Das Laufwasserkraftwerke Stroppel in der Gemeinde Untersiggenthal (AG) ist mit einem horizontalen Fischleitrechen (HBR) ausgerüstet. Bild: Ismail Albayrak (VAW)

Der insgesamt 30 Meter lange und 1.2 Meter tiefe Kanal der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie. Bild: VAW

Eine Kamera erfasst im VAW-Labor an der ETH Zürich das Verhalten von Fischen am Leitrechen. Bild: VAW

Doktorand Julian Meister steuert die Elektrifizierung des Leitrechens auf dem Laptop. Bild: VAW

Jeder Aal wird vor und nach einem Experiment fotografiert, damit allfällige Verletzungen dokumentiert sind. Bild: VAW

Barben (unten) und Schneider (oben rechts) schwimmen an einem Fischleitrechen im Labor. Bild: David Flügel/Eawag

Die Grafik zeigt, wie Aale und Schneider auf Vertikalrechen mit gebogenen Stäben (CBR) reagiert haben – bei a) ohne und bei b) und c) mit Elektrifizierung. Bild: Schlussbericht EthoMoSt

Die Grafik zeigt, wie Aale und Schneider auf Horizontalrechen (HBR) reagiert haben – abhängig von Elektrifizierung und Stababstand. Bild: Schlussbericht EthoMoSt

Die Grafik stellt (aus der Vogelperspektive) fünf Formen von Fischleitrechen mit vertikalen Stäben dar. Bild: Schlussbericht EthoMoSt

Das Limmat-Kraftwerk in Dietikon (ZH) verfügt seit dem vergangenen Jahr über den grössten Horizontalrechen in der Schweiz. Das Foto wurde im August 2019 aufgenommen. Bild: Julian

Elektrifizierte Fischrechen: Inwieweit kann elektrischer Strom die Fische vor den Turbinen schützt?

(©BV) Betreiber von Laufwasserkraftwerken treffen seit einigen Jahren besondere Vorkehrungen, damit Fische die Stromerzeugungsanlagen unbeschadet passieren können. Ein Forscherteam der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH Zürich entwickelt und testet für diesen Zweck elektrifizierte Fischleitrechen. Der Ansatz scheint vielversprechend, um den Schutz der Flussbewohner weiter zu verbessern. Doch es gibt noch viele offenen Fragen. (Texte en français >>)


Laufwasserkraftwerke stellen für Fische schwer überwindbare Hindernisse dar. Seit 2011 verlangt die schweizerische Gewässerschutzgesetzgebung eine Revitalisierung der Gewässer, und das bedeutet unter anderem die ungehinderte Bewegungsfreiheit für Fische. So gibt es heute bei praktisch allen Flusskraftwerken technische Fischpässe oder Umgehungsgewässer, die Forellen, Barben und den weiteren einheimischen Fischarten als Aufstiegshilfe dienen, wenn sie flussaufwärts wandern. Für den Fischabstieg werden seit einigen Jahren bei einzelnen kleinen und mittleren Kraftwerken Fischleitrechen eingesetzt. Sie hindern die Fische am Einschwimmen in den Turbinentrakt, leiten sie stattdessen zu einem Bypass, mit dem sie das Kraftwerk gefahrlos umschwimmen können.

Barriere für grosse, kein Schutz für kleine Fische
Die Fischleitrechen bestehen bisher in der Regel aus horizontalen Metallstäben im Abstand von 10 bis 20 mm (sogenannte Horizontalrechen). Die Rechen stellen für die meisten Fische eine Barriere dar; für besonders kleine Fische hingegen bieten sie keinen guten Schutz. Fischleitrechen haben mitunter auch betriebliche Nachteile: Die engmaschigen Rechen werden rascher durch Laub und Gräser verstopft als klassische Turbineneinlaufrechen. Das erfordert regelmässige Wartung, soll der Durchfluss nicht reduziert und die Stromproduktion nicht gemindert werden. Gerade bei grossen Kraftwerken, wo hohe Fliessgeschwindigkeiten herrschen, würden mit Geschwemmsel verstopfte Rechen zu grossen Produktionsausfällen führen. Um dies zu vermeiden, entstünde bei Einsatz der heute gebräuchlichen Horizontalrechen ein hoher Betriebsaufwand.

So wie beim Weidezaun
Ein Forscherteam der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH Zürich möchte neuartige Rechen ohne diese Nachteile entwickeln. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchen dafür unterschiedliche Horizontalrechen, wie sie heute vorwiegend zum Einsatz kommen, aber auch verschiedene Arten von Rechen mit vertikalen Stäben. Eine noch junge Idee besteht in der Elektrifizierung der Fischleitrechen: «So wie Strom bei einem Weidezaun die Kühe abschreckt, könnte Strom die Fische vom Rechen fernhalten», sagt VAW-Forscherin Claudia Beck. «Damit wollen wir zum einen die Fische noch wirksamer vor der Turbine bewahren und zum anderen die Voraussetzung schaffen, dass die Abstände zwischen den Stäben vergrössert werden können. Das hätte grosse betriebliche Vorteile und könnte den Einsatz solcher Rechen künftig auch bei grösseren Kraftwerken ermöglichen.»

Gebogene Vertikalstäbe
Claudia Beck hat im Rahmen ihrer Doktorarbeit einen Vertikalrechen entwickelt, dessen vertikale Stäbe nicht gerade sind wie in bisher gebräuchlichen Vertikalrechen, sondern gebogen (engl. Curved-Bar Rack/CBR; vgl. Grafik 06). Dieser neuartige Vertikalrechen leitet die Fische im Labor wirksam zum Bypass und verursacht aufgrund der strömungsoptimierten Stabform deutlich geringere Verluste in der Stromproduktion. Im Rahmen eines vom BFE unterstützten Zusatzprojekts hat die Forscherin im Herbst 2019 untersucht, ob sich dieser vertikale Rechen durch Elektrifizierung weiter verbessern lässt, insbesondere für Aale, die durch den Rechen bisher unzureichend geschützt sind. Zu diesem Zweck wurde der 30 Meter lange Versuchskanal der VAW mit einem Rechen ausgerüstet, an den eine zwischen 38 und 80 Volt regulierbare Spannung aufgebracht wird. Anschliessend wurde untersucht, wie sich Aale und Schneider verhalten, wenn sie sich dem Rechen nähern.

Hoher Schutz für Aale
Ein Hauptergebnis der Studie: Der Aal profitiert in hohem Mass von der Elektrifizierung des CBR-Vertikalrechens. Während beim nicht elektrifizierten Rechen 73% der untersuchten Fische durch den Rechen schlüpften, war das mit der Elektrifizierung bei keinem der Tiere der Fall (vgl. Grafik 04). Vielmehr schwammen die meisten Tiere zum Bypass. Die übrigen Tiere «verweigerten» die Passage, das heisst, sie gelangten weder zum Bypass noch durch den Rechen, sondern sie schwammen flussaufwärts zurück. Die Verweigerung ist zwiespältig: Für die Tiere ist zwar die Gefahr gebannt, die die Turbine für sie darstellt, allerdings um den Preis, dass sie auf die Wanderung flussabwärts verzichten, was aus ökologischer Sicht unerwünscht ist.

Eher ungünstig wirkte sich die Elektrifizierung des Vertikalrechens beim Schneider aus: Hier brachte die Elektrifizierung keinen Vorteil, weil die Fische auch den nicht elektrifizierten Rechen schon mieden und erfolgreich zum Bypass geleitet wurden. Die Elektrifizierung war sogar nachteilig, denn ein erheblicher Anteil der Fische «verweigerte» den Abstieg über den Bypass und schwamm flussaufwärts zurück. «Wir wollen in einem Nachfolgeprojekt jetzt untersuchen, ob wir mit einer Abschwächung der eingesetzten Spannungen und anderen Anordnungen der Elektroden erreichen können, dass die Fische wirksam geschützt werden und ihnen gleichzeitig noch häufiger der Abstieg durch den Bypass gelingt», blickt Claudia Beck in die Zukunft.

Artspezifisches Verhalten am Horizontalleitrechen
In einem zweiten Teilprojekt untersuchten die VAW-Forscher die Elektrifizierung eines Horizontalrechens (engl. Horizontal Bar Rack/HBR), dessen Optimierung Julian Meister an der ETH Zürich seine Doktorarbeit widmet. In diesem Fall profitiert der Aal von der Elektrifizierung nur unwesentlich, weil die Schutzwirkung bei 20 mm Stababstand auch ohne Elektrifizierung schon gut ist (vgl. Grafik 05). Wohl noch wichtiger ist eine zweite Erkenntnis: Offenbar kann man die Schutzwirkung der Elektrifizierung bei der getesteten Konfiguration nicht nutzen, um die Stababstände zu vergrössern, wie die Versuche zeigten. Vielmehr passierte rund ein Drittel der Aale den Rechen, wenn der Stababstand auf 51 mm vergrössert wurde. «Spannend zu beobachten war dabei, dass die Ausrichtung der Aale zum Rechen einen entscheidenden Einfluss auf die Schutzwirkung hatte. Diese Information ist sehr wichtig, um das elektrische Feld weiter zu optimieren, sodass die Aale – unabhängig von ihrer Ausrichtung – erfolgreich geschützt werden», betont Julian Meister.

Optimierungspotenzial
Anders der Befund bei den Schneidern: Hier behielt der Horizontalrechen mit der Elektrifizierung weitgehend seine Schutzwirkung, auch bei einer Vergrösserung des Stababstands. Die Elektrifizierung führte aber (bei kleinem wie bei grossem Stababstand) dazu, dass ein erheblicher Teil der Fische flussaufwärts zurückschwamm, also den Abstieg verweigerte. Anders formuliert: Die Elektrifizierung entfaltet eine Schutzwirkung auch bei grossem Stababstand, die Fische schwimmen jedoch nicht in den Bypass. Auch hier sehen die Forscher weiteres Optimierungspotenzial, um den Bypass in Zukunft für die Fische noch attraktiver zu gestalten.

Elektrifizierung ist komplex
Die Forscherinnen und Forscher der VAW fühlen sich durch die bisherigen Ergebnisse ermutigt, die Elektrifizierung der Fischleitrechen weiter zu erforschen. Klar ist: Der Einsatz von Strom zum Schutz der Fische ist überaus komplex. Nicht allein das Mass der angelegten Spannung ist zu berücksichtigen. Offenbar beeinflusst auch die Ausrichtung des elektrischen Feldes – also der Verlauf der Feldlinien – das Verhalten der Fische. Und im ungünstigen Fall kann die Elektrifizierung der Rechen, die für Menschen ungefährlich ist, die Fische schädigen, wie der Schlussbericht festhält: «Wenn der Aufbau des elektrischen Feldes nicht optimal ist, können schon geringe Spannungen (38 V) zu schwerwiegenden Fischverletzungen führen.»

Weitere Versuche nötig
Weitere Versuche im Labor und im Feld sind nötig, um im Spannungsfeld von Fischschutz und wirtschaftlicher Stromerzeugung ein Optimum zu erzielen. Während die Forschung der ETH Zürich sich zurzeit noch auf das Labor beschränkt, wagt die Universität Innsbruck den nächsten Schritt: Im laufenden Jahr will sie einen Feldversuch an einem Pilotstandort an der Wertach in Bayern durchführen. Sie verwendet bei der Elektrifizierung einen Rechen, der nicht aus Stäben, sondern aus horizontal gespannten Stahlseilen besteht.

Temporär elektrifizieren?
Schon heute steht fest, dass es nicht den einen Fischleitrechen für alle Kraftwerke geben wird. Vielmehr hängt die Wahl des „richtigen“ Rechens von verschiedenen situativen Faktoren ab, darunter der Bauweise des Kraftwerks, der Fliessgeschwindigkeit des Flusses oder von den im jeweiligen Gewässer zu schützenden Fischarten. «Der von uns entwickelte Vertikalrechen mit gebogenen Stäben kommt als potenzielle Lösung auch für grosse Kraftwerke in Frage», sagt ETH-Forscherin Claudia Beck. Sie und ihre Kollegen simulieren derzeit den Einsatz eines solchen Rechens für das grosse Aare-Kraftwerk in Wildegg bei Brugg. Eine Idee geht dahin, Fischleitrechen nur zeitweilig zu elektrifizieren, wie Claudia Beck sagt. Dies könnte zur Hauptmigrationszeit der Aale geschehen.

©Text: Dr. Benedikt Vogel, im Auftrag des Bundesamts für Energie (BFE)

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