«Jede kWh Photovoltaik ersetzt 1 kWh Kohlestrom. Das ist der eigentliche ‹Überschussstrom›», sagte der VESE-Präsident Walter Sachs an der VESE-Herbsttagung vom 24. November. ©Bild: T. Rütti

Zuständig für das Energiewendeforum forumE.ch ist Diego Fischer (VESE/SSES). Die SSES zählt auf Partner aus allen Bereichen der Energiewende und ruft dazu auf, das Forum zu aktiv zu nutzen. ©Bild: T. Rütti

100 Teilnehmende an der 2. Schweizer Selbstbau- und VESE-Anlagebetreibertagung, die am 24. November 2018 an Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW Campus Brugg-Windisch abgehalten wurde. ©Bild: T. Rütti

«Genossenschaften erfordern Professionalität statt Freiwilligenarbeit», so Marlis Toneatti, Präsidentin der Energiewendegenossenschaft EWG Bern, und Autorin der entsprechenden Masterarbeit. ©Bild: T. Rütti

Über das Projekt «12 Rp/kWh», eine Rückliefervergütungen der EWs für PV-Anlagen und den Stand der Verhandlungen des VESE mit den Netzbetreibern orientierte VESE-Geschäftsleiter Raoul Knittel. ©Bild: T. Rütti

Eine Erkenntnis: Obwohl Photovoltaik zur preiswertesten Energie im Bereich der neuen Anlagen geworden ist, wird dies nur selten so kommuniziert, was dazu führt, dass PV immer noch als «teuer» gilt. ©Bild: T. Rütti

VESE: «Überschussstrom» nebst «Flatterstrom» einer der schlimmsten Begriffe im Energiebereich

(©TR) Dem weltweit herrschenden positiven Trend der Erneuerbaren zum Trotz ist in der Schweiz seit 2015 ein Rückgang der jährlich installierten Photovoltaikleistung auszumachen. Was Wunder, müssen sich doch die Photovoltaik-Selbstbauer, Genossenschaften und Vereine mit kaum professionell organisierten Strukturen begnügen. Dies ist eine Quintessenz der 2. Schweizer Selbstbau- und VESE-Anlagebetreibertagung, wo auch die nur zum Teil mit Photovoltaik bedeckten Dächer beanstandet wurden.


Fakt und Problem ist, dass zum Erreichen der Energiewende-Ziele eher ein Zubau von 900 MW pro Jahr vonnöten wäre statt der aktuellen ca. 250 MW. Hier stellt sich sogleich die Frage, in welchem Segment der Rückgang denn stattfindet? Immerhin werden doch landauf, landab immer mehr Dächer und Fassaden mit Solarzellen bestückt, die man zum Teil von weitem kaum und schon gar nicht störend wahrnimmt. Betracht man die Zahlen etwas genauer, fällt vor allem der Rückgang von ca. 100 MW seit 2015 bei den grossen Anlagen ins Gewicht, und zwar in verheerender Weise. Durch die Zunahme im ambitionierten Segment der Selbstbauer und Betreiber von kleinen Anlagen lässt sich der generelle Rückgang höchstens teilweise kompensieren.

Im Fokus des aufkommenden Eigenverbrauchs
Erklären lässt sich die aktuelle Entwicklung unter anderem mit dem geränderten Fördermodell weg von «Kostendeckenden Einspeisevergütung» KEV hin zur «Einmalvergütung» (EIV), aber auch mit dem immer stärker aufkommenden Eigenverbrauch. Dies führt schier zwangsläufig zum Bau von kleineren Anlagen, aber auch, zu teilbedeckten Dächern – dies ist aus Sicht des Verbands Unabhängiger Energieerzeuger VESE noch fast dramatischer. Und all dies trotz sinkenden Grenzkosten für jedes weitere kW… «Nur so nebenbei bemerkt: Das Modell des Eigenverbrauchs führte zum Begriff ‹Überschussstrom» – meiner Ansicht nach im Energiebereich nebst ‹Flatterstrom› einer der schlimmsten Begriffe, die derzeit herumgeistern, denn: jede kWh Photovoltaik ersetzt eine kWh Kohlestrom. Das ist der eigentliche ‹Überschussstrom›.» Dies sagte VESE-Präsident Walter Sachs an der mit rund 100 Teilnehmenden gut besuchten VESE-Herbsttagung vom 24. November 2018 an Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW Campus Brugg-Windisch in Brugg-Windisch. 

Nicht mehr im gewohnten Ausmass
Eigenverbrauch bedeutet nun mal, den produzierten Strom gleich selber wieder zu verbrauchen. Systemtechnisch betrachtet, werden hierbei allerdings künstliche Grenzen gesetzt. «Zudem: Eine durch elektrotechnische Randbedingungen gegebene Grenze wäre vielmehr ein Netzquartier», so der Verbandspräsident, dem die Frage ernsthaft Sorge bereitet, warum nur noch wenige grosse Solaranlagen gebaut werden? Die Fokussierung auf den Eigenverbrauch sowie Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch (ZEV) seien es, die reine Produktionsanlagen, wie man sie früher kannte, verhinderten. Dies obwohl diese meist preiswerter und sicherlich grösser als Eigenverbrauchsanlagen seien. So würden zum Beispiel Anlagen auf Bauernhöfen oder Messehallen nicht mehr in dem Ausmass und in der Grösse geplant und gebaut wie zuvor. Doch genau diese Anlagen wären im Zusammenhang mit der angestrebten Energiewende wichtig und notwendig!

«Energiewende, quo vadis?»
Walter Sachs zitierte die lateinische Phrase «Quo vadis?», die dem ansonsten doch alles wissenden Apostel Petrus zugeschrieben wird. Sachs und mit ihm die ganze Branche der organisierten Solaranlagen-Selbstbauern möchten gerne wissen, wohin die Reise der Branche noch führt. Vielleicht bewirken die folgenden Punkten und Forderungen eine Verbesserung der Situation in Richtung Optimierung:

  • Schaffen von Investitionssicherheiten durch prognostizierbare und stabile Rückliefertarife
  • Schaffen einer breiten politisch-gesellschaftlichen Unterstützung: Obwohl Photovoltaik zur preiswertesten Energie im Bereich der neuen Anlagen geworden ist, wird dies leider nur selten so kommuniziert, was dazu führt, dass PV immer noch als «teuer» gilt
  • Der Bevölkerung «den Abgrund zeigen», wie es der deutsche Energieexperte Volker Quaschning einmal nannte. Dieser Abgrund tut sich laut Professor Quaschning auf, wenn wir so weitermachen wie bis anhin.
  • Vielmehr braucht es eine korrekte Berichterstattung zur drohenden Klimakatastrophe – Überschwemmungen, Stürme, fehlender Schnee innerhalb müssen innerhalb eines Gesamtbilds kommuniziert werden, nicht bloss als isolierte Einzelereignisse.
  • In der AKW-Debatte wird suggeriert, dass die AKW schier unbegrenzt weiterlaufen. Faktisch müssen diese aber aus Altersgründen in den nächsten 10 bis 20 Jahren stillgelegt werden, was unbedingt entsprechend kommuniziert werden muss.

Realistisch wären stabile Strompreise
Wie könnte sich die Energiewende präsentieren, wenn diese und weitere Punkte und Forderungen tatsächlich realisiert und umgesetzt würden? «Ich bin sicher», zitieren wir nochmals Walter Sachs, «es würden viele neue grosse Anlagen gebaut. Und wir würden das in der Vergangenheit mit grossem Aufwand bereits aktivierte, heute aber teilweise brachliegende Potential endlich nutzen: Genossenschaften und Landwirte als ‹Solarbauern›.» Die erfreuliche Konsequenz davon wäre ein massiver Ausbau der PV von 900 MW pro Jahr. Realistisch wären damit einhergehend langfristig stabile Strompreise. Allerdings: «Bis wir so weit sind, ist es wichtig, selbst aktiv zu werden – denn eines ist klar: wenn wir das Problem nicht anpacken und eine Energiewende in Bürgerhand vorantreiben, werden wir weder die Klimaziele von Paris noch die Ziele der ES2050 erreichen», so der Präsident.

Starke Selbstbauvereine und Solargenossenschaften
Notwendiger denn je seien für den Verband starke Selbstbauvereine und Solargenossenschaften, «die mit viel Elan und Ideen, Engagement und manchmal sogar leichtem zivilem Ungehorsam die Energiewende vorantreiben». Mit allen ihren Kräften unterstützen der VESE und seine Gründerorganisation, die Schweizerischen Vereinigung für Sonnenenergie SSES, jede Idee, jeden Verein und jede Genossenschaft, welche sich auf ihre Art für die Energiewende stark machen.

Genossenschaften an ihren Kapazitätsgrenzen?
Niemand zweifelt daran: Mit Herzblut und noch grösserem Zeitaufwand inklusive Freiwilligenarbeit setzen sich die Genossenschaften und Vereine für die gemeinsame Sache ein. Doch die heutigen Strukturen setzen ihnen Grenzen. Zu diesem Schluss jedenfalls ist Marlis Toneatti von der Energiewendegenossenschaft EWG Bern gelangt. An dieser zweiten Schweizer Selbstbautagung erörterte sie ihre Masterarbeit zum genossenschaftlichen Selbstbau von Photovoltaikanlagen und beleuchtete dabei insbesondere Aspekte der Nachhaltigkeit in rechtlichen, gesellschaftlichen und sozialen Belangen. Wichtige Voraussetzungen für eine nachhaltige Entwicklung der Selbstbaugenossenschaften sind laut der EWG-Bern-Präsidentin:

  • Die gesetzlichen Vorgaben müssen eingehalten werden
  • Die Baustellensicherheit hat Priorität
  • Versicherungsfragen für Selbst- und Mitbauer muss geklärt und organisiert werden
  • Steuerpflicht und eine nachhaltige Unternehmensführung sind unverzichtbar
  • Dringend erforderlich sind professionelle Strukturen
  • Es muss Transparenz geschaffen werden in der Kommunikation, Geschäftsführung und Ausführung
  • Für Planer und Bauleiter braucht es ein gutes Weiterbildungsangebot.

«Nachhaltigkeit ist tragbar»
Mit einem Slogan resümierte Marlis Toneatti ihre Ausführungen; «Nachhaltigkeit ist tragbar, fair und überlebensfähig» Sie plädiert mit Nachdruck für die Bildung eines Dachverbands aller Selbstbaugruppen und Selbstbaugenossenschaften sowie für eine verstärkte Zusammenarbeit aller bereits bestehenden Verbänden. Ebenfalls ein Gebot der Stunde sei die Professionalisierung inklusive Businessplan, Leitbild, Strategien, Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement. Entwicklungspotential konnte Marlis Toneatti auch bezüglich Garantie, Service und Unterhalt ausmachen, wobei entsprechende Strukturen aufzubauen seien. Unter keinen Umständen vernachlässigt werden dürfe die Pflege der Mitglieder mit Angeboten für die persönliche Weiterbildung, etwa zu den Themen Speicherung, Optimierung, Erweiterung und E-Mobilität. Und schliesslich noch die Frage: Wie sieht es mit dem Konfliktmanagement aus?

Das Konzept der Energiewendegenossenschaft
Wie hat man sich das Konzept der Energiewendegenossenschaft Bern vorzustellen? Ein Mitglied baut sich eine PV-Anlage und erhält tatkräftige Hilfe von Mitgliedern, die bereits Erfahrung im Selbstbau machen konnten. Im Gegenzug verpflichtet sich das bereffende Mitglied seinerseits, andere beim Anlagenbau zu unterstützen. Mit ihren Ideen und Vorstellungen ist die Genossenschaft in eine Marktlücke gestossen. Das Interesse war und ist enorm. Sie hat inzwischen mehr als 200 Anlagen installiert. Nach ähnlichem Schema sind in anderen Kantonen weitere Genossenschaften am Werk oder befinden sich zumindest in der Gründungsphase, wie in Brugg-Windisch von all den Vertretern solcher Zusammenschlüsse zu erfahren war.


Eine Schweizer Referenzplattform
Im vergangen Mai wurde das neue Schweizer Energiewendeforum forumE.ch aufgeschaltet. Zuständig dafür ist Diego Fischer (VESE/SSES). Ziel ist es, eine Schweizer Referenzplattform für Informationen und Diskussionen zur Energiewende aufzubauen. Endverbraucher und Experten können sich hier treffen und austauschen. Das dürfte auch für den VESE-Geschäftsleiter und Umweltingenieur Raoul Knittel eine willkommene Belebung der Szene darstellen. Desgleichen beispielsweise auch für Heini Lüthi (VESE). Denn: Mit zunehmender Anzahl von Beiträgen und Diskussionen kann eine gemeinsam aufgebaute Wissensbasis entstehen, die auch für die Experten zur immer wichtigeren Informationsquelle werden soll. Initiantin des Forums ist die SSES, die Dachorganisation des VESE. Beide Organisationen hoffen auf noch mehr engagierte Diskussionsteilnehmer aus allen Sektoren der Energiewende, um so ihren Teil bei den gemeinsamen Anliegen beitragen zu können.


Infos und Referate zum Herunterladen: VESE

©Text: Toni Rütti, Redaktor ee-news.ch

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3 Kommentare

Max Blatter

"... jede kWh Photovoltaik ersetzt eine kWh Kohlestrom" ‒ ja, aber nur, wenn sie auch im Netz ankommt! Und da hapert es bekanntlich, zumindest in Deutschland, ganz gewaltig; nicht zuletzt wegen des Widerstandes gegen neue Stromtrassen. ‒ Ein Ausweg kann "Power-to-Gas" sein, damit der Überschussstrom eben nicht mehr Überschussstrom ist, sondern in der Form des "erneuerbar" erzeugten Methans zur Substitution erdölbasierter Treibstoffe beitragen kann. ‒ Übrigens hat die Krux mit dem Überschussstrom auch damit zu tun, dass Solarstrahlung und vor allem Wind volatile Ressourcen sind (und da muss ich den VESE-Leuten Recht geben: "Flatterstrom" halte auch ich für ein saublöde Bezeichnung).

Walter Sachs

Ja, das stimmt, ein (temporärer) Einbruch der Zubauraten ist zunächst nicht schlimm - wir befürchten aber, dass der Einbruch nicht kurzfristig ist, da vor allem durch die grossen Anlagen bedingt - diese werden kaum noch gebaut, sind aber meistens (pro kWh) preiswerter als viele kleine Anlagen. Hier will VESE ansetzen: wir brauchen zum Erreichen der Energiewende auch grosse Solaranlagen, und diese benötigen halt doch eine gewisse Investitionssicherheit, sonst werden sie nicht gebaut ...

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