Bei Förderkosten von mindestens 50 bis 90 Dollar pro Fass für unkonventionelles Erdöl ist beim aktuellen Ölpreis in Nordamerika nicht mehr rentabel zu wirtschaften.

Walter Stocker, Präsident ASPO Schweiz. Bild: Toni Rütti

ASPO: Was war eigentlich 2015 auf dem globalen Erdölmarkt los?

(©ASPO) Haben Sie sich auch gefragt, was eigentlich 2015 auf dem globalen Erdölmarkt los war? Am besten stellen Sie sich ein nettes kleines Dorf auf dem Land vor. Dessen Bewohner werden seit Jahren von einer Bäckerei mit Brot versorgt, die über eine grosse Backstube verfügt, allerdings gelegentlich mit Lieferschwierigkeiten kämpft. Unerwartet eröffnet ein allseits als zuverlässig anerkannter, erfahrener Geschäftsmann ebenfalls eine Bäckerei.


Das alteingesessene Geschäft ist wenig erfreut und senkt seine Preise, um die unliebsame Konkurrenz wieder vom Markt zu drängen. Die neue Bäckerei, die ein komplexes und teures Backverfahren anwendet (und ausserdem besonders umweltschädliche Öfen benutzt), hat zwar schlechte Karten, spielt das Spiel der Spotpreise aber zähneknirschend mit. Die Dorfbewohner freut’s: Ihr tägliches Brot ist auf einmal so günstig, dass überreichlich Geld für Pralinen in der Tasche bleibt.

Sie haben die kleine Parabel sicher längst entschlüsselt. Die alte „Bäckerei“ ist die OPEC, angeführt von Saudi-Arabien. Die neue Konkurrenz ist Nordamerika und zwar vor allem die Schieferölindustrie in den USA. So ist der Erdölpreis in den letzten 12 Monaten nach mehreren Jahren mit beinahe konstanten Ölpreisen von 80 bis 100 Dollar pro Fass empfindlich eingebrochen und liegt derzeit nur noch bei etwa 40 Dollar. Natürlich sind Sie auch schlauer als die meisten Bewohner unseres glücklichen Dorfes. Sie wissen: Die tiefen Preise sind nicht stabil, denn beide „Bäcker“ können sich diesen Preiswettbewerb, in dem ihre tatsächlichen Gestehungskosten nicht gedeckt werden, nur eine beschränkte Zeit lang leisten.

Bei Förderkosten von mindestens 50 bis 90 Dollar pro Fass für unkonventionelles Erdöl ist beim aktuellen Ölpreis in Nordamerika nicht mehr rentabel zu wirtschaften. Dies hatte schon einschneidende Konsequenzen bei der Schieferölförderung in den USA. Allein im Bundesstaat Texas sind 2015 über 50‘000 Arbeitsplätze im Erdölsektor verloren gegangen. Über die Hälfte der mehr als 2500 amerikanischen Bohrtürme ist bereits stillgelegt worden, was dazu führte, dass die Fördermenge in der zweiten Jahreshälfte um 500‘000 Fass pro Tag zurückging. Gemäss einer Einschätzung der IEA (Internationale Energie Agentur) wird die Erdölförderung der USA im nächsten Jahr nochmals um bis zu 500‘000 Fass pro Tag zurückgehen. Das ist eine konservative Schätzung. Es könnte gut auch eine Million Fass werden. Oder mehr.

Die tiefen Preise führen aber auch zu einem drastischen Rückgang der Investitionen in die Ölförderung. So zog sich Shell vom Arktis-Projekt vor der Küste Alaskas zurück, obwohl die US-Regierung nur einige Wochen zuvor die Genehmigung erteilt hatte und schon 7 Milliarden Dollar in die wohl teuerste Versuchsbohrung aller Zeiten investiert worden waren. Die norwegische Statoil wiederum gibt ihr Engagement in Alaska auf. Wenn teure Erdölprojekte wie Tiefseebohrungen nicht vorgenommen werden, führt dies mittelfristig zu einer geringeren Erdölförderung, was wiederum zu steigenden Preisen führt. Gemäss IEA sollten zur Nachfragedeckung in Zukunft Investitionen von bis zu 900 Milliarden Dollar pro Jahr in die Erdölförderung gesteckt werden, was jedoch bei der derzeitigen Marktlage kaum der Fall sein wird. Anders sieht die Lage im Nahen Osten aus. Dort machen Saudi-Arabien und andere Golfstaaten bei Gestehungskosten von konventionellem Erdöl von etwa 30 Dollar pro Fass zwar weniger Profite, können aber immer noch kostendeckend operieren. Die Kosten der grosszügigen Sozialprogramme, mit denen die repressiven Golfmonarchien einen offenen Aufstand (gerade so) vermeiden, lassen sich dabei aber nicht mehr decken. Und die Finanzreserven schwinden...

Die konventionellen Erdölreserven im Nahen Osten werden für die globale Versorgung über lange Sicht allerdings immer wichtiger. Nach Einschätzung der IEA erreicht die gesamte Erdölförderung ausserhalb des Nahen Ostens – also einschliesslich Schieferöl in den USA, Ölsande in Kanada und der Tiefseeförderung in Brasilien – bereits 2020 ein Plateau und beginnt ab 2024 zu sinken. Dies steigert die geostrategische Bedeutung der ohnehin sehr instabilen Golfregion und macht die Rivalität zwischen Saudi-Arabien und dem Iran zu einer realen Gefahr für die weltweite Erdölversorgung.

Klimawandel: Risiken und Nebenwirkungen
Eine der besonders problematischen Konsequenzen unserer Abhängigkeit von fossiler Energie, die 2015 viel Aufmerksamkeit genossen hat, ist die globale Klimaerwärmung. Die eben zu Ende gegangene Klimakonferenz in Paris markiert einen grossen Fortschritt im Vergleich zu vergangenen Konferenzen: Die versammelten politischen Leader erklärten die Gefahren und Risiken eines fast ausschliesslich durch Verbrennung fossiler Energieträger und die Zerstörung der (Regen-)Wälder verursachten Klimawandels praktisch einstimmig zur Realität. Das Schlussdokument der Klimakonferenz garantiert aber noch keine Energiewende. Es sind keinerlei Sanktionen vorgesehen, mit denen die Emissionsziele der einzelnen Länder durchgesetzt werden könnten und die gut organisierten Interessen der grossen Energiekonzerne und staatlichen Erdölförderer dürften sich gegen konkrete Politikmassnahmen auf nationalstaatlicher Ebene vielerorts mit Volldampf zur Wehr setzen. Sollten die in Paris beschlossenen Klimaziele verwirklicht werden, würde das nämlich dazu führen, dass ein Grossteil der fossilen Vorkommen (ca. zwei Drittel) nicht mehr gefördert werden dürfen. Die Energiefirmen müssten dann diese „stranded assets“ abschreiben. Angesichts dieser „carbon bubble“ („Kohlenstoff-Blase“) haben sich mittlerweile über 400 Institutionen und Privatpersonen der Deinvestitionsbewegung angeschlossen, darunter seit diesem Jahr auch grosse Pensionskassen, Versicherungsgesellschaften und selbst der Rockefeller Brothers Fund, der ein gigantisches Ölvermögen verwaltet. Sie alle ziehen ihre Investitionen in fossile Energien ab. Öffentliche Pensionskassen in der Schweiz (Kanton Zürich und Bund) haben dagegen noch Gelder in fossile Energiefirmen investiert – hier sollte gelegentlich ein Umdenken stattfinden!

Der tiefe Ölpreis ist natürlich der Kontrolle des Klimawandels auch nicht sehr zuträglich, da kaum Anreize zum Sparen oder gar zum Ausstieg aus den fossilen Energieträgern gegeben sind. Dies zeigte sich etwa in China, dem weltweit zweitgrössten Ölkonsumenten, wo die Nachfrage nach Erdölprodukten dieses Jahr aufgrund der tiefen Preise angezogen hat. Private Fahrzeuge werden jetzt mehr gefahren, nachdem sie über Jahre als Trophäen mittelständischer Ambitionen geparkt haben. Andrerseits hat der niedrige Ölpreis dazu geführt, dass die Entwicklung besonders fragwürdige Ölförderprojekte wie die Ölsandgewinnung, Tiefseeförderung oder die Erdölförderung in der Arktis, vorläufig zumindest, zurückgestuft oder gestoppt wurden.

Achtung vor dem Trojanischen Pferd
Die bereits sichtbare, drastische Kürzung von Investitionen und die Aufgabe von Explorationsprojekten durch die Erdölfirmen könnten gemäss der UBS dazu führen, dass sich die Welt schon in wenigen Jahren mit einer Ölknappheit konfrontiert sieht. Jedenfalls werden die Ölpreise angesichts der Angebotssituation – Sie erinnern sich, beide Bäckereien in unserem glücklichen Dorf schreiben Verluste – mittelfristig wieder deutlich ansteigen, selbst wenn sich die Welt nicht zu griffigen Massnahmen zur Verhinderung der Klimakatastrophe aufraffen sollte. Die gegenwärtig tiefen Öl- und Benzinpreise dürfen den eingeschlagenen Weg der Energiewende deshalb nicht bremsen, sondern müssen als Chance wahrgenommen werden, diese grosse Transformation in einer wirtschaftlich verhältnismässig ruhigen Zeit aufzugleisen. Unsere “Bäcker” haben uns ein kurzes “window of opportunity” geöffnet. Nutzen wir es! Sonst wird sich der Ölpreiszerfall von 2014/2015 als Trojanisches Pferd entpuppen.

Die neue Situation auf den Energiemärkten, und insbesondere auf dem Erdölmarkt wird in den Schweizer Medien, der Öffentlichkeit, aber auch von politischen Entscheidungsträgern noch nicht vollumfänglich verstanden. Oft dominieren falsche Vorstellungen, Mythen und die PR der grossen Energiekonzerne die Debatte. Die Arbeit der ASPO Schweiz bleibt deshalb wichtig. Mit Ihrer Unterstützung informieren wir auch 2016 unabhängig und sachlich über Peak Oil und einhergehende Konsequenzen.

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©Text: Walter Stocker, Präsident ASPO Schweiz

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