Solange die hohen Schalldrücke unkorrigiert im Raum standen, war es schwer, mit anderen wissenschaftlichen Arbeiten dagegen zu argumentieren. Jetzt gibt es keine wissenschaftliche Publikation mehr, die relevante Schalldrücke belegt. Bild: D. Knuchel

Stefan Holzheu: "Der Rechnungsfehler führte zu einer Überschätzung von 36dB. In Schallleistung entspricht dies einem Faktor 4000. Rückblickend ist dies fast unglaublich." Bild: Windindustrie Deutschland

Deutschland: Seit 2005 wurden massiv zu hohe Infraschallwerte für Windenergieanlagen verwendet – Bundeswirtschaftsminister bitte um Entschuldigung

(©Windindustrie Deutschland) Jahrelang setzte die deutsche Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) die Infraschall-Belastung von Windkraftanlagen um einen Faktor 4000 zu hoch an – Wasser in den Mühlen der Windkraft-Gegner. Stefan Holzheu, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bayreuth, hat einen schwerwiegenden Rechenfehler in der Studie der BGR erkannt, der die Ergebnisse grob verfälscht. Der deutsche Bundeswirtschaftsminister Altmaier bat um Entschuldigung: "Es tut mir sehr leid, dass falsche Zahlen über einen langen Zeitraum im Raum standen." (Texte en français >>)


Die deutsche Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, die dem Wirtschaftsministerium unterstellt ist, hatte die Belastungen durch den unhörbaren Infraschall mit 100 statt 64 Dezibel angegeben. Altmeier gab zu, dass die Akzeptanz von Windanlagen an Land durch diese falschen Berechnungen gelitten habe. So lägen »Welten« zwischen den BGR-Zahlen und dem, »was tatsächlich der Fall ist«. Er halte »diesen Vorgang für sehr problematisch«. Er werde dafür sorgen, dass er aufgeklärt wird. Er hoffe, dass Menschen, die sich grosse Sorgen über die Auswirkungen der Infraschall-Belastung auf ihre Gesundheit machen, nun »eine gewisse Erleichterung« verspürten. Die 2005 erstellte und 2009 erstmals veröffentlichte Studie des BGR wird deutschlandweit häufig von Windkraftgegnern als ein Beleg für Gesundheitsgefahren angeführt, die von Windkraftanlagen ausgehen würden.


Stefan Holzheu: „Solange die hohen Schalldrücke der BGR unkorrigiert im Raum standen, war es schwer, mit anderen wissenschaftlichen Arbeiten dagegen zu argumentieren.“

Herr Dr. Holzheu, die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) hat bei einer von Windkraftgegnern vielzitierten Studie zum Infraschall aus dem Jahr 2005 Messfehler eingeräumt. Was war genau passiert?

Stefan Holzheu: Ein Messfehler war es nicht. Gemessen hat die BGR an einer Vestas V47 richtig. Jedoch ist der BGR bei der Umrechnung des Drucksignals in Schalldruckpegel ein schwerwiegender Rechenfehler unterlaufen. Dieser führte zu einer Überschätzung von 36dB. In Schallleistung entspricht dies einem Faktor 4000. Rückblickend ist dies fast unglaublich.

Ein wirklich grober wissenschaftlicher Fehler war, dass die BGR ihre Schalldruckpegel nie mit Messungen anderer Institutionen verglichen hat. So hatten bereits Hammerl und Fichtner im Auftrag des Bayerischen Landesamt für Umwelt 1998/99 deutlich niedrigere Infraschallpegel an einer 1-MW Nordex N54 Windkraftanlage gemessen und publiziert.

Was hat diese Korrektur der Ergebnisse für Auswirkungen auf die Beurteilung von Infraschallemissionen von Windenergieanlagen?

Stefan Holzheu: Im Grunde bestand bereits vorher Konsens in der Wissenschaft, dass Windenergieanlagen keinen nennenswerten Beitrag zur Infraschallbelastung leisten. Doch die hohen Pegel der BGR und insbesondere der Auftritt des BGR-Mitarbeiters im ZDF gaben Windenergiegegnern immer wieder Anlass, an diesem wissenschaftlichen Konsens zu zweifeln. Die falschen Pegel haben daher entscheidend dazu beigetragen, Unsicherheit in der Bevölkerung zu erzeugen.

Ich habe die BGR mehrmals darauf hingewiesen, dass sie zum Stichwortgeber von Energiewendegegnern wird. Als Wissenschaftler ist es für mich absolut unverständlich, dass die BGR nie versucht hat, die Diskrepanz in den Schalldruckpegeln von sich aus zu klären.

Was bedeuten die „neuen“ Erkenntnisse für die Windbranche und die Gesetzgebung in Deutschland, z. B. hinsichtlich Mindestabständen von Anlagen zu Anrainergebäuden, wie sie in einigen Bundesländern gelten?

Stefan Holzheu: Eine unmittelbare Konsequenz hat die Korrektur der Schalldruckpegel durch die BGR nicht. Lediglich der 15-km Schutzabstand zur Infraschallmessstation I26DE im Bayerischen Windenergieerlass (BayWEE) sollte nochmal diskutiert werden. Aber indirekt könnte und sollte die Korrektur durchaus Auswirkungen auf die Mindestabstandsdiskussion haben. Das einzige Argument, das Windkraftgegner für einen über BImSchG hinausgehenden Mindestabstand vorbringen konnten, war Infraschall. Das ist jetzt endgültig obsolet. Wenn Politiker trotzdem solche Abstände festsetzen, tun sie das ohne Begründung. Die Akzeptanz erhöhen Mindestabstände jedenfalls nicht.

Immer wieder werden Windenergie-Projekte durch Bürgerbewegungen mit Vorwürfen konfrontiert, der von ihnen ausgestossene Infraschall würde Anwohner belasten. Teilweise werden dadurch Projekte auch ganz verhindert. Welche Auswirkungen haben die neuen Erkenntnisse auf solche verhinderten Projekte?

Stefan Holzheu: Solange die hohen Schalldrücke der BGR unkorrigiert im Raum standen, war es schwer, mit anderen wissenschaftlichen Arbeiten dagegen zu argumentieren. Für den normalen Bürger stand ja Aussage gegen Aussage. Jetzt gibt es keine wissenschaftliche Publikation mehr, die relevante Schalldrücke belegt. Pro-Windkraft Gruppen sagen mir inzwischen, dass das Infraschall-Argument von der Gegenseite immer seltener vorgebracht wird.

Angesichts der Klimakrise sehe ich die Windkraft als alternativlos. Ich wünsche mir, dass Projekte mit den Bürgern vor Ort realisiert werden – mit fairen Konditionen für beide Seiten. Da wurden von Seiten der Windkraft in der Vergangenheit auch Fehler gemacht, die mit dazu beigetragen haben, dass ein Luftargument wie Infraschall auf fruchtbaren Boden fiel.

Text: Windindustrie Deutschland

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