Die drei Teilnehmer des Round-Table-Gesprächs sind sich einig: Es gibt noch viel zu tun, doch mindestens 80 Prozent Zielerreichung bei der Energiewende sind möglich.

Höhere Versorgungssicherheit, geringere Kosten, mehr Klimaschutz: Wie Erneuerbare das Stromsystem in Südosteuropa verbessern

(PM) Welches Potenzial haben Abgaben und Bepreisungen, um Innovationen zu treiben und die Dekarbonisierung voranzubringen? Welche Mittel und Wege gibt es, die Akzeptanz der Energiewende zu erhöhen? Ein Round-Table-Gespräch über den aktuellen Stand der Energiewende mit Patrick Graichen, Agora Energiewende, Holger Lösch, BDI, und Stephan Kapferer, BDEW. Die Einstiegsfrage lautete: Wo stehen wir in Bezug auf die Energiewende – was haben wir bisher erreicht?

Patrick Graichen: Bei der Stromwende haben wir in den vergangenen 20 Jahren gute Fortschritte gemacht. Jetzt muss der nächste Schritt kommen: das Ausdehnen auf Verkehrswende und Wärmewende mit erneuerbarem Strom. Da stehen wir erst noch an der Schwelle. Holger Lösch: Die Energiewende wird uns weiterhin Kopfzerbrechen bereiten, denn wir sehen nach wie vor preislich schwierige Entwicklungen. Und wenn es uns nicht gelingt, die Akzeptanzfrage bei der Windenergie sowie beim Netzausbau zu beantworten, dann erwarten uns unruhige Jahre bis 2030. Stephan Kapferer: Energiewende ist besser als ihr Ruf. Der Energiesektor hat in den vergangenen drei Jahren jeweils etwa 15 Millionen Tonnen CO₂-Emissionen eingespart. Wir werden auch im Bereich des Verkehrs relativ rasch echte Erfolge sehen. Natürlich muss die Energiewende volkswirtschaftlich so effizient wie möglich organisiert werden. Da haben wir sicherlich noch Verbesserungsmöglichkeiten.

Welche Schritte müssen wir denn jetzt als nächstes gehen?

Patrick Graichen: Viele zugleich. Denn es gibt nicht das eine Instrument, das alle Probleme löst. Wir müssen für jeden Sektor gleich mehrere Schlüsselmaßnahmen auf den Weg bringen.

Holger Lösch: In der Tat. Den einen Königsweg gibt es nicht. Das Wichtigste wäre, wirklich einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen. Es gibt nach wie vor keine über alle Sektoren effiziente Herangehensweise an die Themen Klimapolitik und CO₂-Reduzierung, wir haben immer noch sehr viel Stuckwerk.

Stephan Kapferer: Für den Energiesektor wünsche ich mir, dass wir sehr rasch die Ziele umsetzen, die die deutsche Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung formuliert hat: vom Ausbau der Erneuerbaren über den Netzausbau bis hin zur Frage von Back-up-Kapazitäten. Im Verkehrsbereich sind zwei Dinge wichtig: nämlich einmal, dass die deutschen Automobilhersteller schnell massentaugliche Fahrzeuge auf den Markt bringen und dass wir gleichzeitig rasch vorankommen beim Ausbau der Infrastruktur. Der Wärmemarkt wiederum braucht endlich eine steuerliche Absetzbarkeit von Gebäudesanierungen. Schließlich muss sich die deutsche Bundesregierung nun zügig eine klare Meinung zum Thema CO₂-Bepreisung bilden.

Welche Rolle kann die CO₂-Bepreisung spielen?

Stephan
Kapferer: Der CO₂-Preis ist keine eierlegende Wollmilchsau. Man kann sicherlich bis zu einem gewissen Grad Verkehrsvermeidung über einen Preis steuern. Aber am Ende sind ein Industrieland wie Deutschland und eine freiheitliche Gesellschaft auch auf Mobilität angewiesen, das heißt: Es geht nicht ohne Technologiealternativen. Diese stehen vor der Marktreife; ein CO₂-Preis konnte auch Elektromobilität, Erdgas- und Wasserstoffmobilität im Vergleich zum klassischen Verbrenner besserstellen. Ähnliches gilt für den Wärmemarkt.

Patrick Graichen: Ich stimme zu, dass ein CO₂-Preis dann seine Wirkung entfaltet, wenn es verschiedene marktreife Technologieoptionen gibt. Es wäre aber zu viel von einem CO₂-Preis verlangt, dass er auch die Technologieentwicklung vorantreibt. Denn dies hat die Energiewirtschaft vor allem über das EEG erreicht. Und es wird auch bei Power-to- X nicht so sein, dass es der CO₂-Preis ist, der uns die dafür notwendigen Technologien bringt. Für deren Markteinführung brauchen wir andere Instrumente.

Holger Lösch: Das Thema CO₂-Reduktion ist im Grunde ein riesiges Puzzle. Wir haben das in unserer BDI-Klimastudie ganz plastisch dargestellt. Es müssen wirklich Millionen von unterschiedlichen Investitionsentscheidungen getroffen werden. Von Unternehmen, von Staaten, von Gemeinden, Kommunen, aber natürlich auch von sehr vielen individuellen Personen. Unsere Klimapfade haben aber gezeigt, dass sich vier Fünftel der – volkswirtschaftlich – sinnvollen Maßnahmen für den einzelnen Investor (Hausbesitzer, Autokäufer, Anlagenbetreiber) nicht rechnen. Die Aufgabe der Regulierung ist es also, die Hürden für diese individuellen Investitionsentscheidungen abzubauen. Es ist doch so: Immer, wenn ein echter Wandel stattfindet, sind Instrumente am Werk, die den Übergang erleichtern. Und so wurde ich auch den CO₂-Preis betrachten: als ein sicher nicht ganz unwichtiges Element in einer ganzen Reihe von Instrumenten, die uns am Ende diesen vielen Millionen Entscheidungen erfolgreich naherbringen.

Stephan Kapferer: Ich glaube, dass durch die Preisgestaltung Technologiealternativen in den einzelnen Sektoren unterschiedlich attraktiv werden. So konnte im Wärmemarkt schon ein relativ niedriger CO₂-Preis dazu motivieren, eine alte Ölheizung zu ersetzen. Im individuellen Personenverkehr hingegen ist ein CO₂-Preis, wie wir ihn heute im Emissionshandel haben, kein echter Push. Niemand schafft wegen sieben Cent Aufschlag pro Liter seinen Benziner oder Diesel ab. Doch gerade da brauchen wir den Systemwechsel.

Holger Lösch: Ein gutes Beispiel: Was brauchen wir denn für die Elektromobilität? Wir brauchen Fahrzeuge, eine vernünftige Infrastruktur – und für die Nutzer der Fahrzeuge die Sicherheit, dass ihre Mobilitätsbedürfnisse weiterhin erfüllt werden. Das wiederum erfordert Entwicklungen in den Bereichen Technologie und Infrastruktur. Wir brauchen also eine Mischung aus Fordern und Fordern und müssen die verschiedenen Instrumente sehr klug aufeinander abstimmen.

Patrick Graichen: Richtig. Wir müssen für jeden Sektor diesen Mix finden. Im Verkehr wird es vermutlich auf eine CO₂-Bepreisung auf Diesel und Benzin und eine Bonus-Malus-Regelung bei der Kfz-Steuer von Neufahrzeugen hinauslaufen. Beim Gebäudesektor ist es ähnlich, da wird es den CO₂-Preis auf Heizöl und Erdgas geben und auf der anderen Seite die Forderung der Gebäudesanierung, der Wärmepumpe sowie der grünen Fernwarme. Und im Industriesektor wird man sicherlich auch die Frage stellen müssen, wie CO₂-freie Stahlwerke finanziert werden sollen. Insofern ist es tatsachlich notwendig, für jeden dieser Sektoren zu überlegen, mit welcher Mischung aus ≫Push≪ und ≫Pull≪ wir arbeiten müssen, um unsere Ziele zu erreichen.

Wären unterschiedliche Sektorenpreise für CO₂ eine Lösung?

Stephan Kapferer: Der BDEW ist nicht ohne Grund für eine einheitliche Bepreisung über alle Sektoren hinweg, weil das sonst sehr schnell in eine sehr grundsätzliche Gerechtigkeits- und Belastungsdebatte fuhrt. Wenn wir den CO₂-Preis im Verkehrssektor fünfmal so hoch wie im Stromsektor ansetzen, ist das politisch schlicht nicht durchsetzbar. Daher gibt es von uns ein klares Plädoyer für unterschiedliche Optionen der Förderung, aber auch für ein einheitliches CO₂-Preissignal in den Bereichen – als zusätzliches Element, das eine Steuerungswirkung entfaltet.

Patrick Graichen: Ich glaube nicht, dass ein einheitlicher CO₂-Preis zwingend notwendig ist – ganz einfach deshalb, weil wir schon jetzt in den Sektoren alle möglichen impliziten Preise haben. Auf dem Strompreis liegen ja noch die EEG-Umlage und andere Umlagen, die man in anderen Ländern als CO₂-Preis ausgestaltet hat. Da werden dann die Erneuerbaren nicht über eine Umlage, sondern über eine CO₂-Steuer finanziert. So einfach lassen sich die Dinge nicht miteinander vergleichen, weil wir ein historisch gewachsenes Abgaben- und Steuersystem haben. Ich bin also durchaus der Meinung, dass man im Verkehr einen höheren Preis ansetzen kann. Aber eben nur dann, wenn die damit eingenommenen Mittel sozialvertraglich zurückverteilt werden.

Holger Lösch: Das Thema Verkehr ist ein gutes Beispiel: Wir brauchen ja nicht nur mehr Elektromobilität. Sondern auch eine enorme Verlagerung auf die Schiene, auf den öffentlichen Nahverkehr, den Fuß- und Radverkehr mit dem entsprechenden Infrastrukturausbau oder auch günstigere Preise im öffentlichen Nahverkehr. Da gibt es nur einen, der hier zahlen kann – und das ist die öffentliche Hand. Wir müssen also über eine umfassende Veränderung des Abgaben-, Steuer- und Umlagensystems dieses Landes reden und das Ganze dann auch noch in den europäischen Kontext setzen. Zugleich müssen wir dafür sorgen, dass die betroffenen Industrien wettbewerbsfähig bleiben.

Stephan Kapferer: Eine ganz zentrale Frage wird sein, was wir eigentlich mit dem Geld machen, das dann zusätzlich in die Kasse kommt. Wenn ich den Burger mehr belaste, muss ich einen Weg finden, ihm wenigstens einen Teil der Mehrbelastung wieder zurückzugeben. Wenn wir das System nur so anlegen, dass der Staat mehr Mittel hat und die Mittel dann für welche Zwecke auch immer ausgibt, dann laufen wir schnell in eine schwerwiegende Akzeptanzkrise hinein.

Stichwort Akzeptanz: Muss es dabei immer nur um Geld gehen? Japan beispielsweise ruckt ja das Thema Wasserstoff bei den olympischen Sommerspielen öffentlichkeitswirksam in den Fokus.

Patrick Graichen: Ich glaube tatsachlich, dass öffentliche Symbole und Vorbilder sehr viel bewirken können. Dabei geht es nicht nur um die Frage, ob bei der ≫Goldenen Kamera≪ die Celebrities in Wasserstoffautos oder in einem Diesel-SUV unterwegs sind. Es geht auch darum, eine Strategie verständlich und glaubhaft zu vertreten. Deswegen diskutieren wir ja gerade mit der Gaswirtschaft über eine Quote für grünen Wasserstoff im Erdgasnetz. Das ist nicht nur ein öffentlichkeitswirksames Symbol, sondern liefert noch dazu einen handfesten ökonomischen Business Case dazu. Das kann funktionieren.

Holger Lösch: Für Japan ist das aber auch eine Überlebensfrage. Nach Fukushima ist die Atomenergie keine Zukunftsoption mehr – und das vergiftete Angebot Chinas, Japan ein unterseeisches Stromkabel zu legen, um das Land mit chinesischem Strom aus erneuerbaren Energien zu beliefern, hat die Gesellschaft dort nachgerade zusammengeschweißt und dazu gedrängt, gemeinsam Alternativen zu finden. Trotzdem wurde ich mir auch hierzulande mehr Begeisterung für Technologien wünschen, die Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft gemeinschaftlich entwickeln.

Es gibt also noch einiges zu tun. Wie zuversichtlich sind Sie, dass wir das alles, was uns heute noch fehlt, entsprechend und rechtzeitig auf den Weg bringen?

Patrick Graichen: Doch, ich bin zuversichtlich. Vor einem Jahr war das noch nicht so, weil man da den Eindruck bekam, das politische Berlin habe die Bedeutung der Energiewende nicht erkannt. Aber die Stimmung hat sich gedreht. Um es mit Herrn Lösch zu sagen: Die Puzzleteile liegen auf dem Tisch. Jetzt müssen wir das Puzzle zusammenbauen.

Holger Lösch: Wir haben die Technologien für eine Zielerreichung von 80 Prozent. Ob und wie wir die letzten 20 Prozent hinbekommen, wird sich aus meiner Sicht auch ein Stück weit anhand der Frage entscheiden, wie die restlichen G-20-Staaten sich verhalten. Wenn der G-20-Kreis sich zu einem gemeinsamen vergleichbaren Ambitionsniveau durchringen konnte, dann wäre es mir überhaupt nicht bange.

Stephan Kapferer: Die 80 Prozent bekommen wir volkswirtschaftlich hin – mit Mehrwert für die Gesellschaft und für die Ökonomie. Für die restlichen 20 Prozent müssen wir noch Innovationspotenziale erschließen. Aber ich glaube, das schaffen wir.

Projekt zum Thema: Flexibilität im südosteuropäischen Stromsystem im Jahr 2030
In diesem Projekt wurden die Flexibilitätsherausforderungen des Stromsystems in Südosteuropa untersucht, die sich durch den künftigen Einsatz von Windkraft und Solarenergie ergeben. Dafür wurde ein Szenario 2030 sowie eine stundenscharfe Simulation des Energiesystems entwickelt.

The Southeast European power system in 2030 >>

Text: Agora Energiewende

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