Eisbildung verändert sowohl die aerodynamischen Eigenschaften als auch die mechanischen Belastungen. Stromproduktion und Lebensdauer der Rotoren können dadurch erheblich reduziert werden. Bild: Meteotest, Bern

Prinzip des Eisadhäsionstests. Bild: ZHAW

Zugprüfgerät für die Tests von unterschiedlichen Oberflächenarten und -rauheiten: Je rauer die Topografie der Oberfläche ist, umso stärker haftet das entstandene Eis darauf. Bild: ZHAW

Energieforschung: Polymere vermindern Adhäsion von Eis auf Rottorblättern

(©JW) Die Eisbildung an Rotorblättern von Windenergieanlagen verringert die Stromproduktion. Deshalb suchen Forschende nach Beschichtungen, mit denen diese Effekte nicht entstehen können. Inzwischen hat sich das Chemieunternehmen Clariant als Industriepartner eingebracht und setzt seine Kompetenzen im Bereich der Oberflächenbeschichtung ein.

Im vergangenen Winter wurde an einer Windenergieanlage der erste Feldversuch mit einer neuen Beschichtung durchgeführt. Diese soll dazu dienen, die Haftung von Eis auf den Rotorblättern zu verhindern, ohne dass das interne Heizgerät zum Einsatz kommen muss. Vorgesehen war, mit einer vergleichenden Messung und Abbildung von beschichteten und unbeschichteten Rotorblättern die Wirkung festzuhalten. Das Problem ist seit Langem bekannt. Eine Eisbildung verändert sowohl die aerodynamischen Eigenschaften als auch die mechanischen Belastungen. Stromproduktion und Lebensdauer der Rotoren können dadurch erheblich beeinträchtigt werden. Zudem können durch den Eiswurf Gefahren für die Umgebung auftreten. Aus diesen Gründen kommt solch einer Lösung grosse Bedeutung zu.

Grundlagenforschung in Winterthur
Die Eishaftung auf einem Rotorblatt zu verhindern, war für die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Winterthur über Jahre Motivation, um dazu umfangreiche Forschungsarbeiten durchzuführen. Am Institut für „Materials and Process Engineering (IMPE)“ wurden innovativen Oberflächenbeschichtungen erforscht und getestet. Prof. Dr. Martina Hirayama, damalige Institutsleiterin und heutige Direktorin der School of Engineering, sagt rückblickend: „Inspiriert von den Antigefrier-Proteinen, wie sie in der Natur vorkommen, suchten wir nach geeigneten Beschichtungen, die das Gefrierverhalten von Wasser beeinflussen.“

Wissenschaftler des IMPE haben dieses Phänomen aus der Natur nachgeahmt, indem das Gefrieren von Wasser auf unterschiedlichen Oberflächen untersucht wurde. Gefrierverzögernde, Antifreeze-Oberflächen verlängern die Zeit bis zum Gefrieren, so dass beispielsweise ein Wassertropfen auf einem Rotorblatt abgleiten könnte, ohne dass eine Eisbildung erfolgt. Bei Tests in einem Windkanal konnte dieser Effekt zwar nachgewiesen werden, dessen Wirkung war jedoch nicht deutlich genug. Deshalb unternahm man beim IMPE einen weiteren Schritt. Es galt, Beschichtungen zu eruieren, auf denen Eis nicht oder nur schwach haften kann, also eine geringe Adhäsion ausweisen.

Testeinrichtung für die Adhäsionsbestimmung
Damit verbunden war die Entwicklung eines geeigneten Eisadhäsionstests. Dabei wird ein Bolzen in einen Aluminium-Zylinder eingelegt, der Zwischenraum mit Wasser gefüllt und gefroren. Mit einem Zugprüfgerät konnten nun unterschiedliche Oberflächenarten und -rauheiten gemessen werden. Die im Zugversuch benötigte Kraft steht in direktem Zusammenhang mit der Adhäsionskraft.

Interessanterweise hat sich dabei gezeigt, dass Wasser abweisende Schichten (superhydrophobe Konzepte) eine hohe Adhäsion aufweisen. Sie sind wegen ihrer Rauheit möglicherweise wenig nützlich, um eine Eishaftung zu verringern. Je rauer die Topografie der Oberfläche ist, umso stärker haftet das entstandene Eis darauf. Damit waren die Forschungsarbeiten am IMPE, die vom Bundesamt für Energie (BFE), der Gebert Rüf Stiftung und den Industriepartnern Clariant und Renewable Energy Technology Center GmbH (RETC) in Hamburg unterstützt wurden, an einem wichtigen Erkenntnispunkt angelangt.

Kooperation mit Clariant
Auch das Chemieunternehmen Clariant mit Hauptsitz in Muttenz/BL beschäftigt sich seit langem mit Eisbildungseffekten. Der Weg zu einer gemeinsamen Projektentwicklung mit der ZHAW war deshalb nicht weit. Im Jahr 2010 erfolgten der Start zur Kooperation bei diesem Thema und gleichzeitig die Evaluation der bisherigen Erkenntnisse. Für einen Einsatz bei Windrotoren kommen neben den geforderten Eigenschaften zur Verhinderung der Eisbildung bzw. zur Verringerung der Adhäsion aber auch teilweise extreme mechanische Belastungen hinzu. Sowohl Abrieb- und Schlagfestigkeit als auch Temperaturbeständigkeit und Elastizität werden von einer solchen Beschichtung gefordert.

Augrund der Erkenntnisse der Hochschule fokussierte man sich auf die Anti-Adhäsions-Beschichtung, gegen das Haften von Eis auf der Oberfläche. Dieser Weg schien dem Team unter dem Gesichtspunkt eines umfassenden Kriterienkatalogs am erfolgversprechendsten. Zusammen führte man zahlreiche weitere Labortests, u.a. mit unterschiedlichen Polymer-Beschichtungen durch.

4-Stufen-Forschungsprojekt gestartet
Bei Clariant wurde die normale 4-stufige Prozedur eines Forschungsprojekts gestartet. Dr. Jochen Stock, Direktor des Forschungs- und Entwicklungs-Centers für Spezialpolymere, sagt: „Das Thema der Eisbildung im Zusammenhang mit Energieeffizienz und Nachhaltigkeit passt einerseits ideal ins Unternehmensprofil von Clariant und entspricht anderseits auch unseren Forschungs- und Produktionskompetenzen. Mit dem ersten Schritt, dem Scout, haben wir begonnen, Ideen und Möglichkeiten zu formulieren. Die Beschichtung entwickelten wir mit der ZHAW auf der Grundlage von Polymeren. Heute befinden wir uns beim zweiten Schritt, dem Scope, bei welchem Labortests und Feldversuche ausgewertet werden.“

Energieeffizienterer Betrieb
Wird man eine stabile, beanspruchbare Beschichtung der Rotorblätter entwickeln und produzieren können, so würden Eisformationen aufgrund verminderter Adhäsion durch die Rotationsbewegung bzw. Vibrationen abfallen. Dies könnte einen ungehinderten und damit energieeffizienten Betrieb der Windenergieanlagen ermöglichen. Im internationalen Kontext betrachtet, wird erkennbar, dass die Eisbildung bei einer Vielzahl an Standorten, ob Gebirge, arktische Gebiete usw., von grosser Bedeutung ist. Dies gilt nicht nur für hochwinterliche Wochen, sondern auch für Frühlings- und Herbstzeiten.

Für Clariant stehen im Moment nicht die erreichbaren Produktionsmengen im Vordergrund, sondern die Wertschöpfung und Kompetenzzunahme sowie Synergie-Effekte für andere, vergleichbare Anwendungen. Eisbildungsprobleme stellen sich neben den Windenergieanlagen bekanntlich auch im Transportbereich, bei Kommunikations- und Infrastruktureinrichtungen.

Weitere Meilensteine
Dr. Rainer Nusser, Senior Scientist im Bereich der Spezialpolymere von Clariant, ergänzt: “Wir haben uns mit der ZHAW und RETC hier für das Konzept der Adhäsionsverminderung entschieden. Die Resultate der ersten Feldversuche werden uns demnächst zeigen, ob wir konzeptionell richtig entschieden haben. Aber auch die andern Konzepte, z.B. die Kondensationsverzögerung und Anti-Freeze-Beschichtung, werden wir weiterhin im Auge behalten, weil jede Anwendung spezifische Bedingungen aufweist.“

Der weitere Ablauf des Forschungsprojekts bei Clariant zielt nun auf die Konzeptbestätigung und einen nächsten Meilenstein zur Ausführung eines effektiven Prototyps. Im positiven Fall könnte dies zur nächsten Stufe, dem Execute, d.h. zur Produktion einer Substanzmenge im Kilogrammbereich führen. Damit verbunden sind aber auch Fragen des Patentschutzes, der weiteren Einsatzmöglichkeiten bei anderen Standorten von Windenergieanlagen usw. Die Zusammenarbeit mit der ZHAW in Winterthur und dem Entwickler von Windenergieanlagen, RETC, einem Tochterunternehmen der Hersteller von Windenergieanlagen REpower und Suzlon, hat sich bewährt. Gespannt wartet man auf die Berichte der Feldtests im rauen Winterklima.

Projekt-Kontakte

  • Dr. Jochen Stock,Dr. Rainer Nusser,Clariant International AG, R&D Center Specialty Polymers, www.clariant.com
  • Prof. Dr. Martina Hirayama,Dr. Konstantin Siegmann,Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW),School of Engineering in Winterthur/ IMPE, www.zhaw.ch
  • Dr. Karsten Büscher, RETC Renewable Energy Technology Center GmbH, www.retc.de
  • BFE-Energieforschung: Windenergie, www.bfe.admin.ch/forschungwindenergie

©Text: Jürg Wellstein

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