Um Druck kontrolliert auf ihre mikroskopische, supraleitende Probe zu bringen (Grafik), nutzen die Forschenden empfindliche Halterungen mit Aktoren auf Basis des Piezoeffekts. Bild. KIT

Hochtemperatur-Supraleiter: Forschung kommt einen entscheidenden Schritt weiter - hoher Druck ordnet Elektronen

(KIT/ee-news.ch) Strom ohne Verluste transportieren – Supraleiter machen es möglich. Diese Materialien weisen unterhalb bestimmter Temperaturen keinen elektrischen Widerstand mehr auf, sind dabei aber auf extreme Kälte angewiesen. Um Supraleiter zu entwickeln, die bei höheren Temperaturen – eventuell sogar bei Raumtemperatur – funktionieren und damit wesentlich zu einer effizienten Energieversorgung beitragen, müssen entscheidende Zustände und Vorgänge in supraleitenden Materialien grundlegend verstanden werden. Eine Gruppe von Forschern hat nun neue Erkenntnisse gewonnen: hoher Druck ordnet die Elektronen.


Eine Forschergruppe hat die konkurrierenden Zustände mit hochauflösender in elastischer Röntgenstreuung untersucht und festgestellt, dass hoher einachsiger Druck die Elektronen ordnet. Ihre Studie eröffnet neue Einblicke in die Funktion elektronisch korrelierter Materialien.

Minus 273 Grad Celsius
Strom ohne Verluste transportieren – Supraleiter machen es möglich. Diese Materialien weisen unterhalb bestimmter Temperaturen keinen elektrischen Widerstand mehr auf. Allerdings sind sie dabei auf extreme Kälte angewiesen: Klassische Supraleiter müssen fast bis zum absoluten Nullpunkt – minus 273 Grad Celsius – heruntergekühlt werden, und selbst Hochtemperatur-Supraleiter benötigen noch Temperaturen von etwa minus 200 Grad Celsius, um Strom widerstandsfrei zu leiten. Trotz der aufwendigen Kühlung werden Supraleiter bereits in verschiedenen Bereichen eingesetzt. Um Supraleiter zu entwickeln, die bei höheren Temperaturen – eventuell sogar bei Raumtemperatur – funktionieren und damit wesentlich zu einer effizienten Energieversorgung beitragen, müssen entscheidende Zustände und Vorgänge in supraleitenden Materialien grundlegend verstanden werden.

Hoher einachsiger Druck kontrolliert Zustände
Die Untersuchungen haben gezeigt, dass hoher einachsiger Druck konkurrierende Zustände in einem Hochtemperatur-Supraleiter kontrollieren kann. Mit hochauflösender inelastischer Röntgenstreuung, bei der Röntgenstrahlen auf eine Probe treffen und das Streulicht vermessen wird, untersuchten die Wissenschaftler den Hochtemperatur-Supraleiter YBa2Cu3O6.67, der zu den Kupraten gehört. Dabei handelt es sich um komplexe Verbindungen aus Kupfer, Sauerstoff und weiteren Elementen. Kupfer- und Sauerstoffatome bilden zweidimensionale Strukturen. Werden Ladungsträger in diese Ebenen eingeführt, kommt es zu komplexen und miteinander konkurrierenden Zuständen: Die Kopplung zwischen Ladungsträgern führt zur Supraleitung, eine starre Ladungsordnung dagegen verhindert sie. Zu den Ladungsordnungszuständen gehört die Anordnung der Ladungsträger in streifenförmigen Nanostrukturen, welche die Ladungsträger unbeweglich macht und so die Supraleitung unterdrückt. Auch periodische Schwankungen in der Verteilung der elektrischen Ladungen, sogenannte Ladungsdichtewellen (CDW – charge density waves), verhindern die Supraleitung. Durch chemische Beimengungen, als Doping bezeichnet, oder durch externe Magnetfelder lassen sich diese Zustände variieren. Die Interpretation solcher Experimente wird allerdings durch Gitterfehler und zufällig festgehaltene magnetische Wirbel erschwert.

Dämpfung der Gitterschwingungsanregung
Dagegen ermöglicht einachsiger Druck, das Verhältnis zwischen Ladungsdichtewellen und Supraleitung präzise zu untersuchen, wie die Forscher aus Karlsruhe, Stuttgart, Dresden, Grenoble und La Plata in ihrer Arbeit feststellten. Sie zeigten, dass hoher Druck entlang der Kristallachse a des untersuchten Hochtemperatur-Supraleiters YBa2Cu3O6.67 zu einem weitreichenden dreidimensionalen Ladungsdichtewellen-Zustand führt, ohne dass dazu Magnetfelder erforderlich sind. Mit dieser Zustandsänderung ist auch eine starke Dämpfung der Gitterschwingungsanregung verbunden. „Unsere Ergebnisse ermöglichen neue Einblicke in die Funktion von Hochtemperatur-Supraleitern und anderen elektronisch korrelierten Materialien“, erklärt Professor Matthieu Le Tacon vom KIT. „Darüber hinaus zeigen sie, dass einachsiger Druck das Potenzial bietet, die Ordnung der Elektronen in solchen Materialien zu kontrollieren.“

Neben dem Karlsruher Institut für Technologie waren das Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart, das Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe in Dresden, die European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) in Grenoble/Frankreich und die Universidad Nacional de La Plata/Argentinien an der Studie beteiligt. Eine Publikation in der Zeitschrift Science stellt die Ergebnisse vor.


Originalpublikation:
H.-H. Kim, S. M. Souliou, M. E. Barber, E. Lefrancois, M. Minola, M. Tortora, R. Heid, N. Nandi, R. A. Borzi, G. Garbarino, A. Bosak, J. Porras, T. Loew, M. König, P. M. Moll, A. P. Mackenzie, B. Keimer, C. W. Hicks, M. Le Tacon: Uniaxial Pressure Control of Competing Orders in a High Temperature Superconductor. Science, 2018. DOI: 10.1126/science.aat4708. (Abstract unter http://science.sciencemag.org/content/362/6418/1040)


Text: ee-news.ch / Karlsruher Institut für Technologie (KIT)

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1 Kommentare

Max Blatter

Ich mockiere mich immer ein wenig über den Begriff "Hochtemperatur-Supraleiter" für Materalien, die statt mit flüssigem Helium "nur noch" mit flüssigem Stickstoff gekühlt werden müssen... Es braucht für mich nicht "Hochtemperatur" zu sein ‒ ein Normaltemperatur-Supraleiter wäre mir lieber! Meines Wissens ist es aber immer noch eine offene Frage, ob Supraleitung bei Raumtemperatur überhaupt theoretisch möglich ist oder nicht. Als Energiefachmann rechne ich nicht wirklich mit einem Durchbruch, zumal schon die Flüssig-Stickstoff-Supraleiter hochkomplexe Verbindungen aus seltenen und zum Teil toxikologisch bedenklichen Ausgangsmaterialien sind. Dennoch ‒ forschen darf und soll man immer; die Forschung an der Supraleitung halte ich sogar für weitaus sinnvoller als etwa diejenige an der Kernfusion.

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