Das Gericht bemängelte dabei unter Hinweis auf die Abstandsempfehlungen des sog. Helgoländer Papiers eine unzureichende Prüfungstiefe. Dazu Peter Horntrich, Leiter der Umweltplanung bei Vsb: „Für den Praktiker ist das überraschend und auch kaum nachvollziehbar, da nach jahrelangen Kartierungen und tausenden Seiten Fachgutachten eine sehr intensive Artenschutzprüfung durchgeführt wurde. Im Ergebnis wurde ein umfangreiches Massnahmenkonzept insbesondere zum Schutz von Rot- und Schwarzmilan entwickelt. Dieses schliesst auch populationsstützende Massnahmen für den Fall ein, dass es im Verlauf des Betriebes zu einer Kollision eines Greifvogels mit einer Windenergieanlage kommen sollte.“
Signifikanzrahmen und aktuelle Verwaltungsvorschrift ignoriert
Das alles reicht aber nach Auffassung des Gerichtes nicht aus. Dabei stützt sich das Gericht auf eine 7 Jahre alte Abstandsempfehlung zwischen Horst und Windenergieanlage, ignoriert den von der Umweltministerkonferenz im Dezember 2020 vorgegeben sog. Signifikanzrahmen und wendet gleichzeitig die unter Heranziehung von mehrjährigen Fachstudien erarbeitete aktuelle Hessische Verwaltungsvorschrift ‚Naturschutz/Windenergie‘, auch von Dezember 2020, nicht an. Ganz aktuell hat der deutsche Bundesgesetzgeber mit der Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes und den verbindlichen Vorgaben zu notwendigen Abständen deutlich gemacht, dass er ernsthaft gewillt ist, die bislang bestehenden Unsicherheiten und den damit verbundenen Prüfungsumfang deutlich zu reduzieren. Denn anderenfalls ist der dringend notwendige Ausbau der regenerativen Energien unmöglich.
Gerichtsverfahren als Bremsklotz
„Die Entscheidung des Gerichtes macht nochmals deutlich, dass langwierige, jahrelange Gerichtsverfahren einen schmerzhaften Bremsklotz bei der dringend benötigten Energiewende bedeuten können“, meint Anwalt Niedersberg. „Erfreulicherweise ist vor wenigen Tagen seitens des Bundesjustizministeriums der Entwurf eines Gesetzes zur ‚Beschleunigung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens‘ vorgelegt worden, u. a. mit der Einführung eines frühen ersten Termins nach spätestens 2 Monaten. Dies würde die teilweise absurd langen Gerichtsverfahren deutlich verkürzen.“
Verbrauchern einen Bärendienst erwiesen
Abschliessend ist zu betonen, dass das Gericht – übrigens entgegen der vehement vorgetragenen anderen Auffassung der klagenden Naturschutzinitiative e. V. – festgestellt hat, dass die erneuerbaren Energien im Interesse der öffentlichen Sicherheit liegen und dabei ausdrücklich auf die aktuelle Situation im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine verwiesen. Die Dinge entwickeln sich ganz offensichtlich in jeder Hinsicht dynamischer. Vor diesem politischen Hintergrund hat leider die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Giessen den Ausbau der erneuerbaren Energien als dringend benötigte und günstige Alternative zu Gas und anderen fossilen Energieträgern zeitlich deutlich verzögert und damit auch im Ergebnis den Verbrauchern einen Bärendienst erwiesen.
Text: Vsb
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