Fabian Lüscher: „Eine tatsächlich klimawirksame, nachhaltige Energiewende ist möglich, aber nur wenn man bereit ist, sich endgültig von den unerfüllten Versprechen der Atomindustrie zu verabschieden.“

Auf Investoren dürfte die Richtlinie nach ersten Einschätzungen aus der Finanzwelt keinen nennenswerten Einfluss haben. Investitionen in Atomkraftwerke rechnen sich schlicht nicht – auch nicht, wenn sie ein grünes EU-Label tragen. Bild: SES

SES: Die EU-Taxonomie-Tischbombe - AKW-Greenwashing bald auch in der Schweiz?

(SES/FL) Kaum hat das neue Jahr angefangen, überschlagen sich die Meldungen zur europäischen Klimapolitik. An Silvester liess die EU-Kommission verlauten, Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke vorübergehend als nachhaltig taxieren zu wollen (ee-news.ch vom 6.1.22 >>). Diese Entscheidung baut im Wesentlichen auf einen Deal zwischen dem Atomstaat Frankreich und Deutschland, wo man vorübergehend auf Gas setzen möchte. Die politische Vereinnahmung des Geschäfts hat für grosses Kopfschütteln bei Spezialistinnen und Spezialisten gesorgt. Zuletzt hat sich sogar das EU-eigene Beratungsgremium für nachhaltiges Finanzwesen öffentlich gegen die Atom- und Gaspläne der Kommission positioniert. So ist aus der Taxonomie-Tischbombe rasch ein mediales Feuerwerk geworden – das Echo darauf dürfte noch eine Weile zu vernehmen sein.


Auf Investoren dürfte die Richtlinie nach ersten Einschätzungen aus der Finanzwelt keinen nennenswerten Einfluss haben. Investitionen in Atomkraftwerke rechnen sich schlicht nicht – auch nicht, wenn sie ein grünes EU-Label tragen. Mehr als alles andere ist die Taxonomie-Richtlinie ein Instrument, das staatlichen AKW-Plänen – insbesondere in Frankreich, aber auch in einigen nord- und osteuropäischen Mitgliedstaaten – Legitimität verleihen soll. Dennoch sollte ihre Wirkung nicht unterschätzt werden. Sie stellt zwar die Finanzbranche nicht auf den Kopf, bringt aber energiepolitische Diskussionen durcheinander: Ist Atomenergie über Nacht nachhaltig geworden? Muss ihre Bedeutung für die Energiewende in der Schweiz deshalb ganz neu eingeschätzt werden?

Wenig CO2 vielleicht...
Tatsächlich weisen Atomkraftwerke pro produzierter Kilowattstunde Strom einen deutlich geringeren CO2-Ausstoss auf, als z.B. Kohlekraftwerke – wobei die Zahlen je nach Studie weit auseinander gehen. Das allein macht diese aber noch nicht nachhaltig. Nach heutigem Forschungsstand sind Nachhaltigkeitsbewertungen möglichst integrierend vorzunehmen. «Geringe CO2-Emissionen» ist einer von vielen Nachhaltigkeitsindikatoren – wenn auch zweifellos ein wichtiger. Wenn man aber eine Technologie anhand eines einzigen Indikators als nachhaltig einstuft, hat man seine Hausaufgaben schlicht nicht gemacht.

... nachhaltig auf keinen Fall.
Sobald man über eine reine CO2-Bilanz hinausgeht – und genau das wäre der Zweck einer Nachhaltigkeitsbewertung –, fällt Atomenergie ausser Rang und Traktanden. Die Gründe sind bekannt: Die atomare Wertschöpfungskette ist nicht kreislauffähig, Misswirtschaft und radioaktive Freisetzung sind eine reale Belastung für künftige Generationen, vom ungelösten Abfallproblem ganz zu schweigen. Die Liste liesse sich erweitern.

Viel Lärm um nichts?
Der Knall der Taxonomie-Tischbombe wird nachhallen. So wie Frankreich die Richtlinie dazu nutzt, seine aus der Zeit gefallene und hochdefizitäre Atompolitik international zu rechtfertigen, wedeln auch Schweizer Atomlobbyistinnen und Politiker begeistert mit dem europäischen Papier, um ihre Vorstellungen einer nuklearen Zukunft zu legitimieren. Dass Atomenergie schon allein aus wirtschaftlichen Gründen weder klimawirksam noch sonst wie zukunftsträchtig ist, geht im populistischen Getöse unter. Dem gilt es entschieden zu entgegnen – am besten mit einer kraftvollen Politik für den Ausbau erneuerbarer Kapazitäten. Eine tatsächlich klimawirksame, nachhaltige Energiewende ist möglich, aber nur wenn man bereit ist, sich endgültig von den unerfüllten Versprechen der Atomindustrie zu verabschieden.

EU-Taxonomie zum Zweiten
In der Radio SRF-Sendung «Morgengast» ordnet Fabian Lüscher im Gespräch mit Sven Epiney die EU-Taxonomie als einen politischen Entscheid ein, damit die Nuklearnation Frankreich ihr Gesicht wahren kann. Das ändere nichts daran, dass weder Gas- noch Atomkraftwerke nachhaltig sind.

Beitrag auf SRF anhören >>

Kommentar: Fabian Lüscher, Leiter Fachbereich Atomenergie, zum EU-Nachhaltigkeitslabel für Atomkraftwerke bei der Schweizerischen Energie-Stiftung

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2 Kommentare

georg Hanselmann

Was lese ich, Max Blatter Energie Fachmann,
auch wenn er ein HF Abschluss hat ist er noch lange kein Energie Fachmann, weil er vor noch kurzer Zeit zuvor die Solar Strom Erzeugung in Frage gestellt hat.
NB: das ist das Ergebnis vom Jahr 1970, da wurde gesamt Schweizerisch die Prüfungs-Noten um ca. 10.20% zurückgeschraubt.
Wir waren noch die letzte Prüflingen 1969, die nach alter Norm Geprüft wurden (Elektrotechnik)

Max Blatter

Eine Frage: Setzt sich die SES (nicht zu verwechseln mit der SSES) aktiv für einen Beitritt der Schweiz zur EU ein? Dann könnten wir nämlich auch in dieser Frage auf Augenhöhe mitreden und gar mitbestimmen!

Natürlich ist der Vorstoss der EU-Kommission blanker Humbug: Das Nuklearzeitalter ist nach meiner Meinung (als Energiefachmann, notabene) defintiv vorbei. Erdgaskraftwerke sind m.E., sollten sie denn als Übergangslösung(!) zwingend benötigt werden, vorübergehend(!) tolerierbar. Aber eine spezielle Förderung als "nachhaltige" Technologie wäre genau so wenig angebracht.

Aber ich denke, die Sache wird vom EU-Parlament eh abgelehnt. Doch ... wie gesagt: Es wäre schön, wenn die Schweiz dort auch eine Stimme hätte! Also, liebe SES?

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