Stefan Batzli: „Wir bleiben dran und wollen dafür sorgen, dass das Tempo auch in Zukunft hoch bleibt. Dann wird uns die Energiewende mit Sicherheit gelingen. Zum Wohle unseres Landes und seiner Bevölkerung.“ Bild: Aeesuisse

Aeesuisse: Kommentar zur Herbstsession - Energiepolitik mit Ausrufezeichen

(Aeesuisse) Die Herbstsession hatte es in sich. Selten wurden so viele wichtige energiepolitische Entscheide gefällt. Das Parlament hat in vielen Punkten gute Arbeit geleistet und entlang der Energiestrategie 2050 die Energiepolitik weiterentwickelt. Auffallend war die breite Akzeptanz, Lösungen anzustossen und als Kompromisse mehrheitsfähig zu machen. Und überzeugend auch die Leistung von Bundesrätin Simonetta Sommaruga, die mit einem klaren Kompass die parlamentarischen Debatten aktiv begleitet hat. Dass das Parlament auch im Sinne der Bevölkerung arbeitet, zeigen die verschiedenen Volksabstimmungen in Kantonen und Städten der letzten Tage, die allesamt im Sinne einer nachhaltigen und erneuerbaren Energieversorgung entschieden wurden. (Texte en français >>)


Die drohende Energie- und Strommangellage treibt uns alle um. Manche behaupten, sie sei das Ergebnis einer verfehlten Energiestrategie oder eines fehlenden «Energiegenerals». Wer aber in unserem Land eine ernsthafte Energiepolitik macht, weiss, dass diese Aussage falsch ist. Unsere Engpässe haben klare Ursachen. Zum einen sind sie im brutalen Krieg Russlands gegen die Ukraine begründet und den damit verbundenen Gaslieferunterbrechungen nach Europa, zum anderen in der Atomenergie Frankreichs, das mehr als die Hälfte aller Anlagen ausser Betrieb hat und die sicherheitstechnisch revidiert werden müssen. Kommt dazu, dass der Bundesrat Anfang Jahr der Meinung war, die Verhandlungen mit der EU für ein Rahmenabkommen (und damit auch ein Stromabkommen) können sistiert werden. Dass Energiepolitik aber immer auch Europapolitik ist, zeigen uns aktuell die Bemühungen des Bundesrates um die Verhandlungen für ein Solidaritätsabkommen.

Dringlichkeit ist erkannt
Unbestritten ist, dass Handlungsbedarf besteht. Kurzfristig hat der Bundesrat, und allen voran Bundesrätin Simonetta Sommaruga, verschiedene Initiativen ergriffen, die helfen sollen, temporäre Mangelsituationen zu vermeiden. Dazu zählt die Sicherstellung einer Wasserkraftreserve von 0.5 TWh, die Bereitstellung von 300 MW Reserveleistung wie die geplante Anlage in Birr, die Prüfung der Nutzung von 300 Notstromaggregaten mit einer Leistung von 280 MW, die Schaffung von Grundlagen für die Gasbranche zur Sicherung von Gas- und Speicherkapazitäten, die Inkraftsetzung eines Rettungsschirms, aber auch die Lancierung einer schweizweiten Energiesparkampagne. Das Bundesamt für Energie BFE prüft zudem das Angebot eines unserer Verbandsmitglieder, das zur Überbrückung einer Energiemangellage Wärme-Kraft-Kopplungs-Anlagen mit einer Gesamtleistung von 150 MW zur Verfügung stellen will.

Referendum gegen alpine PV-Anlagen oder nicht?
Aber nicht nur die Regierung handelt, auch das Parlament drückt aufs Tempo und ist bereit, Bremsen zu lösen. Dass neu alpine PV-Freiflächenanlagen bis zu einer Energiemenge von 2 TWh zugebaut werden können oder dass endlich die Leidensgeschichte um die Erhöhung der Grimsel-Staumauer ein Ende finden soll, ist zu begrüssen. Ab sofort kann mit der Umsetzung dieser Projekte gestartet werden, wenn nicht doch noch eine Interessengruppe plötzlich das Referendum ergreift. Der Hauseigentümerverband sollte es jedenfalls nicht sein, ist man ihm bei der Einführung einer Solarpflicht doch weit entgegengekommen.

Realisierung mehrerer Windparks
Ebenfalls wichtig und richtig ist eine dringliche Parlamentarische Initiative der UREK/N zur Realisierung mehrerer Windparks, die die Nutzungsplanung und damit auch die relevanten Umweltverträglichkeitsprüfungen erfolgreich abgeschlossen haben und jetzt einzig noch auf die Baubewilligung warten. Auch in der Pa.Iv. enthalten ist zudem die Freigabe weiterer Wasserkraftprojekte, auf die sich Energieversorgungsunternehmen und Umweltverbände am runden Tisch geeinigt haben.

Bremsen lösen!
Der Wille zum Handeln war diese Session breit spürbar. Natürlich gibt es nach wie vor einzelne Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die die Energiekrise mehr als Wahlkampfthema missbrauchen. Sie sind aber in der Minderheit und die Ernsthaftigkeit vieler ihrer Vorstösse darf in Zweifel gezogen werden. Selbstkritisch haben einzelne Ständeräte darauf hingewiesen, dass sie es in den letzten Jahrzehnten verpasst hätten, echte förderliche Rahmenbedingungen für einen beschleunigten Zubau der erneuerbaren Energien zu setzen. Zu lange habe man sich auf vermeintlich billige, fossile und nukleare Energien aus dem Ausland verlassen und dabei den Ausbau des eigenen Kraftwerksparks sträflich vernachlässigt. Entsprechend sei es jetzt höchste Zeit, Bremsen zu lösen und beim Ausbau der erneuerbaren Energien und bei der Energieeffizienz vorwärts zu machen. Dass wir zudem 25 – 40% unserer Energie verschwenden, weil wir sie ineffizient einsetzen, ist keine zukunftstaugliche Politik. Vor allem dann nicht, wenn die Lösungen für einen schonenderen Umgang mit Energie längstens auf dem Tisch liegen. Auch wenig zukunftsfähig sind zudem die Träumereien rund um neue Atomkraftwerke, die heute im besten Fall als Prototypen verfügbar sind und im Vergleich mit erneuerbaren Energien massiv teurer sind und niemals in einem notwendigen Zeitrahmen nutzbar wären. Das Parlament hat dieser Strategie eine klare Absage erteilt.

Klimapolitik nimmt wieder Fahrt auf
Das Parlament hat weise entschieden, als es dem indirekten Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative in der von uns favorisierten Form zugestimmt hat. Dazu gehört die Bewilligung von 2 Milliarden Unterstützungsgelder für eine klimataugliche Modernisierung unseres Gebäudeparks, verteilt auf die nächsten 10 Jahre. Anders als ursprünglich angedacht sollen die 200 Mio. Franken jährlich nicht nur für den Heizungsersatz eingesetzt werden, sondern auch weitere Effizienzmassnahmen wie zum Beispiel den Ersatz alter Fenster finanzieren helfen. Letzteres ist auf eine Initiative der Aeesuisse zurückzuführen, die sich von Beginn an für den erweiterten Mitteleinsatz stark gemacht hat. Bedauerlich ist, dass die SVP hier einmal mehr den Prozess verlangsamt und auch gegen dieses Gesetz das Referendum ergreifen will. Wir sind zuversichtlich, dass diese Vorlage bei den Stimmbürger:innen eine Mehrheit finden wird. Grosse Teile der Schweizer Wirtschaft jedenfalls lassen sich wohl leicht organisieren – der Verein zum CO2-Gesetz (co2-gesetz-jetzt.ch), der sich auf Initiative der Aeesuisse 2016 konstituiert hatte, besteht noch immer und ist rasch aktiviert.

An der Energiestrategie wird festgehalten
Der Ständerat hat den Mantelerlass fertig beraten und damit die Energiestrategie2050 bestätigt. In verschiedenen Bereichen wurde sie zurecht optimiert und auf die neuen Herausforderungen ausgerichtet. Bestätigt wurde aber der Grundsatz, unsere Energiesysteme neu aufzustellen und auf erneuerbare Energien, Energieeffizienz und mehr Intelligenz zu setzen. Die aeesuisse hat diese Vorlage eng begleitet und ist mit den Ergebnissen zufrieden.

Ambitionierte Ausbauziele und gleitende Marktprämie
Besonders erfreulich ist die längst fällige Korrektur bei den Ausbauzielen für die Produktion aus erneuerbaren Energien. Neu soll demnach die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien ohne Wasserkraft bis zum Jahr 2035 auf 35 TWh ausgebaut werden. Der Bundesrat wollte 17 TWh. Auch begrüssen wir ausdrücklich den starken Willen des Ständerates, raumplanerische Vereinfachungen einzuführen und bei der Finanzierung auf das europaweit erfolgreiche Instrument der gleitende Marktprämie zu setzen. Während Kleinanlagen weiterhin wie bis anhin mit einem einmaligen Investitionsbeitrag unterstützt werden sollen, werden Grossanlagen neu mittels einer wettbewerblichen Ausschreibung für gleitende Marktprämien gefördert. In diesem Rahmen erhalten die günstigsten Angebote für Grossanlagen, die aus den Ausschreibungen hervorgehen, Anspruch auf eine Vergütungsgarantie zum Gebotspreis. Steigt der Preis für die bereitgestellte Energie über den Gebotspreis, fliesst der Überertrag zurück in den Netzzuschlagsfonds. Damit planungsintensive Technologien wie Wind- und Wasserkraftanlagen durch die Ausschreibungen nicht benachteiligt werden, sollen entsprechende Vorleistungen ausserhalb der Auktion unterstützt werden.

Das marktnahe Finanzierungsmodell wurde auf Initiative der Aeesuisse von einer breiten Allianz der Schweizer Energiewirtschaft entwickelt. Entsprechend begrüsst die Aeesuisse den Entscheid der kleinen Kammer ausserordentlich, weil bei diesem Finanzierungsmodell die Fördergelder nur dann fliessen, wenn der Markpreis unter dem offerierten Preis liegt und wenn tatsächlich Kilowattstunden geliefert werden. Das System mit einer gleitenden Marktprämie ist somit wesentlich effizienter als Investitionsbeiträge oder undifferenzierte Einspeisevergütungen.

Verschuldung und Erhöhung Netzzuschlagsfonds
Damit die geforderten Ausbauziele realisiert werden können, soll sich der Netzzuschlagsfonds – aus dem der Zubau der erneuerbaren Stromproduktion gefördert wird – verschulden dürfen. Auch dafür haben wir uns vorgängig stark gemacht. Damit kann gewährleistet werden, dass die für den Ausbau benötigten Mittel bereitstehen. Ob diese Verschuldungsmöglichkeit aber ausreichend ist, um die Umsetzung der ambitionierten Ziele adäquat zu finanzieren, ist unsicher und abhängig von der allgemeinen Energie- und Strompreisentwicklung. Entscheidend ist, dass die Ausbauziele die Höhe der verfügbaren Mittel definieren und nicht umgekehrt. Nur so lassen sich mögliche neue Wartelisten vermeiden. Deshalb fordern wir den Nationalrat auf, dem Bundesrat die Kompetenz zu erteilen, den Netzzuschlagsfonds zu erhöhen, wenn sich abzeichnet, dass die Ausbauziele mit den verfügbaren Mitteln nicht erreicht werden können.

Harmonisierte Abnahmevergütung als grosser Fortschritt
Bis anhin nehmen die verschiedenen Energieversorger den durch private Produzenten dezentral produzierten erneuerbaren Strom zu sehr unterschiedlichen Preisen ab. Gemäss Ständerat müssen diese Abnahmevergütungen neu landesweit harmonisiert werden. Dabei soll sich die Vergütung für Elektrizität aus erneuerbaren Energien nach dem vierteljährlich gemittelten Marktpreis zum Zeitpunkt der Einspeisung richten. Eine Minimal- und eine Maximalvergütung stellen sicher, dass Investitionen durch Private tatsächlich getätigt werden. Die Minimalvergütung orientiert sich an der Amortisation von Anlagen ohne Eigenverbrauch über die durchschnittliche Lebensdauer unter Berücksichtigung der Investitions-, Betriebs- und Unterhaltskosten sowie allfälliger Förderbeiträge. Die Maximalvergütung entspricht dem Doppelten der Minimalvergütung.

Ausweitung Elektrizitätsgemeinschaften
Das bestehende Modell der Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch (ZEV) hat sich in der Praxis bewährt und dazu geführt, dass insbesondere PV-Anlagen rentabler betrieben werden können. Jedoch sind ZEV nach heutigem Recht auf physische Leitungsverbindungen angewiesen, unter Ausschluss des öffentlichen Netzes. Entsprechend beschränken sie sich insbesondere auf Neubauten und dabei auf einzelne Gebäude oder wenige benachbarte Bauten.

Damit der Strom möglichst dort genutzt werden kann, wo er auch bereitgestellt wird, soll dieses System gemäss Ständerat ausgeweitet werden. Neu sollen lokale Elektrizitätsgemeinschaften (LEG) ermöglicht werden, deren Teilnehmende unter Inanspruchnahme des Verteilnetzes miteinander verbunden sind. Mit dem geforderten Ausbau hin zu lokalen Elektrizitäts-gemeinschaften werden Anreize zum Bau neuer PV-Anlagen mit hohem Eigenverbrauch geschaffen, was den PV-Zubau ohne zusätzliche finanzielle Unterstützung ermöglicht.

Elektromobilität als Treiber der Energiewende
Bei der Regulierung netzdienlicher Speicher ist der Nationalrat aufgefordert, die Beschlüsse des Ständerates weiter zu optimieren. Die kleine Kammer hat es leider verpasst, sinnvolle Rahmenbedingungen für einen wirtschaftlichen Betrieb von netzgekoppelten Grossspeichern und dezentralen Speichern zu schaffen. Gemäss dem Ständerat sollen zwar Speicheranlagen ohne Endverbraucher sowie Anlagen zur Umwandlung von Strom in Wasserstoff oder synthetisches Gas vom Netzentgelt befreit werden – ausgeschlossen von der Netzbefreiung sind jedoch weiterhin Batteriespeicher. Wir bedauern, dass der Ständerat der Tatsache nicht genügend Rechnung trägt, dass die Stromversorgung zunehmend von Flexibilität in Erzeugung und Nachfrage und damit von unterschiedlichen Speicherlösungen abhängig sein wird. Gerade Autobatterien werden dank der rasanten Entwicklung der Elektromobilität innert weniger Jahre gewaltige kurzfristige Speicherkapazitäten bereitstellen können. Mit den Möglichkeiten des bidirektionalen Ladens stehen in naher Zukunft neu steuerbare und für die Stabilität des Energiesystems relevante Mengen an flexiblen Lasten zur Verfügung, die Energieengpässe über Stunden und Tage auffangen können. Die Regulierung hat diesen Möglichkeiten vorausschauend Rechnung zu tragen und Batterien, insbesondere auch Autobatterien, vom Netzentgelt zu befreien und damit den Pumpspeicherkraftwerken gleichzustellen. Das ebenfalls in dieser Session angenommenen Postulat von Adéle Thorens Goumaz (22.3569) begrüssen wir deshalb ausserordentlich, weil es den Bundesrat auffordert, sich ernsthaft und vertieft mit dem disruptiven Beitrag der Elektromobilität und ihrer Speicherkapazität für die Energiewende auseinanderzusetzen. Das gleiche gilt für die Motion von Jürg Grossen (22.3321), die eine Stabilisierung des Stromnetzes zu geringen Kosten durch die Einbindung von mittleren und kleinen Teilnehmern im Regelenergiemarkt fordert.

Erste Bremsen wurden gelöst
Wir fordern es immer wieder: Bremsen lösen. Jetzt handeln! Das Parlament hat gute Arbeit geleistet und in der Energie- und Klimapolitik Fahrt aufgenommen. Wir stellen mit Genugtuung fest: erste Bremsen sind gelöst. Der Kompass ist richtig eingestellt. Die atomaren Nebelpetarden einzelner Akteure haben die Parlamentarier:innen nicht verunsichert. Sie halten Kurs Richtung erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Daran ändert auch keine AKW-Volksinitiative etwas. Es gilt der Tatbeweis als kräftigstes Argument für eine andere und nachhaltigere Energieversorgung. Schon heute gehen täglich neue Kraftwerke ans Netz, notabene alles erneuerbare Kraftwerke, die uns unabhängiger und krisenresistenter machen, und gleichzeitig Wertschöpfung und Arbeitsplätze in der Schweiz generieren. Wird dieser Zubau weiter beschleunigt, wie jetzt im Parlament angedacht, werden sich Forderungen nach einer alten nuklearen und fossilen Energiestrategie oder nach einem Energiegeneral von alleine auflösen. Wir sind froh, trägt unsere Arbeit jetzt Früchte und hat das Parlament in vielen Punkten in unserem Sinne entschieden. Die Richtung stimmt. Wir bleiben dran und wollen dafür sorgen, dass das Tempo auch in Zukunft hoch bleibt. Dann wird uns die Energiewende mit Sicherheit gelingen. Zum Wohle unseres Landes und seiner Bevölkerung. Davon sind wir überzeugt.

Kommentar: Stefan Batzli, Geschäftsführer Aeesuisse

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