzeptanzproblemen: Um das Windangebot besser auszunutzen, werden die Turbinen immer höher und mit grösseren Flügeln gebaut – gegen diese Grossanlagen haben Bürger oft Einwände.

Stetig Strom
Ahrens glaubt, dass die Kites weniger Ärger verursachen. „Mit ihren 160 bis 200 Quadratmetern erscheinen sie am Himmel nicht grösser als ein 20 Cent-Stück.“ Dabei arbeitet die Technik sehr effizient. Die Idee ist, dass pro Höhenwindenergieanlage bis zu 24 Kites den Wind in bis zu 500 Metern Höhe einfangen. Jeder Kite soll es auf ein Megawatt installierte Leistung bringen, die komplette Anlage also 24 Megawatt Gesamtleistung erreichen – so viel wie zwölf Zwei-Megawatt-Turbinen, wie sie heute oft an Land eingesetzt werden. Da so hoch über dem Boden selten Flaute herrscht, rechnet NTS damit, dass ein Drachenkraftwerk im Jahr mindestens 5000 Stunden Energie produziert. Selbst moderne Turbinen, deren Blattspitzen sich in Höhen bis 200 Metern drehen, schaffen an Land maximal die Hälfte an Vollaststunden. Ausserdem weht der Wind in 500 Metern sehr viel stärker. Er erreicht hier Geschwindigkeiten von 20 Metern pro Sekunde, während er in 100 Metern Höhe nur mit 15 Metern pro Sekunde bläst. Deshalb lohnen sich die Kites auch an windschwachen Standorten, die für die konventionelle Windenergie nicht in Frage kommen.

Wie bei Segelschiffen
Selbst wenn mal kein Wind weht oder die Fahrzeuge auf einem Streckenabschnitt unterwegs sind, auf dem der Wind aus der falschen Richtung kommt, liefert das Höhenkraftwerk Strom. Die Kites werden über Seile so gesteuert, dass sie wie ein Segelschiff gegen den Wind kreuzen. In Gegenwindkurven übernehmen die E-Loks den Antrieb und ziehen die Kites. Auch wenn das wiederum Energie verbraucht: Um sie in der Luft zu halten, sei nur wenig Strom nötig, versichert Ahrens. Ebenso funktioniert ihr Start: Die E-Loks ziehen sie in die Luft – wie ein Kind, das läuft, um einen Drachen in die Höhe zu bekommen, wo er von alleine fliegt.

Stetiger Strom
Die Höhenkraftwerke bieten einen weiteren Vorteil: Für eine sichere Stromversorgung ist es wichtig, dass Kraftwerke möglichst kontinuierlich ins Stromnetz einspeisen. Windturbinen schaffen das nicht, weil das Windangebot in 200 Metern Höhe schwankt. Die Kites können stetiger Strom liefern. Daher würden sie weniger Ersatzkraftwerke oder Speicher benötigen, die ihre Schwankungen ausgleichen.

Wissenschaftler hat die Drachentechnik überzeugt. „Als Ergänzung zu gängigen Windturbinen ist sie sehr interessant“, sagt der Windforscher Adrian Gambier vom Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES). Viele Standorte böten erst ab 300 Meter viel Wind. „Hierfür sollten wir die Technik weiterentwickeln“, sagt Gambier. Auch Joachim Montnacher vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) hält das Höhenkraftwerk für eine „pfiffige Idee“: „Verdoppelt sich die Windgeschwindigkeit, verachtfacht sich der Energiegehalt.“ Das IPA hat sich deshalb an der Entwicklung der Technik beteiligt. Es lieferte die Steuerungs- und Messtechnik für die Teststrecke, dazu gehören die Seilausgabe- und -einzugsvorrichtung sowie der Seilspeicher.

Viele mögliche Investoren
Die positive Rückmeldung der Experten lässt Ahrens auf einen Erfolg der NTS-Technik hoffen. Dieses Jahr will das Unternehmen mit einer ersten Anlage beweisen, dass sie im Alltagsbetrieb funktioniert. Die rund 150‘000 Euro, die dafür nötig sind, will NTS unter anderem über die Kölner Crowdfunding-Plattform Green Crowding oder den Online Marktplatz Deutsche Mikroinvest finanzieren. Ab zehn Euro beziehungsweise 250 Euro können sich Interessierte an dem Projekt beteiligen.

Gelingt der Testbetrieb, stehen schon Investoren für das erste kommerzielle Höhenwindprojekt der Welt bereit. Etwa drei Millionen Euro sind hierfür veranschlagt. Eine Energiegenossenschaft hat bereits erklärt, zwischen 15 und 26 Millionen Euro investieren zu wollen. Auch hier könnte wieder ein Teil über Crowfunding finanziert werden. Für das Projekt prüft Ahrens derzeit Standorte in Mecklenburg-Vorpommern. Es gibt weitere Interessenten: So erwägt ein deutsches Unternehmen, das nicht erwähnt werden soll, den Strom aus einer Flugwindenergieanlage für seine Produktion zu nutzen. Anfragen kommen überdies aus Kasachstan und Südafrika.

Weiter Weg zu Kommerzialisierung
Doch bis zur Kommerzialisierung der Technik ist es noch weiter Weg. „Viele Fragen sind bisher ungeklärt“, sagt IWES-Forscher Gambier. So sei nicht klar, welche Drachentechnik eingesetzt werden könne. Bisher verwendet NTS einfache Sportkites, doch für den kommerziellen Einsatz sind sie ungeeignet. „Sie zerreissen bei Böen. Es muss ein festerer Drachen entwickelt werden“, so Fambier. Ausserdem fehle ein Konzept für die Flugregelung. Pro Anlage müssten bis zu 24 Kites koordiniert werden. Das könnten bisherige Programme nicht leisten.

Flächenbedarf an Land und in der Luft
Auch der Flächenbedarf an Land und in der Luft ist eine Herausforderung. Über den 500 Meter hohen Drachen können Flugzeuge nur eingeschränkt fliegen, denn rein rechtlich gesehen handelt es dabei um Luftfahrthindernisse. Damit sich die 24 Kites nicht verhäddern, brauchen sie einen Mindestabstand von etwa 200 Metern. NTS stellt die Schienen auf Stelzen, damit die landwirtschaftlichen Flächen noch zu nutzen sind. Trotzdem bräuchte eine Anlage 9.6 Kilometer Schienen. Weil der Rundkurs elliptisch angelegt ist, wäre sie also rund 4000 Meter lang und 800 Meter breit. Derart grosse Flächen in Deutschland zu finden und genehmigt zu bekommen, dürfte schwierig werden.

Grosse Konkurrenz
Schliesslich muss NTS mit starker Konkurrenz rechnen. Das Unternehmen ist mit seiner Idee, die Winde in grossen Höhen zu nutzen, nicht allein. Weltweit versuchen derzeit 20 Firmen und Forschungsprojekte die neue Energieform zu kommerzialisieren. Mit dabei sind unter anderem das Startup Makiani Power aus den USA, das eine Art Segelflieger als zur Stromerzeugung nutzt. Oder die Berliner Enerkite, deren Kites am Himmel Schleifen fliegen und so einen Generator am Boden antreiben. Der Start wird für die NTS-Flieger schwierig.

©Text: Sascha Rentzing

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1 Kommentare

Johannes

„Herkömmliche Windturbinen an den besten Standorten in Deutschland produzieren die Kilowattstunde für drei bis fünf Cent. Wir schaffen das für drei bis fünf Cent“, verspricht Ahrens.

Also gleich günstig???

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