Enerkite zeigt sich optimistisch: Im Jahr 2019 soll es einen Prototypen mit 100 Kilowatt Nennleistung geben, 2020 soll das Modell auf den Markt kommen. ©Bild: EnerKite

Die Firma Makani, eine Tochter der Forschungsabteilung von Google, hat eine Art Segelflugzeug mit Propellern ausgestattet. ©Bild: Makani

Die Forscher am Freiburger Institut für Mikrosystemtechnik entwickeln Algorithmen, mit denen die Fluggeräte auf ihrer optimalen Flugbahn gehalten werden können. ©Bild: Uni Freiburg

Airborne Wind Energy Systeme könnten theoretisch in grossen Höhen können stärkere und beständigere Winde genutzt werden, als konventionelle Anlagen. Bild: ETHZ

Fliegende Windkraftanlagen: Der direkte Draht zum Himmel

(©BJ) Windkraftwerke können auch wie Drachen oder Segelflieger aussehen und dann in deutlich grösseren Höhen als heute Energie ernten. Noch ist ungewiss, ob sich diese alternative Technik durchsetzen wird. Doch nachdem in jüngster Zeit Wissenschaftler und Unternehmen grosse Fortschritte erzielt haben, sind die Vertreter dieser im wörtlichen Sinne abgehobenen Windkraft optimistisch, ihre Maschinen zur Marktreife zu bringen.


Dass die Kräfte eines Lenkdrachens erheblich sind, lernen schon Kinder am Strand. Und so liegt die Idee nahe, diese Naturkräfte auch zur Stromerzeugung zu nutzen. Zum Beispiel so: Ein Drachen schraubt sich in die Höhe, wickelt dabei die Schnur von einer Spule ab und treibt so einen Generator an. Ist die Schnur komplett entrollt, wird der Flugwinkel des Drachens derart verändert, dass dieser mit wenig Kraft wieder eingeholt werden kann.

Den Stand der Technik präsentierte die weltweite Szene der Höhenwindkraft im vergangenen Oktober auf der Airborne Wind Energy Conference an der Universität Freiburg im Breisgau (D). Die Konferenz, die seit ihrer Premiere im kalifornischen Chico im Jahr 2009 bereits zum siebten Mal stattfand, gastierte damit zum zweiten Mal in Deutschland.

Von
Freaks bis zu nüchternen Ingenieuren
Die bis vor wenigen Jahren noch von Freaks beherrschte Höhenwindszene hat sich erkennbar verändert – inzwischen nehmen sich auch nüchterne Ingenieure des Themas an, an Universitäten wie in Unternehmen. Konstruktiv gibt es unterschiedliche Ansätze: klassische Drachen, halbstarre Fluggeräte mit bespannten Rahmen oder stabile Konstruktionen, die eher einem kleinen Flugzeug oder auch einer Drohne ähneln.


Airborne Wind Energy: Winddrachen ernten Windenergie

Das von der ETH Zürich 2016 entwickelte Technologie Airborne Wind Energy (AWE) zielt darauf ab, die Windenergie auf unkonventionelle Weise zu nutzen. Das Konzept besteht aus einem auftrieb-generierenden Flugsystem, dass über ein Seil einen Generator am Boden antreibt. Aufgrund der flexibel einstellbaren Seillänge könnte das Flugzeug in grosse Höhen Wind ernten. (Texte en fraçais >>)

Strom wird dabei während zwei Phasen produziert. Während der ersten Phase – der Traktionsphase – wird der Auftrieb des Flügels über ein Seil auf einen Generator übertragen. Die Seilrolle wird kontinuierlich abgerollt und dadurch Strom erzeugt, bis die optimale Höhe erreicht wird. In der zweiten Phase – der Einzugsphase – wird der Flügel wieder eingeholt. Dabei wird durch optimierte Steuerung und Flügelform weniger Energie verbraucht, als in der ersten Phase erzeugt wurde.

Die ETH Zürich konnte für die Entwicklung die ABB als Partner mit ins Boot holen. Ob sich das System durchsetzen wird, ist heute noch nicht abzuschätzen. Insbesondere Fragen der Flugsicherheit könnten noch einen Stolperstein darstellen.

Text: Suisse Eole


Beeindruckende Zahlen
Es sind beeindruckende Kennziffern, die die Ingenieure vortragen. Eine Flugwindkraftanlage könne pro Quadratmeter Flügelfläche so viel Strom erzeugen, wie ein Solarfeld mit 800 Quadratmetern Photovoltaik-Fläche, sagt Moritz Diehl, Professor für Regelungstechnik an der Universität Freiburg. Zugleich könnten verglichen mit den heute üblichen Windkraftanlagen bis zu 95 Prozent des Materials eingespart werden, weil keine Türme nötig und die Flügel deutlich kleiner sind. „Wir reduzieren das Windrad auf die Flügelspitze“, sagt Diehl.

Computer errechnet 100 Mal pro Sekunde
Die Forscher am Freiburger Institut für Mikrosystemtechnik entwickeln Algorithmen, mit denen die Fluggeräte auf ihrer optimalen Flugbahn gehalten werden können. Das ist angesichts der Turbulenzen in der Luft nicht immer einfach. Die Südbadener arbeiten an Verfahren, die sie „prädiktive Regelung“ nennen: Ein Computer errechnet 100 Mal pro Sekunde, wie sich das Fluggerät in der folgenden Sekunde bewegen wird, und steuert sofort gegen, wenn die zu erwartende Bahn nicht jenem Optimum entspricht, welches maximale Energieausbeute garantiert.

Den Markt im Blick
Während sich die Gastgeber der Konferenz mit ihrer ausgefeilten Steuerungstechnik noch im Bereich der Grundlagenforschung bewegen, haben einige Hersteller bereits den Markt im Blick. Ein vergleichsweise weit gediehenes Projekt stellte die Firma Enerkite in Freiburg vor: einen Flugdrachen, der sich in die Höhe schraubt, dabei über eine Seilwinde einen Generator am Boden antreibt, ehe er wieder absinkt und der Zyklus von vorne beginnen kann. Andere, wie etwa die Schweizer Firma Twingtec nutzen einen Flieger, der wie eine Drohne aufsteigen kann um in ähnlicher Weise seine Kreise zu ziehen.

Technik im Normcontainer am Boden
Die Technik am Boden wird jeweils in einem Normcontainer untergebracht. Enerkite, gegründet 2010, mit Sitz in Berlin und einem Testfeld in Brandenburg, zeigt sich optimistisch: Im Jahr 2019 soll es einen Prototypen mit 100 Kilowatt Nennleistung geben, 2020 soll das Modell auf den Markt kommen. Auch Preise werden bereits genannt: Eine knappe halbe Million Euro soll eine solche Anlage kosten.

Auch Google mischt mit
Eine gänzlich andere Technik stammt aus dem Hause Google: Die Firma Makani, eine Tochter der Forschungsabteilung des Konzerns, hat eine Art Segelflugzeug mit Propellern ausgestattet. Indem dieses Fluggerät mit 25 Metern Spannweite Kreisbewegungen vollführt, entstehen an den Rotoren Strömungsgeschwindigkeiten die erheblich höher sind als die Windgeschwindigkeiten. Während des Aufstiegs fungieren die Rotoren als Propeller, der gesamte Betrieb soll vollautomatisch erfolgen.

Die Generatoren mit 600 Kilowatt Leistung befinden sich an Bord des Fliegers; der Strom wird über eine in das Halteseil integrierte Hochspannungsleitung zur Erde geführt. Das führt zu einer gänzlich anderen Dynamik als bei den Flugdrachen: Der Flieger muss nicht zyklisch wieder eingeholt werden, um neuen Zug auf den Generator zu bringen, sondern kann bei konstanter Seillänge in möglichst hohem Tempo seine Bahnen ziehen.

200 bis 500 Meter Einsatzhöhe
Die Einsatzhöhen der Energieflieger liegen zwischen 200 und 500 Metern. Ginge man noch höher, würde das Seil zu lang und damit sein Luftwiderstand zu gross. Experten kalkulieren, dass die Flugdrachen im Jahresmittel rund 70 Prozent ihrer Nennleistung erzielen können. Heutige Windkraftanlagen auf See kommen auf 40 bis 50, an Land auf 20 bis 30 Prozent. Um die hohen Werte zu erreichen sind die Drachen auch für den Einsatz rund um die Uhr vorgesehen. Nur wenn der Wind zu schwach ist - was in den Höhen selten der Fall sein dürfte - würde das Fluggerät zur Bodenstation gezogen.

Konflikte mit der Flugsicherung absehbar
Weil die Flieger kaum sichtbar sind, hoffen ihre Entwickler auf hohe Akzeptanz in der Bevölkerung, zumal sie auch nur dann in den Lüften sind, wenn ausreichend Wind weht. Konflikte mit der Flugsicherung sind unterdessen absehbar, weshalb die Anlagen für Standorte in der Nähe von Flughäfen nicht in Frage kommen. Zumindest für den Anfang setzen die Entwickler aus Sicherheitsgründen auch nur auf Standorte abseits bewohnter Gebiete.

Die Entwickler in Industrie und Universitäten sind zuversichtlich, die Kosten der Fluggeräte so weit senken zu können, dass der Preis pro Kilowattstunde das Niveau der heutigen Anlagen an Land erreicht. „Diese Perspektive ist Voraussetzung für unsere Forschung“, sagt Moritz Diehl.

Einsätze ausserhalb des Netzes
Für den Anfang setzen die Forscher jedoch auf Einsätze ausserhalb des Netzes. Denn überall dort, wo Dieselgeneratoren die einzige Stromquelle sind, ist der Strompreis hoch; die Kilowattstunde aus den Aggregaten kostet rund 50 Cent und ist damit deutlich teurer als Netzstrom. Das zu unterbieten sollten die Lenkdrachen-Kraftwerke allemal schaffen; Kilowattstundenpreise um fünf Cent gelten für die Zukunft als realistisch. Auch die Notversorgung in Katastrophengebieten könnten sie leisten, weil die Anlagen einfach dort abgeladen werden können, wo sie benötigt werden.

Dauerbetrieb grösste Herausforderung
Die grösste Herausforderung, die es bis dahin noch zu meistern gilt, ist der Dauerbetrieb. „Die Fluggeräte müssen automatisiert starten und landen können, und sie müssen zuverlässig ohne Wartung über Monate funktionieren“, sagt Roland Schmehl, Professor für Windenergie an der Fakultät für Raumfahrttechnik im niederländischen Delft. Man braucht also hochleistungsfähige Steuersysteme, die die Flieger bei Flaute oder aufziehendem Gewitter ohne menschlichen Eingriff automatisch einholen und später genauso eigenständig wieder starten können. Über drei bis vier Tage habe man einen autonomen Betrieb bereits sicherstellen können.

Materialauswahl für Lebensdauer entscheidend
Ausserdem müssen die richtigen Materialien gefunden werden, damit die Lebensdauer der Anlagen stimmt. Hier komme es stark auf den Bautyp an, sagt Schmehl. Die Flügel der Drachen müssten heute ein bis zwei Mal im Jahr ausgetauscht werden, aber die seien auch nicht teuer. Hingegen hätten die Anlagen, die einem Flugzeug ähnlich sind, auch eine Lebensdauer wie Flugzeuge. Zu wechseln sei bei beiden Technologievarianten allerdings auch das Seil, nämlich ein- bis zweimal pro Jahr.

In diesen technischen und materialspezifischen Fragen komme die Forschung jedoch gut voran, sagt Ingenieur Schmehl, und ist überzeugt: „Man wird in den nächsten Jahren noch viel von dieser Technik hören.“

©Text: Bernward Janzing

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2 Kommentare

Roderick Read

There are many more than 2 kite power methods

Max Blatter

In der Regel interessieren mich "unkonventionelle" Lösungen zur Nutzung erneuerbarer Energien nur dann, wenn sie Energieressourcen erschliessen, die mit etablierten Methoden nicht nutzbar wären. Das ist allerdings hier der Fall, haben doch herkömmliche Windturbinen Nabenhöhen von maximal etwa 150 m. Die im Artikel genannten Einsatzhöhen der Kite-Systeme von 200 bis 500 m ist für sie also unerreichbar. Das macht die Kite-Technologie interessant; sie gehört mit Sicherheit zu den Entwicklungen, die ich gespannt weiterverfolgen werde!

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