Winfried Hoffmann: „Die 15% an der europäischen Stromversorgung, die Desertec bis 2050 gemäss eigenen Angaben leisten will, sind lächerlich“

Carsten Körnig geht davon aus, dass die Preise der Module bis 2020 noch einmal um 50% sinken.

Thomas Nordmann, Geschäftsleiter der TNC Consulting: „Wir müssen den Investoren und Hausbesitzern erklären können, dass der Kauf einer Solarstromanlage etwa das Gleiche ist, wie wenn wir 25 Jahre nicht mehr an die Tankstelle müssten.“

Roger Nordmann: „Um das 20-Prozent-Ziel zu erreichen, brauchen wir lediglich 12 Quadratmeter Fläche pro Kopf, was auf Gebäuden einfach zu erreichen ist.“

20 Prozent Solarstrom bis 2025, das kann gelingen

(AN) Die Schweizer Photovoltaikbranche, geprägt von den jährlich deutlich sinkenden Anlagepreisen und dem Super-GAU in Raten in Japan, tritt selbstbewusster auf. Bis 2025 will Swissolar 20 Prozent des Stromverbrauchs liefern. Und verschafft sich mit ihren Zielen auch Gehör, wie die zweitägige Tagung vom 13. und 14. April in Freiburg zeigte. An die 650 Personen fanden sich ein.


Ein Rückblick auf den zweiten Konferenztag (zum Bericht über den ersten Tag >>). Winfried Hoffmann, Vizepräsident der Europäischen Photovoltaik Vereinigung (EPIA), brachte es am zweiten Konferenztag auf den Punkt: „Die 15% an der europäischen Stromversorgung, die Desertec bis 2050 gemäss eigenen Angaben leisten will, sind lächerlich, angesichts des Potenzials in allen Ländern Europas, einschliesslich der Schweiz.“ So decken die Solarstromanlagen in Bayern bereits heute 6 Prozent des Strombedarfs ab. „Wir haben im vergangenen Jahr allein 6 Gigawatt Solarstromleistung gebaut, soviel wie wir selber nie gedacht hätten! Und wir bauen weiter. Sollte die Schweizer ihr Ziel nicht erreichen, dann produzieren wir gerne den Solarstrom für sie, natürlich nur gegen die Speicherkapazität in euren Stauseen!“, schlägt er lachend vor. Anhand einer Strategie mit 10 Punkten erläuterte er das Potenzial und die Hausaufgaben einer erneuerbaren Stromversorgung (siehe am Schluss des Textes).

Module nochmals 50% günstiger
Carsten Körnig, Geschäftsführer des deutschen Bundesverbands Solarwirtschaft (BSW) glaubt, dass die Schweizer ihr Ziel erreichen könnten. Selbst in der Schweiz betrug die Preisreduktion der Anlagen zwischen 2009 und 2010 über 24% (siehe ee-news vom 4. April >>). Carsten Körnig geht davon aus, dass die Preise der Module bis 2020 noch einmal um 50% sinken. Er rechnet vor, dass Deutschland bereits im 2013 Grid Parity für Haushalte erreichen wird. Und die Branche spätestens 2020 auf keine neuen Fördergelder mehr angewiesen ist. Um die Spitze der solaren Stromschwemme, die es bei schönem Wetter bereits heute zu managen gibt, schlägt er vor, in Zukunft auch auf Ost- und Westdachflächen zu bauen: „Damit könnten wir die Produktion von Solarstrom besser über den Tag verteilen.“

Symbiose Energieeffizienz und Erneuerbare
Thomas Nordmann, Geschäftsleiter der TNC Consulting, weist auf eines der Hauptprobleme der Branche hin: Die hohen Investitionen. „Wir müssen den Investoren und Hausbesitzern erklären können, dass der Kauf einer Solarstromanlage etwa das Gleiche ist, wie wenn wir 25 Jahre nicht mehr an die Tankstelle müssten. Oder wenn wir ein GA für die nächsten 25 Jahre im Voraus bezahlen würden.“ Der Solarfachmann ist überzeugt, dass die zukünftige Stromversorgung aus einer Symbiose zwischen der Energieeffizienz und den erneuerbaren Energien bestehen wird.

2040 40% Solarstrom
Roger Nordmann, Nationalrat und Präsident von Swissolar, rechnet vor: „Um das 20-Prozent-Ziel zu erreichen, brauchen wir lediglich 12 Quadratmeter Fläche pro Kopf, was auf Gebäuden einfach zu erreichen ist.“ Und bereits schaut er weiter in die Zukunft: „Die freien Flächen auf Gebäuden wird ausreichen, um auch unser nächstes Ziel zu schaffen, nämlich 40% des Strombedarfs bis 2040.“ Das Überdenken der AKW-Strategie der FDP nennt er die „liberale Kernschmelze“. „Die Investition in eine solare Stromversorgung kostet uns maximal zwei bis drei Rappen pro Kilowatt. Oder 10 Franken pro Haushalt und Monat.“ Angesichts der heute noch nicht abschätzbaren Kosten in Milliardenhöhe über Jahre von Fukushima ist dies ein Pappenstiel. „Es gibt keine Sowohl-als-auch-Strategie“, ist Nordmann überzeugt, „nur der erneuerbare Weg ist gangbar.“ Und freut sich in einem Nebensatz darüber, dass sich nun sogar Mitglieder der SVP bei ihm erkundigt hätte, wie eine so rasante Kostensenkung von Solarstrom möglich sei.

Wie die Weichen zum Solarzeitalter jetzt gestellt werden
Entweder – oder, die 10 Punkte über den strategischen Entscheid hin zu einer erneuerbaren Energieversorgung von Winfried Hoffmann, Vizepräsident der Europäischen Photovoltaik Vereinigung (EPIA).

1. Information an Gesellschaft und Politiker: 100% erneuerbar ist machbar

Entweder die Politik des „Weiter so wie bisher“ mit dem Hinweis „Windenergie nur, wo der Wind weht“ (Seatec-offshore) und „Solarenergie nur, wo die Sonne scheint“ (Desertec–15% Strom in EU in 2050)

oder die langfristig – je schneller, desto kostengünstigere –globale Ausrichtung auf 100% erneuerbare Energien (Stern Report, NPV Analyse) und konsequente Ausnutzung der Energieeffizienz.

2. Unterstützung der Politik

Entweder die auf kurzfristig orientierte Gewinnmaximierung ausgerichtete Unterstützung der klassischen Energiewirtschaft und Industrie

…oder eine mit Augenmass betriebene Marktförderung ökonomisch und ökologisch aussichtsreicher neuer Technologien (z.B. PV)

Auswahl der Marktförderung nach „bestpractice“-Gesichtspunkten: Mit dem hier in der Schweiz miterfundenen EEG lassen sich maximale Dynamik des Marktwachstums und höchste Wettbewerbsintensität –und damit niedrigste Preise – realisieren

Auf kommunaler Ebene die Voraussetzungen für eine optimale Ausnutzung der Solarenergienutzung bei Gebäuden schaffen (Raumordnungsverfahren mit Fokus auf Ost-West Firstausrichtung)

3. Banken

Entweder eine singulär optimierte Bankenwelt

…oder eine auf die Globalisierung industriepolitisch ausgerichtete Finanzwelt auf EU und Länderebene

Kreditbereitstellung für EE Projekte (z.B. KfW Kredite für PV Anlagen in D)

Kredite im Milliardenmassstab für Komponentenproduktion entlang der Wertschöpfungskette (siehe China) unter Einbindung z.B. der EIB

4. Industrie

Entweder kleinlich ausgerichtete Industrieunternehmen sporadisch über die Wertschöpfungskette verteilt

…oder mutige unternehmerische Entscheidungen in allen Bereichen der Wertschöpfung: Materialien in der Chemie, Produktionsanlagen im Anlagenbau, Komponentenproduktion für Solarzellen und Module, Wechselrichter und sonstige BOS-Komponenten

Preisreduktion entlang der Preiserfahrungskurve (PEC) im fairen globalen Wettbewerb durch entsprechende kumulierte Produktionsvolumina.

Forschung und Entwicklung Entweder die Forschungsgelder in grossem Stil für die nicht bewiesene Kernfusion ausgeben (… auch CCS ist zu überdenken …)

…oder gezielt die aus der Vergangenheit bereits bekannte und mit hoher Sicherheit auch mindestens in den nächsten 10 Jahren weiterführende Preiserfahrungskurve mit gezielter Forschung und Entwicklung begleiten.

5. Zusammenarbeit zwischen Instituten und Industrieforschung fördern

Neue Ideen an den Uni-Labors entwickeln

6. KMU und OEM

Entweder die Produktentwicklung dem Zufall überlassen

…oder gemeinsam mit KMU die Optimierung der Installation von PV -Systemen vorantreiben

Gemeinsam mit OEM (original equipment manufacturers) die Integration von PV Komponenten vorantreiben (z.B. Dach- und Fassadenintegration, wo PV als Standardbauelement den Architekten und Planern zur Verfügung stehen muss).

7. Stromnetzt e

Entweder mit dem vorsintflutlichen Niederspannungsnetz und unzureichenden Mittel- und Hochspannungsnetz weitermachen und den Stromfluss von den zentralen Kraftwerken zum Endverbraucher als Einbahnstraße belassen

oder zielgerichtet auf der Niederspannungsebene die „smart grids“ aufbauen.

Mit „smart meters“ und intelligenten PV-Wechselrichtern u.a. das Lastverhalten der Verbraucher steuern (DSM – demand site management)

Den multidirektionalen Stromfluss vieler dezentraler EE-Stromerzeuger und zentraler Kraftwerke untereinander und zum Verbraucher sicherstellen (inklusive Ausbau der „Stromautobahnen = super grids“).

Den Einspeisevorrang von Strom aus EE vor konventionellen fossilen (und nuklearen) Kraftwerken sicherstellen.

8. Stromspeicher

Entweder auf den Zufall warten, bis irgendwann irgendwer einen passenden Stromspeicher erfunden hat

…oder eine gezielte Entwicklung, Pilotierung und Produktion kostenoptimierter Batteriespeicher anstossen, mit entsprechendem Marktunterstützungsprogramm (z.B. erhöhter Einspeisetarif für eigengenutzte PV kWh wie in D)

Mit den stationären millionenfach in den Häusern mit PV-Anlage installierten Batteriesystemen lässt sich mittags erzeugter PV-Strom in den Abend zur Lastabdeckung verschieben und verringert so die neue ausgeprägte Lastspitze am Abend

9. EVU und neue Energiedienstleister

Entweder mit den althergebrachten EVU Strukturen weitermachen

…oder im Wettbewerb mit neuen Energiedienstleistern eine an der Zukunft ausgerichtete Energieinfrastruktur aufbauen.

Den dezentral erzeugten Strom in PV Anlagen im Niederspannungsnetz untereinander handeln können

Eine transparente und für alle zugängliche Übersicht der Stromproduktion und der Verbraucher zur Verfügung zu haben.

Optimale Einbindung der vorhandenen (und neu zu bauenden) Pumpspeicherkraftwerke europaweit zur optimalen Pufferung grosser Therawattstunden Mengen an erneuerbarem Strom

10. Millenium Ziel

Entweder die Energie-und Wasserversorgung in den Schwellen-und Entwicklungsländern dem Zufall überlassen (… und damit eine bisher nie gekannte Völkerwanderung zuzulassen)

…oder gezielt mit internationaler Finanzierung (Mikrokredite) die Armut bekämpfen durch dezentrale Energieversorgung insbesondere in den ländlichen Regionen (PV bestens geeignet).

Ähnlich zur Kommunikation, wo in diesen Ländern mit dem Aufbau der mobilen Telefonie die zuerst bei uns aufgebauten zentralen Kommunikationsnetze übersprungen wurden, können auch hier „smart grids“ einen entscheidenden Beitrag zunächst zur lokalen Energiebereitstellung bieten, die dann später mit einem Verteilernetz zunehmend miteinander verbunden werden können.

Siehe auch Tagungsbericht vom 13.4.11 auf ee-news.ch

© Text: Anita Niederhäusern, leitende Redaktorin ee-news.ch

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