Während grosse Wasserkraftwerke das Potenzial der Speicherung durch das schnelle Hoch- und Runterfahren der Anlagen bereits weitestgehend abschöpfen, haben vor allem kleine Wasserkraftwerke noch ein gewisses Entwicklungspotenzial. Bild: ADEV

Im Entscheidungsexperiment stehen die Teilnehmenden nun kurz vor der Entscheidung sich an ein solches virtuelles Kraftwerk anzuschliessen und müssen zwischen zwei verschiedenen Verträgen entscheiden.

Beispiel aus dem Entscheidungsexperiment für Teilnehmende aus Deutschland

Kleinwasserkraft: Anreize zur Flexibilitätssteigerung im Hydrosektor im Alpinen Raum – ein Entscheidungsexperiment im Rahmen einer Masterarbeit

(©SN) Der Vorteil der Wasserkraft, Energie flexibel bereitstellen zu können, wird mit dem Umbau des Stromsektors auf 100% Erneuerbare Energie immer wichtiger. Damit können kurzfristige Ausfälle schnell kompensiert werden, dabei sind Wasserspeicher deutlich günstiger als bestehende Batteriesysteme. Dabei steht auch die Frage im Raum, welchen Beitrag Kleinwasserkraftbetreiber*innen zur Flexibilisierung beitragen können – und wollen.


Die Klima Thematik betrifft nicht nur weit entfernte Entscheider*innen über Politik und Wirtschaft, sondern jede und jeder Einzelne hat mit dem eigenen Konsum die Möglichkeit einen kleinen Teil zu einer nachhaltigeren Welt beizutragen. Es ist erschreckend, dass die meisten Ziele, welche sich die Industrieländer im Zuge des Pariser Abkommens im Jahr 2015 eigenständig gesetzt haben, nicht nur nicht erreicht, sondern weit verfehlt wurden. In einem ersten Evaluationszyklus bezüglich der gesetzten Ziele der Länder wurde herausgefunden, dass vor allem der Energiesektor der Industrieländer einen besonders hohen Kohlenstoffdioxidausstoss aufweist. Deshalb ist die Dekarbonisierung des Stromsektors bekanntlich ein essenzieller Teil für den Klimaschutz.

Steigerung der Informations- und Kommunikationstechnologien
Ebenfalls hinreichend bekannt ist jedoch der Nachteil der erneuerbaren Energien: die hohe Abhängigkeit der Produktion an die natürlichen Bedingungen, was eine hohe Unsicherheit in der Produktion mit sich bringt. So kann zum Beispiel eine Photovoltaikanlage nicht produzieren, wenn Wolken den Himmel bedecken, sodass andere Energiequellen einspringen müssen. Die Integration grosser Mengen von Photovoltaik und Windkraft, trotz deren Abhängigkeit von natürlichen Bedingungen, ist die grosse Aufgabe des modernen Stromnetzes. Um die Frequenz im Stromnetz stabil zu halten, muss die Nachfrage gleich dem Angebot an Energie entsprechen. Um diese Aufgabe zu bewältigen, muss durch eine Steigerung der Informations- und Kommunikationstechnologien im Stromnetz die Flexibilität in der Produktion der erneuerbaren Energien gefördert werden. Somit können schnell und kosteneffizient andere nachhaltige Energiequellen einspringen, sobald eine nachhaltige Energiequelle durch eine natürliche Gegebenheit ausfällt.

Entwicklungspotential
In diesem Zusammenhang spielt die Wasserkraft eine signifikante Rolle. Durch das schnelle Hoch- und Runterfahren der Anlagen und die teilweise Möglichkeit der Speicherung der gewonnenen Energie haben Wasserkraftwerke ein grosses Potential positive Entwicklungen im Stromsektor voranzutreiben. Während grosse Wasserkraftwerke dieses Potential bereits weitestgehend abschöpfen, haben vor allem kleine Wasserkraftwerke noch ein gewisses Entwicklungspotential. So kann zum Beispiel eine optimierte Einspeisestruktur die derzeit konstante Einspeisestruktur dominieren und somit kann ein kleiner Teil zur Flexibilitätssteigerung beigetragen werden. In der Praxis bedeutet dies, dass kleine Wasserkraftwerke nicht konstant einspeisen, sondern zum richtigen Zeitpunkt intensiv in Kooperation mit einem Experten für Flexibilität einspeisen sollen. Dies geht einher mit einem Verlust an Autarkie für die Inhaber*innen der Wasserkraftwerke, da diese nicht mehr komplett unabhängig in der Produktion, sondern an einen Vertrag gebunden sind.

Forschungsfrage:
In der Masterarbeit wurde die Forschungsfrage beleuchtet, welche Faktoren Inhaber*innen von Kleinwasserkraftwerken beeinflussen, ihre Flexibilität in der Produktion zu steigern beziehungsweise anzubieten, und wie hoch der monetäre Anreiz sein muss, um eine Flexibilitätssteigerung zu erreichen. Der Fokus liegt dabei auf dem alpinen Sektor mit Deutschland, Österreich und der Schweiz, da Wasserkraft in diesem Raum mitunter am intensivsten erschlossen wird. Ein weiterer Fokus liegt auf Kleinwasserkraft, da zum einen grosse Wasserkraftwerke ihr Potential bereits realisieren und zum anderen Experten Potential in Kleinwasserkraftwerken erkennen.

Methode:
Um diese Forschungsfragen zu beantworten, wurde ein Entscheidungsexperiment herausgearbeitet und an Inhaber*innen von Kleinwasserkraftwerken über die Wasserkraftverbände der verschiedenen Länder (Deutschland, Österreich und Schweiz) vermittelt. In einem Entscheidungsexperiment müssen die Teilnehmer in einer fiktiven Situation aus verschiedenen Optionen die für sie beste Option wählen. Zum Beispiel „Warenkorb A beinhaltet drei Bananen und zwei Äpfeln, Warenkorb B zwei Äpfel und drei Birnen“ und die Teilnehmenden müssen sich für einen der beiden Warenkörbe entscheiden.

Im Falle der Flexibilitätssteigerung in der Wasserkraft gestalten die Warenkörbe sich etwas komplizierter. Der Plan war, die Teilnehmenden in eine fiktive Situation zu versetzen, in der sie zum einen mit ihrer bestehenden Infrastruktur, ohne eine monetäre Anstrengung, unabhängig von der Leistung der Wasserkraftanlage mit absoluter Sicherheit ihren Profit mindestens ein wenig steigern können. Die Situation, welche alle Anforderungen erfüllt, ist ein Vertrag zum Anschluss an ein virtuelles Kraftwerk. Virtuelle Kraftwerke schliessen viele verschiedene erneuerbare Energien und Lagermöglichkeiten in einem modernisierten Energienetz zusammen. Durch einen schnellen Informationsfluss können sich die unterschiedlichen Quellen nicht nur zuverlässig, kostenminimierend und schnell ausgleichen, sondern durch einen Anschluss am Strommarkt können ausserdem vergleichsweise hohe Gewinne erzielt werden. Durch die Möglichkeit Strom zu verkaufen, wenn der Strompreis hoch ist und Strom zu kaufen und zu lagern, wenn der Preis niedrig ist, wird nicht nur das allgemeine Stromnetz entlastet, sondern es können auch höhere Gewinne und Einspeisetarife angeboten werden. In der Theorie sind somit Kleinwasserkraftinhaber*innen flexibler in der Produktion, wenn die Anlage an ein virtuelles Kraftwerk angeschlossen wird.

Das bedeutet, dass die Inhaber*innen auf der einen Seite höhere Einkommen realisieren können, aber im Gegenzug einen gewissen Teil ihrer Unabhängigkeit in der Produktion für eine flexible Einspeisung abgeben müssen. Somit müssen sie sich dem Konflikt stellen, zum einen höhere Profite realisieren zu können, zum anderen aber einen Verlust der Unabhängigkeit beziehungsweise Autarkie in der Produktion hinnehmen zu müssen. Als Konsequenz wird ein höherer Anteil an Flexibilität im Energiesektor erreicht, umso mehr sich die einzelnen Produzent*innen für einen geringeren Anteil an Autarkie entscheiden.

Zielkonflikt für Inhaber*innen von Kleinwasserkraftwerken:
Im Entscheidungsexperiment stehen die Teilnehmenden nun kurz vor der Entscheidung sich an ein solches virtuelles Kraftwerk anzuschliessen und müssen zwischen zwei verschiedenen Verträgen entscheiden. Diese Verträge bestehen aus vier Vertragskomponenten. Diese sind der Einspeisebetrag, die Vertragslaufzeit, der Standort des Unternehmens und der Einspeisetarif. Die Vertragskomponenten wiederum haben unterschiedliche Level, die wiederholt den Teilnehmenden angeboten wurden. Alle Attribute und Level wurden fundiert auf Basis der Literaturrecherche herabgeleitet und für die verschiedenen Länder angeboten. Dadurch konnte in einer folgenden Analyse die intrinsische Zahlungsbereitschaft für Flexibilität abgeleitet werden.

Resultate:
Interessanterweise waren nicht alle Attribute signifikant in der Entscheidung Flexibilität anzubieten und auch die Einflussgrösse auf die Entscheidung wurde nicht derartig erwartet. So sind der Einspeisetarif und die Lokalität des Unternehmens signifikant, nicht aber die Vertragslaufzeit und der Einspeisebetrag. Erklärt wird dies damit, dass durch das traditionelle Know-How im Kleinwasserkraftsektor und durch die (teilweise vorhandene) Möglichkeit auf einen Eigenkonsum wechseln zu können, kein langer Vertrag notwendig ist, um Unsicherheiten in der Produktion verbunden mit dem Profit zu beseitigen. Betrachtet man die Resultate auf die Zahlungsbereitschaft Flexibilität zu akzeptieren ist interessant, dass eine Erhöhung des Einspeisetarifes, um ein Prozent die Bereitschaft Flexibilität zu akzeptieren um nur 0,07 Prozent steigert. Das bedeutet, dass die Bereitschaft Flexibilität anzubieten bei weitem nicht nur vom Einspeisetarif abhängt, sondern vor allem von der Unabhängigkeit der Produzenten. Die Resultate zeigen, dass Inhaber*innen von Kleinwasserkraftwerken ihre Autarkie in der Produktion nicht vollkommen abgeben wollen. Inhaber*innen wollen unabhängig von der Höhe des Einspeisetarifes einen gewissen Teil der Unabhängigkeit beibehalten, was von politischen Entscheidungsträger*innen in der Gestaltung der Anreizung für eine flexible Energiegewinnung berücksichtigt werden muss.

Neben dem Entscheidungsexperiment wurden auch Fragen bezüglich Hindernissen und der politischen Performance der Entscheidungsträger*innen abgefragt. In einer ersten beschreibenden Analyse ist es erschreckend, dass mehr als die Hälfte der Teilnehmenden im Falle einer Flexibilitätssteigerung aktuelle politische Rahmenbedingungen als Hindernis empfinden. Betrachtet man die Zufriedenheit der Teilnehmenden mit der allgemeinen politischen Performance bezüglich einer Flexibilitätssteigerung, empfinden diese über 60 Prozent als unbefriedigend beziehungsweise sehr unbefriedigend. Politische Entscheidungsträger*innen müssen schnellstmöglich die eigene Performance reevaluieren, Verbesserungspotentiale erkennen und realisieren.

Politikempfehlungen:
Eine praktische Politikempfehlung, unter anderem unterstützt vom Bundesverband deutscher Wasserkraftwerke, ist eine monetäre Anreizung kleinerer Einspeisekraftwerke. So wird empfohlen eine weitere Einspeiseklasse unter der bisher kleinsten Einspeiseklasse einzuführen. Somit werden Kleinwasserkraftwerke angereizt einzuspeisen, welche bisher zum Beispiel nur für eine Eigenproduktion genutzt wurden. In einem zweiten Schritt kann eine flexible Produktion erreicht werden, indem beispielsweise der Einspeisetarif in einen öffentlichen und einen flexiblen Einspeisetarif aufgeteilt wird. Dies bedeutet, dass Inhaber*innen von Kleinwasserkraftwerken der Zugang zum Strommarkt leichter zugänglich gemacht wird, wodurch diese den Strom am Strommarkt verkaufen, und somit einen Einspeisetarif mit einem Mehrertrag für flexible Produktion realisieren können. Dies kann nur erreicht werden, wenn die Kleinwasserkraftanlage einen Mindeststandard an Technologie vorweisen kann, wodurch flexible Einspeisetarife einen Anreiz schaffen Kleinwasserkraftwerke zu modernisieren. In der Praxis wird dies bisher nur dadurch betrieben, dass der Zustand, das Potential und die Modernisierungsmöglichkeiten einer Kleinwasserkraftanlage vor dem Anschluss an ein virtuelles Kraftwerk individuell geprüft wird. Diese individuelle Einschätzung und Optimierung muss flächendeckend von politischen Entscheidungsträger*innen angereizt werden, um eine nachhaltige und signifikante Flexibilitätssteigerung im Kleinwasserkraftsektor zu erreichen.


Zur Person
Severin Ramstötter ist 28 Jahre alt und lebt in München. Nachdem er seinen Bachelor an der Ludwig-Maximilian-Universität in München in Volkswirtschaftslehre abgeschlossen hat, arbeitete er für die Forschungsorganisation Fraunhofer in Glasgow, Schottland. Danach studierte er den internationalen Masterstudiengang „Sustainable Ressource Management“ an der Technischen Universität München. Diesen schloss er mit der Masterarbeit über die „Anreize zur Flexibilitätssteigerung im Hydrosektor im Alpinen Raum“ erfolgreich ab.


©Text: Severin Ramstötter

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