Simulation eines schweren Unfalls im Kernkraftwerk Gösgen am 29. Januar 2017. Bild: SES/EUNUPRI2019

Simulation eines schweren Unfalls im Kernkraftwerk Beznau am 29. Januar 2017. Bild: SES/EUNUPRI2019

Simulation eines schweren Unfalls im Kernkraftwerk Leibstadt am 29. Januar 2017. Bild: SES/EUNUPRI2019

Nuklearkatastrophe: Schweiz ist schlecht vorbereitet - Radioaktivität 30-mal höher als angenommen

(TR) Die bei einem schweren AKW-Unfall freiwerdende Radioaktivität ist 30-mal höher einzustufen, als dies bei der Planung der Schutzmassnahmen vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz berechnet wurde. Dies zeigt eine Studie des Instituts Biosphère, das auf Basis realer meteorologischer Daten von 2017 die Auswirkungen eines grossen Unfalls in den Schweizer AKW und jenem in Bugey (F) simuliert hat. Bei einer Katastrophe in Beznau, Gösgen, Mühleberg, Leibstadt oder in Bugey wären in Europa ca. 20 Mio. Menschen betroffen.


Die Studie «EUNUPRI2019 - European Nuclear Power Risk Study», die am Institut Biosphère unter der Leitung von Frédéric Piguet, PhD in Umweltwissenschaften, realisiert worden ist, berücksichtigt erstmals sowohl moderne meteorologische Berechnungen wie neue medizinische Erkenntnisse, um die Risiken eines schweren Nuklearunfalls in Westeuropa zu eruieren. Sollte sich in einem der fünf untersuchten Atomkraftwerke in der Schweiz oder Frankreich ein grosser Unfall ereignen, sind langfristig mehr als 100‘000 Strahlenopfer in der Schweiz und den umliegenden Staaten zu erwarten.

Total 20 Millionen wären betroffen
Bei einer Katastrophe in Beznau, Gösgen, Mühleberg, Leibstadt oder im französischen Kernkraftwerk Bugey wären in Europa um 20 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner betroffen. Die dabei freigesetzte Radioaktivität wird auf das Dreissigfache des Wertes geschätzt, welcher der Planung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz BABS zugrunde liegt. Die Studie richtet sich einerseits an den Bundesrat und regt eine rasche Revision des derzeit ungenügenden Schutzkonzeptes an. Zusätzlich muss die Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines grossen Kernkraftwerkunfalles gemäss neuen wissenschaftlichen Untersuchungen gegen 20mal höher eingestuft werden als dies internationale Standards für die Kernkraftwerksicherheit erfordern. Dieses Risiko ist inakzeptabel hoch. Damit ist die Forderung einer raschen Abkehr von der Kernenergie in der Schweiz wissenschaftlich begründet.

Radioaktivität 30-mal höher
Bei einer Katastrophe in Beznau, Gösgen, Mühleberg, Leibstadt oder im französischen AKW Bugey wären in Europa um 20 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner durch die ionisierende Strahlung betroffen. Die dabei freigesetzte Radioaktivität wird auf das Dreissigfache des Wertes geschätzt, welcher der Planung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz BABS zugrunde liegt.

Im Ernstfall ungenügend vorbereitet
Die Studie richtet sich einerseits an den Bundesrat und regt eine rasche Revision des derzeit ungenügenden Schutzkonzeptes an. Zusätzlich muss die Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines grossen Nuklearunfalles gemäss neuen wissenschaftlichen Untersuchungen gegen 20-mal höher eingestuft werden als dies internationale Standards für die Kernkraftwerksicherheit erfordern. Dieses Risiko ist inakzeptabel hoch. Damit ist die Forderung einer raschen Abkehr von der Kernenergie in der Schweiz wissenschaftlich begründet.

Studienziel Risikobeurteilung erreicht
Die Studie untersucht andererseits das Unfallrisiko der 5 AKW von Beznau, Gösgen, Leibstadt und Mühleberg (Schweiz) und Bugey (Frankreich). Das radioaktive Reaktorinventar („source term“) beläuft sich rechnerisch für die 9 AKW auf eine Grössenordnung zwischen Kategorie (ENSI) A5 (entsprechend Fukushima) und A6 (entsprechend Chernobyl) pro Reaktor. Die bei einem schweren AKW-Unfall freiwerdende Radioaktivität ist damit als 30-fach höher einzustufen als dies bei der Planung der Schutzmassnahmen des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz BABS vorgesehen ist. Simuliert wurden AKW-Unfälle bezüglich 365 Wettersituationen entsprechend der tatsächlichen Meteorologie im Jahre 2017 für jedes einzelne AKW rechnerisch.

Krebsfälle, Herz-Kreislauferkrankungen, Hirnschläge

Es fand sich eine kollektive Strahlendosis zwischen minimal 50‘000 Personen-Sievert (persSv) für das AKW Beznau und maximal 123‘000 persSv für das AKW Gösgen. Die Verstrahlung durch einen schweren Unfall würde um 16.4 Millionen bis 24 Millionen Personen in Europa treffen. Es sind 20’000 bis gegen 50’000 Krebsfälle als längerfristige Folgen der Verstrahlung zu erwarten, ebenso zwischen 7’500 und 18’500 strahlungsbedingte Fälle von Herzkreislauferkrankungen wie z.B. Herzinfarkte oder Hirnschläge.

12’500 bis 31’100 vorzeitige Todesfälle
Es lassen sich damit zwischen 12’500 und 31’100 vorzeitige Todesfälle durch Krebs- und Herzkreislauferkrankungen als Strahlenfolge abschätzen. Eine hohe Anzahl zusätzlicher strahlungsbedingter Nicht-Krebserkrankungen, genetischer Störungen und weitere Beeinträchtigungen der Fortpflanzung sind aufgrund der Erfahrungen von Tschernobyl zu erwarten. Die Wettersituation würde eine massgebenden Einfluss auf die Opferzahl haben: An 37 Tagen pro Jahr mit ungünstigen Wetterverhältnissen wären 4 mal mehr der oben genannten gesundheitlichen Auswirkungen zu beobachten – im Vergleich zu den 37 Tagen der günstigsten Dezile.

Zum Beispiel im AKW Leibstadt
Sollte sich ein schwerer Unfall im AKW Leibstadt ereignen, wäre die Opferzahl in Deutschland durchschnittlich 20% höher als in der Schweiz, bei ungünstigen Wetterverhältnissen jedoch mehr als doppelt so hoch. 12. Aufgrund der Verstrahlung müssten grosse landwirtschaftlichen Flächen aufgegeben werden. Bei einer Limite von 37000 Bq /m2 Caesium -137 kämen zwischen 16‘000km2 (AKW-Unfall in Beznau) und 37‘000 (AKW-Unfall in Leibstadt) als Weide- und Ackerland nicht mehr in Frage entsprechend den Flächen der Kantone. Es müssten bei einem AKW-Unfall in Beznau bis 250 000 und in Leibstadt bis 500 000 Personen dauerhaft umgesiedelt werden (Evakuationslimite von 1480 kBq/m2 Caesium-137).

Bedeutung niedriger ionisierender Strahlendosen
Ionisierende Strahlung – woher sie auch kommt – schädigt Körperzellen. Dadurch werden dosisabhängig nach Jahren schwere Krankheiten wie z.B. Krebs, Herz-Kreislaufkrankheiten, Fehlbildungen und genetische Veränderungen ausgelöst. Es gibt keine ungefährliche Dosis – auch niedrige ionisierende Strahlendosen erhöhen das Risiko für diese Gesundheitsschäden. Besonders strahlenempfindlich sind Ungeborene, Kinder und Frauen.

Wissenschaftler und Politiker orientierten
Dass die Schweiz auf einen grossen AKW Unfall unzureichend vorbereitet ist, erörterten am 21. Mai 2019 in Bern Frédéric Piguet, PhD in Umweltwissenschaften, Meteorologe Pierre Eckert, Dr. in Physik, Onkologe Claudio Knüsli, Alec von Graffenried, Stadtpräsident von Bern, Fabienne Freymond Cantone, Stadträtin von Nyon, Valentin Schmidt, Leiter Politik und Kommunikation der Schweizerischen Energie-Stiftung SES. Moderation: Philippe de Rougement, Präsident von Sortir du nucléaire.

©Text: Toni Rütti, Redaktor ee-news.ch

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1 Kommentare

Max Blatter

Für mich irrelevant. Voller Einsatz für Energieffizienz und die "Erneuerbaren" ist so oder so gefragt.

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