Bundespäsidentin Doris Leuthard im Gespräch mit Geothermie-Schweiz. ©Bild: Marco Zanoni / Lunax

Bundespräsidentin Doris Leuthard mit Willy Gehrer, Präsident Geothermie-Schweiz (rechts), und Jürg Abbühl, Generalsekretär Geothermie-Schweiz. ©Bild: Marco Zanoni / Lunax

Bundespräsidentin Doris Leuthard: «Stadtwerke sollten Erdwärme prüfen»

(©Geothermie-Schweiz) Für Bundespräsidentin Doris Leuthard ist Geothermie eine «wunderbare Energiequelle». Der Bund hat seine Hausaufgaben gemacht und die Rahmenbedingungen wesentlich verbessert. Die Energieministerin appelliert an die Stadtwerke, die Chance zu nutzen. Bei einem Ja zur Energiestrategie 2050 erhofft sich Leuthard einen Boom. Und der Branche empfiehlt sie: Dranbleiben, dranbleiben, dranbleiben.


Frau Bundespräsidentin, finden Sie Geothermie toll?

Doris Leuthard: Ja, sie bietet viel – von der untiefen bis zur tiefen Geothermie.

Was denn?
Geothermie liefert Basisenergie für das ganze Jahr. Sie ist nicht wetterabhängig. Zudem lässt sie sich äusserst vielseitig einsetzen. Erdwärme kann Strom produzieren, Wärme bereitstellen und sogar kühlen und ist so eine wunderbare Energiequelle.

Welche Rolle spielt sie in der Energiestrategie 2050?
Die untiefe Geothermie kennen wir schon lange. Bereits vor der Erarbeitung der Energiestrategie 2050 stellten wir fest, dass es eine gute Sache wäre, auch die Wärme im tieferen Untergrund zu nutzen. Wenn wir ergänzend zur Wasserkraft, der Solar- und Windenergie und der Biomasse diese Reserve erschliessen können, wäre manches Problem gelöst.

Lässt sie sich erschliessen?
Jede Technologie hat ihre Vor- und Nachteile. Ob der Markt, die Bevölkerung und die Natur mitmachen, weiss man zu Beginn jeweils nicht. Bei der Geothermie liegen Chancen und Risiken – ich denke an Erdbeben – nahe beieinander. Aber es wäre falsch, nicht alles zu unternehmen, um das enorme Wärmepotenzial zu nutzen. Wenn es gelingt, wäre es für die Versorgung der Schweiz sehr nützlich.

Und was sagen Sie jenen, die sich vor Erdbeben fürchten?
Ich kann die Ängste nachvollziehen. Wenn wir aber nichts wagen, gewinnen wir nichts. Wir leben in der Schweiz in einem sicheren Land mit hohem Wohlstandsniveau und vieles funktioniert gut. Was mit Veränderung und Risiken verbunden ist, haben wir nicht so gern. Die tiefe Geothermie ist nicht risikolos. Wichtig ist, Risiken möglichst zu vermindern. Diese Verpflichtung gilt überall, auch bei Staumauern, Chlortransporten mit der Bahn oder im Strassenverkehr. Oberstes Gebot sind umfassende Informationen und absolute Transparenz. St. Gallen hat das gut gemacht und gezeigt, dass dann bei der Bevölkerung eine gewisse Risikoakzeptanz vorhanden ist. Dabei ist die Glaubwürdigkeit der Projektverantwortlichen ein entscheidender Erfolgsfaktor.

Im Kanton Jura sammeln Bürgerinnen und Bürger Unterschriften für eine Volksinitiative gegen die Geothermie.
Dass die Akzeptanz für Geothermie wie auch für Windkraft noch nicht überall gegeben ist, hängt mit unserer guten Situation zusammen. Beim Strom wie bei der Wärme haben wir heute kein oder noch kein Versorgungsproblem. Vielfach reagieren die Leute erst, wenn eine Knappheit absehbar ist.

Ist sie absehbar?
Heute nicht. Das kann sich aber ändern. Mit der Energiestrategie 2050 wollen wir den Anteil der erneuerbaren Energien in der Schweiz stärken und die Abhängigkeit vom Ausland senken. Deshalb lohnt es sich, das Potenzial der Geothermie zu ergründen. Die derzeitigen Überkapazitäten von Strom in Europa werden nicht anhalten. Um die Leute zu überzeugen, benötigen wir ein grösseres, erfolgreiches Projekt. Ich hoffe sehr, dass ein solches bald zustande kommt.

An was denken Sie?
Zum Beispiel an das Projekt von Geo-Energie Suisse im jurassischen Haute-Sorne oder an den Kanton Genf. Insgesamt haben wir etwa 20 Projekte in unterschiedlichem Entwicklungsstadium. Ich sage darum: Dranbleiben, dranbleiben, dranbleiben!

Wie viele Projekte sollte es geben, um das vom Bundesrat gesetzte Ziel von 4.4 Terawattstunden Strom bis 2050 zu erreichen?
Der Bund macht keine Industriepolitik. Wir haben ein realistisches Potenzial abgeschätzt und die nötigen Rahmenbedingungen geschaffen. Der Bund unterstützt zudem Forschung und Entwicklung. Es ist dann aber Sache der Wirtschaft, die Projekte anzugehen.

Alpiq, Axpo und BKW sind aus der Geothermie ausgestiegen. Wo sind mögliche Investoren?
Der Ausstieg der grossen Energieunternehmen ist kein Nein zur Geothermie. Derzeit haben diese Firmen aus wirtschaftlichen Gründen einfach andere Prioritäten. Ich würde die Stadtwerke zu Projekten ermuntern. Sie sind bei Strom, Wärme und Kälte bereits involviert und zudem lokal bestens verwurzelt. Bestimmt gibt es auch Investmentfirmen, die für Geothermie Kapital bereitstellen könnten.

Ist das ein Appell an die Stadtwerke?
Sie wären bestimmt gute Partner. Wir haben über 140 Städte. Deren Stadtwerke sind agil und sollten diese Energiequelle prüfen.

Ihre Wohngemeinde Merenschwand im Kanton Aargau ist zwar keine Stadt. Sollte Elektra Merenschwand nicht dennoch auf den Appell ihrer Bundesrätin hören?
Unser Gemeindewerk macht schon viel für die Energiewende. Wir haben eine Holzschnitzelanlage und auf der neuen Dreifach-Turnhalle eine Solaranlage gebaut. Bei uns steht leider das Grundwasser der Geothermie im Weg. Wenn Elektra Merenschwand eine Möglichkeit für Geothermie sähe, würde sie es wohl machen!

Auch wenn die Gemeindeversammlung dafür mindestens 10 Millionen Franken Risikokapital sprechen müsste?
Meine Erfahrung zeigt: Wenn es einen lokalen Mehrwert gibt, ist die Bevölkerung für solche Investitionen zu haben.

Nutzen Sie Geothermie bei Ihnen zu Hause?
Wir haben eine Luft-Wasser-Wärmepumpe. Wegen Grundwasser und eines sandigen Untergrunds konnten wir keine Erdwärmesonden bauen. Wir mussten unser Haus sogar pfählen. Das Haus steht zwar auf einer Sandbank, doch einen Sandstrand vor dem Haus haben wir nicht (lacht).

Und wo setzt die Bundesverwaltung Geothermie ein?
Die Bundesverwaltung macht viel. Das grosse Verwaltungszentrum in Bern-Liebefeld etwa heizt mit Grundwasser-Wärmepumpen, die UVEK-Gebäude in Ittigen mit Wärme aus Quellwasser oder die Cinémathèque Suisse in Penthaz mit Erdwärmesonden. Um ein weiteres Beispiel zu nennen: Das im Bau stehende neue Verwaltungszentrum in Bern-Wankdorf setzt auf eine ausgeklügelte Kombination von Abwärme, Erdwärme, Energiepfählen und Free-Cooling mit Regenwasser. Kühlung mit Geothermie wird immer mehr ein Thema. Auch Roche Diagnostics in Rotkreuz kühlt so.

Am 21. Mai stimmt die Schweiz über die Energiestrategie 2050 ab. Was würde ein Nein für die Geothermie bedeuten?
Das wäre wohl das Aus für die tiefe Geothermie in der Schweiz. Ohne Erkundungsbeiträge, ohne erweiterte Risikogarantie und ohne ausgebaute Einspeisevergütung dürfte die Wirtschaft kaum investieren. Übergeordnet gesprochen würde ein Nein mehr Strom- und Energieimporte aus dem Ausland, eine schlechtere Versorgung und ein Ende des Gebäudeprogramms bedeuten. Aber das ist die falsche Frage.

Was ist denn richtig?
Was passiert, wenn die Energiestrategie 2050 angenommen wird? Bei einem Ja zur Vorlage werden die erneuerbaren Energien einen grossen Schritt nach vorne machen. Dies schafft Investitionen und Arbeitsplätze in der Schweiz. In der Geothermie erhoffe ich mir sogar einen Boom.

In der untiefen Geothermie gehört die Schweiz zur Weltspitze. Im Ausland besteht bisweilen grosses Interesse an unserem Know-how. Sehen Sie eine Chance für den Wissensexport?
Absolut! Unser Land hat sehr viel Wissen über die erneuerbaren Energien. Ich kann Sie nur dazu ermuntern, diesen Weg einzuschlagen. Der Bund bietet über Switzerland Global Enterprise auch das entsprechende Exportförderinstrument. Handeln Sie!

©Interview: Willy Gehrer, Jürg Abbühl, Geothermie-Schweiz

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