Anita Niederhäusern: "In einer optimalen Welt würde das Parlament ein Programm auflegen, um so rasch wie nur möglich die rund 117’000 Elektrodirektheizungen zu ersetzen, die in der Schweiz in der Heizsaison unglaubliche 2.5 TWh Strom verschlingen."

Energiepreise: Der Fokus der Politik geht immer noch in die falsche Richtung – nötig wäre ein Befreiungsschlag weg von fossilen Energien hin zu einheimischer Friedensenergie

(AN) Wie Schlafwandelnde steuern wir in der Schweiz einer kaum vorstellbaren Energieknappheit entgegen. Gesellschaft, Politik, Gewerbe und Industrie verliessen sich viel zu lange auf die scheinbar ewig günstigen und verfügbaren Jagdgründe der fossilen Energien. Nun wird fieberhaft nach neuen Lieferanten gesucht, während die Sonne weiter scheint und der Wind weiter bläst, ohne dass ihre Energie unsere Wirtschaft antreibt und uns unabhängiger und somit die Schweiz auch sicherer macht.


Man hört aus der Politik, dass hart daran gearbeitet werde, alternative Lieferverträge für den Import von fossilen Energien zu erschwinglichen Preisen anzustossen. Wie heuchlerisch! Denn solche sind nicht verfügbar. Zudem sollte doch die aktuelle Situation Grund genug sein, um endlich von unserer Sucht nach fossilen Energien wegzukommen! Es kommt einer Herkulesaufgabe gleich, künftig fossile Energien zu praktikablen Preisen zu beschaffen. Eine Herkulesaufgabe, die einerseits unser Klima weiter anheizt und andererseits unsere Abhängigkeit von nicht sehr demokratischen Staaten lediglich verschiebt und diese zweifelhaften Systeme gleichzeitig auch noch festigt. Und zudem unsere Welt noch unsicherer macht!

Schwerstarbeit für Unabhängigkeit und Konkurrenzfähigkeit
Auch der rasche Umstieg auf einheimische erneuerbare Energien wird Schwerstarbeit. Aber damit festigen wir unsere Unabhängigkeit, unsere Konkurrenzfähigkeit und betreiben erst noch Friedenspolitik! Dass wir auch über genügend eigene Energie verfügen, das haben bereits mehrere Studien gezeigt. Zum Beispiel die des Unternehmers Anton Gunzinger, der losgezogen war, um aufzuzeigen, dass es eben nicht möglich ist, uns mit eigenen erneuerbaren Energien zu versorgen, und der dann 2015 in seinem Buch Kraftwerk Schweiz erklärte, dass es sehr wohl möglich ist: Er plädiert für ein intelligent gesteuertes ‹Kraftwerk Schweiz›, das unabhängig vom Ausland, aber ohne sich von Europa abzuschotten, funktioniert.

Viermal effizienter
2015 … ja seither sind Solar- und Windkraftwerke noch einmal deutlich produktiver und erschwinglicher geworden. Zudem hat die Batteriespeicher-Branche einen Kosten- und Effizienzpfad hingelegt, der auch die Branche selbst verblüfft hat. So dass die Elektrifizierung von Wärme und Verkehr absolut sinnvoll ist, denn sie ist ja auch bis zu vier Mal effizienter als die fossilen Technologien.

Von 60 auf 65 % in 20 Jahren!
Und was ist in der Schweiz in dieser Zeit passiert? Wir haben seit 2000 den Anteil von erneuerbarem Strom von rund 60 auf rund 65 % gesteigert. Sprich, wir haben die rasante Entwicklung der Erneuerbaren und den entsprechenden Zubau in den letzten 10 Jahre ganz einfach verpennt. Daher weibelt Bundesbern nun deutlich lauter für den Ersatz der fossilen Energien aus Russland durch fossile Energien aus anderen Staaten als für einen ernsthaften Effizienzpfad und den massiven Ausbau der einheimischen Erneuerbaren. In derselben Zeit hat Deutschland den Sprung von unter 5 auf 50 % erneuerbarer Strom am Strommix geschafft, Österreich von 60 auf rund 75 %.

Ermutigende Vereinfachung für Photovoltaik
Zwar kommen aus Bundesbern jetzt doch noch ermutigende Ideen für Vereinfachungen beim Bau von Wärmepumpen. Dass dabei die Lärmverordnung aufgeweicht werden soll, ist indes ein Hohn. Freude herrscht darüber, dass der Bundesrat den Bau neuer Solaranlagen endlich vereinfachen und beschleunigen will. Neu werden wichtige Kategorien von Solaranlagen ausserhalb der Bauzonen als standortgebunden erklärt.

Weg mit den Elektrodirektheizungen
Mit dem Ruf nach dem möglichst raschen Ersatz von fossilen Heizungen durch Wärmepumpenheizungen verschärft das Parlament aber kurzfristig die Stromknappheit. In einer optimalen Welt würde das Parlament gleichzeitig ein Programm auflegen, um so rasch wie nur möglich die rund 117’000 Elektrodirektheizungen zu ersetzen, die in der Schweiz in der Heizsaison unglaubliche 2.5 TWh Strom verschlingen. Mit dieser Menge Strom könnten Wärmepumpen mindestens dreimal so viel Wärme produzieren.

Wind-Winterstromproduktion
In dieser optimalen Welt würde das Parlament auch den Bau von Windenergieanlagen, die vom Bundesgericht grünes Licht erhalten haben, beschleunigen. Da Windenergie zwei Drittel der Produktion im Winter liefert, Photovoltaik und auch Wasser dann aber weniger produktiv sind, kommt ihr eine Schlüsselrolle für die Stromversorgung im Winter zu, dann wenn wir am meisten Strom brauchen. Jede Kilowattstunde Wind-Winterstrom hilft, eine Kilowattstunde Wasserstrom in den Speicherseen für die zweite Winterhälfte zu sparen, damit wir sicher durch den Winter kommen.

Zauberwort LNG
Das wäre weit ehrlicher als mit Zauberwörtern wie LNG und Wasserstoff Sand in die Augen der Bevölkerung zu streuen. Flüssiggas ist die Karikatur von fossilem Gas, weil bei seiner Herstellung rund 30 % Energie verloren geht, Transport nicht eingerechnet. Zudem fehlen nicht nur die Schiffe und Container, sondern auch die Hafeninfrastruktur für die Lieferung von LNG. Darüber hinaus ist längst bekannt, dass die Gasförderung aufgrund der hohen Methanemissionen genauso schädlich ist – wenn nicht noch schädlicher – als die Förderung von Erdöl.

Zauberwort Wasserstoff
Wasserstoff scheint Hochkonjunktur zu haben. Dabei handelt sich aber immer noch nicht um eine Ressource und wird weitestgehend aus fossilen Energien hergestellt! Wasserstoff indes wird es zwar in einer ziemlich fernen Zeit für besondere Industrieanwendungen wie zum Beispiel die Stahlindustrie brauchen. Dass bei dessen Herstellung aus Strom aber über 50 % der Energie zerstört wird und dessen Einsatz – sei es in einem Verbrennungsmotor oder in einer Brennstoffzelle – so ineffizient ist, wie der eines fossilen Motors, auch das kehren wir lieber unter den Teppich. Heute ist übrigens die Wasserstoffproduktion - für 1 % des weltweiten Kohlendioxidausstosses verantwortlich, das ist ganz schön viel, das entspricht nämlich ungefähr dem Kohlendioxidausstoss Frankeichs. Momentan ist Wasserstoff also kein Klimaschützer, sondern ein Klimakiller.

Der Staat kann mehr!
In meinen kühnsten Träumen befreit sich die Schweiz angesichts dieses schrecklichen Krieges und den daraus resultierenden Schwierigkeiten auf dem Energiemarkt endlich von ihrer Sucht nach fossilen Energien, aber auch von der Atomkraft. Wie stark der Staat eingreifen kann, das hat die Covid-Gesundheitskrise gezeigt. Dieses Eingriffsrecht könnte sich der Staat angesichts der aktuellen Energie- und Klimakrise ebenfalls nehmen, für unsere Versorgungssicherheit, für unsere Konkurrenzfähigkeit und unsere Unabhängigkeit sowie für mehr Frieden.

©Text: Anita Niederhäusern, leitende Redaktorin und Herausgeberin ee-news.ch und pelletpreis.ch/prixpellets.ch

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2 Kommentare

Marc Métry

Auch weitgehend einverstanden, aber stellen Sie bitte die Brennstoffzelle mit >60% elektrischem Wirkungsgrad nicht auf eine Stufe mit dem Verbrennungsmotor mit rund 25% mechanischem Wirkungsgrad.

Jakob Sperling

Weitgehend einverstanden, aber:
1. Wer findet den Mut, den Bauern endlich die fossil betriebenen Grastrocken-Anlagen abzustellen.
2. Man sollte nicht den grünen produzierten Wasserstoff schlechtreden. Er kann, bzw. muss einerseits eben genau den fossil produzierten ersetzen und andererseits ist es für viele Länder die einzige Möglichkeit, grosse Mengen Energie zu speichern.
Was ist effizienter, eine Windkraftanlage, die in der Schweiz produziert oder der Wasserstoff einer Windkraftanlage, die an einem idealen Ort dreimal so viel Energie produziert hat? Zudem kann H2, wie schon gesagt, gespeichert werden.

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