«Über 90 % der 1095 Befragten wünschen eine Förderung von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien»: Projektleiter Prof. Rolf Wüstenhagen. ©Bild: T. Rütti

Markus Geissmann, Bereichsleiter Windenergie beim Bundesamt für Energie BFE: «Wirtschaftlichkeit ist die Grundvoraussetzung für eine Investition.» ©Bild: T. Rütti

Der St. Galler Regierungsrat Willi Haag plädierte für die Schaffung von allseits akzeptablen gesetzlichen Grundlagen für den Erlass von Nutzungsplänen für Energiegewinnungsanlagen. ©Bild: T. Rütti

«Im Churer Rheintal sehen die Befragten ihre Erwartungen bezüglich landschaftlicher Auswirkungen positiv übertroffen», so Regierungsrat Dr. Mario Cavigelli. ©Bild: T. Rütti

«Ein klares Bekenntnis der Bevölkerung zu Energieeffizienz und erneuerbare Energien» sind die Umfrageergebnisse auch für Andrea Paoli, Leiter Abteilung Energie des Kantons Thurgau. ©Bild: T. Rütti

Studie: 76% der Ostschweizer befürworten Windenergie

(©TR) Unter welchen Umständen ist man bereit, einen Windpark in seiner Nähe zu akzeptieren? Wie nimmt man eine Windenergieanlage in unmittelbarer Nachbarschaft wahr? Das sind zwei der Fragen, die 1'095 Ostschweizerinnen und Ostschweizer im Rahmen einer Studie beantwortet haben: 76% der Befragten würden die Entwicklung von Windenergie sowohl auf nationaler Ebene als auch in ihrer näheren Umgebung akzeptieren.

«Auf die Frage, wie die künftige Stromversorgung der Schweiz sichergestellt werden soll, äusserten die Befragten eine eindeutige Präferenz: Über 90% wünschen eine Förderung von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien», so Projektleiter Rolf Wüstenhagen, Direktor des Instituts für Wirtschaft und Ökologie (IWÖ‑HSG) gegenüber den Medien. Wie der Professor für Management erneuerbarer Energien weiter erklärte, stossen hingegen der Neubau von Atom- (11%) oder Gaskraftwerken (6%) auf ebenso wenig Zustimmung wie der Stromimport aus dem Ausland (11%). Wörtlich: «72% der befragten Ostschweizerinnen und Ostschweizer stellen fest, dass die Schweizer Stromversorgung heute nicht unabhängig vom Ausland ist. Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn man die Bevölkerung nach ihren Vorstellungen für die kantonale Energiezukunft befragt. Ein grosser Anteil der Teilnehmer würde der Förderung von Sonnenenergie (85%), Wasserkraft (80%) und Windenergie (68%) auf Kantonsgebiet zustimmen.»

Positive Einstellungen zur Windenergie
Eine deutliche Mehrheit der Befragten (76%) würde die Entwicklung von Windenergie sowohl auf nationaler Ebene als auch in ihrer näheren Umgebung akzeptieren. Diesbezüglich konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen den einzelnen Ostschweizer Kantonen beobachtet werden. Oft gehörte Bedenken zur Windenergie scheinen in der Gesamtbevölkerung nur von einer Minderheit geteilt zu werden: Einen Zusammenhang zwischen Windenergieanlagen und gesundheitlichen Problemen sehen nur 9%. Auch mögliche Interessenskonflikte mit dem Tourismus werden durch die Studie relativiert: Nur 22% der Umfrage-Teilnehmer würden sich durch eine Windenergieanlage in einem Skigebiet gestört fühlen. 69% der Befragten halten Windenergie für eine wichtige Quelle erneuerbarer Energie in der Schweiz. Nur 33% teilen übrigens die Auffassung, Windenergie sei eine unzuverlässige Energiequelle, da der Wind nicht immer wehe.

Umweltfreundlichkeit und
lokale Beteiligung fördern Akzeptanz
Minimierung ökologischer Auswirkungen, eine sorgfältige Standortwahl und die Einbeziehung lokaler Investoren wirken sich positiv auf die Akzeptanz aus. Standorte in Industrie- und Gewerbegebieten oder auf landwirtschaftlichen Nutzflächen werden bevorzugt gegenüber Windenergieanlagen in bedeutenden Landschaften (BLN-Gebiet) oder in der Nähe von Wohngebiet; das Kürzel steht für Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung und bezeichnet die wertvollsten Landschaften der Schweiz. Eine Beteiligung der Gemeinde bzw. ihrer Einwohner am wirtschaftlichen Nutzen der Stromproduktion aus Windenergie wird, wie auch die Möglichkeit an der Planung von Windenergieprojekten mitzuwirken, ebenfalls positiv beurteilt. Der Einfluss dieser Faktoren deutet darauf hin, dass bestehende Partizipationsmöglichkeiten eine wichtige Funktion ausüben. Eine Notwendigkeit für die Kantone, bei der Abwägung zwischen Beteiligungs- und Einsprache-Möglichkeiten einerseits und dem Bedürfnis von Projektentwicklern nach speditiveren Verfahren andererseits eine Verschiebung zugunsten des ersteren herbeizuführen, lässt sich aus den Ergebnissen nicht ableiten.

Kompromissbereitschaft beim Landschaftsschutz
Eine Mehrheit der Befragten (69%) wäre bereit, Veränderungen des Landschaftsbildes in Kauf zu nehmen, um die Stromversorgung sicherzustellen respektive die Risiken der Atomenergie zu vermeiden. Bei der Standortwahl von Windenergieprojekten gilt es eine Balance zwischen ökologischen und wirtschaftlichen Kriterien zu finden. In diesem Sinne stossen Standorte in landschaftlich wertvollen Gebieten auf vergleichsweise tiefere Zustimmung, immerhin 49% der Befragten würden jedoch unter gewissen Bedingungen sogar einer Errichtung von Windenergieanlagen im BLN-Gebietzustimmen – beispielsweise wenn eine dem Windpark gleichwertige Fläche an einem anderen Ort ökologisch aufgewertet würde.

Haldenstein: Erwartungen der Anwohner positiv übertroffen
Zustimmend zum weiteren Ausbau der Windenergie äusserten sich auch die Befragten in der Region Chur, wo 2013 die bislang einzige Grosswindanlage der Ostschweiz realisiert wurde, nämlich jene von Haldenstein. Nach ihren Erfahrungen mit dieser Anlage befragt, zeigen sich viele Anwohner heute positiv überrascht – im Vergleich zu den skeptischen Erwartungen vor dem Bau. Die landschaftlichen Veränderungen werden weniger gravierend beurteilt als befürchtet. Noch markanter ist die Verschiebung zum Positiven betreffend Geräuschemissionen – weniger als 10 % der Anwohner nehmen die Auswirkungen der Windenergieanlage in dieser Hinsicht als (eher) negativ wahr. «Im Churer Rheintal sehen die Befragten ihre Erwartungen bezüglich landschaftlicher Auswirkungen und Lärm sogar positiv übertroffen», so Regierungsrat Dr. Mario Cavigelli. Für den Vorsteher des Bündner Bau-, Verkehrs- und Forstdepartements ist es übrigens wenig sinnvoll, einzelne Windkraftanlagen in die Landschaft zu stellen. Die Erschliessung einer solchen Anlage sei zu kostenintensiv und zu wenig rentabel, als sich dies lohnen würde. Er plädierte hingegen dezidiert für die Errichtung eigentlicher Windparks.

Die Debatte in Ständerat und Nationalrat

Was die Wirtschaftlichkeit von Windenergieprojekten anbelangt, bekam der Bündner Regierungsrat Schützenhilfe von Markus Geissmann, Bereichsleiter Windenergie beim Bundesamt für Energie BFE: «Wirtschaftlichkeit ist die Grundvoraussetzung für eine Investition», so Markus Geissmann, der seinen Vortrag ins Licht der Energiestrategie 2050 rückte. Dabei bot er unter anderem einen Überblick über die einzelnen Massnahmenpakete, insbesondere über die Punkte wo es zwischen Nationalrat und Ständerat Übereinstimmung oder aber immer noch beträchtliche Differenzen gibt. Und niemand den Ausgang der Debatte kennt. Was die Herausforderungen der Windenergie anbelangt, nannte er die Konkurrenz im Luftraum: Zivile und militärische Luftfahrt vs. Windenergie. Dann die Diskussion über mögliche Gefahren für die Vogelwelt oder das Landschaftsbild. In den langwierige Bewilligungsverfahren und einer Flut von Einsprachen sieht der BFE-Vertreter einen nicht zu unterschätzenden Hemmschuh für die Realisierung der Projekte.

Grundlagen für die Planung
«Die Ergebnisse der Befragung liefern Bund und Kantonen empirisch fundierte Grundlagen für die Planung im Bereich Windenergie», resümierte Projektleiter Rolf Wüstenhagen. «Insgesamt sind die Ostschweizerinnen und Ostschweizer gegenüber Windenergie positiv eingestellt und sehen darin einen Beitrag zur einheimischen Stromversorgung. Wenn die Behörden geeignete Rahmenbedingungen für eine Realisierung sorgfältig geplanter Projekte schaffen, können sie dabei auch auf die Unterstützung einer breiten Mehrheit der Bevölkerung zählen.» «Ein klares Bekenntnis der Bevölkerung zu Energieeffizienz und erneuerbare Energien» stellen die Umfrageergebnisse auch für Andrea Paoli dar, also für den Leiter Abteilung Energie, Departement für Inneres und Volkswirtschaft des Kantons Thurgau. Er nannte die Aspekte, die für den Thurgauer Regierungsrat entscheidend sind:

  • die Aufrechterhaltung der Stromversorgungssicherheit
  • die Wettbewerbsfähigkeit der Strompreise
  • die volle Ausschöpfung der Effizienzpotenziale
  • die Bedeutung der regionalen Wertschöpfung
  • eine weitgehende Nutzung unseres eigenen Potenzials.

Nutzungspläne für Energiegewinnungsanlagen
Der St. Galler Regierungsrat Willi Haag plädierte in seinem Ausblick für die Schaffung von allseits akzeptablen gesetzlichen Grundlagen für den Erlass von Nutzungsplänen für Energiegewinnungsanlagen im neuen Planungs- und Baugesetz. Die politische Gemeinde müssten Sondernutzungspläne erlassen können, und zwar insbesondere bezüglich Planung und Bau von Energiegewinnungsanlagen. Der Vorsteher des Baudepartements erklärte den Medienvertretern zudem das dreistufige Verfahren für Windparks:

  • Richtplan (Interessenabwägung des Kantons): Ein Instrument zur behördenverbindlichen Abstimmung und Koordination von raumwirksamen Tätigkeiten; Erlass durch Kanton, Genehmigung durch Bund, nicht verbindlich für Grundeigentümer
  • Nutzungsplan (Gemeinde: Spezialzonen für Windenergie): Parzellenscharfe und grundeigentümerverbindliche Regelung über Art, Intensität und Ort der Bodennutzung; Genehmigung durch Kanton, Karte plus Bau- und Nutzungsvorschriften
  • Baubewilligung (Gemeinde: Genehmigungsfähige Bauprojekte): Behandlung des konkreten Bauprojekts.

«Auch eine gewisse Kompromissbereitschaft»
Eine deutliche Mehrheit äusserte sich also positiv zur Entwicklung von Windenergie‑Projekten, die den Schwerpunkt der Untersuchung bildeten. Während tiefe ökologische Auswirkungen und eine Beteiligung lokaler Investoren sich positiv auf die Akzeptanz auswirken, deutet die Studie betreffend Landschaftsschutz «auch auf eine gewisse Kompromissbereitschaft hin», wie es die Umfrage-Verantwortlichen ausdrückten. Die Studie basierte auf einer geographisch repräsentativen Befragung in 16 Bezirken der Ostschweiz (1095 Befragte). Neben der Erhebung eines Stimmungsbildes zu aktuellen Energiefragen waren die Einstellungen der Bevölkerung zur Windenergie und die Akzeptanz möglicher Windenergieprojekte in der Region die Schwerpunkte der Untersuchung. Die wissenschaftliche Federführung der Studie lag beim Institut für Wirtschaft und Ökologie der Universität St. Gallen (IWÖ-HSG). Durchgeführt wurde sie im Auftrag der Kantone Graubünden, St. Gallen und Thurgau sowie des Bundesamts für Energie (BFE). Die Ergebnisse wurden den Medien am 18. November 2015 in St. Gallen vorgestellt.

Die Studie im Internet >>


©Text: Toni Rütti, Redaktor ee-news.ch

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