Aufgrund des Klimawandels könnten Inseln wie Langeoog in 30 Jahren durchaus gefährdet sein. Bild: Andreas Falk

"Wenn der Meeresspiegel deutlich steigt, bekommt mein Sohn in 30 Jahren hier ernsthafte Probleme", ist Michael Recktenwald überzeugt. Bild: Bernward Janzing

Akut ist Langeoog mit seinen wunderbaren Stränden zwar noch nicht bedroht, doch das ist nicht das Thema, alle Kläger agierten im Namen ihrer Kinder. Bild: Tourismus-Service Langeoog

Nordseeidylle Langeoog: Hoteliers-Familie fürchtet die Klimazukunft und klagt mit anderen gegen die EU

(BR) Eine Hoteliers-Familie auf der Insel Langeoog klagt mit neun weiteren Familien aus unterschiedlichen Ländern gegen die EU: Die nur halbherzigen Klimaschutzziele bedrohten langfristig die Inseln, womit Grundrechte verletzt würden, so der Vorwurf. Schneller als erwartet hat das Gericht der Europäischen Union entschieden, die Klage tatsächlich anzunehmen. Ein Besuch auf Langeoog. 


Die grosse Fensterfront des Restaurants Seekrug eröffnet den Blick auf die Nordseedünen, dahinter liegt der Badestrand von Langeoog. Es ist einiges los an diesem Nachmittag im August, draussen wie drinnen. Gerade kehrt eine Wandergruppe ein, die vom Festland durchs Watt auf die Insel gekommen ist; vor zwei Stunden war Niedrigwasser.

Langeoog ist ein Ziel für Naturfreunde. Es ist Hochsaison und Michael Recktenwald, der Chef im Seekrug, hat entsprechend zu tun. In diesem Sommer kommt noch etwas hinzu: Klimaschützer, Juristen und Journalisten blicken auf das friesische Hotelierspaar, auf Recktenwald und seine Frau Maike.

Am Morgen war das ZDF da, am Abend wird das Team nochmals drehen, für die Kindernachrichtensendung "Logo". Zwischendrin findet Recktenwald Zeit für ein weiteres Gespräch über jene Aktion, die ihn gerade in die Schlagzeilen bringt. Er verklagt die EU. Mit neun weiteren Familien aus fünf EU-Staaten, etwa aus Kenia und von den Fidschi-Inseln, will er eine stärkere Senkung des CO2-Ausstosses erwirken, weil der Klimawandel die Inseln bedrohe und damit auch Grundrechte der Bewohner.

Der Gastronom wirkt besonnen, strahlt typisch friesische Gelassenheit aus. Er ist ein bodenständiger Mensch, ein Mittelständler, der mit seiner Familie drei Betriebe mit 45 Mitarbeitern managt – neben dem Restaurant Seekrug das Biohotel Strandeck und eine Biobäckerei. Und so war es auch gar nicht seine Idee, gegen die EU zu klagen. Angeschlossen hat er sich aber gerne.

Idee von Bremer Professor Gerd Winter
Angestossen hat die Klage der Bremer Professor Gerd Winter. Als der Jurist der Forschungsstelle für Europäisches Umweltrecht Menschen suchte, die seiner Klage ein Gesicht geben, fragte er auch bei der Inselgemeinde Langeoog an. Von dort war der Weg kurz zu den Recktenwalds, die nun als einzige Kläger aus Deutschland an dem Verfahren beteiligt sind, unterstützt durch die Umweltorganisationen Germanwatch und Protect The Planet. Dass ausgerechnet er gefragt wurde, ist kein Zufall; Recktenwald ist auf der Insel als Vordenker bekannt.

In Energiefragen macht er zwar bislang nichts Spektakuläres, realisierte nur, was ein Betrieb ebenso macht, wenn er einigermassen auf Zack ist: Sonnenkollektoren nutzen die Wärme vom Dach, in der Bäckerei wird gerade eine Anlage zur Rückgewinnung der Abwärme der Backöfen installiert. Aber in der Küche macht sich der Restaurantchef seit Jahren viele Gedanken um Ökologie und Klimaschutz: "Das ist unser Metier, da kennen wir uns aus", sagt er. Bioware, vor allem aus der Region, prägt die Karte. Recktenwald weiss: "Die Ernährung hat grossen Einfluss auf den Klimawandel."

Die Insel hat erstaunlich viel zu bieten: Reh, Hase, Fasan. "Was hier auf Langeoog gejagt wird, kommt traditionell alles zu uns", erzählt der Wirt. Rindfleisch gebe es von Wangerooge, einer Nachbarinsel. Seine Mitarbeiter lässt Recktenwald Brombeeren und Sanddorn, Spitzwegerich und Sauerampfer sammeln. Und in der Personalküche gebe es nur noch einmal pro Woche Fleisch. Auch mit Algen hat er schon experimentiert, ist aber noch nicht zufrieden.

Die „grosse“ Politik muss helfen
Solches Bemühen alleine wird das Weltklima jedoch nicht retten, es braucht Unterstützung durch die grosse Politik. Wirksame Aktionen fordert daher die Organisation Protect The Planet ein, die die Klage auch finanziell unterstützt. Zwar hat die EU beschlossen, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren, doch das sei viel zu wenig: "Angesichts der Notwendigkeit, weitere bedrohliche Klimaveränderungen abzuwenden, ist das inakzeptabel."

Grundrechte auf Leben und Gesundheit
Bei den Klägern verursache der Klimawandel bereits Schäden vor Ort, und diese würden in Zukunft noch stärker. Bei der Klage gehe es um "die Grundrechte auf Leben und Gesundheit, auf das Wohl der Kinder sowie auf Eigentum und Berufsfreiheit". Die Kläger seien besonders bedroht von den Folgen des Klimawandels – etwa durch Wassermangel, Überschwemmungen, Rückzug von Eis und Schnee, Dürre und Hitzewellen. Christoph Bals, Geschäftsführer der ebenfalls unterstützenden Organisation Germanwatch, ergänzt: "Die klagenden Familien fügen sich nicht einfach in eine Opferrolle, sondern verlangen von der EU den Schutz ihrer Rechte."

Vertreten werden die Familien nicht alleine durch Professor Winter aus Bremen, sondern auch durch die Umweltanwältin Roda Verheyen aus Hamburg und den Londoner Rechtsanwalt Hugo Leith. "Die Gerichte der Union sind aufgerufen, deutlich zu machen, dass Klimaschutz nicht nur politische, sondern auch rechtliche Verpflichtung ist", erklärt Winter.

In 30 Jahren ernsthafte Probleme
Akut sei Langeoog zwar noch nicht bedroht, räumt Recktenwald im Gespräch ein. Doch das sei nicht das Thema, alle Kläger agierten im Namen ihrer Kinder. "Wenn der Meeresspiegel deutlich steigt, bekommt mein Sohn in 30 Jahren hier ernsthafte Probleme", ist der Familienvater überzeugt. Eine Klage zu führen, um Vorsorge zu treffen vor etwas, was erst in Zukunft droht, ist juristisch nicht leicht. Aber die Kläger hoffen, dass auch das Gericht nicht vorbeikommen wird an den zunehmenden Anzeichen für den Klimawandel. In den vergangenen Tagen war es auch auf Langeoog heiss, 30 Grad, das ist selten hier. Extrem trocken war der Sommer zudem, seit Anbeginn.

Bislang ist Langeoog allerdings noch das kleine Paradies geblieben, das es immer war. Selbst in diesem Trockensommer gibt es genug Trinkwasser, das aus einer Süsswasserlinse unter der Insel stammt. Eine Wasserleitung zum Festland gibt es nicht. Kritischer als die Trockenheit wäre eine Sturmflut, die Meerwasser ins Süsswasser drücken könnte. Um das zu verhindern, wird vor dem Pirolatal auf der Insel immer wieder Sand aufgespült. Ein steigender Meeresspiegel könnte somit das Trinkwasser ernsthaft gefährden. "Wir nehmen den Klimawandel besonders wahr, weil wir in und mit der Natur leben", wird Maike Recktenwald von Germanwatch zitiert.

Bislang sind es meist Luxusprobleme, die die Insel einholen. Die dritte der ostfriesischen Inseln von Osten gezählt, ist wie einige andere in Friesland autofrei. Sie ist klein und beschaulich, nur die Rettungsdienste haben ein paar wenige Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren. Die Belieferung der Läden und der Gastronomie erfolgt mit Elektroautos – und das schon, seitdem die Pferdekutschen abgeschafft wurden.

Vor einigen Wochen haben Touristen Rettungsfahrzeuge blockiert und mit ablehnenden Sprüchen beklebt – ihres Verbrennungsmotors wegen. Sie taten so, als sei der Krankenwagen auf Langeoog das grosse Umweltproblem. Noch immer hängt an einer Strasse ein Bettlaken und bekundet Solidarität: "Danke an alle Retter!! Schön, dass es Euch gibt (auch mit Diesel und Benzin)".

Klage schneller als erwartet angenommen
Über einen solchen Kleinkrieg kann Recktenwald nur lächeln. Er hat einen würdigeren Gegner, einen, gegen den sich das Aufbäumen lohnt. Schneller als erwartet hat das Gericht der Europäischen Union entschieden, die Klage tatsächlich anzunehmen. Das ist schon ein grosser Erfolg, denn sicher war das nicht. Hätte das Gericht abgelehnt, wäre die Klage gleichwohl nicht vergeblich gewesen, davon waren alle Beteiligten überzeugt. Schon alleine die öffentliche Debatte über die Klage hätte Spuren hinterlassen, hätte Europa vielleicht einen kleinen Schritt weitergebracht in jene Richtung, die der Unternehmer auf der Nordseeinsel vertritt: "Wir brauchen eine CO2-Steuer."

Über mangelndes Interesse der Öffentlichkeit kann sich der Hotelier nicht beschweren. "Die Klage macht mehr Arbeit, als ich gedacht habe", sagt er – und meint damit nicht das Juristische, sondern die vielen Anfragen der Medien. So geht es auch an diesem Nachmittag im August weiter, das Kamerateam von "Logo" macht sich bereit. Am Abend wird auch der 16-jährige Sohn der Recktenwalds zum Einsatz kommen. Bisher haben die Eltern ihn im Medienrummel aussen vor gelassen, aber im Kinderkanal gehört es zum Konzept, dass hier Kinder und Jugendliche zu den jungen Zuschauern sprechen. Schliesslich geht es bei dem Thema um genau diese Generation.

Unterdessen muss der Vater sich wieder um sein Restaurant kümmern. Der Strandtag auf Langeoog neigt sich dem Ende entgegen, vom frühen Abend an werden wieder alle Plätze besetzt sein, im Seekrug oberhalb der Nordseedünen.

©Text: Bernward Janzing

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1 Kommentare

Max Blatter

Eine Klage gegen die EU? Kann ich nicht ganz nachvollziehen - Deutschland schafft es ja nicht einmal, die angeblich zu laschen EU-Ziele zu erreichen! Warum nicht, wenn schon, gegen die deutsche Regierung klagen?

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