Solarkollektoren der Überbauung Weltpostpark während der Montage. Foto: eicher+pauli

Die Überbauung ‹Weltpostpark› in Bern besteht aus drei Mehrfamilienhäusern. Foto: B. Vogel

Einer der Eisspeicher befindet sich im Erdreich unter der Grünfläche hinter den sechs Mülleimern. Foto: B. Vogel

Jedes Mehrfamilienhaus der Überbauung Weltpostpark bezieht die Wärme für Heizung und Warmwasser von Wärmepumpen. Illustration: Weisskopf und Partner

Die Überbauung Weltpostpark im Osten der Stadt Bern mit drei Mehrfamilienhäusern. Illustration: BFE-Schlussbericht

Kostenvergleich verschiedener Energiesysteme. Grafik: BFE-Schlussbericht

Jahresarbeitszahl (JAZ) der drei Wärmepumpen der Überbauung Weltpostpark. Grafik: BFE-Schlussbericht

Wärmeflüsse in Haus A der Überbauung Weltpostpark. Grafik: BFE-Schlussbericht

Das Energieflussdiagramm von Haus A der Überbauung Weltpostpark. Grafik: eicher+pauli

Wärme: Energiesystem vom ‹Weltpostpark› verbindet Solarkollektoren und Abwärmenutzung mit einem Eisspeicher

(BV)) Im städtischen Gebieten können Heizsysteme sinnvoll sein, die Wärme aus Sonnenkollektoren und Abwasser nutzen und diese in einem Eisspeicher zwischenspeichert. Dieser innovative Ansatz erlaubt eine verlässliche, wirtschaftliche Energieversorgung von Mehrfamilienhäusern auch in dicht bebauten, urbanen Quartieren, wie ein Projekt Überbauung ‹Weltpostpark› in der Stadt Bern zeigt. (Texte en français >>)


Heizwärme und Warmwasser lassen sich heute ohne weiteres aus erneuerbaren Energien erzeugen – etwa mit Wärmepumpen, die Wärme aus dem Erdreich oder der Umgebungsluft nutzen, aber auch mit Fernwärmenetzen oder Holzheizungen. In Städten jedoch sind diese Energiesysteme oft nicht verfügbar, nicht erlaubt, oder die damit verbundenen Emissionen sind unerwünscht.

Drei ‹Minergie eco Mehrfamilienhäuser
Im Osten von Bern hat die Dachorganisation der weltweiten Postunternehmen, der Weltpostverein, seinen Hauptsitz. In direkter Nachbarschaft entstand in den letzten Jahren die Überbauung ‹Weltpostpark› mit drei Mehrfamilienhäusern. Sie wurden ab 2020 bezogen. Auf Wunsch der Bauherrschaft erfüllen die 170 Wohnungen den Energieeffizienz-Standard ‹Minergie eco›, und die Überbauung wurde als ‹2000 Watt-Areal› realisiert. Dieses Label vereinigt hohe Anforderungen an die Nachhaltigkeit von Wohngebäuden und Mobilität seiner Bewohnerinnen und Bewohner.

Grosse planerische Herausforderungen
Diesen hohen Nachhaltigkeitsstandard zu erreichen, stellte die Energieplaner vor grosse Herausforderungen. Denn für die Überbauung im Osten der Stadt Bern kamen verschiedene gängige Energiesysteme nicht in Frage: Das Grundwasser reichte für die Wärmeerzeugung mit Wärmepumpen nicht aus, zugleich verunmöglichten die Grundwasservorkommen die Verlegung von Erdsonden. Die Nutzung der Aussenluft als Energiequelle für Wärmepumpen wiederum hätte zu einem zu hohen Strombedarf geführt, verbunden mit dem Risiko für Einsprachen wegen der zu erwartenden Schallemissionen. Auch eine Holzheizung schied aus, denn sie hätte die Luft stärker belastet als vom Energierichtplan zugelassen. Fernwärme schliesslich steht im Quartier in absehbarer Zukunft nicht zur Verfügung.

Eisspeicher nehmen Wärme auf
Beat Nussbaumer, der das Projekt für das Planungsunternehmen eicher+pauli betreute, musste eine andere Lösung finden: «Um den 2000 Watt-Areal-Standard zu erreichen, prüften wir mehrere Systeme, darunter Luft-Wasser-Wärmepumpen im Verbund mit Gas- oder Pelletkessel zur Abdeckung der Bedarfsspitzen. Lediglich das System mit Wärmepumpen, welche als Wärmequellen Solarkollektoren und das Abwasser nutzen, war zielführend», erinnert sich Nussbaumer. Zur Wärmespeicherung wird ein Eisspeicher eingesetzt. «Die Nutzung von Solarwärme und Abwasser, kombiniert mit einem Eisspeicher, ergibt ein Energiesystem, das die Häuser in einem dicht bebauten städtischen Raum während allen Jahreszeiten zuverlässig mit Heizwärme und Warmwasser versorgt», sagt Nussbaumer. Da die Wärmepumpen mit zertifiziertem Wasserstrom betrieben werden, ist die Wärmeversorgung zu 100 % erneuerbar.

Verlässlich und wirtschaftlich
Das Unternehmen eicher+pauli hat das Energiesystem nicht nur geplant, sondern in den letzten zwei Jahren in einem vom BFE unterstützten Pilot- und Demonstrationsprojekt einem Monitoring und einer Betriebsoptimierung unterzogen. Diese Analyse hat die Verlässlichkeit und Wirtschaftlichkeit des Systems bestätigt. «Die Gegenüberstellung zeigt, dass die Eisspeicher-Technologie leicht höhere Investitionen gegenüber einer vergleichbaren Erdsonden-Wärmepumpen-Anlage auslöst, jedoch durch die hohe Effizienz nahezu ebenso wirtschaftlich betrieben werden kann», hält der Projektschlussbericht fest (vgl. dazu auch Grafik 07). Die Jahresarbeitszahl (JAZ) liegt bei rund 4.5 und erreicht damit in etwa die Effizienz von Sole-Wasser-Wärmepumpen.

Keine Redundanzen
Das Energiesystem der Überbauung Weltpostpark verfügt über keine Redundanzen, denn bei einer Vollvereisung kann dem Speicher keine weitere Energie entzogen werden. Entsprechend sorgfältig müssen solche Systeme ausgelegt werden. Bei der Planung muss insbesondere dem Nutzerverhalten ein besonderes Augenmerk geschenkt werden (‹Performance Gap›). Dadurch kann der Wärmebezug für Heizen und Warmwasser massiv schwanken und mitunter zu einem deutlich höheren Wärmebedarf als projektiert führen. Eine weitere Herausforderung: Bei einer anhaltenden Schneebedeckung der Kollektoren kann der Eisspeicher zeitweilig nicht mit Solarwärme regeneriert werden.

Simulation zeigte drohende Unterversorgung
Um eine Unterdimensionierung des Heizsystems zu vermeiden, führten die Energieplaner eine dynamische Simulation (Polysun) durch. Sie zeigte, dass ein Energiesystem aus Sonnenkollektoren und Eisspeicher den Wärmebedarf der drei Wohngebäude nicht zuverlässig sicherstellen würde. Aus diesem Grund wählten die Planer einen innovativen Ansatz: Sie ergänzten das Energiesystem um eine Abwasser-Wärmerückgewinnung. Sie wollten mit diesem Schritt sicherstellen, dass ein möglicher Performance Gap abgefangen und ein nachhaltiger Betrieb möglich wird. Darüber hinaus wollten sie Erfahrungen mit diesem in der Schweiz bisher kaum bekannten Zusammenspiel von Heizungskomponenten gewinnen. Im Prinzip hätten für die Leistungssteigerung auch das Kollektorfeld und der Eisspeicher vergrössert werden können. Dies wäre aber teurer gewesen als die Nutzung der Abwasserwärme, betont Beat Nussbaumer.

Verbesserung der Planungshilfen
Der Weg über die Simulation war für die Energieplaner deshalb erforderlich, weil der Anbieter des Heizsystems die Systemauslegungen nicht offengelegt hatte. Vor diesem Hintergrund fordern die Autoren des Schlussberichts eine Verbesserung der Planungshilfen: «Mit der Initiierung und Förderung von produktneutralen Planungs- und Simulationstools soll in der SIA-Projektphase 2 eine raschere Systemauslegung möglich werden. Die Anwendung soll nach Möglichkeit in etablierte Simulationsprogramme integriert werden.»

Wärme aus Abwasser ist unabdingbar
Wie richtig der Entscheid zum Einbezug der Abwasser-Wärme war, sollte sich in Haus B der Überbauung zeigen: Dort kann aus baulichen Gründen nur ein Drittel des Abwassers zur Wärmebereitstellung genutzt werden. Die Folge: Der Wärmebedarf des Hauses konnte in der kalten Jahreszeit nicht vollständig gedeckt werden, so dass temporär eine mobile, mit Öl betriebene Heizzentrale eingesetzt wurde und nachträglich nun eine Luft-Wasser-Wärmepumpe zugebaut wird.

Transparenz sei eine wichtige Voraussetzung
Um solche Nachbesserungen zu vermeiden, ist eine transparente und nachvollziehbare Auslegung der Komponenten unerlässlich. Wünschbar wären nach Einschätzung des Projektteams Systemanbieter, die alle Komponenten einschliesslich Systemgarantie, intelligentem Leitsystem und Betriebs-Knowhow zur Verfügung stellen. Die Auslegungsparameter sowie die Dimensionierung sollten nachvollziehbar offen gelegt werden. Diese Transparenz sei eine wichtige Voraussetzung, um die Verbreitung von Heizsystemen mit Eisspeicher zu fördern.

Freecooling im Sommer
Ein intelligentes Leitsystem ist auch deshalb nötig, um die Anlage in den Sommermonaten optimal nutzen zu können. In dieser Jahreszeit wird die Anlage nämlich im Freecooling-Modus betrieben, das heisst, die Rohre der Bodenheizung werden mit kaltem Wasser aus dem Eisspeicher durchströmt und führen so die sommerliche Wärme aus den Wohnräumen ab. Damit im Eisspeicher die nötige Kühlenergie zur Verfügung steht, wurde in der zweijährigen Monitoringphase jeweils ab März durch Wärmeentzug gezielt eine Eisreserve aufgebaut. Nach Auswertung des Monitorings kommen die Energieexperten zum Schluss, der Aufbau der Eisreserve sollte einen Monat später – also April statt März – erfolgen, um eine bessere Wärmereserve zu haben.

Erarbeitung von Planungs-/Auslegungsgrundsätzen
Das P+D-Projekt rund um die Berner Überbauung Weltpostpark gibt wichtige Hinweise für die Nutzung dieses Energiesystems in dicht bebauten städtischen Arealen. Für den Wissenstransfer schlägt Projektleiter Beat Nussbaumer die Erarbeitung von Planungs-/Auslegungsgrundsätzen vor. Die Erkenntnisse könnten z.B. in Form einer Wegleitung und im Rahmen von Kursen unter Mitwirkung der Systemanbieter verbreitet werden. «Auf diesem Weg könnte dem Einsatz von Solarkollektoren in Kombination mit Abwasser-Wärmenutzung und Eisspeichern zu einer weiteren Verbreitung verholfen werden», betont Nussbaumer.


Geeignet auch für gut sanierte Bestandsbauten

Das Energiesystem mit Solarkollektoren, Abwärmenutzung und Eisspeicher kommt in der Berner Überbauung Weltpostpark in Neubauten mit exzellenter Wärmedämmung und Bodenheizung zum Einsatz. Das Heizsystem taugt nach Auskunft von Beat Nussbaumer (eicher+pauli Bern AG) grundsätzlich auch für gut sanierte Altbauten. Nussbaumer hat bei einer Abschätzung schweizweit 13'500 Mehrfamilienhäuser im urbanen Raum ausfindig gemacht, die vergleichbar schwierige Voraussetzungen für die Energieversorgung haben wie am Standort Weltpostpark in Bern. Für all diese Gebäude ist ein Eisspeicher-gestütztes Energiesystem eine prüfenswerte Option und könnte in vielen Fällen die meist noch fossile Energieversorgung ablösen.

Wärmebedarf von rund 50 kWh/m2a
Voraussetzung für den Einbau dieses Heizsystems sind eine gute Wärmedämmung und ein Wärmebedarf von maximal rund 60 kWh/m2a für Raumwärme und Warmwasser. Zum Vergleich: In den Neubauten der Berner Überbauung liegt der Wärmebedarf bei rund 50 kWh/m2a (28.6 bis 31.2 kWh/m2a für Raumwärme und 18.7 bis 20.5 kWh/m2a für Warmwasser). Die Temperatur im Heizungsvorlauf sollte 40 °C betragen, was bei ausreichender Fläche nicht nur mit Bodenheizungen, sondern auch mit Radiatoren resp. Konvektoren möglich ist. Voraussetzung für den Einbau eines solchen Heizsystems ist der erforderliche Platz für den Eisspeicher und den Tank, der das Abwasser aus dem Mehrfamilienhaus aufnehmen kann, bevor es in die Kanalisation fliesst. Hierzu können oft stillgelegte Erdöltankräume oder frei werdende Parkplatzfelder herangezogen werden.


Text: Benedikt Vogel, im Auftrag des Bundesamts für Energie (BFE)

01_Überbauung.jpg

02_Überbauung.jpg

03_Überbauung.jpg

04_Komponenten.jpg

Jedes Mehrfamilienhaus der Überbauung Weltpostpark bezieht die Wärme für Heizung und Warmwasser von Wärmepumpen. Illustration: Weisskopf und Partner

05_Lageplan.jpg

Die Überbauung Weltpostpark im Osten der Stadt Bern mit drei Mehrfamilienhäusern. Illustration: BFE-Schlussbericht

07_Wirtschaftlichkeit.jpg

Kostenvergleich verschiedener Energiesysteme. Grafik: BFE-Schlussbericht

08_JAZ.jpg

Jahresarbeitszahl (JAZ) der drei Wärmepumpen der Überbauung Weltpostpark. Grafik: BFE-Schlussbericht

09_Quellen.png

Wärmeflüsse in Haus A der Überbauung Weltpostpark. Grafik: BFE-Schlussbericht

10_Energiefluss.png

Das Energieflussdiagramm von Haus A der Überbauung Weltpostpark. Grafik: eicher+pauli

0 Kommentare

Kommentar hinzufügen

Top

Gelesen
|
Kommentiert