Die Bedenken in der Branche der Erneuerbaren sind eigentlich die gleichen, die auch viele andere Wirtschaftszweige umtreiben. Alle fürchten sich vor dem politischen Chaos, vor einem „harten Brexit“ ohne Ausstiegsvertrag und ohne Übergangsregelungen.

Brexit: Von der Angst der Energiebranche vor dem Ausstiegschaos

(©BJ) Der Brexit selbst ist für die deutsche und EU-Energiebranche weniger ein Problem als vielmehr die seit Monaten anhaltende Unsicherheit. Und doch weiss beim Gashandel, der EU-Energiestatistik und beim Emissionshandel niemand, was nun kommt. Und so richtig wohl ist es der Branche mit dem sich abzeichnenden harten Ausstieg doch nicht. Die Warnungen vor einem Ausstiegschaos wurden nun in den vergangenen Monaten zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.


Es ist die Unsicherheit, die seit Monaten lähmt – weniger der Brexit an sich. Den Austritt der Briten aus der EU sahen die Akteure aus der deutschen Windbranche noch Ende 2018 recht nüchtern. „Grossbritannien ist eine starke Wirtschaftsnation, es herrscht hohe Rechtssicherheit – wäre das Land nie in der EU gewesen, wären wir dort trotzdem genauso aktiv“, fasste es damals Alexander Koffka vom hessischen Projektierer Abo Wind zusammen. Die Firma ist im Vereinigten Königreich vor allem in Nordirland und Schottland aktiv.

Und doch erschwert der Brexit natürlich die Abläufe. Die Prozesse bei Planung und Bau seien in Grossbritannien schon immer etwas zäher gewesen, sagt Koffka. Nun laufe alles noch stockender. Ein ernsthaftes Problem hätte es allerdings gegeben, wären die Briten auch Mitglied der Euro-Staaten, denn dann wären noch die ganzen Unklarheiten einer Währungsumstellung hinzugekommen. So aber hofft die Branche, dass sich nach der Umbruchphase auch die Lähmung des Landes wieder lösen wird.

Rechtzeitige Ratifikation unwahrscheinlich
Damit der Brexit für die Unternehmen recht reibungslos über die Bühne hätte gehen können, hätten die EU und Grossbritannien den Austrittsvertrag rechtzeitig ratifizieren müssen. Das war ursprünglich bereits für den Dezember vorgesehen, ist aber bis heute nicht erfolgt, und wird wohl bis zur Frist am 29. März auch nicht mehr erfolgen. So könnte es nun darauf hinauslaufen, dass Grossbritannien die Europäische Union verlassen, und am 30. März zu einem ganz normalen Drittstaat werden wird. Allenfalls eine Verlängerung der Frist um drei Monate gilt aktuell noch als denkbar.

Mit Ausstiegsvertrag hätte es dagegen eine Übergangsphase bis mindestens Ende 2020 geben, die noch einmal um bis zu zwei Jahre hätte verlängert werden können. In dieser Zeit wäre Grossbritannien im EU-Binnenmarkt und in der Europäischen Zollunion geblieben, es hätten weiterhin auch alle anderen EU-Regeln gegolten. In der Übergangsperiode wären damit in Grossbritannien auch alle Vorschriften für den Energiebinnenmarkt in Kraft geblieben und die britische Regierung hätte in Ruhe internationale Handelsabkommen schliessen können, die nach der Übergangsphase in Kraft getreten wären.

Bei harter Brexit kommt WTO ins Spiel
Doch weil das inzwischen kaum noch gelingen kann, droht ein „harter Brexit“. Und dieser – ohne eine Übergangsphase – ist es vor allem, der die Unternehmen schreckt. Deutsche Firmen hatten die deutsche Regierung immer wieder aufgefordert, alles Mögliche zu tun, um einen „harten Brexit“ zu vermeiden – gleichzeitig aber auch schon begonnen, sich intern auch auf dieses Szenario vorzubereiten.

Bei einem Austritt ohne Übergang würden sich die Regelungen, denen die Einfuhr von Windturbinen und Ersatzteilen in das Vereinigte Königreich unterliegt, im Wesentlichen nach den Vorgaben der Welthandelsorganisation WTO richten, erklärt Felix Losada, Sprecher des Anlagenbauers Nordex. Um möglichen Problemen aus dem Weg zu gehen, müsse man beispielsweise abwägen, ob es sinnvoll ist – und wenn ja, in welchem Umfang – vorab noch Ersatzteile im Vereinigten Königreich zu lagern.

Enercon: Die Crux mit der Unsicherheit
Auch Mitbewerber Enercon bemängelt vor allem die Verunsicherung in der Branche – bei Kunden, finanzierenden Banken und weiteren Geschäftspartnern. „Am problematischsten ist die Ungewissheit, wie und nach welchem Zeitplan es weitergehen wird“, sagte Firmensprecher Felix Rehwald bereits zu Zeiten, als es noch Hoffnung auf einen geregelten Ausstieg gab. Die Ungewissheit führe zu Verzögerungen bei geplanten Projekten – und diese Unsicherheit ist in den vergangenen Monaten immer weiter gewachsen.

Der Brexit an sich sei auch für Enercon nicht das Problem. „Entscheidend für internationale Projekte sind verlässliche und kalkulierbare Rahmenbedingungen in den jeweiligen Märkten“, sagt Rehwald, „dies gilt auch für Grossbritannien – mit und ohne Brexit“.

Senvion: keine laufenden Bauprojekte
Mitbewerber Senvion zeigte sich insofern gelassen, weil das Unternehmen zwar in Grossbritannien in der Vergangenheit ein breites Portfolio aufgebaut hat, die meisten Projekte aber bereits installiert sind. Aktuell konzentriere sich das Geschäft daher auf langfristige Serviceverträge für mehrere Grossprojekte. „Diese werden lokal verwaltet, sodass wir durch den Brexit kurzfristig keine wesentlichen Konsequenzen erwarten", sagt Dhaval Vakil, Vice President Capital Markets and Public Relations bei Senvion. Die Situation könne sich allerdings ändern, wenn der Onshore-Markt in Grossbritannien wieder anzieht, nachdem dieser durch Änderungen der Förderung eingebrochen ist. Doch Senvion erwarte, dass bis zu einem Aufschwung der Onshore-Aktivität eine stabile politische Lösung gefunden sein wird.

Grösster Offshore-Windkraft weltweit
Anders sieht es bei Windparks auf See aus. Denn Grossbritannien ist der grösste Markt für Offshore-Windkraft weltweit, und das werde noch bis Anfang des kommenden Jahrzehnts so bleiben, ist Sebastian Boie von der Stiftung Offshore-Windenergie überzeugt. Es gebe daher einige Auswirkungen auf das Geschäft durch den Brexit. Das betreffe nicht nur den Handel mit der EU, sondern auch das Personal auf den Baustellen in arbeits- und sozialrechtlichen Fragen.

Und doch zeigt sich auch die Offshore-Branche demonstrativ gelassen. „Hinsichtlich unserer Betriebsführung haben wir verschiedene Szenarien im Blick“, sagt Steffen Kück, Sprecher der Firma Ørsted (ehemals: Dong) in Deutschland. „Auch im Falle von temporären Beeinträchtigungen wird ein Brexit keine längerfristigen Auswirkungen auf unser operatives Geschäft haben.“

Denn aus Sicht von Ørsted wird der Austritt „keine fundamentalen Veränderungen in der Energiepolitik von Grossbritannien nach sich ziehen“. Die Pläne, weiter in Grossbritannien zu investieren, blieben unverändert. Schliesslich habe die Regierung Grossbritanniens bereits deutlich gemacht, weiterhin in klimaneutrale Energie und damit auch in Offshore-Wind investieren zu wollen.

London für den Gashandel wichtig
Schwer ist unterdessen einzuschätzen, wie sich die Energiemärkte künftig entwickeln werden, vor allem, wenn – was aktuell die wahrscheinlichste Variante ist – kein Abkommen für einen geordneten Ausstieg zustande kommt. Direkte Verbindungen der Strom- und Gasnetze gibt es zwar nicht, aber gerade im Gashandel würden heute noch viele langfristige Absicherungen an den Handelsplätzen in London abgeschlossen, sagt Jan Ulland, Sprecher des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Vergleichbare Märkte müssten sich auf dem Kontinent erst noch entwickeln.

Umfassende Energiezusammenarbeit mit der EU
Für den Strommarkt sieht der BDEW hingegen kaum Auswirkungen, da dieser sich vor allem an der französischen Börse Epex Spot und der deutschen EEX abspielt. In einem Weissbuch hatte Premierministerin Theresa May im vergangenen Sommer bereits betont, das Vereinigte Königreich strebe „eine umfassende Energiezusammenarbeit mit der EU an, einschliesslich Regelungen für den Handel mit Strom und Gas, die Zusammenarbeit mit EU-Agenturen und -Einrichtungen sowie dem Datenaustausch, um Marktoperationen zu erleichtern“.

Es sei schliesslich allgemein üblich, dass Länder international mit Strom und Gas handeln, heisst es im Weissbuch. So bekennt sich das Land zum „Trend zu mehr Interkonnektivität, der den Handelspartnern gegenseitige Vorteile bringt, darunter niedrigere Preise für die Verbraucher und eine verbesserte Versorgungssicherheit“.

Das Vereinigte Königreich betont ausserdem, es wolle möglichst seine Mitgliedschaft in den Verbänden der europäischen Übertragungsnetzbetreiber für Strom und Gas fortsetzen. Entwarnung gibt, was die Netzstabilität betrifft, auch der BDEW: „Die Auswirkungen werden sich auf kommerzielle Faktoren beschränken, auf die sichere Versorgung in Deutschland hat der Brexit gar keinen Effekt“, sagt Sprecher Ulland.

Unsicherheit Emissionshandel
Am unkalkulierbarsten ist im Moment wohl die Konsequenz des Brexit für den Emissionshandel. Denn unklar ist, was mit den CO2-Zertifikaten passiert, die britische Unternehmen noch in ihren Büchern halten, und womöglich – ausser das Königreich würde sich nahtlos bilateral an den Emissionshandel der EU binden – nicht mehr brauchen. „Steigt das Vereinigte Königreich aus dem Emissionshandel aus, wird es am Markt zu Verwerfungen kommen“, sagt Philipp Götz, Analyst bei der Berliner Denkfabrik Energy Brainpool.

Auch die Frage, wie die nationale Klimapolitik der Briten weitergeht, wird sich nach dem Brexit natürlich stellen. Zwar hat das Land in den vergangenen Jahren – auch durch eine nationale CO2-Bepreisung, den sogenannten Carbon Price Floor – seine Kohleverstromung massiv zurückgefahren. Doch ob diese Strategie eines gegenüber dem EU-Emissionshandel noch erhöhten CO2-Preises beibehalten wird, ist in den Umbruchzeiten des Brexit nicht mehr unbedingt sicher.

Eine Frage der Statistik
Manche Fragen wird auch die Statistik aufwerfen. Wie sieht es mit den Klimazielen der EU aus? Die muss die Union nun ohne die Briten erreichen, und dafür erst einmal die Bezugsgrössen neu definieren. Dafür muss der britische Energieverbrauch aus jenem der EU herausgerechnet werden. Die Statistikbehörde Eurostat wird einiges umstellen müssen – alles lösbar, aber eben mit Aufwand.

Und so bleibt am Ende die Erkenntnis, dass die Bedenken in der Branche der Erneuerbaren oft die gleichen sind, die auch viele andere Wirtschaftszweige umtreiben. Es ist vor allem die Furcht vor politischem Chaos, vor einem „harten Brexit“ ohne Ausstiegsvertrag und ohne Übergangsregelungen.

Sich selbst erfüllenden Prophezeiung
Die Warnungen vor einem Ausstiegschaos wurden nun in den vergangenen Monaten zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung – weil die gesellschaftliche Aufgeregtheit einen geordneten Prozess verhinderte, der ausreichende Übergangsfristen geschaffen hätte, um alle wichtigen Fragen in bilateralen Verträgen zu klären.

Wäre ein strukturierter Ausstieg gelungen, hätte das Vereinigte Königreich für die EU-Länder schlicht den gleichen Status erlangt wie zum Beispiel Norwegen oder die Schweiz. Und das sind ja immerhin auch Länder, die bei Investoren durchaus im Ruf stehen, verlässliche Standorte zu sein. Doch die leise Hoffnung auf einen strukturierten Ausstieg ist in den vergangenen Wochen und Monaten dahin geschmolzen.

Text: Bernward Janzing

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1 Kommentare

Max Blatter

Oh je, jetzt wirft der Brexit seine Schatten gar noch in die Branche der Erneuerbaren Energien. Ich sage nur: "Die spinnen, die Briten!"

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