Entwicklung der Volumina & Preise auf dem Schweizer Strommarkt. ©Grafik Epex Spot

Entwicklung des Verhältnisses Handelsvolumina / nationaler Verbrauch in der Schweiz bezüglich auf die Produkte Day-Ahead & Intraday Markt. ©Grafik EPEX SPOT

Felix Nipkow: „Die meisten Wasserkraftwerke können ihre laufenden Kosten decken. Es wird kein einziges Kraftwerk aus finanziellen Gründen abgeschaltet.“

Strompreise: Macht deutscher Strom aus Erneuerbaren wirklich unsere Wasserkraft kaputt?

(©AN) Unsere Wasserkraft spielt in einer Vollversorgung mit Erneuerbaren eine wichtige Rolle. Daher werden wir hellhörig, wenn wir Pauschalurteile hören, wie dass die Förderung der Erneuerbaren in Deutschland unsere Wasserkraft kaputt mache. Ein Versuch, Licht in das Verwirrspiel zu bringen, auch mit einem Interview mit Felix Nipkow der SES.


2017 wurde in der Europäischen Union erstmals mehr Strom aus Wind, Sonne und Biomasse produziert als aus Stein- und Braunkohle zusammen. Die Stromerzeugung aus diesen erneuer-baren Energien wuchs im Vergleich zum Vorjahr um 12 Prozent und erreichte damit einen Anteil von 30 Prozent am Strommix (siehe ee-news.ch vom 1.2.18 >>). Die Ergebnisse der neuen Solar- und Windkraftausschreibungen in Deutschland zeigen, dass erneuerbarer Strom immer günstiger wird: Für Windstrom wurde durchschnittlich 4.73 Cent/kWh und für Solarstrom 4.33 Cent/kWh geboten. Die rasanten Preissenkungen dieser Technologien, angestossen durch das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz, übertrafen sämtliche Prognosen der Branchenverbände.

Festhalten an der Grosskraftwerk-Strategie
Anfangs der 2000er Jahre wurde sowohl in Deutschland und insbesondere auch in der Schweiz das Potenzial von Sonne- und Windenergie gerne kleingeredet. Die traditionellen Energiever-sorger mit ihren Grosskraftwerken von Atom- über Stein- bis hin zu Braunkohlekraftwerken –, aber auch die Grosswasserkraft wollten nicht vorhersehen, dass viele kleinere dezentrale Kraftwerke einmal so wichtig werden könnten. Noch heute gibt es wichtige Stimmen – auch in der Schweiz – die an der Grosskraftwerk-Strategie auf Teufel komm raus festhalten möchten. Was aus ihrer Warte zum Teil auch verständlich ist: Denn die Unternehmen sind sich gewohnt in grossen Einheiten zu planen. Dass indes auch Kleinvieh ganz ordentlich Mist macht, zeigen die oben genannten Zahlen aus der EU.

Machtspiele
Wer Energie hat, der hat auch Macht. Und wer gibt schon gerne Macht aus der Hand? Vor lauter Festhalten an den alten Zöpfen indes verschliefen die grossen Schweizer Energie-versorger die rasante Entwicklung der erneuerbaren Energien, an der sie inzwischen notabene über bedeutende Auslandsbeteiligungen selber teilhaben. Selbst der Super-Gau in Fukushima scheint sie nur vorübergehend wachgerüttelt zu haben. Die goldenen Jahre, in denen nachts Atomstrom in die Speicherseen hochgepumpt und über den Mittag zu Höchstpreisen wieder verkauft wurde, sind indes längst vorbei. Die Mittagsspitzen wurden vom deutschen und immer öfter auch vom schweizerischen Solarstrom bereits ziemlich geglättet. Die Preisspitzen verschoben sich einerseits in die früheren Morgenstunden sowie in den späten Nachmittag und Abend. Wer dann Strom anbieten kann, der zählt heute zu den Gewinnern. Bei windigem Wetter, mischt die Windkraft die Karten der Strompreise europaweit neu.

So wird Strom gehandelt
Schweizer Stromversorger verkaufen ihren Strom direkt an ihre sogenannten gebundenen Kunden, das sind jene, die jährlich weniger als 100‘000 Kilowattstunden Strom verbrauchen. Dazu gehören grösstenteils Haushalte. Diese können den Stromversorger nicht selber wählen. Grosskunden können ihren Strom indes seit 2008 dort kaufen, wo sie wollen. Wer selber zu wenig Strom produziert, kann diesen bei einem anderen Energieversorger oder für längerfristige Geschäfte, sogenannte Termingeschäfte, an der Strombörse EEX ewerben. Wer Strom für den nächsten Tag oder für den aktuellen Tag braucht, der versorgt sich bei der Epex Spot. „Bei ersterem Produkt sprechen wir von Day-Ahead, beim zweiten von Intraday“, erklärt Davide Orifici, Head of Swiss Office der Epex in Bern. Und das Epex-Stromgeschäft in der Schweiz steigt jedes Jahr: „2017 wurden 25.4 Terrawattstunden über die Epex gehandelt, das entspricht 43 % des jährlichen Stromverbrauchs der Schweiz“, fährt Orifici fort (siehe Grafik). 85 % des Intradayhandels von knapp 2 TWh wurden in 2017 über die Grenzen getätigt.

2016 hat die Schweiz, das traditionelle Stromexportland, mehr Strom importiert als exportiert. Vor allem im Winter, wenn die Nachfrage hoch ist, die Atom- und Wasserkraft aber wenig produzieren, sind wir auf Stromimporte angewiesen. Mit einem klugen Mix von Solar-, Wasser- und Windstrom könnte die Schweiz ihre Importabhängigkeit mindern und mittelfristig sogar ganz beseitigen hat Toni Gunziger in seinem Standartwerk Kraftwerk Schweiz aufgezeigt.

Schweizer benachteiligt
Da das Stromabkommen mit der EU noch nicht abgeschlossen wurde, sind die Schweizer Energieversorger indes beim Handel benachteiligt: „Während in den Angeboten der Markt-teilnehmer im EU-Binnenmarkt die Grenzkapazität für den Transport inbegriffen ist, müssen die Schweizer Teilnehmer immer zuerst die Grenzkapazität im Stromnetz sichern und dann können sie die gewünschte Menge anbieten – Kauf oder Verkauf“, führt Davide Orifici aus. Studien hätten zudem ergeben, erklärt Orifici, dass die fehlende vollständige Marktliberalisierung mit der EU die Schweizer Volkswirtschaft jedes Jahr mit zweistelligen Millionenbeträgen belastet.


Tal der Tränen durchschritten

Waren anfangs der 2000er Jahre Strom-Kilowattstundenpreise von 8 bis 10 Rp. üblich – bei einer steigenden Tendenz, sanken diese in den letzten Jahren auf durchschnittlich 3 bis 4 Rp. 2017 stiegen sie erstmals wieder deutlich über 4 Rp. an. Gerade Energieversorger, wie die Alpiq und die Axpo, die keine direkten Kunden haben, sondern Strom nur an der Börse handeln, wurden von diesen tiefen Strompreisen auf dem falschen Bein erwischt. In der Annahme, dass die Strompreise weiter rasant steigen würden, hatten sie sich anfangs der 2000er Jahre teure Kontrakte für Netzkapazitäten ins angrenzende Ausland bis 2020 gesichert. Diese sind heute praktisch nichts mehr wert.

Wo sind Negativpreise?
Gut aufbereitet von den Kommunikationsbüros wurden die Versorgungslücke, die beim Wechsel zu den Erneuerbaren drohen sollte, sowie die Netzengpässe an den schwarzen Energiehimmel gepinselt und die Negativpreise als die Bedrohung selbsthin inszeniert. Und die Presse nahm dies gerne auf.

Michael Bhend, Leiter der Sektion Netze und Europa der unabhängigen staatlichen Regulier-ungsbehörde im Elektrizitätsbereich ElCom, ein Fachmann auf seinem Gebiet, hat sich die Mühe gemacht und die Stunden mit Negativpreisen ermittelt: 2015 gab es in Deutschland 126 Stunden mit Negativpreisen, 2016 deren 97, 2017 deren 146 wohlverstanden jeweils über das ganze Jahr und 2018 waren es bis Ende Januar 44 Stunden. In der Schweiz waren es 2015 neun, 2016 deren 24, 2017 nur fünf und 2018 bis Ende Januar sieben Stunden mit Negativ-preisen. „Daraus lässt sich kein Trend ablesen“, erklärt Michael Bhend. Auf die Frage, welche Preistreiber es denn bei Strom gebe, antwortet er: „Im letzten halben Jahr verteuerte sich insbesondere der Kohlestrom, was zu einem Anstieg der Strompreise allgemein geführt hat.“ Einen Einfluss hätten auch zum Beispiel die Verfügbarkeit der Kernkraft oder die der Wasserkraft. Bhend äussert sich skeptisch bezüglich einer 100% erneuerbaren Stromversorgung, denn dazu brauche es noch technische Fortschritte für eine effiziente, saisonale Speicherung.


Interview

„Die meisten Wasserkraftwerke können ihre laufenden Kosten decken“

Ein Gespräch mit Felix Nipkow, Projektleiter Strom & Erneuerbare, der Schweizerischen Energie-Stiftung, über Strompreise und die Rolle der Wasserkraft in der Schweiz.

Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Förderung der erneuerbaren Energien in Deutschland und den tiefen Strompreisen, die unsere Grosswasserkraft unter Druck setzen?
Deutschland hat in der Förderpolitik eine Vorreiterrolle gespielt und mit dieser der Energiewende den Weg bereitet. Massive Preissenkungen bei erneuerbaren Energien sind die Folge: Heute sind Wind- und Solarkraft die günstigste Art, Strom zu erzeugen. Natürlich – das ist so gewollt – wird heute viel Strom in erneuerbaren Kraftwerken erzeugt. Weil man es nicht fertig gebracht hat, in gleichem Ausmass Kohle- und Atomkraftwerke abzuschalten, wurden in Deutschland massive Überschüsse produziert. Anfang der 2000er-Jahre war die Bilanz noch ungefähr ausgeglichen, 2017 wurden fast 10% der Produktion, 54 TWh, exportiert. Diese Flutung des Marktes – besonders am Mittag war der Strom früher teuer – hat zu allgemein tiefen Strompreisen geführt.

Inwieweit sind die Grosswasserkraftwerke wirklich gefährdet?
Die meisten Wasserkraftwerke können ihre laufenden Kosten decken. Es wird kein einziges Kraftwerk aus finanziellen Gründen abgeschaltet. Die Betreiber haben auch aus politischen Gründen so stark gejammert, letztlich mit Erfolg: Mit der Energiestrategie 2050 wurde die Marktprämie für bestehende Grosswasserkraft eingeführt. Jährlich stehen ab 2018 rund 110 Millionen Franken zur Verfügung. Finanziert wird das ganze aus dem Netzzuschlagsfonds.

Viele Wasserkraftwerke können ihren Strom ganz oder teilweise an gebundene Endkunden verkaufen und dafür die vollen Gestehungskosten verlangen. Sollte der Markt vollständig liberalisiert werden, braucht es unbedingt flankierende Massnahmen, damit die Stromproduktion sich weiterhin finanzieren kann. Wichtig ist auch, dass Investitionen in neue erneuerbare Kraft-werke. Dafür braucht es ein energiewendefreundliches Strommarktdesign.

Welche Rolle spielen AKW und Kohlekraftwerke?
Abgesehen von den gravierenden Risiken und Nebenwirkungen sind diese Bandlastkraftwerke eine Altlast der Vergangenheit. In einem modernen Stromsystem sind Flexibilitäten gefragt, um die schwankende Produktion von Solar- und Windkraft zu ergänzen. Unflexible Kraftwerke, die rund um die Uhr gleich viel Strom bringen, haben keinen Platz mehr. Insbesondere bei Atom-kraftwerken wird auch immer deutlicher, dass diese mit zunehmendem Alter immer unzuver-lässiger werden. Leibstadt-Beznau-Mühleberg – die unvorhergesehenen Ausfälle häufen sich.

Im Winter 2016-2017, als während einer europaweiten Kältewelle gleichzeitig zig AKW in Frankreich sowie drei in der Schweiz abgeschaltet waren, stiegen die Preise der epex stark an. Die Versorgungssicherheit sei gefährdet gewesen, wurde argumentiert. Teilen Sie diese Meinung?
Es hat sich gezeigt, dass die Versorgungssicherheit zu jeder Zeit gewährleistet war. Das auch dank Massnahmen, die Swissgrid zusammen mit der Branche getroffen hat. Ein Eingriff in den Markt war gar nicht nötig, insofern war die Situation nie kritisch. Die Preise blieben in einem normalen Rahmen und die Nachfrage konnte gedeckt werden. Beim Strom ist ja auch die Nach-frage flexibel, das kann in Zukunft in solchen Situationen vermehrt ausgenutzt werden. Es gibt schon vielversprechende Ansätze und Pilotprojekte für die Steuerung des Verbrauchs, das sogenannte Lastmanagement hat viel Potenzial.

Die einen Experten sagen, die Schweiz könne sich zu 100 % mit Strom aus erneuerbaren Energien versorgen, die anderen finden das verrückt. Welche Argumente sprechen dafür?
Es gibt sogar Modelle, die eine 100% erneuerbare Stromversorgung für die ganze Welt zeigen. Die Schweiz hat diesbezüglich eine hervorragende Ausgangslage: Dank der Wasserkraft kommt schon heute über die Hälfte des Stroms aus erneuerbaren Quellen. Die Speicher und Flexibilitäten, die es für ein 100% erneuerbares System braucht, stehen uns mit den Stauseen schon heute zur Verfügung.

Welche dagegen?
Keine. Es gibt gar keine Alternative – das ist schon im Begriff enthalten: Nicht-erneuerbare Energien sind endlich, irgendwann sind sie aufgebraucht. Weil sie ausserdem unser Klima aufheizen und ein grosses Risiko für Mensch und Umwelt darstellen, sollten wir so rasch wie möglich davon wegkommen. Technisch ist das kein Problem, die Energiewende ist möglich. Jetzt müssen wir es nur noch tun.

Welche Hausaufgaben haben wir auf diesem Weg bereits gemacht? Welche stehen noch an?
Mit der Energiestrategie haben wir die Absicht erklärt, den Atomausstieg anzupacken. Konkret ist allerdings noch wenig passiert. Insbesondere ist der Ersatz der AKW-Produktion nicht sichergestellt. Damit der Ausbau der erneuerbaren Energien vorankommt, braucht es Rahmen-bedingungen, die Investitionen auslösen. Solar- und Windstrom ist heute mit Abstand am billigsten – aber wenn nicht investiert wird, sind wir noch lange von Atomstrom abhängig.

©Text und Interview: Anita Niederhäusern, Vorstandsmitglied ASPO Schweiz und Herausgeberin ee-news.ch

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