Anita Niederhäusern: „Höchste Zeit, dass wir aufwachen und unser Schicksal selber in die Hand nehmen. Auf dass wir diesem Trauerspiel ein Ende setzen und eine Energiepolitik durchsetzen, die einem der reichsten Länder der Welt würdig ist!“

Die Regierenden der erdöl- und gasfördernden Länder sind weiterhin die Könige dieser Welt – das muss nicht sein!

(AN) Nicht nur die Schweiz, sondern die ganze Welt ächzt unter hohen Energiepreisen. Die Preise für Gas- und Erdöl steigen so rasch wie schon lange nicht mehr und ziehen die Strompreise mit sich. Die Diktatoren und Regierenden der erdöl- und gasfördernden Länder sind wieder die Könige dieser Welt. Schon bald zwei Jahre befindet sich insbesondere der reichere Teil der Welt in der Covid-Schockstarre. Die Regierenden haben die Chance verspasst, diese Krise zum schnelleren Umbau unserer Energieversorgung zu nutzen, auch in der Schweiz. Der Bund hat Ostral vorbereitet, um für eine Stromversorgung „in ausserordentlichen Lagen“ vorzusorgen.


Wer keine eigenen Energiequellen besitzt und die Energie von weither holen muss, gehört zu den Verlierern. Wir in der Schweiz hängen immer noch zu rund 70% von Importen von fossilen Energien ab. Zu den Verlierern gehören auch all die, die dieses Jahr mit voller Wucht von Naturkatastrophen heimgesucht wurden: In den Überflutungsgebieten in Deutschland stehen immer noch viele Menschen vor dem Nichts. Genauso die Menschen, deren Hab und Gut in Südeuropa von Feuern verwüstet wurden. Zu den Verlierern gehören auch viele Landwirtinnen und Landwirte, deren Kulturen im Wasser ertranken, von Hagel, Stürmen oder von Feuer verwüstet wurden. Was sich insbesondere auf die Preise von Nahrungsmitteln auswirkt und damit am härtesten die Ärmsten unter uns trifft.

Unser Leben ist in Gefahr
Noch nie haben die heute lebenden Generationen die Heftigkeit der Natur als Konsequenz des Raubbaus an der Erde in Europa und in der Schweiz so stark zu spüren bekommen wie dieses Jahr. Unser Leben ist in Gefahr und die Politik schmiedet weiterhin nur Pläne. Seit über 20 Jahren verfolge ich die Diskussionen zu den Themen Klimawandel und Energiewende. 20 Jahre, in denen auch die Technologien weiterentwickelt und um ein Vielfaches effizienter wurden. Trotzdem floss und fliesst immer noch weit mehr staatliche Unterstützung in fossile als in erneuerbare Energien.

Unabhängig, wirtschaftlich wie auch politisch
Man kann‘s drehen und wenden, wie man will: Jeder Staat, der das Potenzial seiner erneuerbaren Energien nutzt, macht sich unabhängiger, wirtschaftlich wie auch politisch. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Das hat auch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz erkannt: Es schätzt die Strommangellage als grösstes Risiko für die Schweiz ein, noch vor einer Pandemie. Der Ausstieg der Schweiz aus den Verhandlungen zu den bilateralen Verträgen mit der EU hat die Lage noch einmal verschärft, denn ab 2025 wird die Stromreservehaltung innerhalb der EU erhöht, so dass insbesondere die Winterexporte in die Schweiz nicht mehr garantiert sind. Dieses Problem will der Bundesrat nun mit Gaskraftwerken lösen, um Spitzenlasten abzudecken, womit wir uns unter anderem in die Abhängigkeit von Putin begeben. Und wussten Sie, dass wir die Schweizer keine eigenen Gasspeicher im Inland hat, sondern, dass sich diese in Frankreich befinden? Zudem will er unsere AKW – der älteste Park weltweit – so lange wie möglich laufenlassen. An eine echte Ausbaustrategie der Erneuerbaren glauben nur noch Tagträumer. Die Zeit rennt uns davon und wir verharren im Stadium der Szenarien.

Sofortkontingentierung
Doch die Preisspirale und die Importfähigkeit lassen sich politisch nur bedingt steuern. Deshalb hat der Bund das Programm „Ostral – Organisation für Stromversorgung in ausserordentlichen Lagen“ in die Wege geleitet. Dieses kann kurzfristig eingeführt werden und beinhaltet neben Sparaufrufen die Massnahmen Sofortkontingentierung und Kontingentierung. Die Sofortkontingentierung ist innerhalb von wenigen Tagen einsatzbereit, die Kontingentierung benötigt eine Vorlaufzeit von ungefähr einem Monat. Die Sofortkontingentierung kann Strombezüger von über 100‘000 kWh dazu verpflichten, kurzfristig zum Beispiel den Stromverbrauch um über 20 % zu drosseln. Die Kontingentierung wäre dann der zweite Schritt. Bei beiden Szenarien gilt „…der Netzbetreiber stellt ein Grossverbrauchern im Namen des Bundes eine Verfügung mit den Angaben zum anwendbaren Stromkontingent zu“, steht in der Ostral-Broschüre. Das heisst, dass Unternehmen, die dies nicht beachten, Strafzahlungen begleichen werden müssen.

Rekordhöhe der Strompreise in Ländern ohne Windstrom
Die Tagesstrompreise haben am 7. Oktober in der EU einen Spitzenwert von durchschnittlich 44 cts €/kWh erreicht, das ist bis zu 20 Mal mehr als vor 10 Monaten. Grund dafür ist die grosse Abhängigkeit von Gaskraftwerken. Dagegen sind in Ländern mit einer hohen Windausbauleistung die Preise weniger stark gestiegen: So betrug der Strompreis am 7. Oktober in Deutschland, wo rund 30‘000 Windenergieanlagen Strom produzieren, 13.99 cts €/kWh und in Frankreich 17 cts €/kWh. In der Schweiz, wo gerade 42 Windenergieanlagen Winterstrom liefern, betrug der Strompreis am 7. Oktober 22 cts €/kWh. Der Strom für nächstes Jahr wird bereits zu 14.85 cts €/kWh gehandelt. Das ist mehr, als eine Kilowattstunde Windstrom aus dem KEV-Fonds erhält.

Sonne, Wasser und Wind scheren sich nicht darum
Einen positiven Fakt gibt es: Egal wie lange die Politik noch zögert, die Sonne bleibt da, der Wind bläst weiter, und Regen fällt immer wieder vom Himmel, wenn auch nicht mehr so regelmässig und verlässlich wie vor dem Klimawandel. Dagegen schmelzen unsere Gletscher im Rekordtempo, was das Hauptstandbein unserer Stromversorgung, die Wasserkraft, unter Druck setzt.

Zögerer in der Mehrheit
Wir müssen in der Schweiz endlich auf eine echte einheimische Stromversorgung setzen, die sich aus den Hauptpfeilern Wasser-, Solar- und Windstrom zusammensetzt und von Holzenergie, Biomasse und Geothermie ergänzt wird. Studien dazu, dass dies funktionieren wird, gibt es zuhauf. Doch leider sind bis heute die Zauderer und Zögerer immer noch in der Mehrheit. Die Lobbyistinnen und Lobbyisten der fossilen und der nuklearen Energien ziehen bis anhin in den Hinterzimmern der Macht immer noch an den richtigen Fäden, um eine echte Wende zu verhindern. Damit bedrohen sie nicht nur das Klima, sondern auch die Energieversorgungssicherheit und damit den Wohlstand und die Unabhängigkeit unseres Landes. Und wir alle lassen uns vom Erfolg der Schweizer Wirtschaft und dem starken Franken, der uns bisher einen günstigen Zugang zu Energien aller Art verschaffte, blenden. Höchste Zeit, dass wir aufwachen und unser Schicksal selber in die Hand nehmen. Auf dass wir diesem Trauerspiel ein Ende setzen und eine Energiepolitik durchsetzen, die einem der reichsten Länder der Welt würdig ist!

Anita Niederhäusern, Chefredaktorin und Herausgeberin ee-news.ch und pelletpreis.ch

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2 Kommentare

Jakob Sperling

Sehr guter Artikel.
Ich denke aber, dass das Hauptproblem aktuell weniger die Strippenzieher in den Hinterzimmern sind, sondern primär die Summe der genannten Zögerer, Zauderer und Zweifler, zusammen mit unserer vom Wohlstand geförderten Bequemlichkeit.
Tami nomol! Jetz müend mer aber wörkli i t'Hose.

Andreas Neumann

Danke für diesen Artikel! Dem kann ich nur zu 100% beipflichten. Die Bürger unseres Landes müssen endlich aufwachen und das Helft selbst in die Hand nehmen - z. B. auch über die immer noch zahlreichen lokalen Energieversorger im Gemeindebesitz - und auch durch private Initiativen. Auch KMUs können helfen und an Unabhängigkeit dazugewinnen, indem sie ihre eigenen Liegenschaften zur Eigenstromversorgung nutzen.

Vom Bund ist keine Hilfe zu erwarten.

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