Rita Werle: "Bei einer bedarfsgerechten Anpassung aller Komponenten an den Prozess, dem Einsatz eines Frequenzumrichters bei variabler Last und einer allfälligen Umrüstung auf Direktantrieb, kann eine Einsparung von 20 bis 30% erreicht werden."

Topmotors: Zu viele elektrische Industrie-Motoren sind überaltert

(AN) „Elektrische Motoren und Antriebssysteme sind für 50 % des gesamten elektrischen Energieverbrauchs verantwortlich, in der Schweiz und weltweit“, erklärt Rita Werle, Geschäftsführerin von Impact Energy. „Über 70 % des Stromverbrauchs in der Industrie sind auf sie zurückzuführen." Das Effizienzpotenzial beträgt 20 bis 30 %. Ein Gespräch über die stromfressenden Dinosaurier-Motoren.


56 % der Motoren sind viel älter wie ihre erwartete technische Lebensdauer. Im Durchschnitt sind sie doppelt so alt. Die Industrie hat folglich ein Uraltmotoren-Problem. Die systematische Untersuchung von elektrischen Energieeinspar-Möglichkeiten bei Antriebssystemen durch Topmotors hat gezeigt, dass sich viele Antriebe mit sehr kurzen Payback-Zeiten von jeweils unter zwei Jahren verbessern lassen.

Programm Topmotors
Impact Energy leitet im Auftrag des Bundesamts für Energie das Programm Topmotors. Ein wichtiges Hemmnis bei der Erneuerung und Optimierung von bestehenden Anlagen in der Industrie ist das fehlende Know-how in den Betrieben. Topmotors bietet ein breit gefächertes Programm für den Wissenstransfer bezüglich effizienter elektrischer Antriebssysteme und die Vernetzung von industriellen Anwendern, Herstellern, Energieberatern, Vertretern von Behörden und EVU. Ein Beispiel ist das sechstägige Weiterbildungsprogramm Industrielle Energieoptimierung; daneben veranstaltet Topmotors auch Workshops, Webinare, den Motor Summit (www.motorsummit.ch), veröffentlicht Merkblätter, eine Reihe Gute Beispiele, Basics, den Topmotors Market Report und einen Newsletter etc. Seit 2018 ist Topmotors auch im Tessin präsent.

Förderband der Grande Dixence!
Ein gutes Beispiel für einen Betrieb, der den Stromverbrauch von elektrischen Motoren unter die Lupe genommen hat, ist das Baustoffindustrie-Unternehmen Hastag (Zürich) AG. Das Unternehmen produziert u. a. im Kieswerk Wil Sand und Kies, die als Ausgangsstoffe für Beton, Belag, Fundationen und andere Baustoffe dienen. Der Rohkies wird mittels Wasserstrahl aus der Wand gelöst und im Kieswerk gewaschen, sortiert und auf die gewünschte Gesteinskörnung zerkleinert. Rohkieshalde und Kieswerk sind durch ein Förderband verbunden, das auf einer Länge von 153 Metern rund 700 Tonnen Rohkies pro Stunde in eine Höhe von 46 Meter transportiert.

Dieses Förderband schrieb einst Geschichte: Es lieferte das Material für den Staumauerbau «Grande Dixence» im Wallis. Als diese vor 50 Jahren fertig war, wurde die Anlage abgebaut und beim Neubau des Kieswerks in Wil wieder installiert. Das 90 cm breite Band wurde nach einem ersten Umbau im Jahr 1981 von einem 150 kW starken Elektromotor über ein Getriebe mit Turbokupplung angetrieben und im Notfall durch eine mechanische Trommelbremse gebremst. Weil das Förderband über einen eigenen Stromzähler und eine Bandwaage verfügt, kann der Stromverbrauch der Anlage genau überwacht werden. Vor dem Umbau hat das Förderband pro transportierter Tonne Kies durchschnittlich 0.176 kWh elektrische Energie verbraucht. Nach dem Umbau liegt dieser Wert nur noch bei 0.158 kWh. Die Betreiber haben 2 bis 3 Prozent Energieeinsparung erwartet. Mit rund 10 Prozent wurden ihre Erwartungen weit übertroffen.


Interview

Fehlendes Know-how und keine Zuständigkeit

Ein Interview mit Rita Werle, Geschäftsführerin von Impact Energy.

Welche Industriesektoren verfügen über die meisten ineffizienten Motoren?
Die Branchen mit dem höchsten Stromverbrauch in der Schweiz sind Chemie, Pharma, Nahrungsmittel, Maschinenbau und auch Infrastrukturanlagen, wie Wasserversorgung, Kehrichtverbrennung etc. Elektrische Antriebssysteme sind eine Querschnittstechnologie. Dazu zählen Pumpen, Ventilatoren, Kompressoren für Druckluft und Kälte sowie Fördertechnologien, etc., die eigentlich in allen Industriezweigen eine grosse Bedeutung haben. Wir von Topmotors legen unseren Schwerpunkt auf Effizienzpotenziale in mittleren und grösseren Industriebetrieben, deren Stromverbrauch jährlich 10 Mio. Kilowattstunden übersteigt.

Wo drückt der Schuh hauptsächlich?
Was ins Gewicht fällt, sind Motoren im Leistungsbereich der geltenden Mindestanforderungen, das sind aktuell 0.75 bis 375 kW. Gemäss der Marktuntersuchung von Topmotors decken Motoren mit einer Leistung zwischen 7.5 kW und 375 kW mehr als 70% des elektrischen Energieverbrauchs aller in der Schweiz verkauften Motoren ab. Dies ist übrigens auch im Topmotors Market Report 2017 nachzulesen, der Mitte 2018 erscheint.

Bei einer Optimierung ist es entscheidend, dass jedes Antriebssystem als Ganzes untersucht wird. Mit einem 1:1 Ersatz von alten durch neue Motoren erreicht man vielleicht Einsparungen von ein paar Prozent. Bei einer bedarfsgerechten Anpassung aller Komponenten an den Prozess, dem Einsatz eines Frequenzumrichters bei variabler Last und einer allfälligen Umrüstung auf Direktantrieb, kann eine Einsparung von 20 bis 30% erreicht werden.

Bei den grossen Motoren über 50 kW ist die Motivation grösser, sie zu optimieren. Einerseits, weil sie mehr Strom verbrauchen und dadurch mit einer Massnahme hohe Einsparungen erreicht werden. Zudem sind Motoren sehr oft überdimensioniert und können häufig durch kleinere Motoren mit 30 bis 50% geringerer Leistung ersetzt werden, welche dennoch weiterhin ihre Aufgabe gut erfüllen. In einer Kehrichtverbrennungsanlage haben wir einen Abluftventilator analysiert, der rund 1'000 kW Leistung aufwies. Die Analyse hat gezeigt, dass ein Ventilator mit 300 kW Leistung auch genügen würde, um die Anforderungen jederzeit voll zu erfüllen. Hier wurden also unnötig teure Spezialkomponenten eingekauft, die keinen Nutzen haben und darüber hinaus im tatsächlichen Betriebspunkt einen schlechten Wirkungsgrad aufweisen.

Es gibt auch viele kleine Motoren, bei denen die Unternehmen oft denken, da sei nicht viel herauszuholen. Doch es gibt Anwendungen, zum Beispiel ein langes Förderband, die durch viele kleine Motoren der gleichen Bauart betrieben werden. Hier lohnt es sich, die Erkenntnisse zur Verbesserung von einem Motor auf alle analogen Antriebe zu übertragen.

Welche Anwendungen bergen daneben auch noch Einsparpotenziale?
Grundsätzlich alle Anwendungen wie z.B. Pumpen, Ventilatoren, Kompressoren. Nehmen wir zum Beispiel ein Druckluftsystem. Hier geht es nicht unbedingt darum, die Kompressoren selber zu ersetzen. Eine Reduktion des unnötig zu hohen Druckniveaus führt bereits zu grossen Einsparungen. Ein Bar weniger Netzdruck bedeutet rund 10% weniger Energiekosten. So zum Beispiel in der Grossmetzgerei Reber Ernst Sutter in Langnau, wo wir neben dem Kälte- und Lüftungsmanagement auch die Druckluftparameter überprüft und angepasst haben. Die Nachrüstung einer übergeordneten Steuerung der bestehenden Druckluftkompressoren kam dabei fast ohne bauliche Massnahmen aus. Die Energieeinsparungen in diesem Grossbetrieb betragen jährlich über 350‘000 Kilowattstunden. Das Unternehmen spart dadurch jährlich rund 47‘000 Franken Stromkosten.

56 % der Motoren sind älter als ihre erwartete technische Lebensdauer und damit bei weitem nicht mehr den neusten Effizienz-Standards entsprechend. Warum werden sie denn nicht durch neuere ersetzt?
Neben der Tatsache, dass elektrische Motoren einfach sehr robust und langlebig sind, gibt es verschiedene Hemmnisse: Industriebetriebe sind natürlich in erster Linie auf die Produktion fokussiert. Im Sinne von „die Produktion muss laufen“. Ausserdem ist es wichtig, dass die Qualität des Produktes stimmt, die Abläufe ok sind und es keine Störungen und Probleme gibt. Energie ist hier nur ein zweit-, dritt- oder sogar viertrangiges Thema. Energiekosten sind in den meisten Fällen ein Nebenthema. Werden die Produktionsmaschinen aus anderen Gründen erneuert, ist das ein schöner Nebeneffekt, dass auch der Energieverbrauch dann noch sinkt. Beim Kauf einer neuen Maschine stehen Themen wie Sicherheit, Zuverlässigkeit und Output im Vordergrund.

Wenn die Maschinen angetastet werden, besteht die Angst, dass sich ein Fehler einschleichen könnte und dass dieser Fehler zu Störungen oder sogar Produktionsausfällen führen könnte. Das ist der Alptraum schlechthin eines jeden Industriebetriebs. Ein Stillstand kann schnell zu Umsatzeinbussen von vielen Tausend Franken bedeuten, in grossen Betrieben kann es sogar Millionen kosten. Selbst kurze, ungeplante Produktionsstillstände können grosse und weitreichende Schäden verursachen. Dementsprechend trauen sich technische Betriebsleute oft nicht, Energiesparmassnahmen auf eigene Verantwortung durchzuführen, weil sie befürchten, eine Änderung könnte zu einer unerwünschten Betriebsstörung führen.

Wir haben während unserer Arbeit in Industriebetrieben auch häufig festgestellt, dass das nötige Know-how um ein Antriebssystem systematisch zu optimieren, nicht vorhanden ist. In den Unternehmen gibt es selten Mitarbeitende, die sich mit dem Effizienzthema gut auskennen, Erfahrung haben, Verantwortung übernehmen und die nötige Zeit zur Verfügung haben, sich mit dem Thema elektrische Energie auseinanderzusetzen. Die Firmenphilosophie ist entscheidend, ob überhaupt in Energieeffizienz investiert wird - dabei ist Energieeffizienz bei Antriebssystemen in aller Regel wirtschaftlich.

Inwieweit haben hier Zielvereinbarungen und das CO2-Gesetz eine Hebelwirkung?
Das sind sehr gute und bewährte Systeme, doch bei ihnen liegt der Schwerpunkt auf den fossilen Brennstoffen, sprich auf CO2, und nicht auf Strom, der in der Schweiz ja grösstenteils erneuerbar oder CO2-neutral ist. Das heisst, die Zielvereinbarungen sind zu stark auf die thermischen und weniger auf die elektrischen Bereiche fokussiert. So kam es, dass die Energieeffizienz von Motoren ein bisschen ein Stiefkind ist. Zudem sind Motoren oft Teile eines komplexen Systems. Man muss das System verstehen und Messungen durchführen, um die Nutzerseite des Systems mit dem Energieinput abgleichen zu können. Dazu braucht es konkretes Know-how und dieses ist, je nach Unternehmensgrösse, nicht immer intern vorhanden. Bei den sehr grossen oder sehr energieintensiven Unternehmen ist meist betriebliches Effizienz-Know-how vorhanden, weil dort die Energiekosten relevant sind. Bei vielen KMU ist das oft nicht der Fall. Hier sind die Energiekosten einfach nicht relevant, da sie oft nur rund1 % des Umsatzes ausmachen.

Topmotors bietet ja sehr viel an, von Workshops und Webinaren über Weiterbildung bis hin zum Motor-Systems-Check und dem Marktbericht für die Schweiz. Aber inwieweit erreichen Sie damit auch die Entscheidungsträger?
Das ist natürlich nicht immer einfach, denn bei vielen Firmen – wir sprechen hier von Industriebetrieben – gibt es zwei Ebenen: die des Managements und die der Technik. Viele von unseren Unterlagen richten sich an die Mitarbeitenden der technischen Ebene. Mit ihnen versuchen wir, die Techniker dabei zu unterstützen, ihre Systeme zu optimieren. Aber wenn ein grösseres Projekt umgesetzt werden soll, braucht es die Zustimmung des Managements und eine Finanzierung. Daher haben wir uns im Bereich Weiterbildung mit dem Kurs "Industrielle Energieoptimierung" zum Ziel gesetzt, die Techniker so auszubilden, dass sie ihre Projekte dem Management besser „verkaufen“ können. Dazu gehören einerseits die Berechnung der Wirtschaftlichkeit und andererseits ihre Darstellung, z. B. in Form des Paybacks oder der Lebenszykluskosten.

Die Lebenszykluskosten werden in die wenigsten Berechnungen einbezogen. Wobei das bei Motoren in der Regel eindeutig ist: Sie laufen 10, 20, ja sogar bis zu 50 Jahre. Bei einem mittelgrossen Motor betragen die Beschaffungskosten über die Lebensdauer nur 2-3 Prozent. Dazu kommen noch 1-2 Prozent Wartung und Unterhalt. Somit sind über 90 Prozent der gesamten Lebenszykluskosten Stromkosten! Eine Kostenrechnung über die Lebensdauer zeigt klar und deutlich, dass Stromkosten relevant sind. Doch aufgrund des hohen Wettbewerbsdrucks beträgt der Planungshorizont bei Firmen nur wenige Jahre. Berechnungen für mehr als 5 oder sogar 10 Jahre macht kaum jemand.


Doch zurück zu unseren Technikern: Ein zweites Thema in unserer Weiterbildung ist die überzeugende Präsentation der Projekte mit wenig technischen Details, so dass die Manager, die ja meist keine Techniker sind, sie auch verstehen. Im Kurs geht es unter anderem auch darum, wie die Informationen möglichst einfach und übersichtlich aufbereitet und präsentiert werden können.

Wie viele Techniker bilden Sie jährlich aus?
Seit dem Start der Weiterbildung haben wir knapp 50 Fachleute ausgebildet. In Zukunft möchten wir etwa 30 pro Jahr in Deutsch und Französisch an drei Standorten - Horw/HSLU, Basel/FHNW und Yverdon/HEIG-VD - schulen. Wir möchten noch deutlich mehr Menschen erreichen, aber es ist nicht leicht, an die Zielgruppe der Betriebsleute heranzukommen. Einerseits ist es schwierig, in den Unternehmen die richtigen Kontaktpersonen zu erreichen, und andererseits ist das Weiterbildungsangebot in der Schweiz extrem vielfältig. Und sich da auch noch mit einem Industriethema zu positionieren, ist eine Herausforderung.

Ist denn die Schlacht bei den tiefen Strompreisen nicht schon verloren?
Natürlich sind höhere Strompreise für Effizienzmassnahmen immer hilfreich. Doch dass die Schlacht schon verloren ist, das stimmt so nicht. Für die energieintensiven Unternehmen sind Energieverbräuche und -kosten immer ein Thema. Bei den kleineren Firmen eher nicht. Die Energiestrategie 2050 setzt stark auf Effizienz in der Industrie beim Strom. Genau hier kann die Politik mit Programmen und Massnahmen stärker ansetzen, die auch dem Stromverbrauch besser Rechnung tragen.


Am 14. und 15. November 2018 findet in Zürich der nächste internationale Motor Summit statt, den Sie organisieren. Wen erwarten Sie dort?

Wir sind immer stolz, einen sehr interessanten Mix an Teilnehmern am Motor Summit begrüssen zu dürfen: am letzten internationalen Motor Summit kamen die Teilnehmer aus 25 Ländern weltweit. Am Motor Summit treffen sich einerseits die Hersteller von Motoren, Frequenzumrichtern, Pumpen, Ventilatoren, etc. aber auch Vertreter der öffentlichen Hand aus der Schweiz und dem Ausland sowie Vertreter von Energieversorgern, Universitäten und aus der Forschung. Eine sehr wichtige Gruppe sind immer die industriellen Anwender. Wir haben am Summit viel Praxiserfahrung über reale Umsetzungsmassnahmen von namenhaften Firmen wie Holcim, Lonza, Nestlé, Sprüngli und Migros gezeigt. Energieberater interessieren sich sehr für reale Erfahrungen aus dem Alltag. Wer sich für effiziente Antriebssysteme interessiert, für den lohnt es sich auf jeden Fall, am Motor Summit teilzunehmen!


 

©Artikel und Interview: Anita Niederhäusern, leitende Redaktorin und Herausgeberin von ee-news.ch

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