Cathleen Hoffmann, Produktingenieurin bei Holcim, erklärte, habe nach Möglichkeiten gesucht, im Sinne der Kreislaufwirtschaft Stoffkreisläufe in der Baubranche zu schliessen. Bild: HSR

HSR Professor Dr. Markus Friedl: «Eine nachhaltige Energieversorgung wäre bereits heute möglich. Die nötigen Technologien dafür sind vorhanden.» Bild: HSR

Alex Simeon, HSR Prorektor Forschung, fasste die Tagung in einem Satz zusammen: «Die technischen Lösungen für die Energiewende sind da, der Rest ist Politik.». Bild: HSR

«Wir gehen davon aus, dass eine neue Industrie rund um die direkte Gewinnung von CO2 aus der Luft aufgebaut werden wird», sagte Climeworks-COO Dominique Kronenberg. Bild: HSR

HSR: CO2 als Innovationstreiber für eine nachhaltige Energie- und Ressourcenwirtschaft

(PM) Die Erde erhitzt sich durch die hohen CO2-Emissionen, die der Mensch zur Deckung seines hohen Energie- und Ressourcenverbrauchs produziert. Weil die Folge einer unveränderten Lebensweise voraussichtlich eine untragbare Umweltkatastrophe wäre, suchen Politik, Wissenschaft und Industrie nach Lösungen. An der HSR Innovationstagung wurde anhand von Praxisbeispielen aus Forschung und Industrie gezeigt, wie CO2 innert weniger Jahre zum wichtigsten Innovationstreiber für eine nachhaltige Energie- und Ressourcenwirtschaft wurde.


«Eine nachhaltige Energieversorgung wäre bereits heute möglich. Die nötigen Technologien dafür sind vorhanden.» So unvorstellbar die Aussage von HSR Professor Dr. Markus Friedl auf den ersten Blick klang, so vorstellbar wurde sie im Verlauf der 42. Innovationstagung an der HSR (22.5.19). Insgesamt vier Referentinnen und Referenten zeigten vor rund 130 Besucherinnen und Besuchern aus Politik, Wissenschaft und Industrie, wie:

  • Treib- und Brennstoffe sowie Rohmaterial für Kunststoffe aus Sonnenenergie produziert werden können;
  • Recycling in der Bauwirtschaft, die CO2-Emissionen für neue Zemente und Betone verringert;
  • eine Maschine auf der Fläche eines Lieferwagens mehr CO2 aus der Luft saugen kann, als 1000 Bäume;
  • ein energieautarkes Mehrfamilienhaus im Kanton Zürich es bereits heute ermöglicht, den Energiebedarf nur durch Sonnenenergie zu decken – ohne Strom-, Öl- oder Erdgasanschluss.

Die Chancen, dass durch diese und weitere Innovationen eine echte Energiewende möglich ist, sind laut Friedl intakt. Weltweit und in der Schweiz steige das Interesse, aktiv etwas gegen eine drohende Klimakatastrophe zu unternehmen: «Zürich hat zum Beispiel kürzlich entschieden, bis 2030 seinen Energiebedarf CO2-neutral decken zu wollen», so Friedl. Diverse Studien würden belegen, dass die Technologien für eine solche Energiewirtschaft vorhanden seien. Eine dieser Technologien erforscht Friedl als Leiter des IET Institut für Energietechnik und Dozent im HSR Studiengang erneuerbare Energien und Umwelttechnik zusammen mit einem Forschungsteam selbst. Mit Power-to-X-Anlagen sollen Treib- und Brennstoffe wie Diesel oder Erdgas sowie chemische Rohstoffe wie Methanol künftig im grossen Stil mit Sonnenenergie produziert werden. Dadurch werde es möglich, den Energieüberschuss aus erneuerbaren Quellen im Sommer mittels chemischer Speicher im Winter nutzbar zu machen – und das kostengünstiger, als mit anderen Speichertechnologien. Das IET Team ist derzeit daran, in einer Forschungsanlage der HSR die Effizienz der Power-to-X-Technologie so weit zu verbessern, dass die klimafreundlichen Treib- und Brennstoffe auch kostenbezogen eine Alternative zu ihren fossilen Pendants werden.

Schritt für Schritt zur Kreislaufwirtschaft
Neben dem Energieverbrauch ist auch der Ressourcenbedarf für viele CO2-Emissionen verantwortlich. So werden laut Cathleen Hoffmann jedes Jahr 60 bis 80 Millionen Tonnen Baumaterial in der Schweiz verbaut. Die Produktingenieurin bei Holcim führte aus, dass ein grosser Teil davon auf Zement entfalle, bei dessen Produktion viel CO2 freigesetzt werde. Holcim habe deshalb nach Möglichkeiten gesucht, im Sinne der Kreislaufwirtschaft Stoffkreisläufe in der Baubranche zu schliessen. Als Ergebnis dieser Anstrengungen konnte Holcim «dank des agilen und fortschrittlichen Norm-Wesens in der Schweiz» einen neuen Zement zertifizieren und auf den Markt bringen. Bei der Produktion dieses Zements werden zum Teil Abbruchmaterialien aus dem Immobilien-Rückbau in Form von recycelten Rohstoffen genutzt, wodurch zehn Prozent CO2 eingespart werden können. Klingt nach wenig, macht aber viel aus: Aktuell geht Holcim laut Hoffmann von einem Absatz von rund 150 000 Tonnen pro Jahr für den neuen Zement aus – «und wir versuchen natürlich, diesen Anteil zu steigern», so Hoffmann.

CO2 aus der Luft saugen – eine neue Industrie?
Die Firma Climeworks aus Zürich macht aus der CO2-Reduktion sogar gleich den Kern ihres Geschäfts. «Wir gehen davon aus, dass eine neue Industrie rund um die direkte Gewinnung von CO2 aus der Luft aufgebaut werden wird», sagte Climeworks-COO Dominique Kronenberg. Sein Unternehmen produziert Maschinen, die CO2 aus der Luft saugen und es z.B. für die Produktion von Treibstoffen nutzbar machen können. Werden diese Treibstoffe in einem Auto verbrannt, wird genau so viel CO2 ausgestossen, wie bei der Produktion aus der Luft gesaugt wurde: So können beispielsweise Autos CO2-neutral gefahren werden.

Die Technologie bietet laut Kronenberg jedoch auch die Möglichkeit, mehr CO2 aus der Atmosphäre zu entnehmen, als ausgestossen wird. Auf einer Fläche von vier Quadratmetern könne ein CO2-Sammler in etwa so viel CO2 einfangen, wie 1000 Bäume. «So viel Fläche für Bäume, wie wir aufforsten müssten, um unsere CO2-Emissionen auf null zu bringen, gibt es nicht», sagte Kronenberg. In Island laufe bereits eine Testanlage, die das aus der Luft gesaugte CO2 in Wasser bindet und dieses Wasser in poröses Gestein pumpt, wo es aufgrund chemischer Reaktionen «versteinert» und somit langfristig gelagert werden kann. Bis 2025 plant Climeworks jährlich ein Prozent der weltweiten CO2-Emissionen aus der Atmosphäre zu tilgen.

Ein Haus ohne Anschlüsse
Weniger weit in die Zukunft blickte Roger Balmer, technischer Projektleiter der Umweltarena in Spreitenbach. Er stelle in seinem Vortrag ein Mehrfamilienhaus vor, dass ohne Strom-, Öl- oder Gasanschluss auskommt und nur mit Sonnenenergie den Strom-, Heiz- und Warmwasserbedarf für neun Familien deckt. Dafür wurde ein Mehrfamilienhaus in Brütten ZH vom Dach bis zur Fassadenverkleidung in Solarpaneele gehüllt und nach aktuellsten Erkenntnissen mit Gebäudetechnik, Speichern und lokaler Stromproduktion ausgerüstet. «Wir wollten damit beweisen, dass es mit heutigen Technologien bereits möglich ist, ein energieautarkes Haus zu bauen», so Balmer. Setze man die Erfahrungen aus dem Projekt in zukünftige Häuser um, sei es möglich, energieautarke Häuser mit rund 15 Prozent Mehrkosten im Vergleich zu konventionellen Häusern zu bauen. Eine Investition, die sich durch die deutlich niedrigeren Betriebskosten lohnen kann.

Die Summe der gezeigten Praxisbeispiele an der HSR Innovationstagung zeigt, dass CO2 tatsächlich bereits zum Innovationstreiber geworden ist. Die Anmerkungen der Referentinnen und Referenten, dass es für die Energiewende nun vor allem rechtliche Rahmenbedingungen und den politischen Willen zur Umsetzung brauche, fasste Alex Simeon, HSR Prorektor Forschung, in einem Satz zusammen: «Die technischen Lösungen für die Energiewende sind da, der Rest ist Politik.»

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Text: HSR Hochschule für Technik Rapperswil

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